‚Solidarität‘ – das ist eines unserer großen Sehnsuchtswörter. Insbesondere in links und kosmopolitisch orientierten Milieus genießt es höchste Wertschätzung. Die emotional aufgeladene Anrufung der Solidarität – gerade mit Fremden und Anderen – fungiert hier nicht selten als Ausweis hoher moralischer Sensibilität und ‚richtiger‘ Gesinnung. Aber auch in rechtsnationalen Kreisen lebt eine heimatliche Sehnsucht nach emotionaler Solidarität mit dem eigenen Volk, die sich mitunter in eruptiven Ausbrüchen gegen ‚artfremde‘ Kulturen und Bevölkerungen artikuliert. Und auch in bürgerlich-liberalen Schichten dominiert eine emotionale Wahrnehmung von Solidarität, die hier oft als ein zartes Pflänzlein mitmenschlicher Hilfsbereitschaft erscheint, das durch überbordende sozialpolitische Umverteilung oder ‚undankbares‘ Verhalten der Leistungsempfänger nicht ausgetrocknet werden dürfe.
Was mit dem Begriff der Solidarität aber genau beschrieben werden soll, ist oft unklar. Wenn sich etwa Angehörige gut situierter Mittelschichten emphatisch mit den Leidenden dieser Welt ‚solidarisieren‘, wenn sie sich auf diese Weise mit Katastrophenopfern irgendwie ‚gemein‘ machen wollen, dann könnte sich dahinter eine egozentrische Vereinnahmungsstrategie verbergen, die vor allem vom eigenen Bedürfnis nach emotionalem Wohlbefinden, nach einem ‚guten Gewissen‘ bestimmt wird. Wer sicher im Trockenen sitzt und sich ‚solidarisch‘ mit Geflüchteten im Mittelmeer erklärt, teilt mit ihnen keine gemeinsame Gefahrenlage; und wer im deutschen Mittelgebirge wohnt und ‚solidarisch‘ Geld für die Opfer von Tsunamis in Südostasien spendet, rechnet nicht ernsthaft damit, selbst einmal von Überschwemmungen betroffen zu sein und Hilfe aus Myanmar oder Sumatra zu benötigen. Eines der entscheidenden Leitmotive der Solidarität, wie es im 19. und 20. Jahrhundert insbesondere in der Arbeiterbewegung artikuliert wurde: das egalitäre Zusammenstehen gegen gemeinsame Bedrohungen, wird hier entschieden dementiert – und man möchte gerne wissen, wie sich die Empfänger solcher Solidarität eigentlich fühlen. Dazu gibt es empirisch kaum valide Forschungen. Man wird aber vermuten dürfen, dass hier allemal ambivalente Empfindungslagen anzutreffen sind, in denen diese Solidaritätsbezeugungen nicht nur als hilfreich, sondern womöglich auch als belastend, als paternalistisch und entmündigend empfunden werden. Wie auch immer: Wir reden wohl zu emotional von der Solidarität.
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