Auf dem Weg zu einer kritischen Theorie der Wissenschaftsfreiheit

Am 15. und 16. Juli veranstaltete Maria Sybilla Lotter vom “Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” einen Workshop zum Gegenstand ihrer Initiative an der Universität Bochum. Eingeladen war neben mehreren Mitgliedern des Netzwerks und Patrick Bahners auch Karsten Schubert. Wir veröffentlichen die gekürzte und überarbeitete Version seines Beitrags. (Redaktion)

In der Debatte um Wissenschaftsfreiheit wird mit einem liberalen, negativen Begriff von Freiheit als Nicht-Einmischung operiert, für den Thomas Hobbes und Isaiah Berlin stehen. Kritisiert wird in der Debatte um Wissenschaftsfreiheit folglich die politische Einmischung in die Wissenschaft. Von solchen Einmischungen berichtet das Netzwerk und überträgt damit die bekannten Debatten um “Cancel Culture” und “Political Correctness” auf die Wissenschaft. Die ‚Political Correctness‘-Kritik – sowohl in der allgemeinen Debatte als auch in der bezüglich der Wissenschaftsfreiheit – beruht auf einem liberalen Konzept von Wissenschaft, in dem Vermachtung und Privilegien ausgeblendet werden (Schubert 2020). Dabei wird implizit oder explizit von der Möglichkeit machtfreier Räume und machtfreien wissenschaftlichen Sprechens ausgegangen. Die Wissenschaft wird als Gegensatz zur Politik verstanden – und auf dieser Grundlage die politische Einmischung in die Wissenschaft kritisiert. Vor der Imagination der neutralen Machtlosigkeit der aktuellen Ordnung der Wissenschaft kann dann ‚Political Correctness‘ als unzulässige Machtpolitik und übergriffige Einmischung erscheinen.

Was bei diesem Freiheitsverständnis übersehen wird, ist wie wichtig Macht auch in der Wissenschaft ist. Ich benutze diesen Begriff im Sinne Nietzsches und Foucaults, um zu beschreiben, dass das soziale Miteinander, und auch die Wissenschaft, immer von Regeln und Normen durchzogen ist, die aus gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hervorgegangen sind. Zentral an diesem Machtverständnis ist die Kritik am politischen Liberalismus, der Freiheit, insbesondere die Herrschaftsfreiheit des Diskurses, als Machtabwesenheit bestimmt. Eine solche Kritik, zugunsten einer Analyse der Vermachtung des Sozialen, ist fundamental für die zeitgenössische kritische Sozialtheorie und politische Theorie.

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