Blogdebatte: Zeit

Liebe Theorieblog-Leser*innen, 

auch in diesem Jahr hat es zahlreiche Einsendungen in Antwort auf unseren Call for Blogposts, diesmal zum Thema Zeit gegeben. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal bei allen Autor*innen, die Beitragsvorschläge eingesendet haben. 

Die Texte, die wir in dieser und der kommenden Woche veröffentlichen, zeigen, dass Zeit und Zeitlichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven relevant sind für die Auseinandersetzung mit zentralen Themen der politischen Theorie und Ideengeschichte. Sie demonstrieren, inwiefern Zeit und Zeitlichkeit ertragreiche Kategorien für die Analyse von politischen und wirtschaftlichen Ordnungen darstellen und erhellende Betrachtungen der individuellen und kollektiven Dimensionen von Freiheit, der Möglichkeitsräume politischen Handelns sowie von Kämpfen um Macht und Hegemonie erlauben. (mehr …)

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Bodins Souveränitätsverständnis und das republikanische Ordnungsideal der Freiwilligkeit – ein Impuls aus vorstaatlichen Zeiten

Heute schließen wir unsere Blogpost-Reihe zu „Souveränität“ mit einem Beitrag von Eva-Sophie Mörschel ab, der Überlegungen zur Relevanz und Aktualität von Bodins Souveränitätsbegriff anstellt.

Seit Jean Bodin die Definition des Souveränitätsbegriffs auf eine machtpolitische Bedeutung ausgeweitet hatte, konnte Souveränität allmählich zum Grundbegriff der Moderne aufsteigen. Die “Six livres de la république” erschienen 1576, als die Legitimation vorstaatlicher Herrschaftsformen in Europa zunehmend in Frage gestellt wurde. Bodins naturrechtliche und universalgeschichtliche Überlegungen kündigten eine politische Versöhnung in Zeiten erbitterter Kämpfe um die Thronfolge und der damit verbundenen Verfolgung hunderttausender Hugenotten im Herrschaftsbereich des Hauses Valois an. Aus seiner Überarbeitung der aristotelischen Regierungsformenlehre leitete Bodin einen Vorschlag für eine neuartige republikanische Form der monarchischen Regierung ab, die er teleologisch durch das Streben nach der freiwilligen Anerkennung naturrechtlicher Pflichten fundierte. Dieser neue normative Zweck der öffentlichen Ordnung sollte dem königlichen Privatkabinett des Ancien Régimes als Leitfaden dienen, um den religiösen, sozialen und politischen Wandel beherrschbar zu machen und den Weg in eine prosperierende Zukunft zu bestreiten. Um die Voraussetzungen zu schaffen, denen es bedürfe, um die Anerkennung naturrechtlicher Pflichten zu verwirklichen, müsse nur das Wesen der politischen Macht – die Souveränität – ‚richtig‘ verstanden und in Form einer republikanischen Ordnung in Kraft gesetzt werden. (mehr …)

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Bataille reloaded: Für einen radikal aufgeklärten Souveränitätsbegriff

Weiter geht es in unserer Blogpost-Reihe zu Souveränität mit Daniel Liebs Plädoyer für einen Souveränitätsbegriff, der radikal aufgeklärt ist.

Meine Angst ist endlich absolut und souverän. Meine tote Souveränität liegt auf der Straße“. Diese Zeilen stellt der Schriftsteller Georges Bataille (1897 – 1962) seinem Frühwerk Madame Edwarda voran. Mit dieser zunächst verwirrenden Formulierung wird das tradierte Verständnis von Souveränität, das von Bodin über Hobbes bis hin zu Batailles Zeitgenossen Carl Schmitt reicht, einer Irritation unterzogen: Bataille leitet seinen Souveränitätsbegriff augenscheinlich nicht vom Staat respektive vom Volk, sondern vom individuellen Seelenleben (Meine Angst) ab. Wie ein Blick in Batailles theoretisches Werk zeigt, ist damit eine Kultur- und Kapitalismuskritik verbunden, die an der Dichotomie von Natur versus Kultur ansetzt: er postuliert, dass infolge der Unterwerfung der Natur im Zuge der europäischen Aufklärung eine sukzessive Verdrängung vieler Aspekte einherging, die jenseits der Ratio liegen. Dieser Prozess – so die These dieses Blogposts – hat sich im Zuge des Neoliberalismus seit den 1970er Jahren noch einmal radikalisiert. Neben dem (vermeintlich) Nicht-Menschlichen betrifft diese Verdrängung auch die Felder der Emotionalität sowie kollektiver Existenzen. Ziel dieses Blogposts ist es, Batailles Kritik an der rationalen Epistemologie der Nützlichkeit und Verwertbarkeit aus ihrem diskursiven Schattendasein hervorzuholen und mit aktuellen Debatten um eine Neue radikale Aufklärung zu verknüpfen. Souveränität erscheint so einerseits als Moment einer innersubjektiven Versöhnung von Rationalität und Emotionalität, indem anstelle eines singularisierten Zwangs zur (Selbst-)Ausbeutung der Arbeitskraft eine neue kollektive Autonomie eröffnet wird. Andererseits als äußere Versöhnung des Menschen mit der Welt, indem an die Stelle einer Ausbeutung natürlicher Ressourcen eine solidarische Haltung rückt, die eine nachhaltige Koexistenz von Mensch und Natur antizipiert. (mehr …)

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Blogdebatte: Souveränität

Liebe Theorieblog-Leser*innen,

auch in diesem Jahr hat unser sommerlicher Call for Blogposts, diesmal zum Thema Souveränität, großen Rücklauf hervorgerufen. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal für die ganz unterschiedlichen Beitragsvorschläge. Unsere Auswahl deckt auch in diesem Jahr verschiedene Zugänge zu Souveränität und vielfältige Aspekte der Debatte um den gewählten Begriff ab.

Die Texte, die wir in den nächsten zwei Wochen veröffentlichen, beleuchten die ideengeschichtlichen Ursprünge des Souveränitätsdenkens und seine in Teilen vergessen Aspekte. Sie argumentieren für ein Weiterdenken von Volkssouveränität in Kontexten pluraler Demoi bzw. für ein radikal aufgeklärtes Verständnis menschlicher Souveränität, das eine Neuverortung des Menschen in seiner natürlichen Umwelt anstrebt. Sie kritisieren, dass Souveränität gegenwärtig im Kontext der Digitalisierung mehr als Label denn als sinnvolle Kategorie verwendet wird oder stellen anarchistische staatlichen Souveränitätskonzeptionen gegenüber.

Die gewählten Beiträge werfen somit systematische und praktische Fragen auf und laden sicherlich auch zu kontroversen Diskussionen ein. Alle Leser*innen laden wir an dieser Stelle herzlich ein, aktiv mitzudiskutieren. Wie immer sind Zustimmung und Kritik, Ergänzungen und alternative Perspektiven in den Kommentarspalten willkommen – auf dass wir eine möglichst lebendige und vielfältige Debatte führen können. (mehr …)

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Was in der Zwischenzeit geschah

Unser E-Mail-Newsletter ist wieder da. Nach fast einem Monat ohne E-Mail-Verteiler werden Service- und Debatten-Posts wieder per Mail angekündigt. Wir hoffen somit, alle Leser*innen in nächster Zeit wieder in gewohnte Weise und ohne technische Probleme zu erreichen und mit Informationen und Inhalten aus der Welt der politischen Theorie und Ideengeschichte zu versorgen.

Auch in der Zeit ohne E-Mail-Benachrichtigungen hat sich auf dem Blog einiges getan. Damit niemandem spannende Debattenbeiträge durch die Lappen gehen, möchten wir an dieser Stelle noch einmal auf die inhaltlichen Beiträge der letzten Wochen hinweisen. Die Service-Beiträge, Calls wie Veranstaltungsinformationen, sind wie gewohnt auf dem Blog einsehbar.

Unter dem Titel „Der realistische Utopist – John Rawls und die Theorie der Gerechtigkeit“ haben wir gemeinsam mit Soziopolis zum Rawls-Doppeljubiläum einen inhaltlichen Schwerpunkt organisiert:
Im ersten Teil widmet sich Mirjam Müller der feministischen Wirkungsgeschichte der Theorie der Gerechtigkeit, Wolfgang Eßbach kommentiert das in diesem Jahr in Neuauflage erschienene Über Sünde, Glaube und Religion von John Rawls und Christoph Möllers spricht im Interview mit Jens Bisky über Rawls’ Denken und die „Anmaßung der Gerechtigkeit“.
Teil II versammelt Beiträge von Jürgen Unger-Sirsch zu Rawls‘ Konzeption idealer und nicht-idealer Theorie und Bernd Ladwig zu den Implikationen seines Ansatzes für eine gerechte Regelung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Darüber hinaus gibt es eine Kompilation von kurzen Texten, in denen unterschiedliche Autor*innen, darunter Jürgen Habermas, Beate Rössler und Hubertus Buchstein, drei Fragen zu John Rawls und ihrem persönlichen Bezug zu seinem Werk beantworten.

Gerne weisen wir auch an dieser Stelle noch einmal auf Simon Clemens‘ Lesenotiz zu Axel Honneths und Jacques Rancières „Unvernehmen oder Anerkennung“ hin.

Schließlich ist im November die Debatte um den Begriff der Sorge gestartet, zu der wir im Sommer in unserem vierten Call for Blogposts aufgerufen haben. Bisher sind vier Beiträge erschienen.

Ab morgen geht es hier mit Beiträgen Liza Mattutat, Feline Tecklenburg und Jasmin Behrends nahtlos weiter.

Wir wünschen weiterhin gute Lektüre.

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Verlängerung: Call for Blogposts „Sorge“

Achtung, Verlängerung: Damit alle nach dem spannenden DVPW-Kongress etwas Zeit zum Durchatmen haben, geht der diesjährige Call for Blogposts des Theorieblogs in die Verlängerung. Ihr habt also noch bis Mittwoch, den 06.10.2021 Zeit, um uns Eure Beiträge zu senden. Nach „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019) und „Neuanfang“ (2020) freuen wir uns in diesem Jahr über eure Ideen und Beiträge zum Thema „Sorge“. Den vollständigen Call gibt es hier noch einmal nach dem Klick.

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Reminder: Call for Blogposts zum Thema „Sorge“

Eine kurze Erinnerung zum Septemberbeginn: Der diesjährige Call for Blogposts des Theorieblogs läuft noch bis Sonntag, den 19.09.2021. Nach „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019) und „Neuanfang“ (2020) freuen wir uns in diesem Jahr über eure Ideen und Beiträge zum Thema „Sorge“. Den vollständigen Call gibt es hier noch einmal nach dem Klick.

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Call for Blogposts: Sorge

Nach der positiven Resonanz der vergangenen drei Jahre schreibt der Theorieblog diesen Sommer zum dritten Mal einen Call for Blogposts aus. Nach „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019) und „Neuanfang“ (2020) freuen wir uns in diesem Jahr über eure Ideen und Beiträge zum Thema „Sorge“.

Wir leben in einer Zeit der Sorge: Seit 2019 bringen Fridays for Future mit großer Kraftanstrengung die Vulnerabilität des Klimas und damit die Dringlichkeit von entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen in die Mitte des öffentlichen Bewusstseins. Mit der seit 2020 andauernden COVID-19-Pandemie rücken nun zahlreiche weitere Bereiche in den Fokus: Deutlich wird die chronische materielle wie personelle Unterversorgung der Pflege von Alten und Kranken – gleiches gilt zunehmend auch für Kindergärten und Schulen. Auch die teilweise höchst zermürbende Situation von Familien zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit erhält in der Krise deutlich mehr Aufmerksamkeit: Klagen, die eine Ökonomisierung der Familien-, Pflege- und Gesundheitspolitik schon seit einigen Jahren anprangern, mischen sich nun vermehrt mit breiten gesellschaftlichen Sorgen.

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Wie Sicherheit organisieren? Neuanfang zwischen Reform und Revolution

Zwar prägt besonders die Covid-19-Pandemie das Jahr 2020, jedoch erlangte ein weiteres Thema in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit: Nachdem am 25. Mai in Minneapolis George Floyd von Polizisten getötet und ein Video des Tathergangs weltweit verbreitet wurde, entfachten nicht nur in den USA Proteste und Debatten über Polizeigewalt und institutionellen Rassismus. Seitdem reißen die Proteste nicht ab und auch hierzulande sind Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Akteure bemüht, das Bewusstsein für institutionelle Erklärungen rassistischer Polizeigewalt zu stärken. Zahlreiche Befunde zu rechtsextremen Strukturen in Teilen der deutschen Sicherheitsarchitektur unterstreichen die Notwendigkeit, sich eines zu vergegenwärtigen: In den Institutionen, die für Sicherheit sorgen sollen, stimmt etwas nicht, wenn man sich fragen muss, für wen das Sicherheitsversprechen gilt und für wen die Polizei eine Bedrohung darstellt. Hier muss etwas neu gedacht und neu gemacht werden – wir brauchen einen Neuanfang. Wie also kann Sicherheit neu organisiert werden? Die Antwortsuche eröffnet das Diskussionsspektrum zwischen Reform (als planmäßiger Umgestaltung des Bestehenden) und Revolution (als radikalem strukturellen Wandel). Dieser Beitrag kommt zu dem Schluss, dass die Polizei nicht reformiert werden kann, sondern abgeschafft werden muss, um ein neues Sicherheitsverständnis zu etablieren. Damit wird an die Forderung des Police Abolition Movements angeknüpft, der Polizei finanzielle Mittel zu entziehen und in andere Strukturen öffentlicher Sicherheit umzuverteilen (‚defund the police‘). (mehr …)

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