Zunächst möchte ich mich für die umfassende Kritik zu meinem Aufsatz „Die Saint-Simonistinnen“ bei Karina Korecky bedanken. Viele Aspekte, die für mich von Bedeutung waren, werden von ihr hervorgehoben und weiter ausgebaut. Als Antwort möchte ich zwei Punkte noch einmal vertiefen, die mir bei der Ausarbeitung des Aufsatzes zentral erschienen. Erstens ging es mir bei der Darstellung der Saint-Simonistinnen darum, den Bruch innerhalb der politischen Bewegung zu verdeutlichen. Im bewussten Gegensatz zu den bürgerlichen Anhängerinnen, die schließlich auch in der Hierarchie der Saint-Simonisten aufstiegen (und wieder fielen), formulierten einfache Mitglieder, zumeist unverheiratete Hilfsarbeiterinnen, zwischen 1832 und 1834 das Ideal der finanziell und rechtlich unabhängigen Frau. Sie gingen damit weit über das Ideal „der Frau“ als einer gleichen (sexuellen) Partnerin, wie es von den Saint-Simonisten und Saint-Simonistinnen formuliert wurde, hinaus, denn sie forderten die soziale, rechtliche und schließlich auch politische Gleichstellung der Geschlechter. Deutlich wird dies in der frühen Verwerfung eines Ideals von „Häuslichkeit“, welches die Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter und die damit verbundenen sozialen, rechtlichen und politischen Schranken zwischen den Geschlechtern in doppelter Weise zementierte. Das ist auch der Grund, weshalb ich die „auffällige Anbetung der Weiblichkeit“ unter den Saint-Simonisten nicht weiter thematisiert habe. Die politischen Forderungen der im Fokus stehenden Autorinnen und das imaginierte und idealisierte Bild der Geschlechter als gleiche Partner, wie es von männlichen Mitgliedern der Saint-Simonisten formuliert wurde, sind strukturell nicht vergleichbar. (mehr …)
ZPTh-Debatte
Die Geburt der Frauenbewegung. Skadi Siiri Krauses ZPTH-Artikel in der Diskussion
Die neue Ausgabe der Zeitschrift für Politische Theorie ist soeben erschienen und bietet Einblicke in ganz unterschiedliche Felder und Fragestellungen der Politischen Theorie und Ideengeschichte. Lisa Herzog diskutiert das Verhältnis von kritischer Sozialtheorie und nicht-idealer politischer Theorie; Victor Kempf untersucht Universalismus und Parteilichkeit in der Kritischen Theorie Axel Honneths. In die aktuelle Debatte um das heiß diskutierte Konzept der Postdemokratie interveniert Simon Bein und Burkhard Liebsch schreibt zur zweifelhaften Politisierbarkeit negativer Erfahrungsansprüche. Zur politischen Ideengeschichte trägt schließlich nicht nur der Bericht zur Rousseauforschung von Harald Bluhm und André Häger bei, sondern auch der Beitrag von Skadi Siiri Krause. Sie beschäftigt sich mit der historischen Rolle der Saint-Simonistinnen und ihrem Beitrag zur Frauenbewegung. Wir freuen uns, dass wir diesen Aufsatz in Zusammenarbeit mit der ZPTh kostenlos zum Download zur Verfügung stellen können – und das Karina Korecky im Folgenden den Aufschlag zur Debatte übernimmt. Wie immer laden wir zugleich alle herzlich ein, in den Kommentarspalten mit in die Diskussion einzusteigen. Skadi Siiri Krause wird auf den Kommentar und die Diskussion antworten. Im Folgenden hat aber nun erst einmal Karina Korecky das Wort:
In ihrem bedeutenden und inspirierenden Aufsatz erinnert Skadi Siiri Krause an die Anfänge der modernen Frauenbewegung und, im Jahr des 200. Geburtstages von Marx, an den frühesten Bruch zwischen den sich herausbildenden Bewegungen der Frauen und der Arbeiter in Europa. Sie liest und diskutiert die Zeitschrift La Femme libre (später La Femme Nouvelle), Kristallisationskern und Sprachrohr der Saint-Simonistinnen und vermutlich die erste feministische Zeitschrift überhaupt. Den Kreis von Aktivistinnen um die Zeitschriften begreift Krause als „Vorläufer der feministischen Bewegungen” und unterstreicht „ihren Beitrag für die Ideengeschichte” (S. 75). Dabei ist Krause an den Saint-Simonistinnen aufgrund ihres auf „alltäglichen Lebenserfahrungen” basierenden praktischen Feminismus interessiert, ihres Ziels einer „finanziellen wie rechtlichen Selbständigkeit der Frau” und ihrer Kritik an dem vom männlichen Teil der Bewegung propagierten Ideal der freien Liebe (ebd.). Diese Aspekte nehmen, so Krause, die heutigen Debatten um Intersektionalität, d. h. der Verschränkung verschiedener Kategorien der Unterdrückung und Diskriminierung, vorweg. Die Debatten der Saint-Simonistinnen demonstrieren auch, könnte man hinzufügen, die diskursive Spannung der Zweiten Frauenbewegung zwischen (aufklärerischer) Gleichheit und (romantischer) Differenz in nuce. (mehr …)
Sezessionsansprüche konstituierender Völker – Replik auf Markus Patberg
Formen substaatlicher Autonomie gelten weithin als vorzugswürdige Alternative zu einer Sezession. Wie sich gegenwärtig in Katalonien zeigt, werden Sezessionsansprüche aber auch dann gestellt, wenn Gruppen in demokratischen Rechtsstaaten über Autonomie verfügen. Dies führt mitunter dazu, diesen Gruppen eine Art von rückständigem Kommunitarismus zuzuschreiben, der sich am besten damit erklären lässt, dass sie noch nicht von der Ideologie des Nationalismus befreit worden sind. In meinem Aufsatz, der im ZPTh-Themenheft zur Gründung der Republik erschienen ist [pdf], plädiere ich für eine weniger vorurteilsbeladene Auffassung. Mit der Freiheit als Nicht-Beherrschung weise ich den Erhalt von Föderationen als vorzugswürdig aus. Dennoch hat eine Gruppe, die von vielen ihrer Mitglieder aus öffentlich nachvollziehbaren Gründen als ein eigenes konstituierendes Volk verstanden wird, ein Recht auf die effektive Anfechtbarkeit einer gegebenen Verfassung, das bis hin zu einer Sezession reichen kann. Markus Patberg fasst in seinem Kommentar meine Argumentation sehr gut nachvollziehbar zusammen. Darauf aufbauend formuliert er drei kritische Punkte, die sich als Rückfragen wie folgt formulieren lassen. Erstens: Wer ist das Volk? Zweitens: In welchem Verhältnis stehen Nationalismus und Beherrschung? Drittens: Wer hat das Recht auf Letztentscheidung? Mit allen drei Punkten setzt Patberg bei entscheidenden Stellen meiner Argumentation an. Nicht zuletzt deshalb möchte ich ihm herzlich danken.
Beherrschung und Sezession – Andreas Oldenbourgs ZPTh-Artikel in der Diskussion
„Die Gründung der Republik“ lautet der Schwerpunkt des aktuellen Themenhefts (2/2017) der Zeitschrift für Politische Theorie. In der Verantwortung von Gastherausgeber Andreas Braune behandeln die Beiträge dabei Dilemmata der Entstehung und Erhaltung konstitutioneller Demokratien und ringen um eine „theoriegeleitete Neujustierung des Verhältnisses von Demokratie und Konstitutionalismus“ (Braune, S. 140). Danny Michelsen thematisiert zum Einstieg und bezugnehmend auf Arendt und Jefferson Möglichkeiten der Fortführung des Gründungsmoments in Verfassungsordnungen. Im Anschluss setzen sich Maike Heber mit aktuellen Kritiken und Herausforderungen des italienischen Konstitutionalismus, Dagmar Comtesse mit Lehren aus Rousseaus radikaldemokratischem Volkssouveränitätsverständnis für eine postnationale Republik und Oliver W. Lembcke und Bart van Klink mit dem Böckenförde-Diktum und Voraussetzungen freiheitlicher Ordnungen in Zeiten von Islamismus und Populismus auseinander. Damit umfasst das Themenheft politiktheoretische Analysen und Beiträge zu einigen der dringendsten politischen Fragen der Gegenwart.
Andreas Oldenbourgs Aufsatz zu konstituierender Selbstbestimmung in multinationalen Föderationen gehört ebenfalls in diese Reihe. Wir freuen uns, dass wir ihn im Rahmen unserer bewährten Zusammenarbeit mit der ZPTh kostenlos zum Download zur Verfügung stellen können. Mit Markus Patberg haben wir zudem den passenden Kommentator gefunden, der im Folgenden den Aufschlag zur Debatte übernimmt. Wir laden zugleich alle herzlich ein, mit in die Diskussion einzusteigen und die Kommentarspalten zu füllen. Andreas Oldenbourg wird auf den Kommentar, wie auch auf die Diskussion in den nächsten Wochen antworten. Los geht‘s mit dem Kommentar von Markus Patberg:
„Quo vadis, Chantal Mouffe?“ Replik auf Astrid Séville
Frank Prady: „I am not your enemy.“
Alicia Florrick: „I know, you are my opponent.“
(Good Wife, Staffel 6, Folge 9)
Herzlichen Dank an Astrid Séville für ihre Diskussion und anregenden Gedanken in ihrem Blogbeitrag zu meinem Beitrag in der ZPTH [pdf]. Ich gehe in drei Schritten vor, um auf ihre Kritikpunkte zu antworten. Zuerst werde ich die „So what?!“-Zweifel der Replik besprechen, danach gehe ich auf Sévilles Unterscheidung von Mouffe als Theoretikerin und Bürgerin ein und zuletzt widme ich mich ihrer Kritik der zu schwachen Radikalität. Nachfolgend möchte ich zeigen, dass man mit Mouffe viel zu sagen hat, wenn man sie in Kombination mit anderen Theorien sprechen lässt. Gerade die Kritikpunkte eins und drei von Séville können damit produktiv angegangen werden.
Chantal Mouffe – Gezähmte Radikale oder überschätzte Reformerin? Stefan Wallascheks ZPTh-Artikel in der Diskussion
Für Freund_innen der theoretischen Debatte bietet das Heft 1/2017 der Zeitschrift für Politische Theorie nicht nur inhaltlich Lesestoff, sondern in Form der Diskussion zur „Kritischen Theorie heute“ – gerahmt von einem Editorial der Herausgeber und einem abschließenden Beitrag zur Aktualität der Kritischen Theorie von Marc Grimm – auch ein neues Debattenformat. Zwei Aufsätze stehen diesen Auseinandersetzungen voran: Christian Dries‚ Aufsatz zu Hannah Arendts Blick auf das Andere der Ordnung und Stefan Wallascheks Diskussion zu Chantal Mouffes Umgang mit der Frage nach den politischen Institutionen. Und auch Christian E. W. Kremsers anschließende Rezension zu Star Trek und der Politischen Theorie scheint einen Blick wert. Wir freuen uns, dass wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ZPTh Stefan Wallascheks Aufsatz kostenlos zum Download zur Verfügung stellen können. Wir freuen uns auch, dass Astrid Séville den passenden Kommentar dazu geschrieben hat. Herzliche Einladung an dieser Stelle an alle, in die Diskussion einzusteigen. Die Kommentarspalten sind hiermit eröffnet. Stefan Wallaschek wird in den nächsten Wochen antworten.
„Unternehmensdemokratie ohne Marktsozialismus?“ – Replik auf Christian Neuhäusers Kommentar
Zunächst möchte ich Christian Neuhäuser für seinen Kommentar zu meinem Artikel (pdf) in der ZPTh danken. Hierin finde ich mein Anliegen wohlwollend aufgenommen und zugleich auf gewinnbringende Weise mit zwei wichtigen Einwänden konfrontiert.
Unternehmensdemokratie ohne Marktsozialismus? Daniel Jacobs ZPTH-Artikel in der Diskussion
Die Ausgabe 2/2017 der Zeitschrift für Politische Theorie liegt bzw. steht zur Lektüre bereit. Den Schwerpunkt des Heftes bildet die Debatte um den Begriff des Populismus zu der Jan-Werner Müller, Dirk Jörke, Karin Priester und Steven Schäller beitragen. Die Ausgabe wird vervollständigt und abgerundet durch Felix Heidenreichs Untersuchung von Modi der Deliberation und Sprachspielen in der Politik, Andreas Anters Bericht über die Staatstheorie der Gegenwart und Daniel Jacobs Antwort auf die Frage „Demokratie in Unternehmen?“. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ZPTh haben wir Daniel Jacobs Aufsatz für unsere aktuelle ZPTH-Debatte ausgewählt. In bewährter Praxis können wir seinen Aufsatz kostenlos zum Download zur Verfügung stellen und vor allem hier gemeinsam diskutieren. Wir freuen uns, dass Christian Neuhäuser den Aufschlag zu dieser Debatte übernimmt. Seine Besprechung findet Ihr nach dem Klick. Wie immer freuen wir uns auch bei diesem Thema über eine aktive Diskussion in den Kommentarspalten. Daniel Jacob wird auf die Besprechung wie auch auf die Diskussion in den nächsten Wochen antworten.
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Kritische Theorie? Die ZPTh lädt zur Debatte
Was heißt Kritische Theorie heute? Welche ihrer Instrumente und Begriffe sind für Analysen heute besonders fruchtbar? Welchen Fragen sollte sie sich stellen? Und welche Alternativen gibt es? Diesen und weiteren Fragen widmet sich eine Debatte, zu der die Zeitschrift für Politische Theorie aufruft. Wer daran teilnehmen möchte, ist eingeladen, bis zum 27.03.2017 sechs Fragen zu Stand und Zukunft der Kritischen Theorie zu beantworten. Antworten werden in einer der kommenden Ausgaben – gegebenenfalls gekürzt – abgedruckt. Der komplette Call findet sich hier – oder nach dem Klick.
Demokratietheorie-Programme und Demokratie-Programme – ein unvermittelter Gegensatz? ZPTh-Replik auf Emanuel Richter
Emanuel Richter formuliert in seiner Auseinandersetzung mit meinem Aufsatz sehr grundlegende Einwände gegen meinen Versuch, Rosanvallons Begriff der Gegen-Demokratie auf seine Folgen für die Organisation des Politischen zu befragen. Diese Kritik gibt mir die Gelegenheit, den entscheidenden Punkt meiner Argumentation noch klarer herauszuarbeiten und möglichst präzise zu benennen, inwiefern unsere beiden Perspektiven auf Rosanvallon divergieren.
Zunächst betont Emanuel Richter, er könne meine Einschätzung nicht teilen, die Rezeption Rosanvallons im deutschsprachigen Raum stehe noch am Anfang. Womöglich hätte ich klarer benennen müssen, welche Vergleichsgrößen mir bei dieser Aussage vor Augen standen. Michel Foucault starb 1984 – und noch immer wird jede neue Edition oder Übersetzung seiner Vorlesungen mit Spannung erwartet. Die Regale mit Sekundärliteratur zu Foucault füllen sich beständig; sein Werk ist in aktuellen Debatten (bspw. um die Theorien der individuellen oder kollektiven Subjektivierung) ein beständiger Referenzpunkt; seine Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus hat die Perspektive einer ganzen Generation geprägt. Wie anders indes bei Rosanvallon: Hier wird nicht jedes Manuskript mit großer Akribie bei Suhrkamp verlegt; vielmehr engagiert sich die Hamburger Edition mit großem Einsatz, um zunächst einmal die Hauptwerke auf Deutsch zugänglich zu machen. Gerade im Gegensatz zu den von Emanuel Richter genannten radikaldemokratischen Autoren fehlt Rosanvallon womöglich der radical chic, um eine größere Resonanz zu finden. Umso verdienstvoller scheint mir daher Wim Weymans, Paula Diehls oder eben Daniel Schulz’ Arbeit an der Vermittlung seiner Werke in den deutschsprachigen Raum.
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