Tagungsbericht zur Göttinger DVPW-Sektionstagung: „Politische Grundbegriffe im 21. Jahrhundert“

Begriffe lassen sich als ein Fangnetz verbildlichen, das über die Wirklichkeit ausgeworfen wird, um ihre Phänomene verstandesmäßig ergreifen zu können. Ebenso wie beim Fischfang, bestimmt auch die ‚Maschenöffnung‘ des Begriffs darüber, wie groß die Gesamtheit der wesentlichen Merkmale ist, die in ihm zu einer gedanklichen Einheit zusammengeführt, mithin also von ihm ‚eingefangen‘ und ergriffen werden können. Es gehört zu den Aufgaben der Politischen Theorie und Ideengeschichte, erstens eben jene Begriffs-Netze selbst zu knüpfen oder diskursgeschichtlich zu rekonstruieren und für die Interpretation des Politischen sowie für die Konstruktion seiner Wirklichkeit zu erforschen und zweitens bereits geknüpfte Begriffs-Netze hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit und Relevanz kritisch zu überprüfen. Ganz im Zeichen dieser komplexen Aufgaben stand auch die vom Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte der Georg-August-Universität Göttingen organisierte Tagung „Politische Grundbegriffe im 21. Jahrhundert“ Anfang Juni 2021. Ihr Ziel war es, „den besonderen Status von politischen Grundbegriffen sowie ihren Wandel im 21. Jahrhundert mit seinen spezifischen Herausforderungen zu untersuchen.“

Im Zentrum dieses Berichts steht die Frage, inwiefern die Tagung diesem ambitionierten Ziel gerecht geworden ist oder, in Anbetracht ihrer Gliederung, überhaupt gerecht werden konnte. Dabei dient die von Michael Freeden in seiner Keynote eingeführte analytische Differenzierung von Grundbegriffen der politischen Realität und Grundbegriffen der Politischen Theorie zur grundlegenden Strukturierung der Diskussion, kann sie doch als Minimalbedingung verstanden werden, um das Denken über Begriffe und mit Begriffen überhaupt adäquat durchführen zu können. Darauf wird weiter unten noch genauer einzugehen sein.  (mehr …)

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Die ordoliberale Disziplinierung Europas? Lesenotiz zu Thomas Biebricher „Die politische Theorie des Neoliberalismus“

„Neoliberalismus“ ist ein schillernder Begriff. Abhängig davon aus welcher Denkrichtung er beleuchtet wird, gilt er den Einen als Inbegriff freiheitlichen Denkens, den Anderen hingegen als Kampfbegriff zur Stigmatisierung (wirtschafts-)politischer Positionen, die staatlich verordnete, redistributive Maßnahmen sozialer Gerechtigkeit zugunsten des freien Wirkens der Marktkräfte mit aller Macht zu verhindern suchen. Staat und Markt sind in der allgemeinen Wahrnehmung ohnehin jenes Paar, dessen Beziehung im neoliberalen Denken, egal von welcher Seite es betrachtet wird, den zentralen Anker darstellt. Nach Lektüre der nun in deutscher Übersetzung im Suhrkamp-Verlag erschienenen Habilitationsschrift von Thomas Biebricher, ist eben jener Beziehungsstatus wohl eher als „kompliziert“ zu kennzeichnen, wird doch deutlich, dass eine angenommene Gegnerschaft beider Partner vor dem Hintergrund des vielgestaltigen und keinesfalls konsensualen neoliberalen Denkens, auf einem zu unterkomplexen Verständnis dieser Dichotomie beruht.

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