Plurale Demoi für die Demokratie

Im dritter Beitrag in unserer Reihe zum Thema „Souveränität“ diskutiert Julius Wolf die Souveränität pluraler Demoi als Antwort auf die Krise der liberalen Demoi.

Zwar geht in Demokratien alle Souveränität vom Volke aus, allerdings wird diese durch Institutionen gebändigt und delegiert. Der Souverän gibt, ob er will oder nicht, seine Legislativmacht vorläufig ab. Die institutionelle Anlage der liberalen, elektoralen Demokratie hält nur ein spärliches Repertoire an Partizipationsmöglichkeiten bereit und verrät eine tiefe Skepsis gegenüber dem Volk. Darüber hinaus produziert diese Demokratie Eliten, Ausschlüsse und Unzufriedenheit. Das ist einer der Gründe gegenwärtiger Demokratiekrisen, die in der repräsentativen Demokratie angelegt sind. Schließlich ist die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit der Demokratie institutionell fixiert. Die Krisen stellen aber auch eine Chance dar, da in ihnen gleichzeitig Demokratisierungspotenzial enthalten ist: In vielen Protesten wird diese Demokratie kritisiert, weil sie über den Wahlakt hinaus kaum demokratisch ist. Gefordert wird, das Versprechen der Volkssouveränität (anders) einzulösen – etwa mit mehr Beteiligung, Referenden und „Mini-Publics“. Ebenso wird Kritik an der mangelnden Inklusivität demokratischer Prozesse formuliert, von denen beispielsweise Armutsbetroffene oder Migrant*innengruppen ausgeschlossen sind.

Angesichts der vielfältig konstatierten Krise repräsentativer Demokratie stellt sich die Frage, wie Volkssouveränität realisiert werden sollte, um diese Krise demokratisch zu bewältigen. Die in diesem Beitrag vertretene These lautet, dass die Defizite elektoraler Demokratien nicht nur bedeuten, andere Verfahren stärken zu müssen, sondern auch, verschiedenen Gruppen als Demoi Zugang zum demokratischen Prozess zu ermöglichen. Große Teile liberaldemokratischer Gesellschaften, die faktisch diskriminiert sind, müssen sichtbar gemacht werden, um sie zu inkludieren bzw. die strukturellen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bekämpfen. (mehr …)

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Wie Sicherheit organisieren? Neuanfang zwischen Reform und Revolution

Zwar prägt besonders die Covid-19-Pandemie das Jahr 2020, jedoch erlangte ein weiteres Thema in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit: Nachdem am 25. Mai in Minneapolis George Floyd von Polizisten getötet und ein Video des Tathergangs weltweit verbreitet wurde, entfachten nicht nur in den USA Proteste und Debatten über Polizeigewalt und institutionellen Rassismus. Seitdem reißen die Proteste nicht ab und auch hierzulande sind Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Akteure bemüht, das Bewusstsein für institutionelle Erklärungen rassistischer Polizeigewalt zu stärken. Zahlreiche Befunde zu rechtsextremen Strukturen in Teilen der deutschen Sicherheitsarchitektur unterstreichen die Notwendigkeit, sich eines zu vergegenwärtigen: In den Institutionen, die für Sicherheit sorgen sollen, stimmt etwas nicht, wenn man sich fragen muss, für wen das Sicherheitsversprechen gilt und für wen die Polizei eine Bedrohung darstellt. Hier muss etwas neu gedacht und neu gemacht werden – wir brauchen einen Neuanfang. Wie also kann Sicherheit neu organisiert werden? Die Antwortsuche eröffnet das Diskussionsspektrum zwischen Reform (als planmäßiger Umgestaltung des Bestehenden) und Revolution (als radikalem strukturellen Wandel). Dieser Beitrag kommt zu dem Schluss, dass die Polizei nicht reformiert werden kann, sondern abgeschafft werden muss, um ein neues Sicherheitsverständnis zu etablieren. Damit wird an die Forderung des Police Abolition Movements angeknüpft, der Polizei finanzielle Mittel zu entziehen und in andere Strukturen öffentlicher Sicherheit umzuverteilen (‚defund the police‘). (mehr …)

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