Replik: Befragung der eigenen Grundlagen statt Wiederkehr des Immergleichen

Die politische Theorie Claude Leforts erfreut sich im deutschen Sprachraum einer ungebrochenen Beliebtheit. Davon zeugen nicht zuletzt die hier auf dem Blog versammelten Beiträge anlässlich seines hundertsten Geburtstages. Sie entstammen vorwiegend einer Theoriekonzeption, die sich selbst als radikaldemokratisch versteht und dabei in sehr affirmativer Weise auf Leforts politisches Denken bezieht. Unser kritisch-kontextualisierender Zugang zum Werk von Lefort wird von Martin Oppelt in einer Weise kritisiert, die fast den Eindruck erweckt, wir würden uns der unangemessenen Hinterfragung einer zentralen (demokratischen) Autorität schuldig machen. Das wollen wir zum Anlass nehmen, noch einmal unsere Gründe für eine distanzierte Auseinandersetzung mit Lefort anzuführen. Diese lassen sich gerade auch an den Beiträgen des hiesigen Forums demonstrieren.

So erinnert Oliver Flügel Martinsen mit Lefort einmal mehr daran, Demokratie als eine „Befragungspraxis des Politischen“ zu verstehen, die als „Kontestation und Transformation bestehender Ordnungen keine Fakten beschreiben, sondern einen Konstitutionsmodus gesellschaftlicher Ordnungen umreißen“ soll. Sara Gebh und Sergej Seitz sehen das Verdienst von Lefort vornehmlich darin, die „Spannung zwischen Demokratie und Institution produktiv zu wenden“. Martin Oppelt schließlich gelangt zu der Einschätzung, dass Leforts Abschied vom Marxismus wesentlich darauf zielte, „die Bedingungen der Möglichkeit zu analysieren, vor dem Hintergrund einer geteilten Erfahrung der Welt verschiedene Antworten auf dieselbe Frage (der Demokratie) überhaupt zueinander in Konkurrenz bringen zu können.“ Wir müssen gestehen, dass wir mit derartigen Formulierungen recht wenig anzufangen wissen. Was soll hier konkret „produktiv gewendet“ werden? Welche „geteilten Erfahrungen“ werden auf welche Weise „zueinander in Konkurrenz gebracht“? (mehr …)

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Der Liberalismus gegen sich selbst und die Rückkehr des Kalten Krieges. Ein Gespräch mit Samuel Moyn – Teil 2

Während der erste Teil des Gesprächs zwischen Samuel Moyn und Julian Nicolai Hofmann, der gestern hier auf dem Blog erschienen ist, auf die zentralen Begriffe, Argumente und Referenzautorinnen und -autoren von Liberalism against Itself eingeht, adressiert der zweite Teil nun einen breiteren theoretischen Kontext. Darin sprechen die beiden über die Krise der liberalen Demokratie, Varianten des Cold War Liberalism und Frage, wie der Liberalismus überleben kann.   (mehr …)

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Der Liberalismus gegen sich selbst und die Rückkehr des Kalten Krieges. Ein Gespräch mit Samuel Moyn – Teil 1

Ist der Liberalismus noch zu retten? Während globale Krisen, neue Konflikte und populistische Bedrohungsszenarien die liberalen politischen Ordnungen zunehmend verunsichern, feiert eine totgeglaubte Weltsicht ihr schleichendes Comeback: Die Denkmuster eines Cold War Liberalism scheinen im Klima von Krieg, allgemeiner Aufrüstung wie auch einer politisch verordneten Verteidigung der Freiheit erneut auf dem Vormarsch zu sein. Samuel Moyn, hat mit Liberalism against Itself. Cold War Liberals and the Making of our Times (Yale University Press) ein Buch über die intellektuelle Genese dieser (historisch) spezifischen Spielart des Liberalismus verfasst. Darin diagnostiziert er eine folgenschwere Selbstzersetzung zentraler Elemente der liberalen Denktradition.  

Einst sei der Liberalismus als Flaggschiff der Emanzipation angetreten, habe seine theoretische Schlagkraft aus dem kritischen Geist der Aufklärung geschöpft und eine zutiefst optimistische Geschichtsauffassung vertreten. Anfang des 20. Jahrhunderts habe dieser Liberalismus jedoch zu erodieren begonnen – ein Prozess, der letztlich, begleitet vom theatralischen Säbelrasseln des Kalten Krieges, zu einer vollständigen Degeneration seiner ursprünglichen politischen Motive geführt habe. Liberales Denken sei auf neoliberale Marktfantasien oder neokonservativen Moralismus zusammengeschrumpft. In Liberalism against Itself entwickelt Moyn seine These über die Erosion des Liberalismus und den politischen Denkkosmos des Kalten Kriegs anhand der Darstellung verschiedener historisch-theoretischer Portraits: Beeinflusst durch die Erfahrung des Nationalsozialismus wie auch die Bedrohung durch den sowjetischen Kommunismus strebten Autorinnen und Autoren wie Judith Shklar, Isaiah Berlin, Karl Popper, Gertrude Himmelfarb, Hannah Arendt und Lionel Trilling danach, die utopischen, progressiven und auch radikalen Elemente aus dem liberalen Denken zu verbannen. Diese Vertreterinnen und Vertreter eines Cold War Liberalism entkernten den Liberalismus, schufen ein Denken, das jede emanzipatorische Agenda abgeschrieben hatte und begnügten sich damit, bestehende Freiheiten auch mit repressiven Mitteln zu verteidigen. Übrig blieb eine Politik der Angst, die den Schutz der fragilen demokratischen Gesellschaft gegen innere wie äußere Bedrohungen zum lähmenden politischen Leitmotiv erhoben hatte.  

Über sein aktuelles Buch und die Rückkehr des Kalten Krieges sprach Samuel Moyn, Chancellor Kent Professor of Law and History an der Yale University, mit Julian Nicolai Hofmann, Yale Visiting Fellow und Doktorand am Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte der Technischen Universität Darmstadt. Das Gespräch entstand im Februar 2024 in New Haven, Connecticut. Der Theorieblog bringt dieses Gespräch in zwei Teilen, der heutige erste Teil geht auf die zentralen Begriffe, Argumente und Referenzautorinnen und -autoren von Liberalism against Itself ein, der morgige zweite Teil adressiert einen breiteren theoretischen Kontext.

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