Das Schicksal der deutschen Geistesgeschichte – Interview mit Dina Gusejnova und Richard Bourke (Teil II)

[Fortsetzung von Teil I]

 

Jonas Knatz (JK) & Anne Schult (AS): Ab den 1930er Jahren führten Deportationen und Zwangsmigrationen zu einem raschen Niedergang der Geistesgeschichte und ihrer Methoden innerhalb der deutschen Wissenschaft. Teile dieser intellektuellen Tradition fanden jedoch schnell eine neue Heimat im Ausland, insbesondere in den USA. Einige von Meineckes Schülern, wie beispielsweise Felix Gilbert, aber auch andere Gelehrte wie Werner Jaeger, Erwin Panofsky und George Mosse waren entscheidend für die Etablierung der amerikanischen history of ideas. In diesem Sinne ist die Geschichte der Geistesgeschichte keine rein deutsche, sondern eben eine transatlantische. Inwieweit sind die amerikanische history of ideas und ihre Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf eine spezifische deutschen Tradition zurückzuführen?

Richard Bourke (RB): Der Einfluss deutscher Traditionen auf die Geschichtswissenschaft in den USA ist enorm. Das hat zum Teil mit Meineckes Schülern zu tun, ergab sich aber auch aus der Bedeutung der deutschen Wissenschaft insgesamt. Sie führen die Beispiele von Gilbert, Panofsky und Mosse an. Man könnte auch Lovejoy, Hughes, Schorske, Krieger, Gay, Iggers, Jay und Toews erwähnen. Die Frage ist, inwieweit diese Tradition durch eine Reihe von intellektuellen „Wendungen“ vorangetrieben wurde, ob linguistisch, postmodern oder postkolonial. (mehr …)

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Das Schicksal der deutschen Geistesgeschichte – Interview mit Dina Gusejnova und Richard Bourke (Teil I)

Mit Rosenöl und deutscher Geist/The fortunes of German intellectual history haben Dina Gusejnova (LSE) und Richard Bourke (Cambridge) einen schon vielbeachteten Film über die deutsche Geistesgeschichte, Ideengeschichte und Intellectual History hergestellt. Eine Vielzahl von Zusatzmaterialien stellt das Wissenschaftskolleg Berlin bereit. Der Film verfolgt die Spuren einer deutschen Tradition in der europäischen Geschichtsschreibung und ihres Nachlebens in der angelsächsischen Forschung und Lehre. Ausgehend von der Frage, wie die Ideengeschichte nach ihrer Blütezeit im neunzehnten Jahrhundert aus Deutschland verdrängt wurde, lassen Bourke und Gusejnova einschlägige deutsche und internationale Forscherinnen und Forscher aus drei Generationen zu Wort kommen und gehen dem Phänomen nach, dass die Intellectual History heute weltweit eine größere Präsenz hat als im deutschen Sprachraum. Jonas Knatz und Anne Schult haben Gusejnova und Bourke ausführlich zum Film befragt – der theorieblog bringt das Gespräch in zwei Teilen. Das Originalgespräch erschien auf dem blog des Journal of the History of Ideas (JHI). – red. (mehr …)

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„Der junge Habermas“ – ein Interview mit Roman Yos

2019 veröffentlichte Roman Yos Der junge Habermas. Eine ideengeschichtliche Untersuchung seines frühen Denkens 1952-1962 im Suhrkamp-Verlag. Für den Blog des Journal of the History of Ideas (JHI) sprach Jonas Knatz mit dem Autor im Herbst 2020. Mit freundlicher Genehmigung des JHI-Blogs veröffentlicht der theorieblog hier eine deutschprachige und gekürzte Version des Interviews – red.

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„Wir werden mehr brauchen als Rawls uns bieten kann“ – Katrina Forrester im Gespräch über John Rawls und die anglo-amerikanische Politische Philosophie nach 1945

Mit In the Shadow of Justice: Postwar Liberalism and the Remaking of Political Philosophy hat Katrina Forrester (Harvard University) kürzlich eine vielbeachtete Monographie vorgelegt, die erstmals systematisch John Rawls‘ Gerechtigkeitstheorie historisiert, indem sie sowohl die Bedingungen ihrer Entstehung rekonstruiert als auch ihren Aufstieg zum unbestrittenen Paradigma in der (anglophonen) politischen Theorie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Nachdem sich Jakob Huber in einer Lesenotiz mit Forresters Buch auseinandergesetzt hat, kommt nun die Autorin selbst zu Wort. Das von Anne Schult und Jonas Knatz geführte Interview mit Katrina Forrester erschien zuerst auf dem Blog des Journal of the History of Ideas im Dezember 2019. (mehr …)

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Die Geschichte der Begriffsgeschichte: Zwischen Historisierung und Begriffspolitik

2016 haben Falko Schmieder und Ernst Müller ein umfassendes kritisches Kompendium zum Thema Begriffsgeschichte und Historische Semantik im Suhrkamp Verlag herausgegeben. Für das Journal of the History of Ideas hat Jonas Knatz ausführlich mit einem der beiden Herausgeber gesprochen. Mit freundlicher Genehmigung des Journals veröffentlicht der Theorieblog heute eine deutschsprachige Kurzversion des umfangreichen Interviews:

Jonas Knatz (JK): Falko Schmieder, der Titel Ihres Buches lautet „Begriffsgeschichte und Historische Semantik“. Was ist die Beziehung zwischen Begriffsgeschichte und Historischer Semantik, was war die Motivation von Ihnen und Ernst Müller, ein Kompendium der Begriffsgeschichte zu erstellen und, wie Sie beide im Vorwort schreiben, die Methodologie der Begriffsgeschichte auf diese selbst anzuwenden? (mehr …)

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