Das unabgeschlossene Projekt demokratischer Autonomie: Zum 100. Geburtstag von Cornelius Castoriadis

Als Cornelius Castoriadis in den späten 70er Jahren nach New York City kam, habe ich ihn im Rahmen einer Vortragsreihe an der New School for Social Research, in Stonybrook und an anderen Universitäten im Umkreis kennengelernt. Auf die Bitte unseres gemeinsamen Freundes und eines Mitherausgebers von Telos, Dick Howard, haben mein Partner, Andrew Arato, und ich Castoriadis für ungefähr eine Woche bei uns in der Wohnung aufgenommen. Ich war damals Doktorandin in Soziologie an der New School und, was entscheidender war, an der bereits erwähnten Zeitschrift Telos beteiligt – einem Journal der internationalen Neuen Linken, das auch Arbeiten von Castoriadis sowie persönliche Interviews mit ihm herausgab. Die Arbeit für die Zeitschrift verband junge Doktorand:innen und Akademiker:innen mit praktischer Erfahrung in verschiedenen Bewegungen der neuen Linken sowie mit einem radikal-demokratischen, sozialistischen und/oder marxistischen Hintergrund. Telos veröffentlichte die Arbeiten kritischer Theoretiker:innen auf der Linken und stand in Kontakt mit herausragenden Denker:innen auf dem europäischen Kontinent, die an einer Abkehr von orthodoxen und trotzkistischen Spielarten des Marxismus hin zum Neo- und post-Marxismus beteiligt waren. Diese Denker:innen stimmten in ihrer Kritik an Gesellschaften des sowjetischen Typus überein, aber zugleich nahmen sie auch zentrale Elemente der Marx’schen Kritik am Kapitalismus weiterhin ernst. Ihr Anliegen war es, die Fehler der westlichen Demokratie offenzulegen und dabei zugleich ein größeres demokratisches Projekt zu verteidigen. Es ging ihnen um weitere Demokratisierung, bürgerliche Rechte und soziale Gerechtigkeit, zuhause und im Ausland, im Osten wie im Westen, im Norden wie im Süden.

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