Die Linke vor der Frage der Macht – Spanische Perspektiven auf ein europäisches Problem

Die Linke und die Macht, das ist ein Paar, das selten zusammengeht. Für die Linke steht außer Frage: Die Macht korrumpiert, sie führt zum Verrat an den eigenen Ideale und zur Einbindung in das System, dem die Kritik galt. Auch die Vergangenheit schreckt ab: vom Marsch durch die Institutionen der Grünen, über den autoritären Staatssozialismus der SED hin zur Sozialliberalisierung der Sozialdemokratie. Gerade die deutsche Linke zog daraus ihre Lehren. Macht und Herrschaft verloren für sie ihre Versuchung, sie wurden zum Gegenstand von Kritik. Doch mit Blick auf den Ist-Zustand erweist sich diese Abwendung von der Macht als verhängnisvoll. Wo bleiben in Zentraleuropa die linken Gegenentwürfe zum Nationalismus mit düsteren Anklängen, zum Wohlstandschauvinismus um jeden Preis oder zur restriktiven Flüchtlingspolitik? Anders gestaltet sich die Lage in Europas Süden: Mit Syriza, dem Bloco de Esquerda oder Podemos drängt eine neue Linke nicht nur in Regierungen, sondern wirft auch die Grundsatzfrage auf: Wie können wir Projekte mit Mehrheitsanspruch schmieden? Das Label des Linkspopulismus legt (unfreiwillig) offen, dass diese neue Linke unverhohlen die Frage der Macht stellt. Damit bewegt sie sich ganz in der Tradition, die von Marx über Lenin zu Gramsci reicht. Wie lassen sich die Kräfteverhältnisse nach links verschieben? Wie entstehen Massenbewegungen, in der eine Vielzahl verschiedener Forderungen und Gruppen eingeflochten sind, um die Gesellschaft im Zeichen von Gleichheit, Gerechtigkeit und Emanzipation umzugestalten? Weist in dieser Hinsicht der südeuropäische Linkspopulismus den Königsweg, der auch anderswo fruchten könnte? Um dies zu klären, hilft ein Blick auf die Strategie von Podemos. Diese Strategie ist waghalsig, sie bewegt sich fernab ideologischer Gewissheiten – aber vielleicht liefert sie Anhaltspunkte dafür, warum eine Kraft, die kaum zwei Jahre alt ist, in den spanischen Generalwahlen von Dezember auf Anhieb 20 Prozent Unterstützung erhielt.

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Wiedergelesen: Die Theorie der Hegemonie

Wiedergelesen-Beitrag zu Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics, London, New York: Verso 1985 (dt. v. Michael Hintz, Gerd Vorwallner. Wien: Passagen 1991).

 

Oft hat der Tod eines Autors den bemerkenswerten Effekt, sein Werk erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen. Im Falle des jüngst verstorbenen Ernesto Laclaus ist zu erwarten, dass das Interesse an seiner posthumen Monographie The Rhetorical Foundations of Society besonders groß sein wird. Doch Laclaus Tod gibt auch Anlass dazu, den Blick in die Vergangenheit zu richten. Wie steht es um die Aktualität jenes Werkes, das den Startpunkt für den Postmarxismus Laclaus und Chantal Mouffes bedeutete? Die bald 30 Jahre, die seit der Veröffentlichung von Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics im Jahr 1985 zurückliegen, wirken im kurzlebigen Archipel der politischen Theorie wie eine kleine Ewigkeit. Zuletzt ist es um Hegemony ruhiger geworden. Jedoch sind die Anliegen, die Laclau und Mouffe vor einer Generation beschäftigten, längst nicht von der Tagesordnung. In diesem Beitrag plädiere ich thesenhaft dafür, dass Hegemony and Socialist Strategy ein moderner Klassiker der Sozial- und politischen Theorie ist. Laclau und Mouffe entwerfen in diesem Buch erstmals eine poststrukturalistische Diskurstheorie als umfassende Gesellschaftstheorie; sie legen die Pfeiler für eine postfundamentalistische politische Ontologie; letztlich relancieren sie das sozialistische Projekt in neuartiger Weise als Projekt der radikalen Demokratie. Poststrukturalistische Gesellschaftstheorie, politische Ontologie und politisches Projekt, dies ist die Erbschaft, die Hegemony and Socialist Strategy für die Gegenwart hinterlässt. (mehr …)

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Lesenotiz: Die antagonistische Wette der Gesellschaftstheorie – Zu Oliver Marchart „Das unmögliche Objekt“

„Das Soziale existiert nur als der vergebliche Versuch, dieses unmögliche Objekt zu instituieren: Gesellschaft“ – dieses Zitat Ernesto Laclaus ist Programm für Oliver Marcharts jüngste Monographie Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft (2013). Marchart setzt sich hier die Aufgabe, die postfundamentalistische Theorie des Politischen –  allen voran die Hegemonietheorie Mouffes und Laclaus – durch eine Theorie der Gesellschaft zu ergänzen. Ist das Politische der Name für das Instituierungsmoment des Sozialen, so steht Gesellschaft für dessen Schließung zur strukturierten und stabilisierten Totalität. Die Gesellschaft ist die Rückseite des Politischen. Sie konstituiert sich überall dort, wo politische Dynamiken zu stabilen sozialen Verhältnissen verhärten. Die Profilierung des Politischen und der Gesellschaft als den beiden Grunddimensionen des Sozialen bleibt allerdings in Das Unmögliche Objekt bloße Absichtserklärung. Wie ich durch die Rekonstruktion von Marcharts Argumentation zeigen werde, bringt er seinen ursprünglichen Gegenstand, die Gesellschaft, in restlose Abhängigkeit zum Politischen, er löst Gesellschaft geradezu im Politischen auf. Zwar kündigt Marchart an, Gesellschaftstheorie auf postfundamentalistischem Wege zu neuer Relevanz zu verhelfen (I). Tatsächlich aber geht es ihm nicht um die Theoretisierung, sondern um die Dekonstruktion von Gesellschaft im Namen des Antagonismus, der politischen Kategorie par excellence (II). Was dabei untergeht, ist die postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft, die Das Unmögliche Objekt eigentlich entwerfen wollte (III). (mehr …)

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