Replik auf Niklas Angebauers „Vom Gemeinbesitz zu den Commons?“

Im Rahmen unserer aktuellen ZPTh-Debatte antwortet heute Eva Weiler auf den Kommentar von Niklas Angebauer zu ihrem ZPTh-Artikel „Vom Gemeinbesitz zum Privateigentum?“, den wir am Dienstag veröffentlicht haben.

In seinem Kommentar zu meinem Artikel „Vom Gemeinbesitz zum Privateigentum?“ formuliert Niklas Angebauer begriffliche und interpretatorische Einwände sowie eine kritische Schlussüberlegung. Ich werde die Einwände chronologisch durchgehen und, da Angebauer sich vornehmlich auf Eigentumsfragen konzentriert, die eigentlich nicht im Fokus des Artikels stehen, dabei auch noch einmal das Anliegen meines Beitrages skizzieren.

Thema des Schwerpunktheftes, in dem mein Beitrag erschien, ist die „systematische Bedeutung des methodischen Zugangs der Naturzustandstheorien für die Theoriebildung“. Ich starte meine Überlegungen erstens mit der Annahme, dass die Theorien der Aufklärung das konkrete Problem vor Augen haben, wie sich rechtmäßige politische Herrschaft begründen lässt. Sie begegnen diesem Problem zweitens ausgehend von der historisch spezifischen Frage nach der rechtmäßigen Aneignung von Boden. Als theoretische Reflexion auf eine spezifische Situation sind Naturzustandstheorien methodologisch interessant, insofern der Naturzustand eine Abstraktion von bestehenden Verhältnissen darstellt und damit eine Historisierung und Analyse spezifischer ökonomischer und institutioneller Entwicklungen möglich macht. Außerdem bietet die Idee eines ursprünglichen Gemeinbesitzes an der Erde, die Teil der Naturzustandskonzeptionen der Aufklärung ist, eine normative Folie zur Beurteilung von bestehenden Herrschaftsordnungen.

Die Frage, die ich in meinem Beitrag beantworten möchte, lautet, warum die Herrschaftstheorien der Aufklärung mit der für ihre Argumentation fundamentalen Idee des Gemeinbesitzes nicht das Gemeineigentum als Herrschafts- und Eigentumsform begründen, sondern das Privateigentum, und ob das notwendigerweise so ist.

Eigentum, Herrschaft und ihre Beschränkung

Angebauers erste Anmerkung bezieht sich darauf, dass ich in meinem Artikel die Allmende nicht nur als Eigentums-, sondern auch als politische Organisationsform betrachte. Angebauer fragt nun, ob es nicht sinnvoller sei, dominium und imperium klar zu trennen, um kontraktualistische Eigentumstheorien, zu denen er die von John Locke zählt, von ebensolchen Herrschaftstheorien zu unterscheiden.

An meiner oben ausgeführten Fragestellung sollte deutlich werden, dass ich es für systematisch unmöglich halte, Eigentums- und Herrschaftstheorie der Autoren der Aufklärung zu trennen. Selbstverständlich ist es eines der zentralen Anliegen dieser Theorien, imperium und dominium begrifflich und faktisch zu unterscheiden. Fällt beides zusammen, bestehen direkte Abhängigkeiten und damit die Gefahr willkürlicher Beherrschung. Deshalb die Gleichheit vor dem Recht, die sicherstellen soll, dass kein einzelner sich durch sein dominium einen „imperialen“ Vorteil verschafft. Allerdings bleiben dominium und imperium notwendig aufeinander verwiesen; der hypothetische Vertragsschluss schafft mit der übergeordneten legislativen und exekutiven Instanz auch das dominium, das diese sichern soll. Locke nimmt entsprechend an, dass das Haben von Eigentum in einem body politic automatisch als Zustimmung zu den geltenden Gesetzen zu werten sei. Das Eigentum selbst begründet Locke naturrechtlich, nicht kontraktualistisch, aus der Zweckhaftigkeit und Vernünftigkeit privater produktiver Verfügung. Der politische Zusammenschluss soll diese naturrechtlich begründeten Zwecke schützen, die ohne ihn bloße moralische Ansprüche blieben. Das Eigentumsrecht als freistehenden naturrechtlichen Anspruch zu formulieren, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sie behauptet eine Unabhängigkeit des dominium vom imperium  – und steht damit, nicht erst seit Marx, zu Recht unter Ideologieverdacht.

In seiner zweiten Anmerkung fragt Angebauer nach dem Begriff der Gütergemeinschaft, die ich in meiner Dissertation als „negativen Bezugspunkt“ bezeichnet habe. Angebauer vermutet, dass ich letztlich doch ausgehe von einem „natürliche[n] Anrecht darauf […], nicht von der Subsistenznutzung ausgeschlossen zu werden (im Sinne einer immunity/ eines negative claim rights)“.

Dazu müsste es jedoch ein claim right geben können, das dem positiven Recht vorausgeht. Der von mir benannte „negative Anspruch“ ist ein begründungstheoretischer politisch-normativer Anspruch, dass eine Rechtsordnung nicht den Effekt haben darf, Menschen daran zu hindern, ein Leben führen zu können. Ein Zusammenschluss zu einer politischen Ordnung, die für manche strukturell zum Tod führt, ist vertragstheoretisch schlicht nicht zu begründen. Der Anspruch, ein Leben führen zu können, richtet sich deshalb an die Ordnung und betrifft das Verhältnis aller „Vertragsteilnehmer“ in Bezug auf die natürliche Lebensgrundlage. Die kann gerade nicht als Eigentum verstanden werden, sondern nur als „zu Regelndes“, weil nicht vorgängig gesagt werden kann, wie die Ordnung den Anspruch erfüllen sollte – ob etwa durch Subsistenznutzung oder Einbindung in einen Arbeitsmarkt.

Ungleichheit – (k)ein Problem?

In seinen Kommentaren zur Interpretation der Theorien von Locke, Hobbes und Kant in meinem Artikel bemerkt Angebauer, dass gerade das Lockesche Gebot, die Menschheit zu erhalten, im Kontext der heutigen Klimakrise danach schreie, gegen den Produktivismus gewendet zu werden, den ich in dieser Theorie verorte. Arbeitswertlehre, proviso und charity böten außerdem Argumente gegen Ausbeutung und für Gleichheit. Letztere würde ich, so Angebauers Kritik, bei Hobbes stark machen, wo sie allerdings durch dessen Fokus auf den Vertrag nur begrenzte Wirkung haben könnten. Schließlich sei fraglich, ob mit Kant der Gemeinbesitz als eine in der Zukunft zu verwirklichende Idee tatsächlich sinnvoll gedacht werden könne, da Kants Demokratiebegriff unterbestimmt ist und seine Eigentumsvorstellung auf einer die Natur objektifizierenden „Sachherrschaft“ aufruhe.

Meiner Antwort möchte ich vorausschicken, dass mich mit Blick auf die methodologische Frage des Sonderbandes das unterschiedliche Verständnis von Entwicklung und Historizität der Theorien interessiert.

Locke zeichnet eine Entwicklung hin zum body politic nach, die in sich „normativ geschlossen“ ist: Lockes Leistung liegt gerade darin, dass er unter bestimmten Annahmen tatsächlich konsistent zeigen kann, dass das Heraustreten aus dem Naturzustand und die damit einhergehende Ungleichheit kein moralisches Problem darstellen, und das vor allem deshalb, weil in der menschlichen Entwicklung bisher jedes Problem mit einer entsprechenden institutionellen Innovation beseitigt wurde. Aus dieser Linie für eine Rückbesinnung auf ein proviso zu argumentieren, das bei Locke mit der Geldwirtschaft aufgehoben ist, scheint mir unplausibel. Naheliegender wären Lösungen durch menschliche Innovationskraft, also der technological fix. Auch einen „Arbeitsertrag der Arbeitenden“ gibt es bei Locke nicht. Es gibt den Eigentümer, seinen Knecht und sein Pferd. Alle zusammen bilden ein „produktives Eigentum“, dessen Ertrag dem Eigentümer zukommt.

Hobbes habe ich als denjenigen angeführt, der das Gemeineigentum explizit als Standardfall von Eigentum nennt. Dass Hobbes das Gemeineigentum nicht als politische Organisationsform betrachtet, habe ich damit erklärt, dass seine Theorie sich „nach oben“ orientiert, dass also eine Struktur gefunden werden soll, die stark genug ist, um mächtige Akteure in einer massiv ungleichen Gesellschaft so weit wie möglich in Schach zu halten. Da Hobbes das Eigentum instrumentell versteht und Ungleichheit aus Klugheitsgründen für eine Bedrohung dauerhaften Friedens hält, habe ich herausgestellt, dass man mit Hobbes‘ Überlegungen für relative Gleichheit argumentieren kann. Das macht Hobbes, für den Eigentum nicht absolut sein kann, der Umverteilung jedoch strikt ablehnt, noch nicht zu einem „Vordenker einer egalitären Eigentumsordnung“, wie er sie selbst wohl für hochgradig unrealistisch gehalten hätte. Interessant ist dennoch das normativ-prudentielle Argument gegen starke Ungleichheit – das übrigens voraussetzt, dass dominium und imperium sich faktisch nicht trennen lassen. Ich gestehe allerdings zu, dass die Formulierung des „auf gestaltbare Zukunft ausgerichteten Reformprojektes“ etwas stark geraten ist (auch wenn u.a. Proudhon Hobbes offenbar so verstanden hat, vgl. Proudhon 2014, 73ff.).

Kants Naturzustandskonzeption ist für mich methodologisch die interessanteste, weil Kant ausgehend von der Idee des Gemeinbesitzes das Eigentum als „Konzeptualisierung des geteilten Raumes“ versteht, und weil durch sein Konzept der einseitigen Erstaneignung bestehende Eigentumsordnungen als Ergebnisse kontingenter historischer Entwicklungen ausgewiesen werden. Deshalb können mit dieser Theorie sowohl grundlegende Kritik an als auch Veränderungen von Eigentumsordnungen gedacht werden. Wie die demokratische Bestimmung dieser Ordnung aussehen kann und wie geeignet Kants Rechtstheorie ist, um Nachhaltigkeit zu denken, war nicht Gegenstand des Beitrags und bedürfte einer gesonderten Diskussion (vgl. zu letzterem Weiler 2023, Kapitel 8).

Theorie und Praxis

Angebauer formuliert zum Schluss seines Kommentars die Frage, ob ich die „anarchistische Herausforderung“ nicht zu ernst nehme. Im Anschluss an Kropotkin hatte ich die These formuliert, dass es weniger die Eigentumsform sei als vielmehr die von den Autoren der Aufklärung nachgezeichnete Tendenz zur Zentralisierung rechtlich-politischer Herrschaft, die dazu führe, dass Personen das Recht primär dazu nutzen, ihre eigene Position gegenüber anderen zu bestimmen, anstatt im Recht Normen zur Gestaltung der gemeinsamen Welt zu verhandeln. Wäre es aber, so Angebauer mit Referenz auf Habermas, nicht denkbar, dass die Rechtssubjekte sich zugleich als Adressat:innen und Autor:innen des Rechts verstehen könnten, und so die Normsetzung im Recht nicht doch zum gemeinsamen, durch den öffentlichen Diskurs vermittelten Projekt wird?

Ich möchte zunächst anmerken, dass die eigentliche Herausforderung durch die These eines „Primats des Rechts“ sich gegen den Anarchismus richtet, nicht notwendig gegen Vertragstheorien, die (politische) Freiheit anders definieren (können).

Insofern die Herausforderung auch den Republikanismus trifft, lautet die Antwort: Rechte sind dann besonders „sicher“, wenn diejenigen, denen sie zukommen, nah an der legislativen und exekutiven Gewalt sind. Deshalb gibt es historisch einen Kampf um die Gerichtsbarkeit (geistlich, adlig, zivil) und um die parlamentarische Kontrolle der Regierung. Das Versprechen des modernen Rechts, „allgemein“ zu sein, hat sich historisch nie vollständig und auch immer ungleich eingelöst (Autor:in und Adressat:in zu sein ist keine bürgerliche Denkübung). Constant betont deshalb, dass die Freiheit der Modernen nicht in der politischen Mitbestimmung besteht, sondern darin, einen privaten Bereich zu haben, in dem sie ihre Abhängigkeiten selbst wählen. Auch hier ist das Recht ein Instrument, um direkte Beherrschung zu vermeiden, um also den eigenen Status gegenüber anderen und gegenüber der politischen Herrschaft zu sichern, und nicht, um inhaltlich bestimmte Projekte umzusetzen. Mit Constant (1972) könnte man einen emphatischen liberalen Freiheitsbegriff als Selbstmissverständnis und den anarchistischen als Anachronismus bezeichnen – letzteres scheinen mir auch die Theorien der Aufklärung zu sagen. Wenn man in irgendeiner Weise an einem solchen Begriff festhalten möchte, stellt der Konjunktiv einer zukünftigen Verwirklichung dessen, was der Fortschritt bisher noch nicht gebracht hat, aus meiner Sicht deshalb keine befriedigende Antwort dar.

 

Eva Weiler ist akademische Rätin am Institut für Philosophie der Universität Duisburg-Essen. Aus Perspektive der politischen Philosophie und Ökonomie sowie der Sozialontologie arbeitet sie zu Fragen der Eigentumsbegründung und zum Umgang mit natürlichen Ressourcen.

Ein Kommentar zu “Replik auf Niklas Angebauers „Vom Gemeinbesitz zu den Commons?“

  1. Guten Tag. Als erstes tolle Idee dieser Blog. Fetter Daumen hoch!^^ Guter Artikel. Ja, der Blog gefällt mir tatsächlich gut.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert