Kongresssplitter: Zusammenhalt und demokratische Teilhabe innerhalb und außerhalb des Staatsgebietes in Zeiten der Krise

Kongresssplitter zum Panel Di D 05 Democratic Membership in Times of Crisis: The Double Challenge of Broadening and Deepening Modern Citizenship 

Während das 20. Jahrhundert in vielen westlichen Demokratien durch eine enge Verknüpfung von Staatsbürgerschaft, Wohnsitz und demokratischen Rechten geprägt war, stellen aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie die globale Klimakrise oder internationale Migration, die Tragfähigkeit dieses Verständnisses von Zugehörigkeit in Frage. Die Präsentator*innen des Panels „Democratic Membership in Times of Crisis“ setzten sich daher mit solchen gesellschaftlichen Veränderungen und ihrer Bedeutung für demokratische Mitgliedschaften auseinander. Zum einen standen Solidarität und sozialer Zusammenhalt in Zeiten gesellschaftlicher Transformationsprozesse innerhalb eines Staatsgebietes im Mittelpunkt, zum anderen wurden demokratische Partizipation und Mitgliedschaftsgrenzen jenseits des Nationalstaates betrachtet.

Solidarität innerhalb eines Staatsgebietes 

Vertrauen und Solidarität sind grundlegend für den Fortbestand demokratischer Gemeinwesen. Wachsende ökonomische Ungleichheiten oder zunehmende internationale Migration und die damit einhergehende Zunahme kultureller und sozialer Unterschiede in der Gesellschaft stellen den gesellschaftlichen Zusammenhalt jedoch vor neue Herausforderungen. Bestehende institutionelle Veränderungen im Verständnis von Bürgerschaft, wie etwa die Ausweitung des Wahlrechts auf Nicht-Staatsbürger*innen auf lokaler Ebene (Earnest, 2006, 2015), könnten zwar der wachsenden Diskrepanz zwischen Demos und Bevölkerung entgegenwirken, nicht aber der zunehmenden sozialen Polarisierung, argumentierte Eva-Maria Schäfferle. Vielmehr würden solche wohnortbezogenen Formen des Wählens von der Bevölkerung als Bedrohung bisher gesellschaftlich geteilter Normen und Werte wahrgenommen. Daher müsse die Zugehörigkeit zum Demos, als Form individueller Autonomie, von der nationalen Mitgliedschaft, als Ausdruck kollektiver Werte, getrennt werden.   

Ein Ausdruck kollektiver Solidarität ist das Zahlen von Steuern. Die derzeitigen Mechanismen, welche Bürger*innen zur Erfüllung verschiedener Bürgerpflichten gegenüber der politischen Gemeinschaft anhalten, seien jedoch nicht ausreichend, beschrieb Sven Altenburger und betonte die Notwendigkeit von Institutionen, die die Bürger*innen zu gesellschaftlichen Tugenden anleiten. Bürgerpflichten hätten das Potenzial, zur Lösung aktueller Krisen beizutragen, so Altenburger. Dazu gehöre beispielsweise die Offenlegung der Steuerzahlungen von Personen mit hohen ökonomischen Ressourcen.  

Grenzen der Zugehörigkeit jenseits des Nationalstaates 

Aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie die zunehmenden Verflechtungen zwischen Staaten oder der globale Klimawandel, vollziehen sich nicht nur innerhalb eines Staatsgebietes, sondern meist auch jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Insbesondere die europäische Integration prägt Perspektiven auf Mitgliedschaft sowohl oberhalb als auch unterhalb der nationalstaatlichen Ebene. Diese Form der Multilevelness, wird häufig normativ kritisiert, weil sie die politische Sphäre entpolitisiere. Aber können diese Formen der Bürgerschaft auf mehreren politischen Ebenen gleichzeitig normativ wertvoll und demokratisch sein? Dieser Frage ging Sandra Seubert am Beispiel der Europäischen Union nach. Zentrale Aspekte einer demokratischen europäischen Bürgerschaft, die es zu berücksichtigen gelte, seien politische Gleichheit, eine Vielfalt von Rechten und der Schutz von Grundrechten.    

Die fortschreitende Erderwärmung ist eine globale gesellschaftliche Herausforderung. Doch trägt die Klimakrise durch ihre Globalität dazu bei, die räumlichen und zeitlichen Grenzen von Bürgerschaft zu erweitern? Rainer Bauböck beschrieb, dass ein diskursiver Demos, im Unterschied zu einem autoritären Demos (Owen, 2018), auf die globale Sphäre ausgeweitet werden müsse, um zukünftige Generationen und nichtmenschliche Tiere bei der Bekämpfung der Klimakrise zu berücksichtigen. Dies sei durch nicht-parlamentarische Formen der politischen Partizipation wie Ombudspersonen oder Bürgerräte möglich.   

Insgesamt illustrierte das Panel die Auswirkungen gesellschaftlicher Krisen auf Bürgerschaftskonzepte. Einerseits fordern Krisen traditionelle Vorstellungen von nationalstaatsgebundener Bürgerschaft heraus, weshalb die Beitragenden dafür plädierten, diese konzeptionell weiterzudenken: sei es durch eine Trennung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft (Schäfferle), eine Demokratisierung der Unionsbürgerschaft (Seubert) oder die Herausbildung eines globalen diskursiven Demos (Bauböck). Andererseits böten Krisen die Chance zur Reaktualisierung eines an soziale Tugenden gebundenen Bürgerschaftskonzeptes (Altenburger).   

Jessica Kuhlmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Professur für das politische System der BRD an der Universität Siegen. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert