Kongresssplitter: (K)ein Liebhaberprojekt: Grundlegendes aus der kritischen Konservatismusforschung

Kongresssplitter zum Panel Di D 17 — Konservatismus: Ideologische Kipppunkte und Konstellationen

„Weil er so voraussetzungsreich und auch ein bisschen rätselhaft ist“: So lautete die Antwort von Thomas Biebricher auf eine Frage der Berliner Zeitung, was ihn eigentlich am Konservatismus reizt. Es ist ja durchaus erklärungsbedürftig, warum man einer ideellen Strömung zwei Bücher widmet und zu ihrer Renaissance als Forschungsgegenstand beiträgt, wenn man ihr (offenkundig) selbst nicht die Fahne hält und sie (erklärtermaßen) als inhaltlich erschöpft erachtet. Aber wie das von ihm organisierte Panel bewies, steht Biebricher damit nicht allein. Ähnlich fasziniert, allerdings auch ähnlich distanziert zeigten sich Tobias Adler-Bartels (Göttingen), Ursula Birsl (Marburg) und Laila Riedmiller (Erlangen) – und laden damit zu kniffligen Grundsatzfragen ein.

Adler-Bartels versteht den Konservatismus als eine spezifische Ideologie, deren konstitutive Elemente sich im ideengeschichtlichen Rekurs auf den preußischen Altkonservatismus bestimmen lassen. Das Potenzial zur Radikalisierung sei ihm wesenhaft eingeschrieben und zeige sich nicht zuletzt im polemischen, metapolitischen Kampf um Begriffe. Adler-Bartels spricht dabei von einem „semantischen Spiegelbildeffekt“, also einer „Anverwandlung, Umdeutung oder negativen Aufladung von Leitbegriffen anderer Ideologien“.

Birsl deutet den Konservatismus als eine der Demokratisierung immanente Gegenbewegung, die zwar gegenaufklärerisch sein kann, aber nicht muss. Er könne sich an die Gegebenheiten anpassen und sei nicht per se undemokratisch, aber stets gegen deren Ausweitung gerichtet. Dieser Wesenszug finde sich auch im neuen Grundsatzprogramm der CDU wieder, das eine Synthese aus Neokonservatismus und -liberalismus darstelle. Birsl stimmt hier mit Adler-Bartels überein, der die gegenwärtige Christdemokratie – damit an Panajotis Kondylis erinnernd – ebenfalls als Liberalismus mit konservativen Versatzstücken deutet.

Riedmiller wiederum greift auf die Links-Rechts-Unterscheidung Norberto Bobbios zurück. Demnach ist für den Konservatismus eine affirmative Bewertung von Ungleichheit charakteristisch, allerdings bei Treue zur demokratischen Methode. Riedmillers primäres Interesse am Konservatismus gilt der Frage, inwiefern er der Extremen Rechten als Bezugspunkt dient. In diesen Kreisen sei er in dreierlei Modi prävalent: in der instrumentellen Bezugnahme zur Selbstverharmlosung, der Ablehnung eines „systemerhaltenden Konservatismus“ und der Bereitstellung radikalerer Ausdeutungen.

Wie eine kritische Konservatismusforschung vorgehen sollte – nämlich in besagten „Kipppunkten und Konstellationen“ zu denken und sich vor Anverwandlungen und Überdehnungen zu hüten –, wurde vom Panel unisono etabliert. Dass es weiterer Forschung bedarf, stand ohnehin außer Frage. Für die (partei)politische Wiederbelebung des Konservatismus war hingegen wenig Begeisterung zu spüren. Seine Daseinsberechtigung blieb zwar unbestritten, jedenfalls in einer demokratiekompatiblen Form. Aber das war es dann auch schon. Eine bemerkenswerte Unwucht also, die eine Reihe interessanter Fragen aufwirft – nicht zuletzt: Ist diese fehlende Liebe zum Konservatismus ein Problem?

Sicherlich dürfte sie nicht dazu beitragen, dass die Klagen über die linksliberale Meinungsführerschaft in den Sozialwissenschaften weniger werden. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, dass die Diskussion so vonstattengegangen wäre, hätten der Feminismus oder Sozialismus im Mittelpunkt gestanden. Auch dass sich weite Teile der Forschung einig scheinen, dass die heutigen Konservativen in Wahrheit Liberale sind, da der echte Konservatismus ideologisch ausgezehrt oder aber „längst tot und begraben“ (Kondylis 1986: 507) sei, passt ins Bild. Allerdings wird eine wissenschaftliche These nicht dadurch weniger triftig, nur weil sie Gefühle verletzt. Umso mehr, als die Selbstviktimisierung selbst wiederum zu den klassischen polemischen Mittel von Konservativen zählt, wie übrigens auch ihre vermeintliche Theorieferne. Das Bemühen um Differenzierung lässt sich allen PanelistInnen ohnehin nicht absprechen. Und überhaupt: Wäre es nicht ungleich schmerzhafter, von einem politischen Rivalen belehrt zu werden, wie man sich ideell neu aufstellen sollte, weil man das selbst nicht länger vermag? Wäre es daher nicht angebrachter, das augenscheinliche Desinteresse der kritischen Konservatismusforschung an dessen Neuerfindung – mit Wohlwollen – nicht als eine Geste der Geringschätzung, sondern der Zurückhaltung und des Respekts auszudeuten?

Zweifelsohne stimmt also, was Biebricher unlängst konstatierte: „Es ist gar nicht so leicht, ein Konservativer zu sein.“ Dem lässt sich allerdings hinzufügen: Seinen wissenschaftlichen Beobachter:innen – insofern sie eine heikle Zwischenposition einnehmen – geht das nicht anders.

Stefan Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich „Politische Theorie und Ideengeschichte“ der TU Darmstadt und Doktorand im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“.

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