Kongresssplitter: It’s socio-ecological conflict time, Democracy! Betrachtungen einer Politischen Soziologie sozialer Ungleichheit

Kongresssplitter zu Panel Mi A 20 – Ökologische Konflikte und die Konturen der kommenden demokratischen Gesellschaft  

Konflikte, Konflikte und nochmals Konflikte plus demokratietheoretische Ausführungen ließ das Panel „Ökologische Konflikte und die Konturen der kommenden demokratischen Gesellschaft“, organisiert von André Brodocz (Erfurt) und Vincent August (Berlin), vermuten. Eine arbeitssoziologisch fundierte und demokratietheoretisch interessierte Politische Soziologie sozialer Ungleichheit als “Brille” des Autors auf die Beiträge, die eine akteurssensible Betrachtung der Reproduktion bzw. Veränderung bestehender Macht- und Ungleichheitsverhältnisse leisten kann, fördert neben interessanten Erkenntnissen auch mindestens drei Leerstellen zutage.  

Zunächst präsentierte Lena Röllicke (Berlin) erste Ergebnisse aus ihrer Dissertation zur affektiven Polarisierung in der deutschen Klimadebatte anhand der Letzten Generation. Erfrischend war das qualitative Forschungsdesign der Referent*in, mit dem sie sich für die Zusammenhänge zwischen Politisierung und affektiver Polarisierung interessierte, wodurch einfache Schlüsse zu deren Entstehung vermieden wurden und sich der Blick stärker auf die Einflussfaktoren auf Mikro- und Makroebene, wie zum Beispiel Intragruppenprozesse oder gefühlte Repräsentationsdefizite, richtete. Dieses Thema hat spätestens seit dem kontrovers diskutierten Buch von Mau et al. in den Sozialwissenschaften Konjunktur. Ausgeblieben ist dabei, als erste Leerstelle, jedoch eine Perspektivierung, wie sie in der kritischen Rezeption von Mau et al. zu finden ist, die affektive Polarisierung entlang sozialstruktureller Verhältnisse und damit verbundener sozial-ökologischer Konfliktlinien zu verstehen versucht.  

Veza Clute-Simon (Berlin) stellte danach erste Dissertationsergebnisse zur Kohle-Kommission dar, aus denen die Relevanz von Institutionalisierungsgrad und Ressourcen von Akteur*innen und vor allem die Bedeutung konservierender gegenüber transformativer Gewerkschaftspolitik deutlich wurde. Während Patrick Smieskol (Berlin) Überlegungen zur physischen Gewalt von Klimaaktivist*innen im Angesicht der Erfolglosigkeit bisheriger Organisationsformen und Proteste vorstellte, präsentierte Sebastian Barth (Berlin) Ergebnisse zur Prägewirkung von Gerichten auf die Dynamik von ökologischen Konflikten. Eindrücklich deutlich wurde dabei die Möglichkeit zu deren (De-)Eskalation im Rahmen von Gerichtsverfahren bei gleichzeitigem Potential zur Setzung nicht-anthropozentrischer Rechtsnormen, was auf die Bedeutsamkeit aktueller rechtsphilosophischer Debatten verweist. 

Insgesamt erschien die Auswahl der ökologischen Konflikte, die man auf die Kurzformel – Straße, Sitzungssaal, Gerichtssaal – bringen könnte, die in der Forschungsgruppe, aus der ein Großteil der Beiträge stammte, für eine konflikttheoretische Fundierung agonaler Demokratietheorie genutzt werden, als lückenhaft. Deren bisheriger Stand lässt sich wohl hier & hier nachvollziehen. 

Mit einem arbeitssoziologisch fundierten Blick auf sozial-ökologische Konflikte, der an dem gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur durch Arbeit ansetzt, kann man beispielsweise das Auftreffen von ökologischen Fragen auf existierende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in Betrieben und die daraus resultierenden Konfliktdynamiken beobachten. Ein Forschungsprogramm, welches nach eigener Aussage einen „Querschnitt des ökologischen Konflikts“ (S. 6) in Deutschland zu beforschen beansprucht, kann dies, als zweite Leerstelle, nicht in den Blick bekommen. Diese fehlende Abbildung der im engeren Sinne materiellen (Re-)Produktion von Gesellschaft ist gleichzeitig demokratietheoretisch ein Problem – diese dritte Leerstelle hat Axel Honneth der Demokratietheorie jüngst noch ins Stammbruch geschrieben. Die insbesondere in der materiellen (Re-)Produktion von Gesellschaft, aber nicht nur dort (!), sichtbar werdende antagonistische Form der Vergesellschaftung kann aus Sicht einer Politischen Soziologie sozialer Ungleichheit(en) den Blick für andere demokratietheoretische Konzeptionen weiten.  

Insgesamt kann eine solche Perspektive eine größere Bandbreite sozial-ökologischer Konflikte – um im Ausgangsbilde zu bleiben: Konflikte! Konflikte! Konflikte! – abbilden und zu verstehen helfen. Dies lädt (möglicherweise) zu einer Erweiterung und/oder Revision bisher (heran-)gezogener demokratietheoretischer Bestände bzw. Schlussfolgerungen ein. 

Ole Deitmer studiert Soziologie im Master an der Friedrich-Schiller-Universität und arbeitet als wissenschaftlicher Assistent an den Instituten für Soziologie in Jena und Frankfurt/Main. Er interessiert sich für Fragen sozial-ökologischer Transformation, der Wohlfahrtsstaatsforschung und der Politischen Theorie als Gesellschaftstheorie.  

 

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