theorieblog.de | Souveränität als Macht im Dienste des Friedens             

15. November 2022, Ramelet

Zum Start unserer Blogpost-Reihe zum Thema Souveränität erinnert Laetitia Ramelet daran, dass Souveränität nicht zuletzt bei Hobbes und Pufendorf im Dienst des Friedens steht.

Wer Souverän oder Souveränin ist, verfügt über die oberste Gewalt innerhalb eines Staates und ist von keiner anderen Instanz abhängig, weder im In- noch im Ausland. Zumindest entspricht dies der Auffassung berühmter Staatstheoretiker wie Jean Bodin, Thomas Hobbes oder Samuel Pufendorf, die den Begriff weit über die frühe Neuzeit hinaus entscheidend geprägt haben. Ihnen zufolge soll Souveränität absolut sein, was heißt, dass ihr keine institutionellen Schranken gesetzt werden dürfen − nicht einmal, um eventuelle Machtmissbräuche zu verhindern. Viele sehen hier eine extreme Auffassung des Begriffs, die staatlicher Willkür Tür und Tor öffnet. Aus diesem Grund ist jedoch eine andere interessante Facette dieser Theorien in Vergessenheit geraten. Bei diesen Autoren ist Souveränität mit einer Reihe von moralischen Verpflichtungen verknüpft, die alle darauf abzielen, den Frieden zu gewährleisten. Aus Sicht von Hobbes und Pufendorf bildet der Frieden nämlich den primären Zweck des Staates sowie den Grund für die Zustimmung der Staatssubjekte zur Autorität der Herrschenden. Gerade jetzt, wenn sich Krisen kumulieren, Polarisierung droht und sich Grundsatzfragen zu unserem Verhältnis zur Macht des Staates aufdrängen, kann dieses Verständnis von Souveränität Inspiration bieten. Es basiert nämlich auf einer Grundsatzüberlegung zu den Voraussetzungen eines Lebens in politischer Gemeinschaft.

Naturgesetze als moralische und rationale Anleitungen zum Frieden

Diese moralischen Verpflichtungen werden „Naturgesetze“ genannt. Bei Hobbes und Pufendorf sind Naturgesetze moralische Prinzipien, die den Weg zu einem friedlichen und harmonischen Zusammenleben weisen. Ihre allgemeinen Gebote verpflichten uns, anderen nicht zu schaden, nicht zu stehlen, unsere Versprechen zu halten, anderen entgegenzukommen und Konflikte mithilfe einer unparteiischen Schiedsrichtung zu lösen. Aus diesen Grundsätzen lassen sich dann je nach Situation konkrete Handlungsanweisungen ableiten, wobei Frieden stets das letzte Referenzziel bleibt. Um den Kern der Naturgesetze zu veranschaulichen, verweisen beide Philosophen gerne auf die Goldene Regel, die für jeden Menschen unmittelbar nachvollziehbar sei: „Was Du nicht willst, was man dir tut, das füg’ auch keinem anderen zu“ – eine Haltung, die jeder Mensch in der Lage sei, einzunehmen. Zwar betrachten beide Autoren Gott als den Urheber der Naturgesetze. Aber auch unabhängig von dieser religiösen Prägung können Naturgesetze als rationale Regeln gelten, auf die jede Gesellschaft angewiesen sei, um zu überleben und zu gedeihen. Beide sind fest davon überzeugt, dass sinnvolle menschliche Interaktionen ohne die Einhaltung dieser Basisprinzipien nicht möglich sind. Dementsprechend spielen Naturgesetze eine zentrale Rolle in ihren Staatstheorien.

Der souveräne Staat als Voraussetzung für den Frieden

Bereits die Errichtung von Staaten wird laut Hobbes und Pufendorf von den Naturgesetzen gefordert. So gelten Staaten als die einzige Alternative zu Kriegen und Elend, die sonst aus unserer natürlichen Kohabitation unausweichlich folgen würden. Ohne gemeinsame Regeln und die Furcht vor Strafen wäre ein friedliches Verhalten für viele Menschen schwer zu verwirklichen. Deshalb betrachten sowohl Hobbes als auch Pufendorf den Staat als eine moralische Notwendigkeit, die sich aus dem allgemeinen, naturgesetzlichen Gebot der Suche nach Frieden ergibt.

Hingegen sollen die Modalitäten der Autorität des Staates von der Zustimmung seiner Subjekte abhängen. Zum einen ist erforderlich, dass unsere Zustimmung bestimmt, wer an die Macht kommen darf – obwohl beide Autoren dazu neigen, diese Zustimmung sehr schnell/leicht zu vermuten. Aufgrund der natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen könnte die Asymmetrie zwischen Regierenden und Regierten nur dann zulässig sein, wenn sie aus einer freiwilligen Unterordnung entsteht. Zum anderen ist die Zustimmung der Regierten auch erforderlich, um die Form des Staates auszuwählen, also ob eine Monarchie, Aristokratie oder Demokratie vorherrscht. Das Bestehen einer politischen Autorität an sich ist aber keine Frage des Willens Einzelner, sondern ein moralisches Gebot für alle, das sich aus der natürlichen Verpflichtung ergibt, Frieden zu erstreben.

Naturgesetze als Pflichten für Herrschende 

Naturgesetze beinhalten auch zahlreiche Vorschriften, die sich um des Friedens willen an Herrschende richten. Solche Naturgesetze decken sich meistens mit den klassischen, herkömmlichen Prinzipien guter Staatsführung der frühen Neuzeit. Dies umfasst den Erlass von Gesetzen, die dem Gemeinwohl dienen und eine faire Anwendung dieser Gesetze. Zudem soll ein Souverän oder eine Souveränin für die Wahrung der Rechte der Individuen sorgen, adäquate Sanktionen vorsehen und den Staat vor äußeren Angriffen schützen.

Kontroverser und ideengeschichtlich jünger ist jedoch das, an Bodin angelehnte, Plädoyer Pufendorfs und Hobbes’ für eine absolute, souveräne Macht. Jegliche Machtverteilung löse endlosen Streit aus. Nur eine so gut wie unbegrenzte Macht des Staates über seine Bevölkerung sichere letztlich dessen Schutzfähigkeit. Diese Haltung entspringt den Konflikten politischer Werturteile, die Europa seit der Reformation zutiefst gespalten hatten.

Für Hobbes und Pufendorf ist diese autoritär wirkende Staatsauffassung durchaus kompatibel mit einer Demokratie. In diesem Fall sei die souveräne Macht in der Versammlung aller Mitglieder des Staates zu verorten. Dies bedeutet, dass die Rechte der Versammlung quasi systematisch den Vorrang über die Rechte ihrer individuellen Mitglieder erhalten, wenn die Mehrheit der Meinung ist, dass es das Gemeinwohl verlangt. Aus heutiger Sicht erscheint uns das Fehlen jeglicher Kontrolle über Machtmissbräuche des Staates als gefährlich. Doch souveräne Macht galt damals in diesem Modell nicht nur als Privileg, sondern, im Anschluss an den Friedensimperativ der Naturgesetze, vor allem auch als Verantwortung.

Naturgesetze an der Schnittstelle zwischen Selbstinteresse und Gemeinwohl

Was jedoch genau die moralische Kraft dieses Friedensimperativs ausmacht, wird von beiden Autoren anders verstanden. Bei Hobbes fungieren Naturgesetze als rationale Weisungen für die Erreichung von Frieden und einem gewissen Komfort im Leben – sprich der Befreiung von der Angst, jeden Moment angegriffen werden zu können. Letztendlich folgen wir einzig unserem eigenen, individuellen Interesse und unserem natürlichen Trieb nach Selbsterhaltung, wenn wir unseren natürlichen Verpflichtungen nachkommen. Was Pufendorf angeht, begreift er Naturgesetze als Mittel zur Erhaltung der ganzen menschlichen Spezies. Dabei stehen diese Gesetze im Einklang mit unserer Natur als Wesen, die – trotz angeblich sehr variabler moralischer Fähigkeiten – für ein Leben in Gemeinschaft bestimmt sind. Diese natürliche „Geselligkeit“ soll nicht nur aufgrund unserer individuellen Schwächen notwendig sein, sondern auch auf unserer Rationalität und unserem freien Willen basieren. Während sich Hobbes also auf den instrumentalen Nutzen unserer Bemühungen nach Frieden konzentriert, kommt bei Pufendorf der intrinsische Wert politischer Gemeinschaften stärker zum Vorschein.

Beide Positionen konvergieren jedoch im ständigen Versuch zu beweisen, dass sich die Beachtung natürlicher Gesetze aus Vorsicht oder gar Kalkül lohnt, auch dann, wenn Verstöße scheinbar attraktiver sind. Dies soll sowohl für private Individuen als auch für Herrschende zutreffen. Wer die Vorteile einer friedlichen Gemeinschaft genießt und sie kompromittiert, schadet sich daher selbst, denn er bringt sich und andere einen Schritt näher zur Rückkehr in unseren natürlichen Kriegszustand. Und schließlich kann keiner vom miserablen Naturzustand je profitieren, sei es nur, weil ihn seine Feinde eines Tages überrumpeln könnten, wie es Hobbes gerne zynisch betont. Sogar von diesem desillusionierten Standpunkt aus spricht der Ansatz beider Autoren also klar dafür, das Ziel des Friedens nicht aus den Augen zu verlieren und die Grundbedingungen für einen langfristigen Zusammenhalt zu schaffen und zu pflegen.

 

Laetitia Ramelet hat in Lausanne zum Begriff der Zustimmung in der frühneuzeitlichen Philosophie promoviert und war danach Politikstipendiatin beim Schweizer Parlament. Aktuell arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der schweizerischen Stiftung für Technologiefolgenabschätzung TA-SWISS.


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