Nachruf auf Clemens Kauffmann

Am Gründonnerstag 2020 verstarb nach längerer Krankheit Prof. Dr. Clemens Kauffmann, der von 2003 bis 2020 Lehrstuhlinhaber für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg war.

Clemens Kauffmann hat mit seinen Forschungen und mit seinem Engagement in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die Landschaft der politischen Theorie und Philosophie in Deutschland geprägt und nachhaltig bereichert. Als Initiator und Mitbegründer des Bayerischen Zentrums für Politische Theorie und des Bayerischen Promotionskollegs Politische Theorie hat er Wesentliches zur Vernetzung und Zusammenarbeit der bayerischen politischen Theorie beigetragen. Für den Theorie-Nachwuchs in Bayern entstand mit dem von den LehrstuhlinhaberInnen in Regensburg, Eichstätt-Ingolstadt, Passau und Erlangen gegründeten Bayerischen Promotionskolleg eine intellektuell anregende Plattform, in der die DoktorandInnen von der Themenvielfalt und Expertise aller am Kolleg beteiligten Professoren und Postdocs profitieren und zudem durch den Austausch auf der Doktorandenebene wichtige Kontakte knüpfen und erste Wege gemeinsamer Forschungszusammenarbeit gehen können – etwa in der gemeinsamen Konzeption und Organisation von Workshops und Tagungen. Kauffmann war Herausgeber des Jahrbuchs Politisches Denken, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens und aktives Mitglied in der Theorie-Sektion der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft, in deren Rahmen er u.a. die Herbsttagung 2007 zu „Biopolitik im liberalen Staat“ in Erlangen veranstaltet hat.

Sein Engagement in Fachvereinigungen mit durchaus unterschiedlicher Ausrichtung und disziplinärer und methodischer Schwerpunktsetzung steht für seine Offenheit im Denken und seinen Versuch, mit Wissenschaftlern unterschiedlicher fachlicher Herkunft und methodischer Orientierung die gemeinsame Arbeit an der Sache in den Mittelpunkt zu rücken und kollegial zu verfolgen. Kauffmann war weder nur Theoretiker, noch nur Ideengeschichtler, noch nur Philosoph. Mit einem klaren Blick für die Unterschiede hat er, der sich selbst wohl am ehesten als politischer Philosoph verstanden hätte, deutlich gemacht, dass für eine sachorientierte Behandlung politischer Fragen ideengeschichtliche, begrifflich-systematische und philosophische Perspektiven selbstverständlich zusammenwirken müssen und dabei auch auf methodische Zugänge und das Fachwissen verschiedener Disziplinen angewiesen bleiben.

Als akademischem Lehrer war Kauffmann zunächst eine breite ideengeschichtliche Perspektive wichtig, die er mit einem eigenen, typologischen Ansatz vermittelte – ein mehrbändiges Werk dazu war in Vorbereitung. Auf dieser Grundlage stehend, ging es ihm in seinen Seminaren und Kolloquien darum, zu einem kritischen und eigenständigen Umgang mit Texten und Positionen zu ermutigen und zu zeigen und aktiv vorzuführen, dass allzu viel Respekt vor vermeintlicher oder tatsächlicher intellektueller Seniorität bzw. Klassizität oder auch die allzu selbstverständliche Orientierung an wissenschaftlich-theoretischen Trends und Moden dabei manches Mal hinderlich sein können. Die grundsätzliche Skepsis gegenüber etablierten Autoritäten im wissenschaftlichen Diskurs und das stete Bemühen um das Offenhalten oder auch um das aktive Wiedereröffnen der Debatte war ihm prinzipielle Haltung, die er mit großer Konsequenz vertrat. Zu seinen besonderen persönlichen Stärken im Umgang mit Studierenden und Mitarbeitern gehörte es denn auch, dass er auf kritische Nachfragen zu seinen eigenen oft pointiert vorgetragenen Positionen mit genuinem Interesse und großer Offenheit einzugehen und auch mit der einen oder anderen im Eifer des diskursiven Gefechts unterlaufenen intellektuellen Respektlosigkeit mit souveräner Gelassenheit umzugehen wusste. Falsch verstandene Respektsbekundungen waren auch gegenüber seiner eigenen Arbeit sicherlich nicht seine Sache. Die eigene klare, vor allem kritische Positionierung, gelegentlich auch die bewusst gesetzte intellektuelle Provokation, war für ihn selbstverständlicher Bestandteil einer Art von universitärer Lehre, die sich primär an der Pluralität der Positionen und der Freude an der offenen, ad personam mit großem, ad rem ohne falschen Respekt geführten intellektuellen Auseinandersetzung orientierte.

Auch in Clemens Kauffmanns eigener Forschung verbinden sich genuines Interesse für die Vielgestaltigkeit verschiedener Perspektiven und ausgeprägtes Gespür für die gesellschaftliche Relevanz grundlegender philosophisch-theoretischer Fragen immer wieder mit dem Versuch, Positionen und Probleme bewusst gegen den Strich zu lesen und gegenüber etablierten Denkgewohnheiten neue und oft überraschende Perspektiven zu eröffnen. Neben der bei Robert Spaemann angefertigten Dissertation zu Platons Handlungstheorie (1993) und der Habilitation zum Verhältnis von Philosophie und Politik bei Strauss und Rawls (2000) folgen in den späteren Jahren Einzelstudien zu Autoren ebenso wie originelle eigene Ansätze, etwa zur politischen Logik des Ortes, sowie sachorientierte Positionierungen zu drängenden Themen der Zeit, insbesondere zur Rolle der Wissenschaft in der Demokratie oder zur Herausforderung der Demokratie durch die Biotechnologie. Gerade seine Arbeiten zum letztgenannten Themenkreis lassen sich auch als demokratietheoretische und demokratiepolitische Positionierung verstehen, in denen Kauffmann die öffentliche Funktion und Verantwortung der politischen Philosophie für die liberale Demokratie herausstellt. Die gesellschaftliche Verantwortung und den wichtigen Beitrag der politischen Theorie für eine demokratische Öffentlichkeit sichtbar zu machen und, wo nötig, einzufordern, war ihm ein besonderes Anliegen. In diesem Zeichen stand etwa seine 2008 in Berlin veranstaltete Tagung zu „Perspektiven der Politischen Theorie in der Öffentlichkeit“, auf der Kauffmann bewusst Theoretiker mit Erfahrung in der praktischen Politik versammelte, um vor diesem Hintergrund die Verantwortung und Bedeutung politischer Theorie für die demokratische Öffentlichkeit zu diskutieren.

Kauffmann verstand sich – bei allem Respekt und aller intellektuellen Wertschätzung, die er für Philosophen hegte, von denen er lernte, weder als „Straussianer“ noch als „Platoniker“ – und wäre sicherlich not amused, solche Etikettierungen in einem seiner Nachrufe vorzufinden. Seine Habilitationsschrift zu Strauss und Rawls, die auf detaillierter Beschäftigung mit dem Rawls’schen und dem Strauss’schen Gesamtwerk beruht und präzise Kenntnis und Vertrautheit mit beiden Werken zeigt, ist demnach dem eigenen Anspruch nach keine Studie eines Straussianers, sondern – wenn überhaupt – die eines Sokratikers. In dieser provokanten Studie hat Clemens Kauffmann überraschende Parallelen zwischen dem jüdischen politischen Philosophen und dem Wiederbegründer der politischen Philosophie im 20. Jahrhundert herausgearbeitet – Parallelen, die sich sowohl auf das Problembewusstsein für das spannungsreiche Verhältnis von Philosophie, Religion und Politik als auch auf die Herausforderungen bezogen, die sich daraus für die liberale Demokratie ergeben.

Das Etikett, mit dem Kauffmann wohl am ehesten einverstanden gewesen wäre, wäre das des Sokratikers gewesen – und das wohl auch nur dann, wenn man damit eine grundsätzliche Wertschätzung dessen, was uns als sokratische Methode überliefert wurde, meint: Als Gesprächsform besitzt die sokratische Methode das erklärte Ziel, dem Gesprächspartner zu Klarheit über dessen eigene Position zu verhelfen und ihm – im Sinne eines Gärtners oder einer Hebamme – beim je persönlichen und individuellen geistigen Wachstum zu helfen. Diese „Methode“ ist damit nicht nur am wissenschaftlichen Ideal der logischen Widerspruchsfreiheit orientiert – sie ist zugleich Ausdruck eines politischen Wertes bzw. einer liberalen Haltung, die den Dialogpartner als eigenständiges, selbständiges Gegenüber begreift und als Subjekt anspricht und ernst nimmt. Nicht nur seine Studierenden, sondern alle, die mit ihm arbeiten durften, werden die gedanklich scharfe, menschlich zugewandte und konstruktive Art seiner Gesprächsführung vermissen. Letztlich hätte Clemens Kauffmann aber vermutlich auch das (von uns nur provisorisch gebrauchte) Etikett eines Sokratikers doch von sich gewiesen, denn er beendete sein Buch über Strauss und Rawls mit diesem Zitat des liberalen politischen Philosophen Bruce Ackermann: „Nobody can pretend to be the perfect liberal Socrates.“

Neben der Trauer, einen großen Gelehrten verloren zu haben, dessen zugleich origineller und präziser Verstand zum Gespräch der politischen Theorie gewiss noch Wichtiges und Maßgebliches beizutragen gehabt hätte, steht am Ende unseres Nachrufes auch die Dankbarkeit, in Clemens Kauffmann einen akademischen Freund und Wegbegleiter gehabt zu haben, dessen ansteckende Freude an der Schönheit theoretischer Arbeit, dessen Talent im Zusammenführen verschiedener Forscherpersönlichkeiten und Fachvereinigungen und dessen ebenso leidenschaftliches wie beharrliches Insistieren auf die gesellschaftliche Verantwortung der politischen Theorie wir schätzten und vermissen werden.

 

Eva Odzuck, akademische Rätin auf Zeit am ehemaligen Kauffmann-Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte an der FAU Erlangen, hat bei Clemens Kauffmann promoviert und viele Jahre bei und mit ihm zusammengearbeitet.

Hans-Jörg Sigwart, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der RWTH Aachen University, hat seine Habilitationsphase am Lehrstuhl von Clemens Kauffmann verbracht und während dieser Zeit beispielsweise gemeinsam mit ihm die Biopolitik-Tagung der Theorie-Sektion der DVPW organisiert.

Karlfriedrich Herb, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Philosophie und Ideengeschichte an der Universität Regensburg, hat mit Clemens Kauffmann lange Jahre im Bayerischen Promotionskolleg Politische Theorie und im Bayerischen Zentrum für Politische Theorie zusammengearbeitet.