theorieblog.de | Die Saint-Simonistinnen. Replik auf Karina Korecky

8. Januar 2019, Krause

Zunächst möchte ich mich für die umfassende Kritik zu meinem Aufsatz „Die Saint-Simonistinnen“ bei Karina Korecky bedanken. Viele Aspekte, die für mich von Bedeutung waren, werden von ihr hervorgehoben und weiter ausgebaut. Als Antwort möchte ich zwei Punkte noch einmal vertiefen, die mir bei der Ausarbeitung des Aufsatzes zentral erschienen. Erstens ging es mir bei der Darstellung der Saint-Simonistinnen darum, den Bruch innerhalb der politischen Bewegung zu verdeutlichen. Im bewussten Gegensatz zu den bürgerlichen Anhängerinnen, die schließlich auch in der Hierarchie der Saint-Simonisten aufstiegen (und wieder fielen), formulierten einfache Mitglieder, zumeist unverheiratete Hilfsarbeiterinnen, zwischen 1832 und 1834 das Ideal der finanziell und rechtlich unabhängigen Frau. Sie gingen damit weit über das Ideal „der Frau“ als einer gleichen (sexuellen) Partnerin, wie es von den Saint-Simonisten und Saint-Simonistinnen formuliert wurde, hinaus, denn sie forderten die soziale, rechtliche und schließlich auch politische Gleichstellung der Geschlechter. Deutlich wird dies in der frühen Verwerfung eines Ideals von  „Häuslichkeit“, welches die Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter und die damit verbundenen sozialen, rechtlichen und politischen Schranken zwischen den Geschlechtern in doppelter Weise zementierte. Das ist auch der Grund, weshalb ich die „auffällige Anbetung der Weiblichkeit“ unter den Saint-Simonisten nicht weiter thematisiert habe. Die politischen Forderungen der im Fokus stehenden Autorinnen und das imaginierte und idealisierte Bild der Geschlechter als gleiche Partner, wie es von männlichen Mitgliedern der Saint-Simonisten formuliert wurde, sind strukturell nicht vergleichbar.

Daran anschließend war mir zweitens wichtig aufzuzeigen, dass das Ziel einer umfassenden Gleichstellung der Frau für die genannten Autorinnen nur durch eine autonome Lebensführung erreichbar schien. Damit verbunden war für sie eine deutliche Aufwertung von Arbeit. Als Ideal formulierten sie die „arbeitende Frau“, die ihren eigenen Lebensunterhalt verdient, für ihre Kinder sorgen kann und ihre Rechte als Bürgerin wahrnimmt. Das unterschied sie nicht nur von den politischen Forderungen der Saint-Simonisten, sondern auch von der Arbeiterklasse der Zeit. Arbeit galt ihnen als Mittel der Befreiung und nicht als Mittel der Schaffung neuer sozialer Abhängigkeiten. Allein anerkannte, bezahlte Arbeit – und damit eine finanzielle Unabhängigkeit von der Familie – verbarg für sie das Recht auf Teilhabe; und zwar in der Familie, im Beruf und als Bürgerin. Arbeit wurde von ihnen folglich auch nicht mehr als geschlechterspezifische Tätigkeit gedeutet. Freie Lohnarbeit, so das Credo der Autorinnen, eröffne für Frauen die Möglichkeit, sich aus der familiären, finanziellen und damit auch rechtlichen Abhängigkeit zu befreien. Diese Neudeutung des Arbeitsbegriffs ist meiner Ansicht nach ein wirkliches Desiderat der Forschung. Die Saint-Simonistinnen machten deutlich, dass nur bezahlte Arbeit Voraussetzung für die finanzielle, rechtliche und kulturelle Unabhängigkeit der Frauen sein könne. Das unterschied ihren Ansatz von der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, die die Arbeit in den Fabriken als „Lohnsklaverei“ verurteilte und sich am Ideal des Handwerks orientierte, also eines Meisters, der mit seiner Hände Arbeit an seinen eigenen Produktionsmitteln Produkte schafft und nach deren Verkauf den geschaffenen Mehrwert zur freien Verfügung hat. Lohnarbeit konnte aus dieser Perspektive nur mit Ausbeutung, Entrechtung und der Schaffung neue Abhängigkeiten gleichgesetzt werden. Für die Saint-Simonistinnen barg die neue Lohnarbeit jedoch das Versprechen der sozialen und rechtlichen Teilhabe und schließlich auch einer politischen Befreiung der Frau. Dahinter standen freilich zwei Annahmen, die bis heute nicht eingelöst sind: ein Mindestlohn, der die Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und ihrer Kinder absichert und eine arbeitsrechtliche Gleichstellung der Geschlechter einschließlich der Entgeltgleichheit.

Der Arbeitsbegriff der Saint-Simonistinnen, das sei hier zum Aufsatz ergänzt, ging sehr weit. So forderte etwa E. A. C Casaubon in ihrem 1834 veröffentlichten Buch Le nouveau contrat social ou Place à la femme auch die Anerkennung der Mutterschaft als Arbeit (sie spricht von „le travail de l’enfantement“ (29)) – und zwar nicht nur in dem Sinne ihrer Erziehungsberechtigung, sondern auch als gesellschaftliche Wertschätzung in Form einer staatlichen Pension. Darin und in dem Recht, den Kindern den eigenen Namen geben zu dürfen (als Ausdruck der Vormundschaft der Mutter), bestehe die Anerkennung der Arbeit, die eine Frau leiste, die Kinder gebäre und für deren weitere Entwicklung sorge. Ausbeutung, heißt es bereits in der ersten Nummer von Femme libre, sei das Schicksal der Frauen. Damit ist gemeint, dass Frauen sich in einer sozialen Position befinden, wo Mutterschaft und Arbeit sowie die Arbeit von Männern und Frauen als zwei grundsätzlich verschiedene Dinge gewertet werden. Und genau dies ist die Sichtweise, die die beschriebenen Saint-Simonistinnen vereint: ein Kampf gegen die mehrfache Ausbeutung und Entrechtung der Frau, nämlich als Frau und Mutter, als Auszubildende und Lohnarbeiterin sowie, und das wird vor allem in den letzten Nummern deutlich, als Aktivistin und Bürgerin, insofern ihr sogar das Recht abgesprochen wird, für ihre soziale und rechtliche Gleichstellung einzutreten.

 

Skadi Krause ist Euroreferentin im Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel und Lehrbeauftrage an der TU Darmstadt. Zuletzt erschien von ihr Eine neue politische Wissenschaft für eine neue Welt. Tocquevilles Demokratietheorie im Spiegel der politischen und wissenschaftlichen Debatten seiner Zeit (Berlin 2017).


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