#DVPW18: Tweeps, Tweets und Topics aus der digitalen Sphäre

Was den Soziolog_innen die DGS, den Historiker_innen der Historikertag, den digitalen Bürger_innen die re:publica, das ist den Politikwissenschaftler_innen in Deutschland die DVPW-Tagung. Auch als Masterstudent mit Ambitionen und einem Hintergrund in Politikwissenschaften sollte man sicherlich dabei sein, um live und vor Ort an den Lippen der Besten seines Fachs, sogar dem Bundespräsidenten persönlich, zu hängen. Oder auch nicht, denn: Institutsgelder sind begrenzt und der eigene Geldbeutel schmal, Wissenschaft lebt eben auch nicht nur von Erkenntnisdrang und Forschergeist. Wie schon bei der diesjährigen re:publica muss ambitionierten Studierenden stattdessen die moderne Technik als Prothese dienen, um aus der Ferne teilzuhaben. What a time to be alive. Und wie passend, dass die Tagung unter dem Titel „Grenzen der Demokratie“ den Twittervogel gleich im Logo trägt. Was also liegt näher, als die Konferenz auf Twitter zu verfolgen – und hier nun zu berichten, was man aus der Ferne so mitbekommen konnte?

Daten, Tweeps, Takeover: Hard facts zur #dvpw18

Nicht nur hatte der Verfasser dieser Zeilen bereits für den Bretterblog eine quantitative Studie zur Twitteraktivität rund um die diesjährige Netzkonferenz re:publica  durchgeführt. Auch ist er – full disclosure – am Weizenbaum-Institut Mitglied der Forschungsgruppe „Demokratie und Digitalisierung“, deren Leiter Thorsten Thiel nicht nur vortragend und tweetend auf dem Kongress aktiv war, sondern auch Redaktionsmitglied des Theorieblogs ist. Ein Bericht über das Mitgelesene lag also nahe. Und was wurde gemacht? Via R und Twitter API  wurden schon während der Konferenz großzügig Daten abgegriffen und ausgewertet. Zwischen dem 14. und 30.9. wurden Tweets mit den Hashtags #dvpw18 sowie #dvpw und #dvwp2018 heruntergeladen. Insgesamt 3682 Tweets, die zur Konferenz abgesetzt und mit dem hier einsehbaren R-Code analysiert wurden!

Zuerst das Wichtigste. Wer waren die aktivsten Tweeps der Konferenz? Wer schaffte es, zwischen Panels, Kaffee und Networking auch sein digitales Netzwerk maximal mit Informationen zur Konferenz zu füttern? Fragen, die nur eine Infografik beantworten kann.

Hinter dem offiziellen Konferenzaccount mit stolzen 575 Tweets folgt der Hauptaccount der DVPW mit 483 Tweets. Platz 1 der „normalen“ Teilnehmer sichert sich Sassan Gholiagha mit beeindruckenden 233 Tweets zur Konferenz. Dahinter wirkt das restliche Teilnehmerfeld ab Ronny Patz (121 Tweets) schon fast abgeschlagen. Und auch Thorsten kommt auf „nur“ 49 Tweets und Platz 11 der Rangliste. Dass @dvpwkongress so aktiv war, sollte nicht überraschen: ohne Service- und Informationstweets von offizieller Seite lässt sich auch (oder gerade?) eine Konferenz von Politikwissenschaftler_innen nicht in geordnete digitale Bahnen lenken. Dass @dvpw fast genauso aktiv war, hat jedoch einen anderen Grund: das Twittertakeover (#teamtakeover) des offiziellen DVPW-Accounts durch die Konferenzteilnehmer_innen. Wie Ilja aka @fubits mit der Macht von R bereits feststellte, war es eben dieser Takeover, der dafür sorgte, dass die Politikwissenschaftler_innen sich in ihrem Twitteraufkommen gegen die Konferenzen der Historiker_innen (#histag18), Soziolog_innen (#dgs18), Informatiker_innen (#informatik2018) und Medienwissenschaftler_innen (#gfm2018) durchsetzen konnten, deren Konferenzen zeitgleich stattfanden. (Danke an Ilja für die Analyse und den sehr schön aufbereiteten R-Code!) Doch wie groß war der Einfluss des Takeovers im täglichen Konferenzgetweete wirklich? Zur Beantwortung dieser Frage braucht es eine weitere Grafik. Eine Grafik, die nicht nur das gesamte Tweetaufkommen während der Tagung abbildet, sondern auch den Anteil der Tweets durch den übernommenen @dvpw Account und die Retweets eben jener Tweets anzeigt.

Wir sehen so nicht nur, dass das Tweetaufkommen wie zu erwarten während den 4 Konferenztagen ansteigt, sondern auch, dass der DVPW-Account während dem Takeover deutlich aktiver geworden ist. Tweets und deren Retweets machen während der Konferenz einen konstant hohen Anteil der Twitterkommunikation aus. Well done, Team Takeover!

Forum Twitteranum: Tweets, Hashtags, Topics

Und worum ging es in dieser Wolke digitalen Gezwitschers? Da nicht einmal Studierende die Zeit haben, sich über 3.600 Tweets durchzulesen, muss auch hier die Kraft der Computer einspringen. Und zunächst die wirklich wichtigen inhaltlichen Fragen beantworten: Was waren die beliebtesten Tweets? Welche Kommuniqués haben mit den meisten Retweets die Twittersphäre geflutet, mit den meisten Likes die Herzen ihrer Follower erobert?

Top 5 Tweets nach Likes
Cord Schmelzle
(@CordSchmelzle)
Bin jetzt stolzer Besitzer einer DVPW-Anstecknadel! #dvpw18 https://t.co/wBRZK97iUi https://twitter.com/CordSchmelzle/status/1044646407775416327 51
Martin Gross
(@MartinRGross)
Präsenz bei #dvpw18 zahlt sich aus! https://t.co/C4ReeJMYAp https://twitter.com/MartinRGross/status/1045012281321492480 42
Michael Hein
(@DrMichaelHein)
Kind1 hat (erstmals) ein Mandat erhalten. Der politikwissenschaftliche Vater ist stolz. Und der „Hortkinderrat“ erinnert uns daran, dass hier einmal die „Grenzen der #Demokratie“ nicht verengt, sondern erweitert wurden, #dvpw18. #PolitischeBildung https://t.co/tvjETQoGLd https://twitter.com/DrMichaelHein/status/1045381366760837122 37
Thomas Saalfeld
(@ThomasSaalfeld)
Ich möchte mich den vielen Gratulationen an Vorstand und Geschäftsstelle der DVPW sowie den Frankfurter Kolleg(inn)en vor Ort anschließen, die den Kongress 2018 zu dem interessantesten und lebendigsten gemacht haben, an den ich mich erinnern kann @dvpwkongress @dvpw #dvpw18 https://twitter.com/ThomasSaalfeld/status/1045935077295894528 36
Ursula Muench
(@MuenchUrsula)
Bemerkenswert: Der Bundespräsident hat sich bei #dvpw18 eine Podiumsdiskussion gewünscht und hört nun aufmerksam zu, welche Lösungsvorschläge die Politikwissenschaft angesichts der Krise der Demokratie diskutiert. https://t.co/ckntD3RKzF https://twitter.com/MuenchUrsula/status/1044864686968242177 36
Top 5 Tweets nach Retweets
Thorsten Thiel
(@thothiel)
Nächste Woche #dvpw18! Vormerken, weil wichtig und nicht im gedr. Programm: Do, 16-17:30 Uhr (SH 2.102) Panel zu „#Departments – Strukturreformen für bessere Beschäftigung?“ /w @jule_specht (@Junge_Akademie ), T. Reitz (@NGA_Wiss), @fabnomad und A. Wonka (@BIGSSS_Bremen) https://twitter.com/thothiel/status/1043060496608489472 17
DVPW IB-Nachwuchsgruppe
(@ib_nachwuchs)
„Ich weiß, dass der politikwissenschaftlichen Nachwuchs unter großem Druck steht, zu publizieren und Projekte einzuwerben, aber wir brauchen die Politikwissenschaft mehr denn je!“ Starkes Statement von Steinmeier auf dem @dvpwkongress  #dvpw18

#dvpw18

https://twitter.com/ib_nachwuchs/status/1044862020644933632 16
dvpw
(@dvpwkongress)
#dvpw18 #TwitterTakeOver: Übernimm die DVPW – oder genau genommen den Twitter-Account @dvpw für 90 Min. Wir wollen den Kongress auf sozialen Netzwerken begleiten und dabei auch die Teilnehmenden zu Wort kommen lassen. Daher suchen wir Teilnehmende, die für jeweils 90 Minuten https://twitter.com/dvpwkongress/status/1040501085067247616 15
DVPW
(@dvpw)
#TeamTakeOver steht für #dvpw18. Hier unsere Aufstellung: @HeikeMauer @cgnguyen_online @drbieber @antje_wiener @GodeckeSvenja @elvira_rosert @CordSchmelzle @DrMichaelHein @SassanGholiagha @silviasteiningr @PetraGuasti @VanHuellen @m_lemke @daniellambach @Kunkakom @LauraSeelkopf https://twitter.com/dvpw/status/1043597659834060801 15
dvpw
(@dvpwkongress)
Wer übrigens die Rede des Bundespräsidenten noch einmal nachlesen möchte, findet das Manuskript hier: https://t.co/gLpw3CLcrj #dvpw18 https://twitter.com/dvpwkongress/status/1044862780875190272 14

Wir sehen: die Tweets mit den meisten Likes sind eher persönlicher Natur, allen voran Cord Schmelzes Tweet zum Gewinn der DVPW-Anstecknadel für die beste Dissertation 2016 (Glückwunsch, nicht nur zu den 51 Likes!). Gefolgt wird er von Martin Gross‘ stolzer Präsentation seines neuen Followers, dem Bundesverband deutscher Eckkneipen (42 Likes), sowie Tweets zu Nachwuchs, Kongressdanksagungen und dem Verhalten Steinmeiers. Die häufig geteilten Tweets hingegen sind eher informativer Natur, etwa zum Twittertakeover oder auch Thorstens Top Infotweet zum Departmentstrukturen-Panel. Aber auch die zitierte Meinung Steinmeiers zum politikwissenschaftlichen Nachwuchs wird von vielen eben das – geteilt.

Aber das ist natürlich nur ein oberflächlicher Blick in die Kristallkugel digitaler Kommunikation. Um herauszufinden, was die Kongressteilnehmer_innen wirklich beschäftigte, braucht es schon elaboriertere Techniken der Analyse. Hashtag sei Dank werden Tweets in der Regel thematisch ausgewiesen und das digitale Gezwitscher so in geordnetere Bahnen gelenkt. Es stellt sich also die Frage: was waren die Top Hashtags der Konferenz?

Wir sehen: Steinmeier und Demokratie waren die Top Themen der DVPW, dicht gefolgt von der Departmentstruktur. Das Takeover kommt zwar nur auf Platz 10 – würden jedoch die Co-Hashtags #teamktakeover und #twittertakeover berücksichtigt, käme es mit insgesamt 37 Tweets auf Platz 4 der Rangliste. Aber auch die DGS und der Historikertag (histag18) haben es in die Konversation geschafft. Ob in freundlicher Rivalität oder aufgrund des Wunsches, doch lieber dort zu sein, muss Thema für die Anschlussforschung bleiben. Um nur die genuine Konversation abzubilden, wurden in der Analyse der Hashtags übrigens Retweets ignoriert. Auf dieselbe Art wird auch in der weiteren Analyse fortgefahren.

Denn wie die Kapitelüberschriften eines Buches bieten die Hashtags auch nur einen kleinen Einblick in die inhaltlichen (Un-)Tiefen der digitalen Kommunikation. Wo die Analyse der diesjährigen re:publica noch auf die eher grobe Methodik der Wortzählung zurückgreifen musste, um einen Tieferen Einblick zu erhaschen, soll jetzt ein Structural Topic Modeling herhalten. Denn im Laufe des Studiums lernt man schnell, dass bei Arbeiten, die niemand liest, zumindest etwas gelernt werden will. Topic Modeling, gerade en vogue in den Digital Humanities, berechnet, vereinfacht gesagt, die Verteilung der Worte in einer Reihe von Dokumenten über eine Anzahl latenter Themen. Es handelt sich um eine Methode des unsupervised learning, Ergebnisse beruhen also rein auf statistischer Korrelation. Structural Topic Modeling erweitert diesen Ansatz um die Annahme, dass Metadaten der Dokumente Aufschluss über die darin vorkommenden Themen geben. Für den Dokumententyp des Tweets wurden in diesem Fall zwei Arten von Metadaten verwendet: Zum einen der Tag des Tweets, um Themenverschiebungen während der Konferenz abzubilden. Zum anderen Hashtags, um die Selbststrukturierung der Tweeps zu nutzen. Die genauen Spezifikationen des Modells finden sich im R-Code (s.o.), außerdem sei zur Implementation und die zugrundeliegende Statistik auf die Vignette des R-Pakets stm hingewiesen. Aber was sind jetzt die Themen, die sich unterhalb der Hashtags, in den Tweets selber, verbergen?

Die Grafik bildet die prägnantesten Worte jedes Themas und die geschätzten Proportionen der Themen in der Gesamtkonversation ab. Das prominenteste Thema scheint die englische Konversation über Demokratie zu sein – bei 22 Panels mit „Democracy“ im Titel erst einmal nicht unwahrscheinlich. Jedoch wurde ein Großteil der englischsprachigen Twitterkonversation durch den Algorithmus in dieses Topic sortiert, dessen Proportion dadurch überschätzt wird. Dennoch bildet das Topic, das auch Fragen demokratischer Repräsentation und Innovation abdeckt, ein zentrales Thema der Tagung ab, wie auch hier nachzulesen ist. Es bilden sich noch weitere Themen ab, die bereits in den Hashtags anklingen. Etwa die Rede des Bundespräsidenten Steinmeiers oder das Panel zur Departmentstruktur. Aber auch die Frankfurter Goetheuni war als Veranstaltungsort Thema, genauso wie die Vorfreude auf einzelne Panels zu bestimmten Uhrzeiten. Außerdem sehen wir, dass #demokratie, passend zum Titel der Konferenz, vor allem in Bezug auf Grenzen und Krise getweetet wurde. Ein genauerer Blick ins Topic zeigt, dass hier vor allem die liberale Demokratie und die Herausforderung des Populismus verhandelt wurde (genauer nachzulesen hier). Und auch unser Nr.1 Tweep (nach den offiziellen Accounts der Organisator_innen), Sassan Gholiagha,  hat es Dank zahlreicher Verlinkungen in eines der Top-Themen geschafft. Und zwar in das – wer hätte es gedacht – Takeover-Thema, in dem Twitter selber  thematisiert wird. Wie meta.

 

Tim König ist Master Student im Studiengang Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Seinen Bachelor in Politikwissenschaften absolvierte er an der Freien Universität Berlin. Außerdem arbeitet er als studentischer Mitarbeiter am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft zu Demokratie und Digitalisierung. Und er wird sicher ganz bald auch selbst aktiver auf Twitter (@tmknig), anstatt es immer nur zu analysieren. Versprochen. Vielleicht.