theorieblog.de | Patberg-Buchforum (1): Konstituierende Gewalt zwischen Faktizität und Geltung

5. November 2018, Schmalz-Bruns

Den Auftakt zu unserem Buchforum zu Markus Patbergs „Usurpation und Autorisierung – Konstituierende Gewalt im globalen Zeitalter“ macht Rainer Schmalz-Bruns.

Die von Markus Patberg im Januar dieses Jahres in der Reihe „Theorie und Gesellschaft“ im Campus Verlag veröffentlichte und höchst bemerkenswerte Arbeit lässt wenig Spielraum, nicht schlicht beeindruckt zu sein. Was fasziniert und unmittelbar einnimmt, ist die intellektuelle Verve, mit der hier das Projekt verfolgt wird, suprastaatliche Verfassungspolitik als eine Praxis von freien und gleichen Bürgern zu fassen und zu gestalten. Was aspirativ und vom Anspruch her überzeugt, ist der Versuch, das Konzept der pouvoir constituant für diese Zwecke als Kategorie der demokratischen Legitimität gegen verbreitete Widerstände in der verfassungstheoretischen, internationalrechtlichen und politikwissenschaftlichen Diskussion zu reaktivieren und sie im Rahmen eines aufwändigen, mehrstufigen und mehrdimensionalen Verfahrens der Rekonstruktion in eine neue, transnationale Konzeption zu überführen. Was schließlich dazu führt, dass man sich dem Sog der äußerst umsichtig angelegten und bis in die Details der Durchführung höchst instruktiven begrifflichen und konzeptionellen Überlegungen gerne überlässt, ist der Umstand, dass Patberg diese am Ende auf eine konstruktive Pointe zulaufen lässt, mit der er ein Modell der institutionellen Gewährleistung und Hegung einer auf Dauer gestellten demokratischen Praxis konstitutioneller Selbsttransformation politischer Gemeinschaften auf nationaler und transnationaler Ebene anzubieten vermag – ein Modell, das trotz seiner visionär-aspirativen Züge nicht einfach als bloße Projektion eines Geistersehers abgetan werden kann, sondern als freilich verdichteter Ausdruck praktisch bereits wirksamer Spuren kommunikativer Vernunft verstanden werden kann und soll.

Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden zunächst dem begrifflichen, konzeptionellen und methodologischen Profil der Überlegungen (1) bis an den Punkt folgen, an dem man dann vielleicht doch auf die Spuren einer spekulativ angelegten Dialektik globaler Politik stößt (2), die freilich gewisse methodologische Bedenken provozieren könnte (3).

1. Der Argumentationsgang im Überblick

Wenn Patberg dem Herzschlag der konstitutionellen Revolutionen des 18. Jahrhunderts bis in die unvermeidlichen Niederungen internationaler Politik einerseits wie andererseits in die feinen theoretischen und analytischen Verästelungen der Internationalen Politischen Theorie wie einer Theorie globalen Regierens nachspürt, dann ist er sich bei aller Eleganz der Theoriekonstruktion und trotz des (fast unwiderstehlichen) konzeptionellen Schwungs, den sein Argument dabei zunehmend aufnimmt, doch stets der sehr grundlegenden begrifflichen und methodologischen Schwierigkeiten bewusst, denen er begegnen können muss, bevor er die eigentliche Arbeit aufnehmen kann: Erst dann nämlich ­­– so der zunächst defensive Zug, mit dem er seine Ausgangsstellung im vierten Kapitel zu befestigen sucht –, wenn wir in der Lage sind, die mit den verfassungspolitischen Grundideen des Konzepts der verfassunggebenden Gewalt (also der Idee, dass die Verfassung als Gegenstand demokratischer Entscheidungsfreiheit etabliert werden soll, und der Idee, dass das notwendig den Ausschluss verfasster Gewalten von der Verfassungspolitik impliziert) verbundenen Schwierigkeiten der Offenheit, Freiheit und Begrenzung des verfassungspolitischen Subjekts einerseits und der Identifizierung überzeugender Artikulationsformen, in denen verfassungspolitische Gewalt legitim zur Geltung gebracht werden kann, andererseits überwinden können, kann diese Vorstellung jene vor- oder anti-modernen, metaphysisch-naturrechtlichen oder auch mythischen Züge abstreifen, die ihr von vornherein eingeschrieben zu sein scheinen (Kap. 4.1) und somit einer einfachen Reaktivierung der Idee entgegenstehen.

Die Lösung dieser Probleme erwartet Patberg von zunächst zwei eng zusammenhängenden grundbegrifflichen Revisionen am Konzept der pouvoir constituant, mit denen er, eng an Habermas angelehnt, die Vorstellung eines höherstufigen Verfassungssubjekts in die Idee subjektloser, aber prozedural domestizierter Kommunikationskreisläufe in demokratischen Öffentlichkeiten überführt, bevor er die sich so erschließenden konzeptionellen Optionen entlang von sechs Dimensionen, in denen der Begriff der konstituierenden Gewalt ausdifferenziert werden kann, einführt und vergleichend diskutiert. Durch diesen Zug verschafft er sich den konzeptionellen Spielraum, den er benötigt, um den legitimationstheoretischen Gehalt des Konzepts der konstituierenden Gewalt mit der kapazitären Frage nach den Bedingungen und Formen ihrer Ausübung so zu verbinden, dass die konstituierende Gewalt bifokal als eine Kombination von Geltungs- und Faktizitätselementen begriffen werden kann: Neben den soeben angesprochenen Kompetenzaspekt treten dann u.a. Fragen nach dem Kontext der Manifestation konstituierender Gewalt, die entweder als in einem ursprünglichen Akt der Verfassunggebung aufgehend oder in Permanenz aktiv oder als latente, aber jederzeit aktivierbare Größe gedacht werden kann; sie kann auf einer dritten Vergleichsebene mit unterschiedlichen Modi der Normsetzung – Revolution, Augmentation oder Reform – in Verbindung gebracht werden und – viertens – mit Hilfe der Unterscheidung von Träger resp. Subjekt konstitutioneller Gewalt oder im Blick auf die entweder aggregativen oder argumentativen Mechanismen der Entscheidungsfindung schrittweise eine immer konkretere Gestalt annehmen (Kap. 4.2).

Diesen Spielraum benötigt Patberg vor allem dort, wo er sich in zwei Schritten dann der konstruktiven Aufgabe der Entfaltung eines deliberativen Modells demokratischer Verfassungspolitik zunächst auf der staatlichen und dann auf der supranationalen Ebene (Kap. 5.3 und Kap. 7.3) zuwendet. Bevor es aber so weit ist, sind weitere Zwischenschritte zunächst der Plausibilisierung seines gesamten Anliegens wie der konzeptionellen Feineinstellung der Durchführungsbestimmungen und schließlich der rekonstruktiven Identifizierung von in das Gewebe eines globalen Konstitutionalismus vorläufig noch eher vegetativ eingelassenen Spuren demokratischer Vernunft (Legitimität) sowie der erneut rekonstruktiv ansetzenden Explikation der Sinnbedingungen einer demokratischen Praxis der Verfassungspolitik notwendig. Den ersten beiden Teilaufgaben im Rahmen seines umsichtig dimensionierten Argumentationsganges stellt er sich zunächst in einer Kritik der verfassungspolitischen Leerstellen, die die Diskussionen um einen globalen Konstitutionalismus (Kap. 1.1) aufweisen, dann einer höchst detaillierten und doch pointensicheren Kritik unterschiedlicher Varianten des demokratischen Intergouvernementalismus als Modell suprastaatlicher Verfassungspolitik (Kap. 2.2) wie schließlich einer Kritik der problematischen Strategien im Umgang mit den begrifflichen Herausforderungen, die das Konzept eines suprastaatlichen „pouvoir constituant“ bereithält (Kap. 6.2) – ein Schritt, in dem er auf vier Gruppen von gut etablierten Ansätzen trifft, die allesamt – allerdings auf sehr unterschiedliche und insgesamt sehr instruktive Weise – an der Herausforderung scheitern, eine Kategorie demokratischer Legitimität zu entwickeln, die sich sinnhaft auf Prozesse suprastaatlicher Verfassungspolitik anwenden ließe.

In dieser theoriestrategischen Kritik von Ansätzen, die entweder die verfassunggebende Gewalt zu einer kontrafaktischen Fiktion herunterspielen, in funktionalistischer Einstellung die Legitimationserheblichkeit konstitutioneller Normsetzung nicht einmal zu registrieren in der Lage sind, negativistisch den „pouvoir constituant“ auf einen kontestierenden Akteur reduzieren oder in verfassungstheoretischer Orthodoxie dem Modell staatlicher Verfassungspolitik verhaftet bleiben und so die besonderen Bedingungen der postnationalen Konstellation konzeptionell verfehlen, bietet Patberg noch einmal alles an theoretischem Elan, systematischer Orientierung und hermeneutischer Sensibilität auf, was dieses Buch zu einem Lektüreerlebnis mit hohem Instruktionswert werden lässt.

Anders formuliert, kanalisiert er ein höchst komplexes Netz von Diskursen normativer, empirischer und konzeptioneller Natur so, dass alles schließlich auf den einen Punkt zuläuft, an dem das von Habermas entwickelte Modell einer staatlichen und suprastaatlichen deliberativen Verfassungspolitik den theoriestrategischen und konzeptionellen Fokus bildet, in dessen Licht es – notwendige Revisionen, Modifikationen und Ergänzungen vorausgesetzt – möglich sein sollte, die gesuchten (sechs) Prinzipien eines supranational ausgelegten „pouvoir constituant“ gedankenexperimentell zu erschließen (Kap. 7.2, S. 290 und 294), die dann sein institutionell verankertes Mehrebenenmodell verfassungspolitischer Schleusensysteme (Kap. 7.3) normativ instruieren.

2. Eine demokratische Dialektik der Transnationalisierung?

Das alles lässt, um es nochmals zu betonen, m.E. in seiner internen Stringenz und Folgerichtigkeit am Ende kaum Raum für wirkungsvolle Zweifel – und dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass eine potentiell wirkungsvolle Form der Kritik an Stellen des Buches ansetzen muss, an denen das Argument noch gar nicht seine konzeptionelle Fahrt aufgenommen hat und eine Dynamik entfaltet, der man sich dann nur noch schlecht mit guten Gründen widersetzen kann – oder eben dort, wo dem Verfasser wie etwa in der Schlussbetrachtung ein wenig die rekonstruktive Luft auszugehen scheint, wenn er sich der Frage zuwendet, wie sich dieser Entwurf jenseits der Projektion eines Aufstands, der die „Organe der Negativität“ organisiert und gegen herrschende Ordnungen richtet, in die Tat umsetzen ließe (S. 319ff.). Die Vorstellung, die er hier in Anlehnung an Lea Ypi mit Blick auf die mögliche Rolle von Avantgarden ein Stück weit nachgeht, stellt allerdings, wenn ich richtig sehe, nur noch einen relativ schwachen Abglanz der methodischen Prämissen der (rationalen) Rekonstruktion dar, auf die er sich zuvor an wesentlichen Punkten gestützt hat: Wird man das deshalb nicht eher als ein Eingeständnis des (verzweifelten) Umstands werten müssen, dass unter dem Eindruck der derzeitigen, das System globalen Regierens im Ganzen (ggf. neu-) strukturierenden Dynamiken und im Blick auf die ausbleibenden oder zumindest deutlich aufgehaltenen, entgegenkommenden nationalen, regionalen und globalen Entwicklungen der Herzschlag der verfassungspolitischen Revolution des 18. Jahrhunderts mittlerweile vielleicht doch spätestens (und günstigstenfalls) an den Grenzen des demokratischen Verfassungsstaates zum Stillstand gekommen sein könnte? Oder gibt es doch Anzeichen dafür, dass wir uns, mit begrifflichen Anleihen beim Historischen Institutionalismus, an einem kritischen Wendepunkt der institutionellen Entwicklung des Regierens jenseits des Nationalstaates befinden, an dem der Funke, den verfassungspolitische Avantgarden zünden könnten, überspringen und die Dinge in die von Patberg gewünschte Richtung treiben könnte?

Diese Fragen sind gewiss schwer zu beantworten, aber es sollte ja ausreichen zeigen zu können, dass empirische und analytische Erwägungen bzgl. der Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Prozesses nicht gänzlich unplausibel sind – auch wenn man in dieser Einstellung der augenblicklichen Entwicklung ähnlich wie Zürn in seiner jüngst veröffentlichten „Theory of Global Governance“ (Oxford University Press 2018, 220f.) erneut um ein paar Jahre vorausgreifen und sich etwa fragen müsste, wie eine „critical juncture“ im Jahr 2025 aussehen und wodurch sie herbeigeführt werden könnte. Das Bild, das Zürn an dieser Stelle gedankenexperimentell entstehen lässt, jedenfalls setzt auf einen kriseninduzierenden Zyklus politischer Ereignisse, die u.a. in der Wahl Marine Le Pens zur Präsidentin Frankreichs im Jahr 2021, die Bildung einer CDU/AFD-Koalition wenige Monate früher und der dadurch ausgelösten Degeneration der EU in wenig mehr als eine Freihandelszone wie der Konsolidierung der autokratischen Regime in China, Russland und der Türkei und die dadurch freigesetzte außenpolitische Konfliktdynamik zum Ausdruck kommen könnte – Entwicklungen also, die zusammengenommen dazu führen, dass ab 2022 eine Krise nach der anderen mit dem Ergebnis eines vollständigen Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems und einer tiefen, mehrjährigen Rezession in Verbindung mit Arbeitslosigkeitsquoten von durchschnittlich über 25%, großer Umweltkatastrophen und einem dramatischen Anstieg der Staatsschulden ausbricht. Könnte eine solche Entwicklung am Ende unter ständig zunehmendem elektoralen Druck immer größerer depravierter Teile der Völker dann ab etwa 2024 und 2025 eine fundamentale Neuorientierung erzwingen und eine umgekehrte institutionelle Dynamik des Systems globalen Regierens freisetzen?

Nun, bei allem spekulativen Gehalt dieser Projektion ist natürlich nicht auszuschließen, dass wir es mit einer solchen Art von Dialektik zu tun haben könnten. Und selbst wenn nicht, wäre es wohl vergleichsweise (zu) billig, sich in der Einschätzung der Arbeit auf diese im Ganzen gesehen doch recht marginalen Bemerkungen zu stützen. Als ggf. schwerwiegender könnte sich dann immer noch der Umstand erweisen, dass auch ein solches Drehbuch für sich genommen nicht notwendig dem Modell einer verfassungspolitischen Demokratisierung supranationaler Prozesse folgen müsste, das Patberg entwirft. Dazu gäbe es, wie Zürn an der genannten Stelle völlig zu Recht bemerkt, ja ebenfalls modelltheoretische Alternativen – sodass die eigentliche Schwierigkeit darin besteht, dass Patberg im Rahmen der rekonstruktiven Grundlegung seiner Überlegungen nicht nur auf entgegenkommende Entwicklungen schlechthin, sondern auf eine eigensinnige normative Logik angewiesen ist, die sich im Inneren solcher Entwicklungen zur Geltung bringen würde.

3. Kausalität aus Freiheit – oder: Grenzen der Rekonstruktion?

Um diesen neuralgischen Punkt etwas stärker anleuchten zu können, möchte ich abschließend wenigstens kurz auf die methodologischen Einstellungen eingehen, die dieses Projekt einer praxisorientierten Theoriebildung anleiten und strukturieren und so maßgeblich für seinen Versuch sind, „[…] eine Brücke zwischen den Faktizitäts- und Geltungselementen verfassunggebender Gewalt zu schlagen“ (S. 110). Wenn Patberg an den einschlägigen Stellen des dritten Kapitels, das sich insgesamt mit der Frage der methodologischen Grundlagen seines Projekts befasst, mit Blick auf Ansätze, die sich unter dem Titel des politischen Konstruktivismus versammeln lassen, notiert, dass es die dort vorzufindende Orientierung an den tatsächlichen Ausprägungen und Deutungen politischer Praktiken zwar ermöglicht, existierende Praktiken in Bezug auf die normativen Logiken zu optimieren, die sich aus dem Selbstverständnis der Beteiligten ableiten lassen, es ihnen aber an transformativem Potential mangelt, weil sie keine Möglichkeit eröffnen, neue Formen der Praxis einzufordern (S. 111) und etwa einen Übergang vom demokratischen Intergouvernementalismus zu einem Modell der verfassungspolitischen Meinungs- und Willensbildung zu begründen, dann hängt er den Maßstab für den eigenen Ansatz der rationalen Rekonstruktion auch deshalb ziemlich hoch, weil er ihm zumuten können muss, nicht nur diese normative Lücke zu schließen, sondern darüber hinaus darauf insistieren können muss, dass dieser neben der normativen auch eine erklärende Funktion erfüllt – dass er, m.a.W., darauf ausgelegt ist, den Präsuppositionen sozialer Praktiken und mithin den normativen Erwartungen der Beteiligten operative Wirksamkeit zuzuschreiben (S. 113).

Während dieser hohe Anspruch sich unmittelbar aus der o.g. theoriebildenden Prämisse ergibt, dass es eine Brücke zwischen den Faktizitäts- und Geltungselementen des Konzepts konstituierender Gewalt zu schlagen gelte, engt er doch zugleich den Spielraum, der sich bezüglich der Identifizierung von geeigneten Kandidaten für eine solche Praxis ergibt, erheblich ein, weil es nunmehr nicht mehr ausreicht, in ihnen Partikel oder Bruchstücke einer existierenden Vernunft auszumachen (wie etwa im Blick auf die Gründung des IStGH oder die Reformen der EU im Kap. 7.1) oder auf eine gedankenexperimentell erschlossene normative Logik einer vollständig rationalen Praxis zu setzen (wie etwa in der Begründung von insgesamt sechs Prinzipien konstituierender Gewalt jenseits des Staates in Kap. 7.2). Vielmehr müsste diesen beiden rational-rekonstruktiven Schritten nun auch noch der Nachweis der operativen Wirksamkeit der so identifizierten normativen Logik folgen – und dieser Nachweis scheint wenigstens auf indirekte Weise nur dadurch möglich, dass man auf institutionell fest verankerte Praktiken fokussiert, die sich wenigstens als vorläufiger Endpunkt eines gerichteten historischen Prozesses institutioneller Entwicklung und institutionellen Wandels verstehen lassen und – wie verzerrt auch immer – ihre eigene Bedingungen kommunikativer Rationalität (vgl. S. 271) schon zum Ausdruck und zur Geltung bringen.

Nun, wohin könnte uns eine solche Überlegung führen? Ich denke, dass sie uns zum einen darauf aufmerksam macht, dass es letztlich doch eine unbewältigte, wenigstens untergründig das Buch durchziehende Spannung zwischen einem transformativen Anspruch einerseits und der methodologisch genährten Erwartung einer Verschlingung von normativen und erklärenden Funktionen andererseits, geben könnte. Habermas jedenfalls scheint diesen Umstand dadurch zu quittieren, dass er in seinen Vorschlägen zu Weltinnenpolitik wie zur Demokratisierung der Europäischen Union weit zurückhaltender auftritt und sich weitgehend jenseits der explizit verfassungspolitischen Erwägungen bewegt, denen Patberg hier Raum geben möchte: Wenn er aber an diesem entscheidenden Punkt über Habermas hinausgehen möchte und sich eben nicht damit zufrieden geben will, einen europäischen pouvoir constituant mixte nicht als verfassungspolitischen Akteur, sondern als bloß kontrafaktische Figur auftreten zu lassen, die den normativen Sinn der europäischen konstitutionellen Ordnung in ihrer bestehenden Form erläutern soll (S. 296) – dann, so scheint es, wird er sich schließlich nicht mit der Auskunft zufrieden geben können, dass dieser pouvoir constituant mixte die Bühne als ein verfassungspolitischer Akteur in der möglichen, aber nicht notwendig auch wirkmächtigen Gestalt von verfassungspolitischen Avantgarden betreten sollte.

 

Rainer Schmalz-Bruns ist Professor für Politische Ideengeschichte und Theorien der Politik an der Leibniz Universität Hannover.


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