Catherine MacKinnons grundlegendes Buch zur feministischen Staatstheorie erschließt sich heute vor dem Hintergrund seines Entstehungskontexts: Hervorgegangen aus den Kulturkämpfen der USA und dem Auftakt zur zweiten Welle der feministischen Bewegung und ihrem Kampf um Anerkennung vor Recht und Gesetz speiste sich das Interesse an den abstrakten Fragen von Staatstheorie ganz konkret aus der Arbeit in Unterstützerkreisen für Opfer sexualisierter Gewalt. Obwohl der Band der als liberale Rechtswissenschaftlerin, Karadžić-Anklägerin und Vertreterin radikalfeministischer Positionen bekannt gewordenen Autorin seit seinem Erscheinen in aller Breite diskutiert wurde, blieb dessen tragende Säule – die Diskussion der materialistischen Staatstheorie – weitgehend unbeachtet. Im Folgenden sollen daher MacKinnons Blick auf den Materialismus als politische Theorie und die Lehren diskutiert werden, die sich daraus für die heute mit neuer Dringlichkeit auftretende Suche nach Verbindungen zwischen klassen-, gender- und staatstheoretischen Perspektiven ziehen lassen.
MacKinnon stieß in ihren theoretischen Überlegungen früh auf das praktische Problem, dass besonders in der aufstrebenden Pornoindustrie sexualisierte Gewalt auf den klassischen Wegen des US-amerikanischen Rechts nur schwer zu verfolgen schien. Sie und andere fassten daher die Möglichkeit ins Auge, Pornographie generell als systematische Verletzung der Menschenwürde von Frauen und somit als Menschenrechtsverletzung zu thematisieren, um so neue Rechtsgrundlagen für die Verfolgung von Fällen sexueller Gewalt zu schaffen.
Die resultierenden Vorschläge und Gesetzesentwürfe enthielten bemerkenswert weitreichende Möglichkeiten, gegen die kaum regulierte Pornoindustrie vorzugehen, die den Produzenten immense Sorgfaltspflichten auferlegt hätten. Nicht auszuschließen war, dass eine derart umfassende Gesetzgebung nicht nur die Arbeitsweise der Pornoindustrie, sondern auch ihren Inhalt und ihre gesamte gesellschaftliche Struktur nachhaltig hätte verändern können. Da die Entwürfe neben solchen Reformen aber auch eine komplette Kriminalisierung von Pornographie schlechthin beinhalteten, konnten sie sich letztlich nicht durchsetzen. Gleichzeitig wurde durch diese Initiativen eine Flanke der feministischen Theorie für einen Anschluss an rechtskonservative, Lust- und Sex-feindliche Prohibitionsdebatten geöffnet, die bis heute nicht geschlossen ist.
Das Bezugsproblem materialistisch-feministischer Staatstheorie
Toward a Feminist Theory of the State beginnt mit dem Problemaufweis, dass sowohl Feminismus als auch Marxismus beanspruchen, den jeweils grundlegenden gesellschaftlichen Widerspruch zu thematisieren: „Can two social processes be basic at once? […] Can two theories, each of which purports to account for the same thing – power as such – be reconciled?“ (S. 4). MacKinnon untersucht, inwiefern ‚Frauen als Frauen‘ sowohl in der liberalen als auch in der marxistischen Denkungsart stets nur als Adressaten von ganz anderen Themen vorkommen, etwa politische Teilhabe, Staat, Klasse oder Revolution: „Women as women, women unmodified by class distinctions and apart from nature, were simply unthinkable […] to most liberals […] as to most Marxists“ (S. 9).
MacKinnon rekonstruiert die Versuche von Marx und Engels, Frauenunterdrückung aus einer materialistischen Theorie der Geschichte abzuleiten. Eine solche Ableitung müsse aber immer scheitern, weil sie unter der Hand immer schon von dem Explanandum – der Unterordnung von Frauen – ausgehen muss. Eine Unterordnung von Frauen im materiellen Produktionsprozess ist letztendlich nicht denkbar, ohne schon im Vorfeld von einer sozialen oder politischen Unterordnung auszugehen. Durch diesen Vorgang reproduziere Engels fatalerweise den naturalistischen Fehlschluss von Geschlecht auf sozialen Status: „A split between home and work is defined in terms of a split between male- and female-dominated spheres, not by relation to production but by sex“ (S. 28). Auf diesen Kritiken aufbauend werden drei Varianten unterschieden, mit denen eine Synthese zwischen marxistischer und feministischer Theorie bisher versucht worden ist: „equate and collapse, derive and subordinate, and substitute contradictions“ (S. 60).
Die erste Variante – etwa: Gleichsetzen und zum Verschwinden bringen – sieht MacKinnon im klassischen Marxismus verkörpert, in dem es keine separate Kategorie für Frauenunterdrückung gibt. Die Gleichstellung der Geschlechter sei zu erreichen durch und nur durch die Aufhebung der Klassengesellschaft. Die zweite Variante – Ableiten und Unterordnen – sieht MacKinnon als den argumentativen Kern der überwiegenden Mehrheit marxistisch-feministischer und intersektionalistischer Schriften. Sie sind die theoretische Hauptfigur in der Sozialdemokratie etwa um August Bebel, aber auch in Fidel Castros und Mao Tse-Tungs Strategien der Kulturrevolution: „The effort is serious, yet it is clear which revolution is within which“ (S. 63).
Die dritte Variante – etwa: die Methoden der Klassentheorie auf Geschlechterfragen anwenden – sieht MacKinnon hauptsächlich in den Ansätzen rund um die „Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne“ verkörpert. Als eine Art Umkehrung des Leninismus betonte der Operaismus, in dessen Kontext wichtige Teile der Hausarbeitstheorie ausgearbeitet wurden, dass die Ab- und Entwertung von Menschen nicht das Ergebnis einer Art Naturgesetz des kapitalistischen Staats ist, sondern vielmehr den Ursprung der Macht des Kapitalismus darstellt. Widerstand müsse deswegen gerade nicht in Staat und Politik stattfinden, sondern an den Orten, an denen die Produktion und die Abschöpfung des Mehrwerts konkret passiert: In den Fabriken und ihren rigorosen Arbeits- und Kontrollregimes und vor allem aber eben auch in den Privathaushalten, in denen größtenteils Frauen die Arbeitskräfte für die Industrie reproduzieren. Nicht der Kapitalismus führe zur Unterdrückung der Frauen, sondern die Entwertung und Unsichtbarmachung der Hausarbeit ermögliche den Kapitalismus.
MacKinnon ist davon überzeugt, dass diese dritte Variante der Synthese dazu geeignet ist, die marxistischen Kategorien geradezu von innen aufzusprengen, beispielsweise den Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit: „socially necessary labor time is not a total of all work that needs to be done in society, such that housework must have been included sub silentio all along“ (S. 65). Insofern sieht MacKinnon die Zukunft der Politischen Theorie klar jenseits der Pfade des Marxismus: Die Hausarbeitstheorie sei auf dem richtigen Weg, insofern sie den Rahmen des Marxismus hinter sich lässt.
MacKinnons Lektion
Es wäre allerdings verfehlt, MacKinnon im Umkehrschluss einfach als ganz typische Vertreterin des Liberalismus zu behandeln. Ganz im Gegenteil kritisiert sie diesen in aller Deutlichkeit (S. 164). Dennoch basiert MacKinnons starre Zurückweisung des Ökonomismus in der materialistischen Theoriebildung aber auf einer für den Liberalismus nicht untypischen Verkürzung des Marxismus auf eine Theorie der sozialen Ungleichheit, auf eine Klassentheorie: „The Marxist theory of social inequality has been its theory of politics. The state as such was not seen as furthering particular interests through its form“ (S. 158).
Nichts könnte jedoch weiter entfernt vom tatsächlichen Textbestand von Luxemburg, Lenin, Kollontai, Trotzki und Gramsci etc. sein, die allesamt von Gleichsetzungen, Ableitungen oder Anwendungen der ‚Klassentheorie‘ mit/von/auf politische Fragen großen Abstand nehmen. Insofern, als dass MacKinnon völlig zu Recht die Frage stellt: „Can law do anything for women?“ (S. 159), also etwa: ‚Was kann Recht und Staat für Frauen tun?‘, behandelt doch der Marxismus die gleiche Frage, nur allgemeiner gestellt: ‚Was können Staaten überhaupt tun?‘. MacKinnon dagegen kann etwa die verfassungsrechtlichen Grundlagen des sozialpolitischen New Deal, die sie im weiteren ausführlich untersucht, nicht als Reaktion des Staates auf veränderte Anforderungen des Kapitals an seine Reproduktionsbedingungen thematisieren, weil nur der Marxismus, den sie jedoch gerade exorziert, hiervon einen Begriff anbietet.
Feministische Theorie stand einst vor der Herausforderung, die Engführung der Staatstheorie auf Klassenfragen abzuschütteln. Doch im Ergebnis wurde oftmals stattdessen der epistemologische Anspruch des Marxismus als Gesellschaftstheorie insgesamt aufgegeben. Das wirft auch einen ernüchtern Lichtstrahl auf die aktuelle Renaissance einer neuen, auf soziologische Klassentheorie ausgerichteten Version des Marxismus: Geht sie mit einer gesellschaftstheoretischen Perspektive einher, oder wird sie wieder „nur“ Klassentheorie sein? Von MacKinnons Lektion kann man dreißig Jahre später lernen, dass es auch heute nicht so sehr an „Klasse“ im Feminismus und nicht an „Geschlecht“ in der Klassentheorie fehlt, sondern an einer Auffassung des Gesamtzusammenhangs moderner Gesellschaften, in denen diese Kategorien vorkommen.
Catharine MacKinnon: Toward a Feminist Theory of the State.
1989 | 330 Seiten | Harvard University Press | ISBN 978-0674896451
Florian Geisler ist Politikwissenschaftler aus Frankfurt am Main und Mitbetreiber von materialismus.org
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