theorieblog.de | Kein Zuhause für die Heimat – Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

25. Oktober 2018, Adler-Bartels

— Zum Abschluss unserer vierwöchigen Debatte plädiert Tobias Adler-Bartels für einen begriffssensibleren Umgang mit Heimat!?. Er greift dabei Aspekte der vorangegangenen Beiträge auf, widmet sich der Semantik des Heimatbegriffs in der politischen Sprache und analysiert seine völkischen und essentialistischen Bedeutungsgehalte. —

„Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss“ – diese Johann Gottfried Herder zugeschriebene Sentenz deutet Heimat als ein höchst subjektives Phänomen des vermeintlich vorpolitischen Raums, welches gegen gesellschaftliche Kritik immun ist. Die jüngsten politischen Debatten um den Begriff der Heimat und die christsoziale Namenserweiterung der obersten Bundesbehörde zum Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verdeutlichen jedoch die eminent politische Dimension dieses Begriffes. Wurde die ministerielle Umbenennung bisher vor allem aufgrund ihrer parteistrategischen Motivation und programmatischen Inhaltsleere kritisiert, so sollen im Folgenden grundsätzlichere Probleme dieser quasi-ministeriellen Weihe des Heimat-Begriffes im Fokus stehen.

Zur Komplexität des Heimat-Begriffes

Im alltagssprachlichen Gebrauch erscheint Heimat aufgrund des vorrangig subjektiven und emotionalen Charakters zunächst unproblematisch. Als politischer Begriff verliert er jedoch seine Unschuld – die subjektiven Heimaten werden ‚verobjektiviert‘, d.h. die Konstitution bzw. Konstruktion eines Erfahrungsraums von Heimat stiftet den motivierenden oder politische Zwecke legitimierenden Erwartungshorizont einer Gruppe. Heimat kann somit beispielsweise mit Verweis auf die autochthone Abstammungsgemeinschaft einen exklusiven oder aber als (ökologische und / oder solidarische) Weltheimat einen inklusiven Charakter besitzen.

Da dementsprechend ein allgemein anerkannter Konsens über die Begriffsintension der Heimat aufgrund der ‚wesentlichen Umstrittenheit‘ (Walter B. Gallie) aller markanten politischen Begriffe unmöglich ist, muss der Kern des Begriffes als Ergebnis eines jederzeit revidierbaren Deutungsprozesses verstanden werden. Daraus resultiert jedoch keine Beliebigkeit von Heimat-Konstruktionen – vielmehr vollzieht sich die konkrete Begriffspolitik im Bewusstsein der (sprach-)logischen und kulturell-historischen Kontexte (vgl. hierzu nach wie vor Michael Freedens Ideologies and Political Theory). Im deutschsprachigen Raum ist dementsprechend eine Annäherung an die politische Dimension der Heimat ohne Verweis auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht möglich.

Die dark side der Heimat

Die Pluralität des Heimat-Begriffes wurde durch die jüngsten begriffspolitischen Interventionen offenbar, wenn etwa Sigmar Gabriel (im Spiegel 51/2017) die „Sehnsucht nach Heimat“ gegen die (neo-)liberale Postmoderne und Identitätspolitik in Stellung bringt oder Horst Seehofer (FAZ v. 30.4.2018) für eine „(h)eimatbezogene Innenpolitik“ plädiert, die den Tendenzen der „entgrenzten“ Globalisierung Einhalt gebieten soll. Diese gegenwärtigen Apologien der Heimat können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff in Deutschland auf eine zweifelhafte Geschichte verweist.

Nach der ‚Erfindung‘ des Heimat- und Heimwehgedankens in der (politischen) Romantik ist die politische Begriffsgeschichte maßgeblich durch die völkische Aufladung innerhalb der Heimatschutz-Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt. Dieser militante ‚Heimatschutz‘ war im Sinne des Blut-und-Boden-Mythos exklusiv auf die deutsche Familie und Volksgemeinschaft bezogen, sodass Heimat zu einem Teil der Lingua Tertii Imperii wurde. Außerhalb dieser völkischen und rassistischen Heimatdiskurse fristete die Heimat im rechten Kontext jedoch häufig ein randständiges Dasein. Schon im Schützengraben-Heroismus eines Ernst Jünger oder dem Freund-Feind-Dezisionismus eines Carl Schmitt fand Heimat keinen Platz und in der planetarischen Dimension des nach 1945 ausgerufenen ‚Zeitalter des Weltbürgerkriegs‘ diente der Begriff lediglich als motivationale Ressource des ‚erdverwachsenen‘ Partisanenkämpfers, der den Typus eines „defensiv-autochthonen Verteidigers der Heimat“ (Schmitt) repräsentierte.

Heimat war demnach nach 1945 kein zentraler Kampfbegriff der politischen Rechten oder Konservativen – im Gegensatz zu Volk, Nation oder Europa. Vielmehr waren die neurechten und radikalkonservativen Reflexionen über Heimat eingebunden in eine umfassendere metapolitische Strategie des Deutungskampfes um die kulturelle, d.h. sprachliche Hegemonie. So wird im tendenziösen „Lexikon des Konservatismus“ Heimat apologetisch als „eine Grundkonstante menschlichen Lebens“ beschrieben und auch wenn das neurechte „Staatspolitische Handbuch“ auf den notwendig politischen Charakter des Begriffes verweist – wonach „jede angemessene Vorstellung von H. Dauer und Homogenität der Gemeinschaft und ihres Lebensraums voraussetzt“ –, muss doch das Potential dieses „Leitbegriffes“ erst wieder reaktiviert werden. Durch die Renaissance des Heimatdiskurses im wertkonservativen und grün-alternativen Milieu der 1970er und 80er Jahre – erinnert sei nur an die Zeitschrift ‚Scheidewege‘ (1971ff.) oder die Trikont-Streitschrift „Nicht nur Bäume haben Wurzeln“ (1982) – wurde die Frage der rechten Deutungshoheit noch komplexer. So spricht aus Armin Mohlers Versuch der Eingemeindung von Edgar Reitz‘ Heimat-Epos als „Film der schweigenden Mehrheit“ (in Criticón 86/1984) mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Programmatische Debatten innerhalb der politischen Rechten zur Heimat blieben auch nach der Vereinigung weiterhin die Ausnahme. Eine bemerkenswerte Wiederanknüpfung an die essentialistischen und regressiven Potentiale des Konzeptes findet sich allerdings bei dem Philosophen und Georges-Bataille-Apologeten Gerd Bergfleth, der im einschlägigen Sammelband zur „Selbstbewußten Nation“ (1994) einen „Aufstand gegen die Entortung“ propagiert und eine Rückkehr zum „antimodernen Ursprung der Heimat-Reflexion“ in der deutschen Romantik fordert, die noch keinen Gegensatz von Heimat und Welt kenne. Die urromantische Erfahrung des Heimwehs sei eine „Verlusterfahrung, die daraus entspringt, daß Heimat etwas ist, was man nicht hat, sondern was man gehabt hat“. Nach Bergfleth komme den Deutschen im Kampf gegen die Heimatlosigkeit eine auserwählte Rolle zu, da sie „als metaphysisch Heimatlose“ ein besonderes Sensorium dafür hätten, „daß die multikulturelle Gesellschaft, die viele Quasi-Heimaten nebeneinander sehen will, alle heimatlos macht“. Begründet wird die „metaphysische Unbehaustheit“ der Deutschen mit Verweis auf ein „genuin deutsches und vielleicht sogar germanisches Erbteil“. Bergfleth verhehlt dabei keineswegs, dass es sich hier um ein dezidiert gegenaufklärerisches Denken handelt und fordert sogar explizit die „Rückkehr zum geozentrischen Weltbild“. Man könnte über solche kruden antimodernen Reflexe schmunzeln, wenn Bergfleth nicht an anderer Stelle (in seinem Aufsatz „Die zynische Aufklärung“) im antisemitischen Verschwörungsduktus das „heimatlose Judentum“ für die „universal ausgerichtete Weltbürgerlichkeit“ im Allgemeinen und die bundesrepublikanische „Linkswende“ im Konkreten verantwortlich machte.

Wenn auch diese kursorische und bewusst eklektische begriffsgeschichtliche Reflexion mit dezidiertem Fokus auf die problematischen Aspekte des Heimat-Begriffes sehr einseitig ist, so sollte deutlich geworden sein, dass Heimat kein Begriff ist, der im politischen Kontext unbedarft eingeführt werden kann – vielmehr offenbart der Begriff zahlreiche Anknüpfungspunkte für antidemokratische, antiegalitäre und / oder antiliberale Traditionen des politischen Denkens.

Heimatministerium – ein zweifelhaftes Vorbild

Mit der politischen Instrumentalisierung des Heimat-Begriffes durch die christsoziale Begriffspolitik ist darüber hinaus auch eine problematische normative Aufladung politischer Institutionen verbunden, die formal dem Neutralitätsgebot unterliegen. Ein Konsens der Regierungskoalition über den konkreten politischen Aufgabenbereich oder über die damit verknüpfte spezifische Agenda ist nicht erkennbar – vielmehr verbirgt sich hinter dem neuen ministeriellen Label lediglich die ‚klassische‘ Förderungs- und Strukturpolitik für regionale, kommunale oder föderale Räume. Die jüngsten politischen Debatten um Gegenwart und Zukunft der Heimat haben jedoch verdeutlicht, dass mit dem Begriff mehr als bürokratische Verwaltungsmaßnahmen assoziiert werden. Eine öffentliche Diskussion der vielfältigen und teilweise konfligierenden gesellschaftlichen Erwartungen, die mit dem Begriff der Heimat verknüpft werden, sollte daher nun mindestens vom BMI angestoßen werden.

Noch problematischer als die programmatische Inhaltsleere des Heimatministeriums ist jedoch der zweifelhafte Vorbildcharakter dieser Benennungspraxis, welche in Zukunft innerhalb und außerhalb des Landes Schule machen könnte. Ein Ministerium für Gerechtigkeit und Solidarität wäre ebenso wie ein Ministerium für Heimat, Volk und Identität lediglich ein weiterer krasser Ausdruck der normativen Überfrachtung politischer Institutionen, wie sie jetzt bereits angestoßen wurde. Der Weg wäre dann nicht mehr allzu weit bis zur dystopischen Idee eines Ministry of Peace, Ministry of Plenty, Ministry of Truth und Ministry of Love, wie es George Orwell in seinem Roman „1984“ entworfen hat.

Fazit

Heimat ist ein komplexer und normativ aufgeladener Begriff, dessen politische Adaption eine Sensibilität für dessen völkische, essentialistische oder homogenisierende Dimensionen verlangt. Wohlgemerkt: Die rechte Begriffspolitik der Heimat diskreditiert den Begriff nicht grundsätzlich für politische Zwecke – allerdings kann eine (partei-)politische Instrumentalisierung des Begriffes nur im bewussten und kritischen Zugang zu diesen Traditionen erfolgen. Diese Sensibilität im Umgang mit dem dunklen Erbe des Begriffes ist von den gegenwärtigen Akteuren jedoch kaum mehr zu erwarten – die Heimat ist somit derzeit im Ministerium des Innern nicht zuhause.

Tobias Adler-Bartels ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie & Ideengeschichte der Georg-August-Universität Göttingen. Er forscht im Bereich der vergleichenden Ideologieforschung und promoviert zu  Sprache und Ideologie des zeitgenössischen konservativen politischen Denkens in der Bundesrepublik Deutschland.


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