theorieblog.de | Transparenz zwischen Gefahr und Versprechen – ein Tagungsbericht aus Berlin

20. September 2018, Watzinger

‚Transparenz‘ ist ein populäres Schlagwort in Öffentlichkeit und Politik, aber auch in der Wissenschaft. Vom 12.-14.6.2018 luden daher die Volkswagen-Stiftung und das Institut für Soziale Bewegungen der Ruhr Universität Bochum zur interdisziplinären und internationalen ‘Herrenhausen Conference Transparency and society – between promise and peril‘ ein.

Insgesamt sechs Sessions näherten sich dem Transparenzbegriff aus interdisziplinären Perspektiven und beschäftigten sich mit ideengeschichtlichen Überlegungen, mit den Herausforderungen durch die Digitalisierung sowie mit den Auswirkungen, die eine transparente Gesellschaft für Individuum und Gesellschaft hat. In sogenannten Lightning Talks stellten NachwuchswissenschaftlerInnen ihre Projekte vor, die dann in den Kaffeepausen weiter diskutiert wurden. Ein dichtes und vielseitiges Programm machte deutlich, dass Transparenz ein äußerst vielschichtiges Konzept ist und dem Begriff eine große normative Ambivalenz innewohnt. 

Die Wurzeln von ‚Transparenz‘

Nach den Wurzeln des Transparenzbegriffs suchte die Politologin Sandrine Baume und  entwickelte als Vorläuferbegriff die „publicité“, die in der politischen Theorie der Aufklärung zum Schlüsselbegriff politischer Freiheit wurde. Baume zeigte anhand der Denker Jeremy Bentham, Benjamin Constant, Immanuel Kant und Jean-Jacques Rousseau den Zusammenhang von ‚Publizität‘ und Transparenz auf und machte deutlich, dass beide Konzepte miteinander verschmolzen sind – manche sprechen gar synonym von „publicity“ und „transparency“. Beiden Konzepten geht es um den – intellektuellen wie formalen –  Zugang zu Politik und Institutionen, außerdem haben beide eine moralische Dimension. Für Bentham dient die Sichtbarkeit und Möglichkeit der Kontrolle im Panopticon der moralischen Besserung der InsassInnen; Kant sieht in der Publizität den Mechanismus zur Verbindung von Politik und Moral und letztlich für einen demokratischen Frieden. Für Rousseau ist das transparente Herz ein Beweis für Güte und Wohlwollen. So entspringt also das heutige Sprechen von ‚Transparenz“ alten philosophischen Idee mit unterschiedlichen Fokussen, wodurch auch dem heutigen Transparenzbegriff Ambivalenzen innewohnen.

 

Institutionen, Transparenz und Vertrauen – ein problematisches Trigon

Die hochambivalente Beziehung von Transparenz und Vertrauen wird interdisziplinär intensiv beforscht. Martin Hartmann hielt einen tiefgehenden philosophischen Vortrag zur Verbindung von Transparenz und Vertrauen, wobei er beide Begriffe aus der Literatur herleitete und sich maßgeblich auf die Transparenz-Skepsis von Onora O´Neills „A question of trust“ stützte. Transparenz reduziere das Vertrauen in Institutionen oder Personen, da die Fähigkeit, sich als vertrauenswürdig zu erweisen, zugunsten einer nur scheinbaren Messbarkeit verschwinde. Dabei seien Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit selbst Voraussetzungen für Transparenz – nicht andersherum. Im Gegensatz dazu sieht der Kommunikationswissenschaftler Günther Bentele einen positiven Zusammenhang zwischen Transparenz und Vertrauen in Bezug auf Organisationen. Vincent August schließlich konzeptualisierte Transparenz als Mechanismus, durch den zwar Vertrauen geschaffen werden solle, was aber misslänge. Statt Bürgervertrauen und -partizipation zu stärken, schaffe die Implementierung von Transparenznormen eher Misstrauen und Unsicherheit. Aus dem Versprechen einer Stärkung der Bürgerpartizipation durch Transparenz werde eine verstärkte Expertenpartizipation.

An diese Problematik anschließend zeigte auch Padideh Ala´i, wo die Grenzen von Transparenzforderungen besonders deutlich werden, nämlich wenn man auf den Kontext internationaler Institutionen blickt: Seit den 1990er Jahren werde bei großen internationalen Institutionen wie der OECD und der WTO der Kampf gegen Korruption vorangetrieben. Transparency sei zum Synonym und zur Bezeichnung für ‚good goverance‘ geworden, und ganze Organisationen seien nur mit ihrer Herstellung beschäftigt – wobei aber nicht immer mehr Offenheit geschaffen werde, was der Ökonom Jens Forssbaeck kritisierte. Die institutionelle Dimension von Transparenz war auch Kernthema der Vorträge von David Heald und Christopher Hood: so ist die Wirkrichtung von Transparenz als policy-measure differenziert zu betrachten. Gerade im Bereich des New Public Management und der Reformierung der Verwaltungen spiele Transparenz eine große Rolle, sowohl als Ziel- als auch als Umsetzungsmechanismus.

Durch Transparenzmaßnahmen wie Freedom-of-information-Gesetze werde die Demokratie allerdings nicht automatisch gestärkt, sondern zu viel Transparenz innerhalb des parlamentarischen Systems könne ihr sogar schaden, bemerkte Elisabeth Spiecker gen. Döhmann. Die Zukunft der Politik in einer ‚transparenten Gesellschaft‘ skizzierte Mark Fenster mit Blick in die USA: die Akzeptanz des Komplexen schwinde und es bleibe wenig Raum für kritische Beurteilungen und Zwischentöne. Dies helfe PopulistInnen.

 

Privatheit und Transparenz als gegensätzliche Konzepte?

Auch die Verflechtung von Transparenz und die Gefährdung der Privatsphäre kam mehrmals zur Sprache. Emmanuel Alloa und Vincent Kaufmann dachten über das Verhältnis von Transparenz und Privatheit nach, wobei es mehr brauche als eine bloße Gegenüberstellung der Begriffe. Alloa hob daher das Konzept der civil inattention nach Erving Goffman hervor, um Nähe und Distanz gesellschaftlich auszuhandeln. In höflicher Nichtbeachtung respektieren Individuen die Privatsphäre der Anderen in Räumen körperlicher Nähe. Zu Irritationen kommt es, wenn jemand die Privatheit des anderen stört. Wie verhält man sich zum Beispiel auf einer Toilette, bei der die Kabinen durch transparente Glastüren getrennt sind? Ein solches Kunst-Projekt zeigte Nils Zurawski von der Anonymity Research Group und grenzte so „anonym“ von „privat“ ab. Entscheidend sei, wer gegenüber wem anonym sei und ob bzw. welche Machtverhältnisse aus der Anonymität erwüchsen. Den Blick auf die bildenden Künste und Kulturinstitutionen richtete auch Ewa Grigar. Im Zentrum ihrer Forschung steht Tschechien, wo die sichtbare Kontrolle des kommunistischen Regimes von einem unsichtbaren Kapitalismus abgelöst wurde. Dieser neuartige Verlust der Privatsphäre werde zivilgesellschaftlich jedoch kaum thematisiert. Einzig in der Kunst fänden Dialog und Reflexion statt.

 

Transparenz durch Digitalisierung – weltweit

Eine Reflexion der Rolle der Medien bei der Herstellung von politischer Transparenz findet weltweit statt – daher wurde der oftmals doch recht europäisch/USA-zentrierte Fokus erweitert, als u.a. Rogério Christofoletti aus Brasilien, Herman Wasserman aus Südafrika und Eric Chinje von der African Media Initiative auf spezifische Problematiken dort eingingen, da Journalismus und Aktivismus teilweise eng beieinander lägen.

Mit den technischen Implikationen von Transparenz beschäftigte sich z.B. Burcu Baykurt, die anhand von smart cities aufzeigte, wie sich soziale Ungleichheit verstärkt. Loup Cellard fragte nach der Transparenz digitaler Benutzeroberflächen und den der IT-Technik zugrundeliegenden Transparenz-Idealen. Transparenz führe eher zu Intransparenz als zu Transparenz und liege damit quer zu ihrem eigenen Anspruch. Stefan Hornbostel zeigte den Aufstieg des Transparenzcredos und die mitunter problematischen Auswirkungen anhand des Wissenschaftsbetriebs selbst. Die Veränderungen hin zu open access und blind peer review-Verfahren schaffen demnach zwar den Anspruch auf Wahrheit und Richtigkeit, lösen diesen jedoch nicht ein. Vor der Herrschaft der Daten und dem damit verbundenen Machtzuwachs der Tech-Konzerne durch deren immer vollständigere Datensammlung warnte Siva Vaidhyanathan: Die Welt werde zunehmend zum Crypticon, also einem Ort, an dem digitale Überwachung ubiquitär sei. Und zwar nicht aus einer einzigen Richtung, von Seiten der Staatsgewalt, wie im Panopticon, sondern aus vielen Quellen. Die Verbindung vieler Datenspuren zu Big Data mache unser Verhalten steuerbar. Anders als im Panopticon verhielten wir uns jedoch naiv und handelten so, als sei uns unsere Überwachung gar nicht bewusst. Das höchste Ziel unserer Tage scheine Bequemlichkeit zu sein und nicht mehr Freiheit.

 

More perils than promises?!

Abschließend konstatierten Sabrina Zajak und Stefan Berger, dass es deutlich mehr Beiträge und Debatten über die Gefahren von Transparenz gegeben habe als über Chancen. Es bleibt also einerseits zu überlegen, ob ein solcher, pessimistischer Blick gerechtfertigt ist oder sich die Wissenschaft mehr den positiven Aspekten von Transparenz und Digitalisierung widmen sollte. Andererseits sind wissenschaftliche Analysen gerade dazu da, über die momentane Faszination hinauszublicken und langfristige und grundlegende Entwicklungen zu benennen. Als zentrale Erkenntnis bleibt zudem, dass das Nachdenken über Transparenz nicht zu einfachen Lösungen führen kann und selbst einige Widersprüche birgt. Transparenz scheint die Antwort auf einen Vertrauensverlust zu sein und auf den Rechtfertigungsdruck, der diesem Vertrauensverlust entspringt. So stellt die Frage nach mehr oder weniger Transparenz letzten Endes die Frage nach einer Rückgewinnung von Vertrauen.

 

Lea Watzinger ist Doktorandin am Graduiertenkolleg Privatheit und Digitalisierung an der Universität Passau. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit Transparenz als Herausforderung für Demokratie und Privatheit.


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