Transparenz zwischen Gefahr und Versprechen – ein Tagungsbericht aus Berlin

‚Transparenz‘ ist ein populäres Schlagwort in Öffentlichkeit und Politik, aber auch in der Wissenschaft. Vom 12.-14.6.2018 luden daher die Volkswagen-Stiftung und das Institut für Soziale Bewegungen der Ruhr Universität Bochum zur interdisziplinären und internationalen ‘Herrenhausen Conference Transparency and society – between promise and peril‘ ein.

Insgesamt sechs Sessions näherten sich dem Transparenzbegriff aus interdisziplinären Perspektiven und beschäftigten sich mit ideengeschichtlichen Überlegungen, mit den Herausforderungen durch die Digitalisierung sowie mit den Auswirkungen, die eine transparente Gesellschaft für Individuum und Gesellschaft hat. In sogenannten Lightning Talks stellten NachwuchswissenschaftlerInnen ihre Projekte vor, die dann in den Kaffeepausen weiter diskutiert wurden. Ein dichtes und vielseitiges Programm machte deutlich, dass Transparenz ein äußerst vielschichtiges Konzept ist und dem Begriff eine große normative Ambivalenz innewohnt. 

Die Wurzeln von ‚Transparenz‘

Nach den Wurzeln des Transparenzbegriffs suchte die Politologin Sandrine Baume und  entwickelte als Vorläuferbegriff die „publicité“, die in der politischen Theorie der Aufklärung zum Schlüsselbegriff politischer Freiheit wurde. Baume zeigte anhand der Denker Jeremy Bentham, Benjamin Constant, Immanuel Kant und Jean-Jacques Rousseau den Zusammenhang von ‚Publizität‘ und Transparenz auf und machte deutlich, dass beide Konzepte miteinander verschmolzen sind – manche sprechen gar synonym von „publicity“ und „transparency“. Beiden Konzepten geht es um den – intellektuellen wie formalen –  Zugang zu Politik und Institutionen, außerdem haben beide eine moralische Dimension. Für Bentham dient die Sichtbarkeit und Möglichkeit der Kontrolle im Panopticon der moralischen Besserung der InsassInnen; Kant sieht in der Publizität den Mechanismus zur Verbindung von Politik und Moral und letztlich für einen demokratischen Frieden. Für Rousseau ist das transparente Herz ein Beweis für Güte und Wohlwollen. So entspringt also das heutige Sprechen von ‚Transparenz“ alten philosophischen Idee mit unterschiedlichen Fokussen, wodurch auch dem heutigen Transparenzbegriff Ambivalenzen innewohnen.

 

Institutionen, Transparenz und Vertrauen – ein problematisches Trigon

Die hochambivalente Beziehung von Transparenz und Vertrauen wird interdisziplinär intensiv beforscht. Martin Hartmann hielt einen tiefgehenden philosophischen Vortrag zur Verbindung von Transparenz und Vertrauen, wobei er beide Begriffe aus der Literatur herleitete und sich maßgeblich auf die Transparenz-Skepsis von Onora O´Neills „A question of trust“ stützte. Transparenz reduziere das Vertrauen in Institutionen oder Personen, da die Fähigkeit, sich als vertrauenswürdig zu erweisen, zugunsten einer nur scheinbaren Messbarkeit verschwinde. Dabei seien Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit selbst Voraussetzungen für Transparenz – nicht andersherum. Im Gegensatz dazu sieht der Kommunikationswissenschaftler Günther Bentele einen positiven Zusammenhang zwischen Transparenz und Vertrauen in Bezug auf Organisationen. Vincent August schließlich konzeptualisierte Transparenz als Mechanismus, durch den zwar Vertrauen geschaffen werden solle, was aber misslänge. Statt Bürgervertrauen und -partizipation zu stärken, schaffe die Implementierung von Transparenznormen eher Misstrauen und Unsicherheit. Aus dem Versprechen einer Stärkung der Bürgerpartizipation durch Transparenz werde eine verstärkte Expertenpartizipation.

An diese Problematik anschließend zeigte auch Padideh Ala´i, wo die Grenzen von Transparenzforderungen besonders deutlich werden, nämlich wenn man auf den Kontext internationaler Institutionen blickt: Seit den 1990er Jahren werde bei großen internationalen Institutionen wie der OECD und der WTO der Kampf gegen Korruption vorangetrieben. Transparency sei zum Synonym und zur Bezeichnung für ‚good goverance‘ geworden, und ganze Organisationen seien nur mit ihrer Herstellung beschäftigt – wobei aber nicht immer mehr Offenheit geschaffen werde, was der Ökonom Jens Forssbaeck kritisierte. Die institutionelle Dimension von Transparenz war auch Kernthema der Vorträge von David Heald und Christopher Hood: so ist die Wirkrichtung von Transparenz als policy-measure differenziert zu betrachten. Gerade im Bereich des New Public Management und der Reformierung der Verwaltungen spiele Transparenz eine große Rolle, sowohl als Ziel- als auch als Umsetzungsmechanismus.

Durch Transparenzmaßnahmen wie Freedom-of-information-Gesetze werde die Demokratie allerdings nicht automatisch gestärkt, sondern zu viel Transparenz innerhalb des parlamentarischen Systems könne ihr sogar schaden, bemerkte Elisabeth Spiecker gen. Döhmann. Die Zukunft der Politik in einer ‚transparenten Gesellschaft‘ skizzierte Mark Fenster mit Blick in die USA: die Akzeptanz des Komplexen schwinde und es bleibe wenig Raum für kritische Beurteilungen und Zwischentöne. Dies helfe PopulistInnen.

 

Privatheit und Transparenz als gegensätzliche Konzepte?

Auch die Verflechtung von Transparenz und die Gefährdung der Privatsphäre kam mehrmals zur Sprache. Emmanuel Alloa und Vincent Kaufmann dachten über das Verhältnis von Transparenz und Privatheit nach, wobei es mehr brauche als eine bloße Gegenüberstellung der Begriffe. Alloa hob daher das Konzept der civil inattention nach Erving Goffman hervor, um Nähe und Distanz gesellschaftlich auszuhandeln. In höflicher Nichtbeachtung respektieren Individuen die Privatsphäre der Anderen in Räumen körperlicher Nähe. Zu Irritationen kommt es, wenn jemand die Privatheit des anderen stört. Wie verhält man sich zum Beispiel auf einer Toilette, bei der die Kabinen durch transparente Glastüren getrennt sind? Ein solches Kunst-Projekt zeigte Nils Zurawski von der Anonymity Research Group und grenzte so „anonym“ von „privat“ ab. Entscheidend sei, wer gegenüber wem anonym sei und ob bzw. welche Machtverhältnisse aus der Anonymität erwüchsen. Den Blick auf die bildenden Künste und Kulturinstitutionen richtete auch Ewa Grigar. Im Zentrum ihrer Forschung steht Tschechien, wo die sichtbare Kontrolle des kommunistischen Regimes von einem unsichtbaren Kapitalismus abgelöst wurde. Dieser neuartige Verlust der Privatsphäre werde zivilgesellschaftlich jedoch kaum thematisiert. Einzig in der Kunst fänden Dialog und Reflexion statt.

 

Transparenz durch Digitalisierung – weltweit

Eine Reflexion der Rolle der Medien bei der Herstellung von politischer Transparenz findet weltweit statt – daher wurde der oftmals doch recht europäisch/USA-zentrierte Fokus erweitert, als u.a. Rogério Christofoletti aus Brasilien, Herman Wasserman aus Südafrika und Eric Chinje von der African Media Initiative auf spezifische Problematiken dort eingingen, da Journalismus und Aktivismus teilweise eng beieinander lägen.

Mit den technischen Implikationen von Transparenz beschäftigte sich z.B. Burcu Baykurt, die anhand von smart cities aufzeigte, wie sich soziale Ungleichheit verstärkt. Loup Cellard fragte nach der Transparenz digitaler Benutzeroberflächen und den der IT-Technik zugrundeliegenden Transparenz-Idealen. Transparenz führe eher zu Intransparenz als zu Transparenz und liege damit quer zu ihrem eigenen Anspruch. Stefan Hornbostel zeigte den Aufstieg des Transparenzcredos und die mitunter problematischen Auswirkungen anhand des Wissenschaftsbetriebs selbst. Die Veränderungen hin zu open access und blind peer review-Verfahren schaffen demnach zwar den Anspruch auf Wahrheit und Richtigkeit, lösen diesen jedoch nicht ein. Vor der Herrschaft der Daten und dem damit verbundenen Machtzuwachs der Tech-Konzerne durch deren immer vollständigere Datensammlung warnte Siva Vaidhyanathan: Die Welt werde zunehmend zum Crypticon, also einem Ort, an dem digitale Überwachung ubiquitär sei. Und zwar nicht aus einer einzigen Richtung, von Seiten der Staatsgewalt, wie im Panopticon, sondern aus vielen Quellen. Die Verbindung vieler Datenspuren zu Big Data mache unser Verhalten steuerbar. Anders als im Panopticon verhielten wir uns jedoch naiv und handelten so, als sei uns unsere Überwachung gar nicht bewusst. Das höchste Ziel unserer Tage scheine Bequemlichkeit zu sein und nicht mehr Freiheit.

 

More perils than promises?!

Abschließend konstatierten Sabrina Zajak und Stefan Berger, dass es deutlich mehr Beiträge und Debatten über die Gefahren von Transparenz gegeben habe als über Chancen. Es bleibt also einerseits zu überlegen, ob ein solcher, pessimistischer Blick gerechtfertigt ist oder sich die Wissenschaft mehr den positiven Aspekten von Transparenz und Digitalisierung widmen sollte. Andererseits sind wissenschaftliche Analysen gerade dazu da, über die momentane Faszination hinauszublicken und langfristige und grundlegende Entwicklungen zu benennen. Als zentrale Erkenntnis bleibt zudem, dass das Nachdenken über Transparenz nicht zu einfachen Lösungen führen kann und selbst einige Widersprüche birgt. Transparenz scheint die Antwort auf einen Vertrauensverlust zu sein und auf den Rechtfertigungsdruck, der diesem Vertrauensverlust entspringt. So stellt die Frage nach mehr oder weniger Transparenz letzten Endes die Frage nach einer Rückgewinnung von Vertrauen.

 

Lea Watzinger ist Doktorandin am Graduiertenkolleg Privatheit und Digitalisierung an der Universität Passau. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit Transparenz als Herausforderung für Demokratie und Privatheit.

Ein Kommentar zu “Transparenz zwischen Gefahr und Versprechen – ein Tagungsbericht aus Berlin

  1. Transparenz/Durchsichtigkeit hat eben einen Doppelcharakter:

    Einerseits bezeichnet sie die Möglichkeit der Wahrnehmung VON – oder gar auch Ein-, Aus- u./o. Wechsel-Wirkung/Interaktion MIT – etwas Originalem, „Echtem“, Ursprünglichem, Wahrem, Unverstelltem, Unverhülltem usw., andererseits bezeichnet sie das genaue Gegenteil, das „so tun als ob“ eine direkte Perzeptions- oder Interferenzmöglichkeit gegeben wäre.

    In der IT z. B. herrscht fast ausschließlich der zweite Gebrauch vor:
    Techniken u. Produkte werden damit beworben, „volltransparent“ für den User, für die IT-Administration,
    für andere Rechner, für die andere Protokoll- oder Treiberschichten usw. zu sein. Ein User muß/kann damit von Änderungen der Benutzerschnittstelle verschont bleiben, und glauben, er arbeite weiter auf/mit einem „bestimmten“, ihm bekannten System, Anwendung oder Komponente obgleich das entsprechende „Innenleben“ längst ausgetauscht oder stark verändert/erweitert wurde. Oder eine HTTP-basierte Anwendung, z. B. ein Browser, muß sich nicht darum scheren, welche physik. Verfahren der Transportschichten auf welchen Übermittlungstrecken benutzt werden. Noch „teiltransparent“ zu HTTP ist dessen nächstuntere Nachbar-Protokollschicht TCP/IP bzw. UDP, da die HTTP-Anwendung bzgl. der IP-Adressen und -Ports der IP-Schicht mitarbeiten können soll, nämlich für Server/Hosts ohne Domain-Namen, die nur unter ihrer IPA & ggfls. Port-Nummer bekannt/ansprechbar sind bzw. auch ohne genannten Domainnamen auf HTTP-Anfragen antworten können/wollen. Somit ist weniger als ca. 1% der IP-Schicht vom HTTP aus beeinflussbar.

    Die Transparenzkritik schließt – nicht ganz zu Unrecht – an diese semantische Doppelbödigkeit der Durchsichtigkeit an, so z. B. Sloterdijk: Wo ALLES ‚transparent‘ sei, könne man auch NICHTS mehr erkennen.
    Nur folgt daraus eben nicht die Abwehr von T., was letztlich nur auf das Beibehalten gewohnter Sicht-Schichten hinausliefe, sondern die Dynamisierung der Fokussierungen auf n-te Sicht- u. Interaktionsschichten ist gefordert, ist die Möglichkeit/Fähigkeit gewünscht, Schichten mal auf „gläsern“ zu stellen, mal auf „opak“.
    Im Grunde ist das nichts Neues, nicht nur Epistemiker, Perzeptiologen und Optiker kennen das „dahinter“ und „davor“ seit über 2000 Jahren, – und die „bildgebenden Verfahren“, die „das Selbe“ in je unterschiedlicher Weise und Schichtebene darstellen, sind inzw. Legion geworden.

    Allerdings hält die episteme Auflösbarkeit der semantischen Verhältnisse der Menschen, also Verwaltung, Politik, Kultur, Wissenschaften, Gruppen, Wirtschaft, Geld usw., mit der wachsenden Auflösbarkeit chemischer u. physikalischer Phänomene/Körper kaum Schritt.
    In beiden Sphären ist die episteme ARBEIT dadurch a) oft erst möglich, b) deutlich leichter, sicherer, zutreffender, aber c) eben auch sehr viel MEHR geworden: mind. um den Faktor „n“ der n-Schichten, die zu denen hinzugetreten sind, die mit dem „bloßen Auge“ seit je schon erkennbar waren.
    Und die „semantischen Verhältnisse“ sind in sich schon extrem wichtig – ein Wort kann jemanden vernichten ohne auf seine materiellen Verhältnisse direkt oder indirekt überhaupt einzuwirken usw. -, aber die mat. Verhältnisse hängen eben individuell und kollektiv von den semantischen ab. (Umgekehrt zwar auch, vergl. den Basis-Überbau-Materialismus, der das Marxsche Diktum: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein!“ in Relation zu seinen Aussage-Absichten vermutlich unzulässig deutet, aber …) .

    Rechnet man z. B. nur die zunehmende Regulationsdichte je Regulationsgegenstand, – man vergleiche die Normen-Menge für WCs von 1850 mit der von heute, oder hinsichtlich der Bankgeschäfte, Steuern, für Autos von 1910 zu heute usw., und berücksichtigt noch die explodierende Zahl von ständig neuen Regulationsgegenständen so mag ein Aufwand für die episteme Durchdringung menschl. Selbstverhältnisse entstehen, der für die klassischen Steuerungstrukturen/Regierungsformen der dreigeteilten staatl. Gewalten, der Repräsentanz (als Prinzip hoher Verdichtung einer Gesellschaft in einem Entscheidungsgremium), für Parlamentarismus, Wahlen & Abstimmungen usw. genauso zu hoch wie für Formen direkter Demokratie, expertiser Beratung von Entscheidungsträgern und anderer Komplemente zum klass. Regieren/Regiertwerden sein könnte. Paulskirchler, Reichstage usw. hatten 2-3 unterschiedliche, normative Grundpositionen und einige Partikularinteressen auf relativ wenige und im Praktischen noch ziemlich einfach strukturierte Entscheidungsgegenstände anzuwenden bzw. in diese einzubringen.

    Wo aber (infolge der Überforderung hins. notwendiger Steuerung,Regulierung) zumindest tlw. Chaos bzw. Leere herrscht, dort schlägt die Stunde der selbsternannten/-gemachten Mächte, die diese offenen, aber für’s „gute Leben“ notwendigen Felder besetzen, was ganz eminent heute durch einziehen neuer Schichten in die Verhältnisse geschieht.
    ——

    Die Aufsicht auf die Maaßen-Sache mit dem Polarisationsfilter der Transparent-Opak-Dialektik ergibt zunächst, dass Maaßen als VS-Chef seit 2012 zwar einen vergleichsweise engen, aber einmalig vielschichtig-tiefen Ausschnitt unserer Gesellschaft kennengelernt hat, – bis in die Unterwäsche wichtiger Protagonisten.
    Als Surfer auf den Wellen der Macht ist Seehofer das Transparent-Opak-Schichtmodell sehr geläufig: was eben noch grün war ist bei Verstellung der Brennweite zur Verschiebung des scharfen Fokus nach vorn oder nach hinten bald blau, bald rot, schwarz, lila usw. Mit dem Halten von Maaßen unter seinen Fittichen vermeidet er einerseits die drohende Abwanderung von Erpressungs- u. Störpotentialen in die Illoyalität eines Abservierten und be-/erhält selbst Zugriff auf Schichten & Sichten, die kaum ein anderer so besitzen kann wie der Ex-VS-Chef. Mit dem „Sonderberater“ wird wieder eine neue Schicht eingezogen, – die ein chaotisch-leeres, aber notwendiges und extrem wachsendes Feld besetzt: die internationalen Angelegenheiten der Politik des Inneren.

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