Die derzeit günstige Finanzlage der Bundesrepublik lässt leicht vergessen, dass sich viele Muster der Regelfinanzierung des demokratischen Wohlfahrtsstaates längst einem Wandel ausgesetzt sehen. Die Idee des Steuer- und Sozialversicherungsstaates ist durch Finanzmarktimperative, Staatsverschuldungsspiralen und „Refeudalisierungs“-Tendenzen in gegenwärtigen Demokratien sicher nicht abgelöst, allemal aber herausgefordert worden. Insbesondere die berühmte Losung vom No taxation without representation! muss angesichts der heute zerfaserten steuerstaatlichen Souveränität und des globalen Eintritts neuer mächtiger Finanzakteure hinterfragt und für die demokratischen Gesellschaften auf der Höhe der Zeit reformuliert werden.
Vor diesem Hintergrund strebt eine vom Donnerstag, 27., bis Freitag, 28. Juni 2019 im veranstaltete Tagung an, den erheblichen Variantenreichtum in der Produktion und Bereitstellung öffentlicher Güter durch Demokratien zu vermessen. Heute realistisch über Staatsfinanzierung zu sprechen bedeutet dann einerseits, öffentliche Güter unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen begreifen zu müssen und darum das Ergänzungsverhältnis von Privateigentum, Privatwirtschaft und staatlich koordinierter Wirtschaftssphäre in den Blick zu nehmen. Andererseits aber verdienen auch Organisationsweisen besondere Beachtung, die von Crowdfunding über Lokalwährungen bis zu kommunaler Wohnraumbewirtschaftung bürgergesellschaftlich gegen Verwertungsimperative aufbegehren und beispielsweise in der Tradition der Genossenschaftsidee versuchen, bestimmte Güter außerhalb des privaten Marktes bereit zu stellen, ohne sie restlos in öffentliche Hände zu überführen.
So soll die Tagung, Besonderheiten und Vielfalt der Finanzierung von Demokratien sowie der Bereitstellung öffentlicher Güter in Demokratien zu erkunden – einschließlich der Thematisierung etwaiger Überforderungen fiskalischer Selbstregierung, ihrer Herausforderungen, Irrwege und Alternativen. Da dabei auch die Spezifik bundesdeutscher sowie demokratischer Finanzstaatlichkeit herausgearbeitet werden sollen, sind vergleichende Beiträge sowie Fallbeispiele zu anderen Ländern erwünscht. Im Zentrum der Beiträge sollten stets Zusammenhänge zwischen Demokratie/Repräsentation, staatlicher Finanzpolitik und weiteren öffentlichen Güterbereitstellungen stehen. Interessant ist auch das Spannungsfeld zwischen der Komplexität von Steuersystemen, Finanzausgleichsmechanismen und öffentlichen Verschuldungen am Kapitalmarkt einerseits und der demokratischen Kontrollkompetenz durch Abgeordnete, Bürgerinnen und Bürger. Hier scheint eine vielerorts gewachsene Frustration über zu geringen bürgerschaftlichen Einfluss auf kommunale bis staatliche Finanzierungsentscheidungen einerseits mit finanzsystemisch tatsächlich enormer Unübersichtlichkeit andererseits einherzugehen, die der weiteren Diskussion bedarf.
Die zweitägige Fachtagung richtet sich an wissenschaftlich, kommunal- bis bundes- und europapolitisch, finanz- und verwaltungspraktisch sowie ehrenamtlich oder interessengruppenspezifisch mit dem demokratischen Spannungsfeld öffentlicher Finanzen beschäftigte Menschen sowie eine interessierte Fachöffentlichkeit. Die Tagung ist betont transdisziplinär ausgerichtet, so dass Beiträge aus unterschiedlichsten Wissenschaften ebenso willkommen sind wie aktuelle Analysen, praxisnahe Einblicke, Reformerfahrungen und -wünsche.
Veranstaltungsorganisation
Marc Buggeln, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften
Sebastian Huhnholz, Leibniz Universität Hannover, Institut für Politische Wissenschaft
Tobias Robischon, Schader-Stiftung
Christian Waldhoff, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät
Veranstaltungsort
Schader-Forum, Goethestraße 2, 64285 Darmstadt
Vorschläge für Beiträge (Vorträge, Gesprächs-, Themenkreise) richten Sie im Umfang von nicht mehr als einer Seite zuzüglich einigen Angaben zu Ihrer Person/Tätigkeit/Organisation bitte bis 15. Juni 2018 an Sebastian Huhnholz (s.huhnholz@ipw.uni-hannover.de).
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