— Teil 3 unseres Buchforums zu Emanuel Richters „Demokratischer Symbolismus“. Teil 1 gestalteten Luzia Sievi und Marcel Vondermaßen, den zweiten Teil 2 lieferte Anna Meine. Eine Gesamtreplik des Autors folgt in Kürze.
Was ist Demokratie? Diese alte Frage diskutiert und beantwortet Emanuel Richter im Modus einer hermeneutischen Suchbewegung. „Vorhandene[] Erscheinungsformen der Demokratie in der Praxis wie auch in der Modelltheorie“, von Richter Demokratie „erster Ordnung“ genannt, werden auf eine „allgemeine Funktionsbestimmung“ hin re-interpretiert (22). Richter bringt die hermeneutische Suchbewegung und das Ergebnis dieser Demokratietheorie „zweiter Ordnung“ (22) – den „Sinn der Demokratie“ (68) – auf den Begriff „demokratischer Symbolismus“ (23). Er steht damit in der Tradition einer politischen Hermeneutik, die auf die Trias von Verstehen, Erfahrung und Demokratie abstellt.
Aus der spannungsvollen Verknüpfung „von Allgemeinem und Besonderem, von Theorie und Praxis, von Erkenntnis und Interpretation“ (224) gewinnt Richter ein interventionistisches Verständnis von Demokratie. Demokratische Performanz erweist sich demnach „nicht in der Legitimation einer auf effektives Regieren gerichteten Systemordnung“ (224), sondern in der Verwirklichung einer kritischen Praxis öffentlich-politischer Partizipation der Bürger_Innen. Auf ihren „Symbolgehalt“ (22) reduziert wird Demokratie zum „Medium der Entfaltung von gleichrangiger Intersubjektivität in der Politik“ (125).
Der „demokratische Symbolismus“ formuliert eine sehr grundsätzliche Kritik der liberalen Theorie und Praxis demokratischer Elitenherrschaft, geht aber auch auf Distanz zur epistemischen Demokratietheorie. In dieser doppelten Gegnerschaft schließt Richter an republikanische wie radikaldemokratische Ansätze an (86f.). Darin besteht das Originelle seiner demokratietheoretischen Suchbewegung und zugleich das Wagnis des „demokratischen Symbolismus“. Denn wiewohl Republikanismus und radikale Demokratietheorie in krisendiagnostischer wie liberalismuskritischer Hinsicht zweifellos große Übereinstimmungen aufweisen, so unterscheiden sie sich nicht nur in ihrem methodischen Profil (was in den beiden vorangegangenen Beiträgen zum Buchforum bereits diskutiert wurde). Sie unterscheiden sich außerdem auch in der Analyse des diagnostizierten Demokratiedefizits liberaldemokratischer Ordnungen und in den Reaktions- und Reformvorschlägen. Hier schließen sich zwei Nachfragen an: Wie verhält sich der „demokratische Symbolismus“ zu der demokratietheoretisch umstrittenen Norm politischer Stabilität? Und auf welchen Machtbegriff stützt sich diese Demokratietheorie „zweiter Ordnung“?
Republikanische Ordnung und politische Stabilität
Der „demokratische Symbolismus“ ist eine herrschaftskritische Demokratietheorie. Diese herrschaftskritische Haltung verbindet sich mit einem Verständnis demokratischer Handlungsmacht als „kollektive Ermächtigung der Bürgerschaft zum Handeln in der politischen Sphäre“ (59). Demokratie wird zu einer gegen verkrustete Herrschafts- und Abhängigkeitsstrukturen aufbegehrenden Protestbewegung, die auf die Destabilisierung „jeglicher Art von fixierter Ordnung“ abstellt (59). Richter schließt hier an die radikale Demokratietheorie an, die Demokratie als Unterbrechung, Störung, Intervention versteht und damit das Fragile, das Unabgeschlossene, das Widerständige des Politischen betont.
Mit diesem radikaldemokratischen Politikverständnis ist ein antiinstitutionalistischer Affekt verbunden, den republikanische Autor_Innen nicht teilen. Nun ist der Republikanismus keineswegs eine homogene Theorietradition – was nebenbei gesagt ebenso für die radikale Demokratietheorie gilt –, aber ein Charakteristikum republikanischen Denkens ist die Sorge um den Bestand der politischen Ordnung. Entsprechend setzen viele Republikaner_Innen auf die stabilisierende Funktion einer konfliktiven Institutionenordnung und auf die darüber stimulierten tugendethischen Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Über politische Institutionen, die demokratische Handlungsmacht nicht nur ermöglichen, sondern auch begrenzen, sagt der „demokratische Symbolismus“ wenig. Richter teilt offensichtlich das radikaldemokratische Ressentiment gegen das republikanische Stabilitätsdenken. Aus dem Blick gerät damit aber gerade die Nähe zwischen einem dissentiven Republikanismus, für den exemplarisch die aristotelische Machiavellistin Hannah Arendt steht, und jenen radikaldemokratischen Ansätzen, die wie Chantal Mouffe die stabilitätspolitische Norm formulieren, dass in der öffentlich-sichtbaren Austragung gesellschaftlicher Konflikte die pluralistisch und freiheitlich verfasste demokratische Ordnung auf Dauer gestellt werden kann.
Macht und Konflikt im demokratischen Symbolismus
Von Interessen- und Wertkonflikten, die innerhalb der demokratischen Bürgerschaft ausgetragen werden, ist indes bei Richter kaum die Rede. Der politische Kampf um Macht und um Deutungsmacht, der von konkurrierenden Eliten oder Avantgarden um die Folgebereitschaft der Bürgerschaft geführt wird, bleibt weitgehend außen vor. Macht wird stattdessen als eine auf Verständigung und wechselseitige Anerkennung der Bürgerinnen und Bürger als gleichrangige Interaktionspartner gründende Kooperation vorgestellt. Dieser kooperative Machtbegriff stützt die normativen Implikationen des „demokratischen Symbolismus“, marginalisiert aber die machttheoretische Perspektive auf gesellschaftliche Konflikte. Hier verlässt der auf der Schnittstelle zwischen Republikanismus und radikaler Demokratietheorie balancierende „demokratische Symbolismus“ die zitierten Referenztraditionen. Beiden Theoriebewegungen ist eine agonale Politikauffassung gemeinsam – und zwar ganz unabhängig davon, ob die „Untilgbarkeit des Antagonismus“ (Chantal Mouffe) essenzialistisch begründet wird oder schlicht aus der Partikularität politischer Ordnungen resultiert (Jacques Rancière) oder ob die grundsätzliche Konflikthaftigkeit des Politischen aus der Pluralität der Perspektiven folgt, aus denen das allen Gemeinsame betrachtet werden kann (Hannah Arendt).
Der „demokratische Symbolismus“ ist eine normative Demokratietheorie, die das emanzipative Potenzial einer gegen fixierte Ordnungen rebellierenden Demokratie ausstellt. Diese attraktive Norm wird von Richter ideengeschichtlich und politiktheoretisch klug begründet. Welches Maß an Konflikthaftigkeit demokratische Ordnungen aushalten können, ob grundsätzlich alle (soziale, kulturelle und ökonomische) Konfliktthemen Gegenstand öffentlich-politischer Auseinandersetzungen werden sollten und wann die demokratische „Störung“ etablierter Macht- und Legitimitätsstrukturen zu einer die Demokratie gefährdenden Spaltung führt, darüber sagt diese Demokratietheorie „zweiter Ordnung“ jedoch nichts. Das beabsichtigt Richter freilich auch nicht. Der „demokratische Symbolismus“ will weder eine politische Handlungsanleitung anbieten noch ein Ideal der Demokratie ausformulieren. „Der normativ wirksam werdende Prüfungskatalog des demokratischen Symbolismus erweist sich genau umgekehrt als ein Mittel zur ‚Dekonstruktion‘ jeglicher demokratischer Ideale, weil diese das Allgemeine der Demokratie restriktiv in einer Form des ‚Besonderen‘ festzuschreiben versuchen“ (158). Diese reflektierte Selbstbegrenzung lässt die Leserin trotz des Zugewinns an methodologischer Sensibilität für Möglichkeiten und Grenzen einer performativen Theorie des Politischen am Ende etwas ratlos zurück.
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