CfP: Mobilisierung von Recht in der pluralisierten Gesellschaft (Berlin)

Am 19. und 20. Mai findet in der Evanglischen Hochschule Berlin ein disziplinenübergreifender Workshop zu Mobilisierung von Recht in der pluralisierten Gesellschaft. Es geht um Fragen des Rechtzugangs, zur aktivierende Wirkung von Rechtsnutzung und auch um Fragen von Integration und Emanzipation mit und durch Recht. Wer teilnehmen möchte, ist aufgefordert bis zum 10. Januar 2017 einen Abstract einzureichen. Alle Infos zur Veranstaltung findet ihr hier oder unter dem Strich.

 

Mobilisierung von Recht in der pluralisierten Gesellschaft (Berlin)

Workshop für Wissenschaftler_innen in der disziplinübergreifenden Rechtsforschung, 19.–20. Mai 2017, Evangelische Hochschule Berlin

Einsendeschluss für Abstracts: 10. Januar 2017

For an English translation, see below.

Recht, das zeigen sozialwissenschaftlich informierte Perspektiven seit mehr als einem Jahrhundert, ist nicht auf einen statischen Gesetzestext zu begrenzen, sondern „lebt“ und befindet sich „in action“. Seine Funktionsweise verändert sich im Wechselspiel mit gesellschaftlicher Pluralisierung und politischem Kontext. In einer sozio-kulturell, arbeitsteilig und medial ausdifferenzierten Gesellschaft kann gerade Recht mit seinem Fokus auf individuelle Positionen eine erfolgversprechende Möglichkeit der Interessenverfolgung bieten: Die Einschaltung einer Anwältin ist bisweilen effektiver als die Etablierung einer politischen Initiative.

Recht als Forum für Interessenkonflikte enthält jedoch Asymmetrien in Bezug auf Wissen und Handlungsmöglichkeiten, etwa beim Zugang zur Justiz. Die Erfolgschancen vor Gericht sind abhängig von Ressourcen: ökonomische, sozialen wie kulturellen. Gesellschaftliche Machtverhältnisse – u.a. entlang der Ungleichheitskategorien soziale Klasse, Geschlecht und ethnische Herkunft – werden ins Recht eingespeist.

Angesichts der jüngsten Asylrechtsverschärfungen könnte sich zeigen, dass Mobilisierung von Recht politisch gewollten Exklusionen nicht viel entgegensetzen kann. Auch jenseits solcher legislativ gesetzten Unterscheidungen werden gesellschaftliche Ungleichheiten oft durch das Recht perpetuiert oder verstärkt, wie u.a. die Feministische Rechtstheorie und die critical race theory gezeigt haben. Eine materialistische Kritik an subjektiven Rechten gibt diesen gerade die Verantwortung für das Schwinden von kollektiver politischer Handlungsfähigkeit, da sie lediglich auf individuelle Lösungen zielen.

Recht kann aber auch kollektive Interessenverfolgung ermöglichen, wie z.B. bei Verbandsklagen im Umweltrecht, bei der gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung im Arbeitsrecht oder ganz klassisch über die Figur der juristischen Person. Die Einbindung in einen kollektiven Zusammenhang kann dann auch für die Durchsetzung individueller Interessen bedeutend sein.

Zahlreiche aktuelle gesellschaftliche Konflikte, die im Recht ausgetragen werden, werfen Fragen zum Wechselspiel von Recht, Mobilisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung auf. Exemplarisch genannt seien folgende Fragen:

  • Unter welchen Bedingungen funktionieren strategische Prozessführungen, z.B. Verfassungsbeschwerden gegen Sicherheitsgesetze, den Atomausstieg oder für Rechte von Trans*Menschen?
  • Welche Art von Akteuren formiert sich durch neue Rechtsmobilisierungen und wie ändert sich die Dynamik der Rechtsdurchsetzung, nicht nur in gerichtlichen Verfahren, sondern etwa durch mediale Skandalisierung von Rechtsbrüchen im Antidiskriminierungsrecht oder im internationalen Wirtschaftsrecht?
  • Wie wird Strafrecht – etwa durch die Nebenkläger_innen im NSU-Prozess – als Instrument gesellschaftlicher Aufklärung oder politischer „Anklage“ eingesetzt?
    Welche Perspektiven der Mobilisierung (und: für wen) eröffnet die transnationale Rechtsverfolgung vor europäischen und internationalen Gerichten?
  • Wie wirken sich alternative Rechtsdurchsetzungsmechanismen, z.B. durch internationale Schiedsgerichte, auf transnationale ökonomische Verflechtungen und Ungleichheiten aus?
  • Welchen Erfolg verspricht die Verfolgung von religiösen Rechten, z.B. in den fortwährenden Auseinandersetzungen um das Kopftuch oder das Kreuz in der Schule?
  • Welche Dynamiken und Barrieren stehen hinter der „Prozessflut“ (oder ausbleibenden Rechtsdurchsetzung) im Sozial- und Grundsicherungsrecht?
  • Welche Bedeutung hat die Mobilisierung von Recht(en) in der Migrationsgesellschaft – sowohl im Sinne der Verteidigung von Pluralität als auch im Kampf gegen diese, wenn sich z.B. Nachbarschaften mit rechtlichen Mitteln gegen den Bau von Moscheen oder Flüchtlingsunterkünften zur Wehr setzen?

Wir laden dazu ein, in einem Workshop eigene Forschungen zu Recht und seiner Mobilisierung in der pluralistischen Gesellschaft vorzustellen und zu diskutieren. Die Beiträge sollen über die Verwendung empirischen Materials und/oder sozialwissenschaftlicher Theorien Teil einer disziplinübergreifenden Diskussion werden. Dabei wollen wir nicht bei einer Bestandsaufnahme stehen bleiben, sondern den Begriff der Mobilisierung von Recht thematisieren und weiterentwickeln.

Das Format eines Workshops möchten wir für eine fokussierte Diskussion nutzen, die in einer späteren gemeinsamen Publikation münden kann. Dafür werden wir Wissenschaftler_innen in der Promotions- und Post-Doc-Phase mit etablierten Forscher_innen an Universitäten und Hochschulen ins Gespräch bringen.

Wir freuen uns auf Vorschläge für Beiträge – auch in englischer Sprache – im Umfang von höchsten 500 Worten bis zum 10. Januar 2017 unter Berlin2017@rechtswirklichkeit.de.

Veranstaltende:

  • Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit (BAR)
  • Evangelische Hochschule Berlin (EHB)
  • Law &Society Institute (LSI), Humboldt-Universität zu Berlin
  • Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

BAR-logo ehbLSI-Logo wzb_logogramm_de_8cm

Call for Papers: 

Mobilization of Law in Pluralistic Society.
Workshop for Inter-disciplinary Researchers, 19-20 May 2017, Evangelische Hochschule Berlin (Protestant University of Applied Sciences, Berlin)

Submission Deadline for Abstracts: 10 January 2017

Law cannot be reduced to a static legal text, as more than a century’s worth of socio-legal research shows, but rather ‘lives’ and exists ‘in action’. How law functions varies in accordance with societal pluralism and political context. In a society which is differentiated along lines defined by culture, the labor market and the media, law can offer promising possibilities for pursuing one’s interests, given law’s focus on the position of the individual. It may indeed be more effective to engage a lawyer than to establish a political initiative.

As a forum for working out conflicting interests, however, law is asymmetric in terms of knowledge, possibilities for action, and access to justice. One’s chances of success in court depend on one’s economic, social and cultural resources. Socially unequal power relationships – such as those marked by inequalities of social class, gender, and ethnic origin – are fed into the operation of the law.

In the context of recent measures to tighten up the laws govern asylum cases, it may be that mobilization can offer little resistance to politically-willed forms of exclusion. Even beyond the realm of such legislatively-imposed differences, law may perpetuate or even exacerbate social inequalities, as feminist legal theory and critical race theory have shown. Materialistic critiques assign responsibility for the demise of collective political engagement to liberal legalism’s emphasis on subjective rights for individuals.

Law can also, however, enable the collective pursuit of rights, such as in the context of group (class) actions in environmental law, labor law, or in the classical form of a legal person. Grouping interests in such ways can also be a significant way to advance individual interests.

Many of the contemporary social conflicts that are being played out in the legal realm raise questions about the interactions among law, mobilization and social pluralism, as the following examples illustrate:

  • Under what conditions does strategic litigation prove successful, e.g. constitutional challenges to national security laws, nuclear power phase-out, or the rights of transgender persons?
  • What types of new actors come into being through new mobilization initiatives, and how do such initiatives alter the dynamics of legal implementation, not only in the context of trials, but also e.g. through media scandalization of legal violations of anti-discrimination or international economic law?
  • How is criminal law used as a tool of social education or political demonization, such as in the case of the ancillary claimants in the NSU (National Socialist Underground) trial?
  • What perspectives does transnational mobilization by European or international courts open up, and for whom?
  • How do alternative methods of legal enforcement, such as by international arbitral tribunals, affect transnational economic relations and inequalities?
  • What success can be achieved through litigation of religious rights, such as in the context of ongoing litigation over headscarves or crucifixes in schools?
  • What dynamics and barriers characterize the ‘litigation flood’ (or, conversely, the insufficient implementation) of social laws and laws aimed at guaranteeing adequate basic income (social assistance)?
  • What is the significance of law in a society undergoing rapid demographic change in the context of migration, both as a bulwark of pluralism, and a means of attacking it, such as when neighbors band together to prevent the construction of mosques or refugee dwellings in their neighborhood?

We invite you to present and discuss your own research related to mobilization of law in pluralistic society at the Workshop. Contributions should aim at contributing towards a trans-disciplinary discussion of the use of empirical research and/or social theories in this context. We aim to advance the concept of mobilization itself, as well, rather than simply to acquiesce in its current status.

The Workshop format enables a focused discussion, and may subsequently result in a joint publication. The Workshop offers a forum for discussion among researchers in the process of writing their dissertation and Post-Docs, on the one hand, and established researchers at universities, on the other.

We welcome proposals for contributions to the Workshop (in English as well as in German), which should be at most 500 words long. Please submit your proposal by 10 January 2017 to: Berlin2017@rechtswirklichkeit.de.

Organizers:

  • Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit (BAR) (Berlin Working Group on Socio-legal Studies)
  • Evangelische Hochschule Berlin (EHB) (Protestant University of Applied Sciences, Berlin)
  • Institut für interdisziplinäre Rechtsforschung, Humboldt-Universität zu Berlin (Law & Society Institute / LSI)
  • Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) (Berlin Social Science Center)

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