G. A. Cohen konstatiert zu Beginn seines Aufsatzes „How to do Philosophy“, dass die Vermittlung von philosophischen Heran- und Vorgehensweisen kaum je explizit geschieht – mal aus der Überzeugung heraus, dass sich die Einzelnen durch ihre persönliche Mühsal erst einmal beweisen sollen, mal, weil ihr Erlernen einem Sozialisationsprozess entspricht, den man nicht erklären kann, sondern den die Lernenden vielmehr beobachten und imitieren müssen (2011: 225). Philosophie zu betreiben impliziert hier die vertiefte und in aller Regel individuelle Auseinandersetzung mit Argumentationen und Texten, das Mit- und Nach- und dann das selber Denken. Selbst wenn die Erklärung vom Sozialisationsprozess überzeugt, steht aber zu fragen, ob man Studierende beim Erlernen dieser Tätigkeiten nicht doch begleiten kann und sollte.
Gleichzeitig erleben wir weiterhin, dass neue Formen des e- oder blended learning, dass nicht nur Online-Plattformen, sondern Blogs, Wikis und MOOCs (komplette Online-Kurse für ein Massenpublikum) als Mittel für die universitäre Lehre vielerorts aus dem Boden sprießen. Über ihren Sinn und Mehrwert wird zugleich trefflich gestritten. (Siehe dazu z.B. die Theorieblog-Beiträge von Ulrike Höppner, Stefan Skupien und Andreas Antić zu e-learning in der Politischen Theorie im Allgemeinen oder zu MOOCs bzw. Michael Sandels Gerechtigkeits-Vorlesung im Speziellen.)
Am Beispiel der Begleitung politiktheoretischer Hausarbeiten möchte ich im Folgenden einen Vorschlag für die Einbindung von Podcasts (Audiodateien) oder Screencasts, d.h. Video-Aufzeichnungen mit Audio-Kommentar, in die politik-theoretische Lehre machen, den ich gemeinsam mit meinen Freiburger Kollegen Friedrich Arndt und Judith Gurr entwickelt habe. Pod- und Screencasts können die politiktheoretische Lehre bereichern, die Präsenzlehre und individuelle Sprechstunden sinnvoll ergänzen. Sie können zu einem gewissen Maß sogar für sich stehen. Wenn die politik-theoretische Lehre aber darauf zielt, dass Studierende eigenständige Fragestellungen und wissenschaftliche Haltungen entwickeln, sind sie jedoch vor allem dann fruchtbar, wenn sie systematisch mit Präsenzlehre und Sprechstunden verknüpft werden.
Von existierenden Leitfäden und Readern, die vor allem auf formale und strukturelle Anforderungen abstellen, unterscheidet sich unsere dreiteilige Screencast-Reihe „Theoretisch Fragen“ in mehrfacher Hinsicht: Technisch handelt es sich bei unseren Screencasts um Video-Aufzeichnungen einer Power-Point-Präsentation, die mit einer Audio-Spur unterlegt und durch einzelne Video-Clips ergänzt werden. Zusammengesetzt haben wir das Ganze mit dem Aufnahme- und Schneideprogramm Camtasia. Pod- und Screencasts machen durch diese Technik eine direkte persönliche Ansprache möglich, die den klassischen gedruckten Anleitungen und Leitfäden verwehrt bleibt und die zu unserem inhaltlichen Schwerpunkt passt: Denn wir stellen weniger formale Anforderungen und Regeln in den Mittelpunkt unserer Überlegungen als die Konzeption von Hausarbeiten, genauer die Suche nach guten, relevanten und zugleich beantwortbaren und eingegrenzten Fragestellungen. Diese Suche stellt unserer Erfahrung nach eine besondere Hürde für die Studierenden dar. Die wissenschaftliche, gesellschaftliche und persönliche Relevanz oder Irrelevanz der Frage entscheidet zudem über die Motivation der Studierenden. In drei Teilen nähern wir uns deshalb dem Herzstück der Reihe, unserer Typologie von Fragestellungen.
- Teil I behandelt die Frage der Themenfindung, steckt den Rahmen für die Themensuche ab, führt Strategien zur Identifikation theoretischer Probleme auf und lädt nicht zuletzt dazu ein, unterschiedliche Visualisierungs- und Schreibtechniken auszuprobieren, um Vorwissen zu aktivieren und die bisherigen Gedanken zu sortieren.
- Teil II widmet sich den Herangehensweisen politischer Theorie und Philosophie und versucht, wissenschaftstheoretische Debatten auf einzelne, für Anfängerinnen zumindest handlichere Ideen herunterzubrechen. Wir thematisieren in aller Kürze unterschiedliche wissenschaftliche bzw. politiktheoretische Haltungen und Herangehensweisen zwischen Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion und versuchen sie für den Konzeptionsprozess fruchtbar zu machen.
- In Teil III diskutieren wir die Bedeutung und die Charakteristika guter Forschungsfragen und führen schließlich unsere Fragetypologie ein. Hier zeigen wir ein Spektrum politiktheoretischer Fragetypen, das in der klassischen empirisch-sozialwissenschaftlichen Methodenausbildung oft zu kurz kommt. Es reicht von Verständnisfragen und Kohärenzfragen über Kommentare und Ableitungen aus der bzw. Rückfragen an die Theorie bis hin zu normativen Argumentationen. Jeden Fragetyp stellen wir anhand einer generischen Frage, geeigneten Kontexten, verfolgten Zielen, groben Zügen des Vorgehens und ausgewählten Beispielfragen vor.
Wie lässt sich mit diesen Screencasts nun sinnvoll arbeiten? Als Lehrende laden wir die Studierenden im Verlauf des Semesters und vor allem in der Vorbereitung ihrer Hausarbeiten dazu ein, sich die Screencasts individuell, nach und nach oder auch einzeln anzuschauen und die unterschiedlichen Techniken zur Themenfindung und Strukturierung auszuprobieren. Darüber hinaus thematisieren wir ausgewählte Elemente in unseren Lehrveranstaltungen und stellen Querverbindungen zwischen den Screencasts und unseren Seminarinhalten her. Mit Bezug auf das Herzstück der Reihe, die Fragetypologie, ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten – soll sie doch nicht als Rezeptbuch, sondern als Hilfestellung für die Arbeit am eigenen Thema dienen. Diejenigen, die noch keine Idee für eine Frage haben, können mit Blick auf das eigene Thema unterschiedliche Typen durchspielen und prüfen, welche Fragetypen sich im konkreten Fall eignen. Diejenigen, die schon eine Idee für eine Frage haben, können sie einordnen und mithilfe der Typologie versuchen, Kontext, Ziele und Vorgehen genauer zu bestimmen. Auf diese Überlegungen können wir dann in den Hausarbeits-Sprechstunden zugreifen.
Damit zeigt sich nicht nur wie, sondern auch noch einmal warum wir mit den Screencasts arbeiten: Nicht nur nutzen wir mit den Screencasts neuere Medien und entlasten die kurrikulare Präsenzlehre. Die Screencasts ermöglichen uns, die Studierenden tatsächlich anzusprechen und somit persönlicher zu erreichen als ein gedruckter Leitfaden. Die Studierenden wiederum können selbstgesteuert vorgehen und sich Lehrinhalte in ihrem Tempo und vor allem zum geeigneten Zeitpunkt aneignen. Vor allem aber verbessert sich durch die Screencasts die Gesprächsqualität in unseren Sprechstunden immer dann deutlich, wenn die Studierenden bei der Konzeption ihrer Hausarbeiten mit ihnen gearbeitet haben. Sie schaffen in einer erhöhten Anzahl von Fällen eine gemeinsame Gesprächsgrundlage und eröffnen einen Raum für individuelle Auseinandersetzungen zwischen Lehrenden und Lernenden.
Wer möchte, kann dies cognitive apprenticeship nennen. Diese Lehrstrategie überträgt die handwerkliche Lehr-Lern-Beziehung zwischen Meister und Schüler auf kognitive Bereiche. Damit fordert sie, über die Erklärung und Veranschaulichung von Inhalten, die e- oder blended-learning Elemente gut leisten können, die persönliche Auseinandersetzung mit den Studierenden. So liegt der Mehrwert, den wir in Elementen des e-learning sehen, nicht zuletzt darin, dass sie auch innerhalb der heutigen eng getakteten Studiengänge, Studierende – gerade die, die nicht von sich aus abstrakte Texte verschlingen und aktiv Fragen stellen – ansprechen können und damit Räume für eine persönliche Auseinandersetzung öffnen, in der die Lehrenden weiterhin als Forschende und als Gegenüber erkennbar bleiben sollen, und deren Ziel es ist, dass auch die Studierenden mit der Hilfe, die ihnen zusteht, eine eigenständige Haltung als Autorin oder Autor entwickeln.
Gleichzeitig ist unsere Screencast-Reihe kein abgeschlossenes Projekt. Wir sehen vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten, um das Zusammenspiel zwischen Präsenzlehre und e-learning weiter zu verbessern. Neben zusätzlichen inhaltlichen Elementen schweben uns dabei vor allem zusätzliche interaktive Übungen vor, die zum Beispiel aktivierende Schreibtechniken oder auch Peer-Verfahren noch systematischer in das Projekt integrieren. Nicht zuletzt deshalb freuen wir uns über all diejenigen, die in unsere Screencasts reinschauen oder sie sogar in ihrer Lehre nutzen, genauso wie über Rückfragen, Kritik, Anregungen oder auch Ergänzungen – hier im Blog oder per Mail an Friedrich Arndt, Judith Gurr oder Anna Meine.
„War es früher erforderlich, Sklaven, das heißt persönlich unfreie Menschen, zu halten, um sie auszubeuten, so bringt die Zinswirtschaft das Kunststück fertig, den Menschen sämtliche persönlichen und politischen Freiheiten zu gewähren und sie trotzdem auszubeuten. Obgleich Zinsnehmer und Zinszahler (angeblich) rechtlich einander gleichgestellt und ebenbürtig sind, vermag der eine sich die Früchte der Arbeit des anderen anzueignen. Diese legalisierte Ausbeutung beruht, wie gesagt, auf dem Vorhandensein von Monopolen. An die Stelle des Sklavenhalters ist im modernen Rechtsstaat der Zinsbezieher, an die Stelle des Sklaven der Zinszahler getreten. Die Ausbeutung erfolgt nicht mehr unmittelbar durch die Aneignung der Arbeit des Sklaven, sondern mittelbar durch das Monopol. Es ist begreiflich, dass die Sklaverei für die Ausbeuter uninteressant wurde, seitdem man die wirtschaftliche Unfreiheit der Auszubeutenden – diese einzige Voraussetzung einer jeden Ausbeutung – anstatt durch persönliche Freiheitsberaubung durch die Monopole zu erzielen vermochte.“
Otto Valentin (aus „Die Lösung der Sozialen Frage“, 1952)
Die Sklaverei hat sich in der Geschichte nicht verringert, sondern immer weiter erhöht. Das gilt ebenso für die Dummheit, denn während die persönlich Unfreien früherer Zeiten noch wussten, dass sie Sklaven waren, gilt für die wirtschaftlich Unfreien der Gegenwart:
„Milliarden Menschen leben einfach vor sich hin – und haben keine Ahnung.“
Agent Smith (aus dem Film „Matrix“)
Bedauerlicherweise kann man niemandem erklären, was die Matrix ist, denn eine bis heute bestehende Programmierung des kollektiv Unbewussten macht dem Matrix-Bewohner die Basis allen menschlichen Zusammenlebens (Makroökonomie) und die grundlegendste zwischenmenschliche Beziehung (Geld) weitgehend unverständlich. Noch gesteigert wird das Unverständnis, wenn sich der Matrix-Bewohner in eine Universität einweist, um dort VWL oder eine andere „Wissenschaft“ zu studieren, die sich direkt oder indirekt mit dem menschlichen Zusammenleben befasst (Theologie, Politologie, Soziologie, etc.). Kommt er mit einer „Lizenz zum Unsinn verbreiten“ wieder heraus, ist er mit soviel „negativem Wissen“ (Vorurteile und Denkfehler) belastet, dass er bis zum Jüngsten Tag gar nichts mehr versteht.
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2016/09/das-ende-der-sklaverei.html
Liebe Autoren,
herzlichen Dank für Ihren Blogbeitrag zum Thema Blended Learning als Unterstützung bei Hausarbeiten. Es ist sehr interessant zu lesen, mit welcher Herangehensweise Sie diese Lehrmethode an Ihrem Institut verwenden und ich denke Sie haben damit einen deutlichen Mehrwert für die Studenten geschaffen. In der internationalen Wirtschaft hat sich das Blended Learning schon erfolgreich etabliert, weil es die Vorteile von E-Learning und Präsenzunterricht bündelt und einige Nachteile eliminiert. Ich habe einen Artikel über die Gründe, welche für den Einsatz von Blended Learning in Unternehmen geschrieben, vielleicht interessiert Sie diese Sichtweise ebenfalls:
https://www.ilt-solutions.de/news/blended-learning-loesungen.html
Viele Grüße,
Johannes Bioly
Dieser Blog ist sehr hilfreich, ich finde es sehr gut das es Menschen wie Sie gibt. Sie können wirklich sehr gut erklären. Am besten gefiel mir der Anfang Ihres Blogeintrages. Philosophy ist ein sehr schwieriges Thema und ich habe es erlich gesagt nie so richtig verstanden wie man es Lernen soll, aber durch Ihren Blog habe ich eine ganz andere ansichtsweise für das Lernen enddeckt. Vielen Dank an die Autoren.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Kugel