theorieblog.de | Coding Populism? Populismus und Soziale Medien


6. Mai 2016, Rohgalf

In den Diskussionen um den derzeitigen Aufstieg des Rechtspopulismus in Deutschland, wird auch immer wieder der Einfluss der Sozialen Medien angeführt, etwa als Multiplikator für Verschwörungstheorien, als Durchlauferhitzer für Wut und Empörung oder als Zone verbaler Enthemmung.

Es besteht zudem eine darüber hinausreichende Affinität zwischen prominenten Phänomenen in Sozialen Medien und dem Populismus. Worin besteht diese Affinität?

Mit Lawrence Lessig können wir uns die Software von Sozialen Medien als ein Art Architektur vorstellen. Sie eröffnet Handlungs- und Erfahrungsräume, in dem sie bestimmtes Handeln und Erleben ermöglicht, während anderes be- oder gar verhindert wird. So sind diese Räume auch Träger bestimmter Werte: „They manifest these values through the practices or lives that they enable or disable.“ Der Forschungsliteratur können die Werte entnommen werden, die in verbreiteten Praktiken Sozialer Medien zum Ausdruck kommen. Dieser Beitrag argumentiert, dass in den Räumen Sozialer Medien Werte unmittelbar erfahrbar werden und Evidenz erlangen, die dem Populismus ungleich näher stehen als der repräsentativen Demokratie.

Das heartland. Die AnhängerInnen des Populismus wissen sich „im Volk“ als einer idealisierten Gemeinschaft von Gleichgesinnten aufgehoben. Das „Volk“ darf nicht mit den StaatsbürgerInnen oder gar der Bevölkerung verwechselt werden. Paul A. Taggart hat den Begriff des heartland geprägt für diese eher gefühlte als reflektierte Gemeinschaft der Rechtschaffenen, die stets durch all jene bedroht ist, die den eigenen way-of-life mutmaßlich nicht teilen: die korrupten Eliten, aber etwa auch die Fremden, die „sozial Schwachen“, die „Gutmenschen“ oder allgemein die politischen Gegner. Während der Populismus sich ganz verschiedenen politischen Inhalten und Zielen verschreiben kann, unternimmt er stets diese vertikale (gegen „die da oben“) wie horizontale (gegen „die da draußen“) Ausschlüsse, die nicht verhandelbar sind.

Unter Begriffen wie „echo chambers“ (Sunstein) oder „filter bubbles“ (Pariser) wird schon seit Langem davor gewarnt, dass das Internet einer ähnlichen Blickverengung auf den eigenen way-of-life Vorschub leiste. Der Vervielfältigung der Informationsangebote würde mit Hilfe personalisierter Filtern verarbeitet, die teils von den NutzerInnen selbst konfiguriert werden, teils automatisch auf der Grundlage früheren Nutzungsverhaltens. Das Filtern potentiell interessanter Informationen begünstige auf Seiten der NutzerInnen die Erfahrung, in erster Linie mit Informationen konfrontiert und von Menschen umgeben zu sein, die die eigenen Interessen, Meinungen und (Vor-)Urteile bestätigen. Dies wiederum fördere die Radikalisierung innerhalb kommunikativer Enklaven mit nicht selten starken Gruppenidentitäten. Soziale Medien basieren gerade auf den Ideen der Vernetzung zwischen NutzerInnen mit ähnlichen Interessen sowie des Teilens von Inhalten zwischen ihnen. Es mag bislang kein Grund bestehen, deshalb die Erosion der demokratischen Öffentlichkeit zu attestieren, weil die Mehrheit der NutzerInnen nach wie vor einer Vielzahl anderer Einflüsse ausgesetzt ist. Wohl aber ist der Echokammer-Effekt in Sozialen Medien, insbesondere etwa bei politischen Streitfragen oder Verschwörungstheorien in empirischen Studien nachgewiesen worden. Wer von der Manipulation der Massenmedien durch die „Eliten“ ausgeht, findet allemal mühelos Zuflucht in der jeweils passenden „Gegenöffentlichkeit“, die die eigenen Standpunkte unterfüttern.

Unmittelbarkeit. Für die AnhängerInnen des Populismus braucht es keinen Prozess politischer Willensbildung, in dem Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen und Zielen ausgehandelt werden müssen. So ändert sich die Funktion der Öffentlichkeit fundamental. Anstatt der Ort konfliktiver gesellschaftlicher Selbstverständigung zu sein, ist die Öffentlichkeit für den Populismus lediglich der Ort, an dem sich der authentische Wille des heartland manifestiert – umgeben von Rauschen und gezielten Störsignalen. Ebenso wie die Medien und organisierte Interessen stehen die gewählten Repräsentanten deshalb unter Generalverdacht, diesen Willen zu korrumpieren. Allerdings sollte man, wie etwa Karin Priester betont, die Forderung nach mehr direkter Demokratie nicht als Plädoyer für mehr Partizipation missverstehen. Schließlich spielen gerade im Populismus starke Führerfiguren eine herausragende Rolle. Diese gelten jedoch lediglich als Sprachrohr des heartland. Sie repräsentieren demnach nicht das Volk, sondern stehen zu diesem in einem Verhältnis der Identität. Als Folge schließt der Populismus – unter Umgehung der Öffentlichkeit – im Grunde genommen das Private und Regierungshandeln, private Interessen und Gemeinwohl kurz. Politik gilt hier nur dann als wahrhaft demokratisch, wenn sie die Meinungen, Interessen und (Vor-)Urteile des heartland eins-zu-eins in Regierungspolitik und geltendes Recht überführt. So verspricht der Populismus seinen AnhängerInnen im Grunde nichts Geringeres, als dass ihr privater way of life ohne Abstriche und Kompromisse zum Gesetz werden wird.

W. Lance Bennett und Alexandra Segerberg argumentieren, dass die Sozialen Medien politische Mobilisierung ermöglichen, bei denen der Ausdruck der je persönliche Hoffnungen, Sorgen und  Lifestyles die treibenden Faktoren sind. Sie stellen dieses „konnektive Handeln“ in den hochgradig individualisierten spätmodernen Gesellschaften dem „kollektiven Handeln“ in der Moderne gegenüber. Kollektives Handeln steht bekanntlich vor dem Trittbrettfahrer-Problem: Warum nehmen Individuen die Kosten des Engagements auf sich, wenn sie genauso gut ohne Kosten und Mühen vom Engagement der anderen profitieren können? Organisationen lösen dieses Problem, indem sie durch Sanktionen und Anreize die Kosten-Nutzen-Rechnung der Mitglieder verändern. Für die Organisation sind Sanktionierung und die Vermittlung zwischen Mitgliedern aufwändig. Die Mitglieder wiederum müssen ihre eigenen Präferenzen an die Agenda der Organisation anpassen, die an ihrer statt agiert. Demgegenüber wird beim konnektiven Handeln die Organisation überflüssig. Sie erscheint so nicht selten als illegitime Macht, die den Einzelnen nicht adäquat vertreten kann, sondern gängelt. An die Stelle der Organisationen treten nun schwache Bindungen zwischen den Individuen: ideologisch anspruchslose, leicht zu personalisierende Inhalte (wie memes oder hashtags), die in Sozialen Medien „geteilt“ und adaptiert werden. Dies ist nicht nur kostengünstig im Hinblick auf Zeit, Ressourcen und die Anpassung individueller Präferenzen. Zudem bedarf es keiner extrinsischen Motivation. Die Beteiligten ziehen einen persönlichen Gewinn daraus, sich selbst auszudrücken und ihre Beiträge von Anderen weiterverbreitet zu sehen.

Bennett und Segerberg denken bei konnektivem Handeln einerseits an linke, repräsentationsskeptische Bewegungen wie Los Indignados oder Occupy Wall Street, die Diversität und Inklusivität propagieren. Andererseits sei aber auch im gegenwärtigen Rechtspopulismus personalisierte Politik prominent. Die Tea Party etwa oder die Schwedendemokraten würden ihren AnhängerInnen gerade keine strenge ideologische Linie vorgeben. Vielmehr würden sie auf die Entfesselung vielfältiger, hochgradig personalisierter Wut-  und Empörungsakte gegen „die da oben“ und „die da draußen“ setzen. Vergleichbares lässt sich auch in Deutschland bei Pegida oder der AfD beobachten. Das unvermittelte, gleichsam spontane gemeinsame Handeln bottom-up, das im konnektiven Handeln erlebte Wirklichkeit wird, ist für Anhänger der Multitude ebenso attraktiv wie für die Verfechter des heartland.

Gerade diese letzte Überlegung unterstreicht, dass die Nutzung von Sozialen Medien nicht zwangsläufig zum Populismus führt. Soziale Medien sind nicht auf Populismus programmiert. Wohl aber sind in den Sozialen Medien non-stop Werte erlebbar, die eine Entfremdung von der repräsentativen Demokratie eher verfestigen, denn überwinden helfen.


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