Tagungsbericht: „Decolonizing Epistemologies“ (Frankfurt)

Die erstmalige Ansiedlung der Juniorprofessur für Gender/Postkoloniale Studien an einem Institut für Politikwissenschaft hat merkliche Spuren in der Forschungslandschaft hinterlassen. Dass dies ausgerechnet am wichtigen Frankfurter Institut für Politikwissenschaft geschah und außerdem das Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies (FRCPS) innerhalb des Exzellenzclusters „Normative Orders“ situiert wurde, verschaffte der Professur eine wichtige Plattform, von der auch die Konferenz sehr profitierte.

Viel ist im letzten Jahr über die Stellung postkolonialer und feministischer Studien in Deutschland diskutiert worden. Angefeuert wurde die Debatte durch die für viele überraschende Nicht-Verlängerung der Tenure von Nikita Dhawan am Frankfurter Institut für Politikwissenschaft. Das von ihr mitbegründete Institut für postkoloniale Studien FRCPS richtete im Juli dennoch eine weitere Fachkonferenz aus. Der ambitionierte Titel „Decolonizing Research Epistemologies and Methodologies – Postcolonial-feminist Interventions“ versprach konkrete Einblicke und Antworten, wie Forschung aussehen kann, die sich postkolonialen und feministischen Theorien verpflichtet fühlt. Über die Reflexion der eigenen Privilegien und Positionierung in der (akademischen) Welt hinaus wurde häufig auch die Stellung dieser Forschungsweise an ihren jeweiligen Instituten thematisiert. Vortragende wie Zuhörende teilten Erfahrungen und Strategien im Umgang damit, dass Forschung häufig nach wie vor in einem Rahmen stattfinde, der die Durchführung postkolonial/feministischer Studien erschwere.

Diese Debatte in den Räumen des „Normative Order“-Clusters zu führen, in dem auch das FRCPS beherbergt ist, entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Nikita Dhawan selbst hatte in einem Interview bedauert, dass ihr Weggang wohl auch einer Demontage des FRCPS gleichkomme. In ihrer Begrüßungsrede betonte sie abermals die Notwendigkeit, einen Ort des Austausches zu haben und postkolonial/feministisch-geprägte Forschung fester in der (deutschen) Forschungslandschaft zu verankern.

Während der eng getakteten Konferenz fanden jeweils zwei parallele Panels statt. Exemplarisch für die Konferenz sollen hier drei Vorträge vorgestellt werden. Dabei liegt der Fokus jeweils auf einer Forderung postkolonial/feministischer Forschung.

Eine wiederkehrende Kritik an wissenschaftlichen Studien zu bestimmten Personengruppen ist die Übertragung der asymmetrischen Machtstrukturen in den Forschungsprozess: privilegierte Forscher_innen erlangen durch die sogenannten Forschungsobjekte (kostenloses) Wissen, welches sie dann für ihre akademischen Zwecke monetarisieren (Artikel, Bücher, Titel). Inzwischen sind viele der häufig „beforschten“ Gruppen misstrauisch gegenüber Forscher_innen geworden. Sie sind nicht mehr bereit, ihr Wissen zur Verfügung zu stellen, ohne an den Ergebnissen teilhaben zu können. Zu diesem Thema sprach die Soziologin Vanessa Thompson (Uni Frankfurt) und berichtete über metho(dolog)ische Entscheidungen bei ihrer Forschung mit schwarzen Aktivist_innen in Paris. Innerhalb der Gruppe der schwarzen Anti-Rassismus-Aktivist_innen in Paris habe es immer wieder kritische Stimmen und Blicke gegeben, die die Forscherin an die Notwendigkeit von Selbstreflexion erinnerten. Eine postkoloniale Methodologie half ihr dabei, die eigene Positionierung im Forschungsprozess mitzudenken. So entwickelte sie ein Modell für partizipatorische Forschung, in der eigene Beobachtungen mit der Gruppe diskutiert werden. Auch die Zusammenfassungen und Transkribierungen der Interviews und Aussagen einzelner Aktivist_innen werden diesen zugänglich gemacht. Es müsse allerdings auch respektiert werden, wenn Personen sich aus Prinzip „aus der ethnographischen Schusslinie“ bewegten und ihr Schweigen als subversives Mittel gegen ein asymmetrisches System der Repräsentation einsetzen.

Ähnliche Kritik der „beforschten“ Personenkreise erlebte Anika Meckesheimer (UAM Mexiko City) in ihrem Vortrag über institutionelle Einschränkungen postkolonialer Forschung. Während ihrer Studien mit Landlosen und Zapatista-Gruppen in Mexiko stieß sie auf Menschen, die eine lange Erfahrungstradition damit haben, erforscht zu werden. Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen habe sich im Umgang mit Forscher_innen die Devise etabliert: „Verkaufe unser Wissen nicht zu einem höheren Preis als du es gekauft hast“.

Ihr Vortrag beschäftigte sich allerdings vor allem mit der Herausforderung, universitäre Strukturen zu dekolonialisieren. Während ihrer Studien stieß sie auch selbst immer wieder an strukturelle Grenzen. So sei es für Studierende schwierig, postkoloniale Methodologien einzusetzen, wenn die Betreuenden implizite positivistische Grundannahmen hätten. Reflexionen über die eigene Positionierung würden vielmehr oft als unnötig und sogar narzisstisch wahrgenommen. Dies führe dazu, dass auch Forscher_innen mit bewusst postkolonial geprägten Forschungsprozessen letztlich doch oft bestehende Machtstrukturen reproduzierten. Sie schloss ihren Vortrag mit der Feststellung, dass die Entscheidung, nicht mehr das einzige Subjekt von Wissensproduktion sein zu wollen, starke epistemologische, methodologische und konkrete methodische Konsequenzen nach sich ziehe. Ausdrücklich richtete sie sich damit auch an die forschungsbegleitenden Institutionen, die eigene positivistische Annahmen reflektieren und einen offenen Umgang mit der eigenen Positionierung unterstützen sollten.

Ein häufig vorgebrachter Vorwurf, den postkolonial/feministisch arbeitende Forscher_innen machen, ist der der Universalität bzw. Normativität. Stacey Links (Utrecht School of Law) behandelte in ihrem Vortrag das Feld der Internationalen Menschenrechte (IMR). In ihrem Vortrag in Frankfurt beschäftigte sie sich mit Asymmetrien in der Forschung und insbesondere im Bereich der Internationalen Menschenrechte. Gerade das Feld der IMR sei besonders normativ geprägt und auf Universalität ausgelegt. Dabei sei die Debatte über die grundlegenden Menschenrechte immer eurozentristisch dominiert gewesen, zumal ein großer Teil der unterzeichnenden Länder noch unter kolonialer Herrschaft stand. Diese Asymmetrie zeige sich heute noch darin, dass z.B. Beiträge afrikanischer MR-Initiativen abgelehnt würden und in der Betrachtung lokaler Kontexte häufig eine Form von othering stattfände. Zusätzlich beschrieb sie eine methodologische Asymmetrie, da IMR vor allem ein juristisches Metier sei, dem es an Interdisziplinarität mangele. Dadurch werde es auch erschwert, das Feld weiter zu de-kolonialisieren. Dies führe zu einem Diskurs, innerhalb dessen eine selbstkritische und interkulturelle Zusammenarbeit schwierig sei. Links ist Teil der receptors group an der juristischen Fakultät ihrer Universität. Innerhalb der Gruppe entwickelten sie einen Ansatz, der im Bereich IMR auch lokale soziale Institutionen und existierende kulturelle Werte in Forschung und Praxis einbindet. So soll der wahrgenommenen Universalität und Normativität entgegengewirkt werden.

In einer von Dhawan moderierten Schlussrunde benannten die Teilnehmenden die größten Herausforderungen postkolonialer Forschung. Rassismus habe als Erfindung der europäischen Moderne den Beginn einer neuen Machtstruktur markiert (Ian Chambers, Università di Napoli). Es müsse hinterfragt werden, ob alles vermeintlich Wichtige (Kapitalismus, Moderne, Liberalismus, Westfälisches System, Souveränität, Nationalstaat) im Westen begonnen habe (Sanjay Seth, Goldsmiths, University of London). Die Funktion postkolonialer Forschung sei es, durch alternative Genealogien und Realitätsdarstellungen (Seth) die Einseitigkeit der Geschichte aufzuheben und der gelebten Realität anzunähern (Gregory Lee, L’Université de Lyon). In Bezug auf die verschiedenen Darstellungen der Realität sei es wichtig, nicht für andere Gruppen zu sprechen, sondern ihnen zuzuhören (Johan Höglund, Linnéuniversitet).

In der wiederkehrenden Frage nach postkolonialer Forschungspraxis sei es auch hilfreich, sich Umgebungen zu suchen, die offen und konstruktiv seien. Gerade in der Politikwissenschaft sei es gewinnbringend, „konservative“ Standpunkte mit postkolonialen zu vergleichen und blinde Flecken zu ergänzen (Rirhandu Mageza-Barthel, Uni Frankfurt).

Abschließend lässt sich feststellen, dass Dhawans in der Begrüßungsrede formulierter Appell nach der Dekolonisierung universitärer Strukturen auf fruchtbaren Boden stößt. Dass ein Großteil der Vorträge (sowohl national als auch international) innerhalb der Sozialwissenschaften angesiedelt war, spricht zudem für eine positive Entwicklung sozialwissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich.

 

Maria Befeldt hat in Trier, Kiel, Panama und Berlin studiert und promoviert zur Zeit an der Freien Universität Berlin zur Dekolonisierung von transnationalem policy-making im Bereich Korruptionsbekämpfung.

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