Auf Einladung von Emanuel Richter und Marcus Llanque kam die DVPW-Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte vom 11. bis 13. März 2015 in Aachen zusammen, um sich „Zur Lage republikanischer Politiktheorie“ auszutauschen. Mit dem Konferenzthema trugen die Veranstalter dem doppelten Umstand von Aktualität und Unschärfe des Republikanismus-Begriffs Rechnung. So ist das Interesse an republikanischen Denkfiguren vor dem Hintergrund nachlassender Überzeugungskraft des Liberalismus jüngst wieder neu entfacht. Auch weil das Feld republikanischer Theoriebildung in den letzten Jahren gewachsen ist, wird gleichzeitig aber zunehmend unklar, was das Paradigma genau ausmacht. Ziel der Konferenz war daher, wie es der erste Redner Martin Saar ausdrückte, eine „Landkarte“ des Republikanismus zu zeichnen.
Wie umfassend diese Landkarte aussehen würde, deutete sich bereits am ersten Tag an. So näherten sich die RednerInnen der ersten beiden Panels zu Ideengeschichtlichen Grundlagen und zum Neo-Republikanismus Philip Pettits dem Thema von beiden seiner Enden her. Im Ideengeschichts-Panel wurden vor allem die modernen Grundlagen des Republikanismus behandelt. Neben Martin Correll, der dem Neorepublikanismus das „Angebot“ unterbreitete Rousseaus Freiheitsbegriff in die Theoriebildung mit aufzunehmen, und Tamara Jugov, die einen ähnlichen Vorschlag bezüglich Kants Machtbegriff machte, beeindruckte vor allem die Spinoza-Interpretation von Martin Saar. Saar schlug vor auch Spinoza als (modernen) Klassiker des Republikanismus zu lesen, was alles andere als selbstverständlich ist. So orientierte sich Spinoza zwar selbst am klassischen Republikanismus und stand in regem Austausch mit den radikal-republikanischen Denkern aus den Niederlanden, jedoch wird sein Theorie- und Wissenschaftsverständnis gängigerweise in Beziehung zu Hobbes –einem klaren Vordenker des Liberalismus – gesetzt. Saars Rekonstruktion aber erlaubte es, Spinoza als „anormalen“ Republikaner kennenzulernen, der für die republikanische Theoriebildung zudem drei Lehren bereithalte: die Betonung der Affektivität des Politischen, die Konzentration auf den Machtbegriff und das (ambivalente) Verständnis radikaler Demokratie.
Das Panel zum Neorepublikanismus Philip Pettits direkt im Anschluss suggerierte zunächst eine Kluft zwischen aktuellen neorepublikanischen Ansätzen und der (kontinentalen) ideengeschichtlichen Tradition. Besonders weit erschien diese im Vortrag von Jürgen Sirsch, der so weit ging, die neorömischen Entwürfe Pettits und Lovetts neben einen liberalen Egalitarismus à la John Rawls zu stellen. Er kritisierte die von republikanischer Seite vorgebrachten Äquivalenz- und Überlegenheitsthesen, plädierte aber am Ende dennoch für eine Aufnahme neorepublikanischer Positionen in die liberal-egalitäre Theoriebildung. Das Potential neorepublikanischer Diagnosen liege aber weniger im Ergebnis als in deren Begründung. Emanuel Richter und Bernd Ladwig kritisierten in ihren Anmerkungen, dass Pettit hier zu sehr in der Sprache Rawls rekonstruiert werde und warnten davor, die republikanische Position so zu entkernen.
Der zweite Tag nahm zunächst die Beziehung des Republikanismus zu einer anderen, vieldiskutierten Theorierichtung in den Fokus: der Radikaldemokratie. Der Vortrag von Daniel Schulz und seine Lesart des Poststrukturalismus als Reaktion auf eine Transzendenzkrise des Republikanismus, wurde eingerahmt von den sich teils gegenüberstehenden Argumenten von Dagmar Comtesse und Nabila Abbas. Während Comtesse versuchte, „ausgerechnet über Rousseau“ eine Brücke zwischen Republikanismus und Radikaldemokratie (sie nannte Rancière als einen Vertreter, fasste die Strömung insgesamt aber weit) zu schlagen, zeigte Abbas, dass gerade Rancière nicht der republikanischen Tradition zugeordnet werden sollte. Sie stellte ihn stattdessen als einen Denker vor, der erstens Vorbehalte gegenüber dem republikanischen Tugendkonzept (und dessen homogenisierenden Tendenzen) hegt, zweitens Demokratie immer jenseits, d.h. zusätzlich zur institutionellen Ordnung, denkt und drittens demokratisches Handeln nicht als an einen Ort (die ‚politische Sphäre’) gebunden versteht. Diese Spezifika würden beim Versuch, Rancière zu reibungslos in die republikanische Tradition einzuordnen, gerade verloren gehen.
Nachdem der zweite Block des Tages die (nicht ganz einfachen) Verbindungslinien zwischen Republikanismus und Kosmopolitismus herzustellen versucht hatte, befassten sich die beiden Nachmittagspanels mit Anwendungsdiskursen des Republikanismus. Im Sinne des zu Beginn geäußerten Wunsches, die Konferenz möge eine Landkarte zeichnen, stach am Nachmittag der systematisierende Vortrag von Dorothea Gädeke und Thorsten Thiel hervor. Die beiden besprachen Trends in der aktuellen politiktheoretischen Literatur. Sie wählten Texte aus, die sich selbst im republikanischen Diskurs verorten und/oder explizit die These der Aktualität des Republikanismus vertreten. Ihre Auswahl, die „von den Rändern her“ kam, d.h. bewusst auf die großen Themen Verfassung und Bürgerschaft verzichtete, identifizierte die Themencluster Multikulturalismus, Migration, Ökonomie, Strafrecht, Umweltpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Internet als zentrale Gegenstände jüngster republikanischer Literatur. Sie attestierten dem Republikanismus eine relativ hohe Anschlussfähigkeit im allgemeinen Diskurs und sahen seine Bedeutsamkeit vor allem im zur Verfügung gestellten kritischen Vokabular. Der systematisierende Vortrag war zugleich ein gutes Vorwort, um auf die inhaltlichen Vorträge des Nachmittags hinzuleiten: In diesen wurden exemplarische Anwendungsdimensionen wie ein historisch-pragmatisches Republikanismus-Verständnis (Jörn Knobloch), die Frage nach dem Sezessionsrecht von Minderheiten, (Andreas Oldenbourg) sowie das in der aktuellen Republikanismus-Debatte stark vernachlässigte Thema der Finanzverfassung (Sebastian Huhnholz) diskutiert. Alle Vorträge zeigten, dass die Aktualität republikanischer Theorie mehr ist als pure Rhetorik.
Am letzten Tag fanden noch ein Panel zu Republikanismus und Demokratie und eine Podiumsdiskussion statt. Dass sich beide englischsprachigen Redner des letzten Panels, James Bohmann und John McCormick mit Pettit auseinandersetzten, könnte als weiterer Ausdruck der Trennung zwischen kontinentaler und angloamerikanischer Debatte gedeutet werden. Vor allem der Vortrag von Bohmann relativierte aber die am ersten Konferenz-Tag durch die Gegenüberstellung von Ideengeschichts- und Pettit-Panel suggerierte Dichotomie. Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Globalisierung seien die (neo)republikanischen Ziele, Freiheit und Nicht-Beherrschung, nicht mehr ausschließlich über Selbstgesetzgebung zu realisieren. Gerade im transnationalen Kontext, so Bohmann, stimme der Kreis der Betroffenen von Entscheidungen oft nicht mehr mit dem Kreis der diese Entscheidungen (in Selbstgesetzgebung) Treffenden überein. Er schlug daher vor, transnationale republikanische Theoriebildung in ihren gerechtigkeitstheoretischen Grundlagen noch stärker zu betonen und nach der Fähigkeit der Einzelnen zu fragen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit dieser Schwerpunktverschiebung weg vom Ideal der Selbstgesetzgebung hin zum allgemeineren Ideal der Selbstbestimmung schloss Bohmann auch den Bogen zurück zu Tamara Jugov, die ganz zu Anfang die Wichtigkeit eines kantisch inspirierten Verständnisses befähigender Macht („power to“) herausgehoben hatte.
Obwohl chronologisch an vorletzter Stelle, bildete die Podiumsdiskussion einen guten Abschluss der Tagung. Unter dem Titel Liberalismus und Republikanismus als Kontrahenten? wollten die Veranstalter sich nicht nur der der Konferenz zu Grunde liegenden Frage, was den Republikanismus ausmacht, noch einmal strukturiert annähern, sondern auch eine Brücke schlagen zur Liberalismus-Tagung im nächsten Jahr. Einigen konnten die Diskutanten sich darauf, dass das Hauptthema republikanischer Theorien die Freiheit darstellt. Auch wenn sie unterschiedliche Aspekte dieses Freiheitsbegriffs betont wissen wollten. Während Markus Llanque beispielsweise die kollektive Dimension des republikanischen Freiheitsverständnisses für zentral erachtete, deutete Emanuel Richter auf einen Gleichheitsbegriff, der der republikanischen Freiheit zu Grunde liege. Erst nachdem sich die Subjekte als gleiche Interaktionspartner anerkannt haben, könne diese „Autonomiegleichheit“ in politische Teilhaberechte überführt werden. Weitere Themen waren das Verhältnis von Freiheit und Befreiung, die Frage nach der Ordnung der Freiheit, sprich: nach Institutionen sowie der Tugend. Vor allem letzterem Konzept standen alle Diskutierenden eher skeptisch gegenüber. Richter würde die Tugend-Idee „am liebsten komplett über Bord werfen“. Hans Vorländer merkte an, dass die Vorstellung einer Antithetik von Tugend oder Institution weder ideengeschichtlich haltbar noch besonders produktiv sei. Es sei gerade dieses eher komplexe Verhältnis, das die Unterscheidung von republikanischen und liberalen Ordnungsvorstellungen im Detail manchmal so schwer zu treffen macht.
Insgesamt gelang der Konferenz die angestrebte Skizze einer republikanischen Landkarte. Zentrale Begriffe, exemplarische Stränge und Themen wurden konturiert, die Verbindungen zu anderen aktuell angesagten Theorien (Radikaldemokratie, Kosmopolitismus) herausgearbeitet. Dass die TeilnehmerInnen der Tagung sich letztlich nicht auf die eine abgeschlossene Definition des Republikanismus einigen konnten, ist vielleicht gerade die Stärke dieser Theorierichtung. Vielleicht sollte die Auseinandersetzung mit der republikanischen Theoriebildung und die Verständigung über ihre Varianten und Dynamiken analog zum republikanischen Politikbegriff verstanden werden: Als die Anerkennung und Bejahung von Pluralität.
Dieser Text ist die stark gekürzte Fassung eines längeren Tagungsberichts, der in der kommenden Ausgabe 1/2015 der „Zeitschrift für Politische Theorie“ erscheint.
Tobias Albrecht ist Doktorand an der Goethe-Universität Frankfurt und wissenschaftliche Hilfskraft bei der DFG-Kollegforschergruppe „Justitia Amplificata“. In seinem Dissertationsprojekt versucht er den politischen Republikanismus Arendts mit der kritischen Gesellschaftstheorie Adornos zusammenzudenken.
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