In der zweiten Ausgabe 2014 widmet sich die Zeitschrift für Politische Theorie (ZPTH) im Rahmen eines Themenschwerpunktes dem Denken Chantal Mouffes. Vincent Rzepka und Grit Straßenberger stellen in ihrem Beitrag die politische Theorie Mouffes entgegen der gängigen Lesart in die Tradition eines „konfliktiven Liberalismus“. Im Rahmen unserer Kooperation mit der ZPTH (alle bereits diskutierten Artikel sind hier zu finden) bieten wir den Artikel von Rzepka und Straßenberger, der pünktlich zur Aachener DVPW-Frühjahrstagung auch zu einer Neulektüre des Verhältnisses von Liberalismus und Republikanismus einlädt, exklusiv zum Download an. Als Auftakt für die Diskussion hat Nina Elena Eggers den Artikel unter dem Strich kommentiert. Wir sind gespannt auf Eure Kommentare, Fragen und Anregungen.
Mouffe als Liberale? – Vincent Rzepka und Grit Straßenbergers ZPTH-Artikel in der Diskussion
Die politische Theorie Chantal Mouffes wird überwiegend in einem Atemzug mit der gemeinsam mit Ernesto Laclau entwickelten Hegemonietheorie debattiert. Umso begrüßenswerter ist es, dass die Zeitschrift für Politische Theorie (ZPTh) sich in ihrer neusten Ausgabe explizit dem politischen Denken Mouffes widmet und dabei auch Aspekte heraushebt, die sonst höchstens beiläufig thematisiert werden. Vincent Rzepka und Grit Straßenberger stellen in ihrem Beitrag eine neue Lesart von Mouffes Theorie als Variante eines „konfliktiven Liberalismus“ vor und versuchen sie so als verkappte Liberale zu „entlarven“. Diese Einordnung der doch dezidiert Liberalismus-kritischen Haltung Mouffes und ihrem poststrukturalistisch Demokratieverständnis ist überraschend und muss kritisch hinterfragt werden.
In der deutschsprachigen Rezeption wird Mouffes Denken vornehmlich in einen noch jungen Kanon der radikal-demokratischen Theorien eingeordnet, zu deren prominenten Vertretern auch Claude Lefort, Ernesto Laclau, Etienne Balibar, Jacques Rancière und Jacques Derrida gezählt werden. Ihnen ist mit Mouffe gemein, dass sie einen empathischen Begriff des Politischen vertreten und für eine aktive und radikale Demokratisierung von politischen und ökonomischen Verhältnissen – gegebenenfalls auch mit revolutionären Konsequenzen – eintreten. Dass Mouffe unter den Vertretern radikaler Demokratietheorien als die liberalste hervorsticht, erstaunt insofern nicht, als sie ihr demokratietheoretisches Konzept ganz bewusst aus einer immanenten Kritik an liberaldemokratischen Theorien und „im Rückgriff auf deren eigene symbolische Ressourcen“gewinnt. Ihre Ziel ist es so die Grenzen eines an den Prinzipien der Rationalität und des Werteuniversalismus orientierten Liberalismus aufzuzeigen, ohne dabei jedoch eine dezidiert anti-liberale Haltung einzunehmen, wie es kommunitaristische Theoretiker*innen zu tun pflegen. Der Grund ihrer Verteidigung der Errungenschaften liberaler Demokratien ist vor allem in deren Betonung des pluralistischen Moments moderner Gesellschaften zu suchen, das sich nach Mouffe nicht nur auf der ontischen Ebene als Charakteristikum des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zeigt, sondern vor allem auch auf ontologischer Ebene als nicht zu hintergehende Eigenschaft des Sozialen erweist. Mouffes Anleihen am liberalen Pluralismus nehmen Rzepka und Straßenberger nun zum Anlass, um ihren Ansatz gänzlich einer liberalen Tradition in der Demokratietheorie zuzuordnen und als Variante eines „konfliktiven Liberalismus“ zu beschreiben. Diese rücken sie in die Nähe eines „dissentiven Republikanismus“, um so schließlich für eine Aufweichung der klassischen Dichotomisierung zwischen den idealtypischen Traditionslinien zu plädieren, indem sie vorschlagen, „Republikanismus und Liberalismus als in bestimmten Ausformungen ähnliche und voneinander lernende Ordnungssemantiken [zu] verstehen“ (232). Durch diese Lesart lassen sich einige erhellende Erkenntnisse in Bezug auf Mouffes ideengeschichtliche Anleihen bei Alexis de Tocqueville und Isaiah Berlin gewinnen. Zugleich wird Mouffes Intention, vermittelnd in die Debatte zwischen Kommunitaristen und Liberalen einzutreten, hervorgehoben. Gleichzeitig stellt sich mir hier die Frage, ob die Einordnung – nicht nur von Mouffe, sondern auch von Walzer – als Theoretiker*innen eines konfliktiven Liberalismus nicht gerade die Dichotomisierung zwischen liberalen und republikanischen Ansätzen erneut aktualisiert, während etwa die im anglo-amerikanischen Raum nicht unübliche Einordnung von Mouffe in eine Schule der agonalen Demokratietheoretiker*innen, die Möglichkeit bietet, eben jene klassischen Differenzierungslinien zu durchbrechen. Mit dem Terminus „agonal“ werden die bei Mouffe zentral stehenden Aspekte des unauflösbaren Widerstreits zwischen liberalen und demokratischen Werten, sowie die konstitutive Bedeutung des Konflikts auf den Begriff gebracht, ohne ihre dezidiert kritische Haltung gegenüber der liberalen Denkschule zu relativieren. Die von Rzepka und Straßenberger eingeführte Einordnung von Mouffes Ansatz als „konfliktivem Liberalismus“ dagegen suggeriert eine Nähe zum klassischen Liberalismus, die aufgrund der poststrukturalistischen Fundierung von Mouffes Demokratiekonzept nicht gegeben ist.
Der Artikel gliedert sich in zwei große Blöcke und einen resümierenden Schlussteil. Im ersten Block zeichnen Rzepka und Straßenberger Mouffes Dekonstruktion des marxistischen Diskurses nach, um sodann ihre Schmitt-Rezeption aufzuarbeiten. Dabei heben sie zunächst hervor, dass auch das gemeinsam mit Laclau verfasste Hauptwerk, Hegemony and Socialist Strategy, eine bestimmte historische Konstellation reflektiert und so nicht auf die abstrakte Logik der Diskurstheorie reduziert werden kann. Viel stärker müsse es als Versuch gelesen werden, „normative Maßstäbe für eine Neuformulierung des Sozialismus“ zu generieren. Der These, dass Laclau und Mouffe tatsächlich versuchen, die aus den großen Revolutionen gewonnen liberaldemokratischen Werte im Sinne eines „jakobinisches Imaginären“ nicht nur als Kernprinzipien jeder Demokratie formal anzuerkennen, sondern auch für ihre aktive Verteidigung einzutreten, ist nur zuzustimmen. Mit ihrem Plädoyer für ein Projekt der radikalen und pluralen Demokratie verdeutlichen Laclau und Mouffe gerade im letzten Kapitel des Buches noch einmal die Notwendigkeit sich jeglicher Vereinnahmung von Demokratien durch Universalisierungsbestrebungen – auch jenen sozialistischer Provenienz – entschieden entgegenzustellen und das im sozialistischen Denken zugunsten eines teleologischen Geschichtsverständnisses vorwiegend verschwiegene Problem der Kontingenz in den Vordergrund zu rücken. Hier heben Rzepka und Straßenberger eine Ambivalenz in der diskurstheoretisch formulierten Demokratiekritik von Laclau und Mouffe hervor, welche sie zum Ausgangspunkt ihrer späteren Einordnung von Mouffe als Liberaler nehmen. Diese drückt sich darin aus, dass Laclau und Mouffe auf sozial-ontologischer Ebene eine radikale Offenheit jeglicher Strukturen postulieren, in ihrer konkreten Forderung nach einer radikaldemokratischen Alternative zur neoliberalen Hegemonie jedoch für bestimmte normative Maßstäbe der liberalen Demokratie – konkret die Verteidigung von Menschenrechten und der liberal-demokratischen Institutionen – eintreten. Dieser Widerspruch ist allerdings insofern nur ein vermeintlicher, als Laclau und Mouffe ihr radikaldemokratisches Projekt ja ganz explizit als eines unter vielen möglichen politischen Projekten kennzeichnen, welche miteinander um die Hegemonialstellung ringen und damit die prinzipielle Offenheit des demokratischen Diskurses nicht zugunsten ihres eigenen Vorschlages zu relativieren versuchen. Diese Unterscheidung zwischen der von Laclau und Mouffe entwickelten abstrakten Diskurstheorie und Ihrem (politischen) Eintreten für eine sozialistische Alternative zu den vom Neoliberalismus ausgehöhlten Erscheinungsformen der westlichen Demokratien wird im Beitrag von Rzepka und Straßenberger nicht allzu deutlich konturiert, weshalb die scheinbar konsequente Auslegung von Mouffes Theorie als einer vornehmlich liberalen, die für ihr Werk doch überaus zentralen Prämissen des hegemonietheoretischen Zugangs zu stark in den Hintergrund drängt. Diese werden auch in der anschließenden Auseinandersetzung mit Mouffes Pluralismus-Verständnis kaum beachtet. Rzepka und Straßenberger zeigen auf, dass Mouffe durch ihren Rekurs auf Carl Schmitt eine fundamentale Schwäche des Liberalismus – die Missachtung der homogenisierenden Logik der Demokratie und die Zentralität des Prinzips der Volkssouveränität – zugunsten der Logik individueller Freiheit aufzudecken weiß. Im Anschluss daran rücken sie Mouffes Pluralismus-Verständnis jedoch allzu nah an einen liberalen Pluralismus heran, was von den Autoren auch nur knapp durch die Tatsache begründet wird, dass Mouffe „weder eine Genealogie dieses anderen, pluralistischen Liberalismus vorlegt noch ihre affirmativen Bezüge detailliert entwickelt“ (224). Richtig daran ist, dass Mouffes Pluralismus-Begriff gerade in Abgrenzung gegenüber pluralistischen Demokratietheorien wie Dahl und Fraenkel unterbestimmt bleibt. Zugleich entwickelt sie doch einen Pluralismusbegriff, der sich durch seine poststrukturalistische Anlage deutlich unterscheidet: So verabschiedet sich Mouffes agonistischer Pluralismus von der Idee eines universal zu setzenden Gemeinwohls, indem sie den explizit politischen Charakter einer jeden sozialen Hegemonie betont. Über liberale Pluralismuskonzepte hinaus betont sie Logiken der kollektiven Identitätsbildung, die am den Anfang des politischen Prozesses stünden und bringt damit die in liberalen Theorien vernachlässigten Momente der Leidenschaft und der emotional gesteuerten kollektiven Bindung ins Spiel.
Im zweiten Abschnitt arbeiten Rzepka und Straßenberger dann Parallelen von Mouffes Denken zu den Ideen von Tocqueville, Berlin und Walzer heraus. Diese entdecken sie insbesondere in der Anerkennung des permanenten und nicht aufzulösenden Spannungsverhältnisses, in dem sich die liberaldemokratischen Werte der Freiheit und der Gleichheit befinden. Dabei rekonstruieren sie vor allem auch die kritischen Einwände, welche die jeweiligen Autoren gegenüber den Grundannahmen des Liberalismus vorbringen. Interessant ist hier vor allem die Herausarbeitung einer alle drei Konzepte einenden Vorstellung von der Aufrechterhaltung der Pluralität von Lebensentwürfen und politischen Alternativen durch eine aktive Zivilgesellschaft, die sich in der Tat auch in Mouffes Theorie stark widerspiegelt. Damit verlagert sich der Ort des Politischen weg von konflikt-neutralisierenden Institutionen hin zu einer kontroversen – oder eben agonistischen – Öffentlichkeit, welche die kritische Funktion der Verteidigung von demokratischer Vielfalt gegenüber einer postpolitischen Konsenspolitik übernimmt.
Warum Rzepka und Straßenberger alle drei referierten Autoren so eindeutig als Liberale lesen, wird nur angedeutet, wodurch das zentrale Argument des Beitrages – Mouffe sei entgegen der radikal-demokratischen Lesart eine verkappte Liberale – am Ende doch ein wenig zu schwach bleibt. Die Tatsache, dass viele Autor*innen, darunter eben auch Walzer, aber genauso Vertreter deliberativer Ansätze einerseits und agonistischer Theorien andererseits, versuchen, einen Mittelweg zwischen kommunitaristisch-republikanischen und liberalen Ausformungen von Demokratie zu finden, ist nicht neu und dass Mouffe sich ebenso „zwischen die Fronten“ einordnet, ist im Anschluss an ihre bereits in Hegemony and Socialist Strategy angebrachte und von Rzepka und Straßenberger auch explizit gemachte Kritik an marxistischen wie liberalen Ansätzen wenig verwunderlich. Sie hebt sich jedoch von der liberalen Tradition durch ihre diskurstheoretische Konzeption des Öffentlichen einerseits und die konstitutiven Rolle, welche sie Macht und Konflikt beimisst, andererseits entschieden ab. Mouffe als Liberale zu bezeichnen ginge daher zu weit. Eine Einordnung von Mouffes Theorie als einer agonalen Demokratietheorie kann dahingegen ihre Nähe zu anderen Vertreter*innen eines poststrukturalistischen Demokratiekonzeptes, wie beispielsweise Jacques Rancière oder Étienne Balibar verdeutlichen. Denn auch bei Mouffe bleibt die Dissens-Figur zentral für ein Verständnis von Demokratie als wirklich „politischer“ Politik.
Spannend bleibt sodann die Frage, ob der ambitionierte Versuch Mouffes, ihr Postulat der radikalen Kontingenz politischer Ordnungen und der Unabschließbarkeit des demokratischen Prozesses, dass sie in ihren hegemonietheoretischen Ausführungen zusammen mit Laclau formuliert, in einen Entwurf für die institutionelle Ausgestaltung liberaler Demokratien zu übersetzen, weiterführend ist. Mouffes eigene Ausführungen bleiben in diesem Punkt nämlich, wie u.a. auch Dirk Jörke und Birgit Sauer zu Recht kritisieren, sehr vage. Das von Rzepka und Straßenberger herausgearbeitete Konzept der aktiven Zivilbürgerschaft scheint mir hier ein Ansatzpunkt und ließe sich sicherlich durch das von Mouffe in Referenz auf Michael Oakeshott formulierte Konzept der „radikal-demokratischen Staatsbürgerschaft“ und die von Rzepka und Straßenberger angedeutete Parallele zu Arendts Theorie einer von der Pluralität der Menschen ausgehenden zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit weiter konturieren.
Nina Eggers ist Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den modernen Staats- und Demokratietheorien, der poststrukturalistischen Theorie und der Europaforschung.
Ich habe die Debatte gehört, ich wusste nicht, dass sie so konkurrenzfähig waren. Die liberale Demokratie ist so klar verständlich zu erklären, nochmals vielen Dank.