Dass die Bürokratie die eigentliche herrschaftssoziologische Neuerung der dreiteiligen antiken Verfassungstypologie aus Demokratie, Aristokratie und Monarchie sei, ist bei Hannah Arendt zu lernen. Dass Bürokratie unser Schicksal ist, liest man bei Max Weber. Was das mit Wissenschaft zu tun hat, lernt man nun aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Januar (Nr. 5/2015, S. N 4). Unter dem wohl auf Neil Postmans berühmte Kulturschelte anspielenden Titel „Wir flexibilisieren uns zu Tode“ präsentieren dort Björn Brembs und Axel Brennicke alarmierende Zahlen zu den Beschäftigungsrelationen zwischen Wissenschaftsbetrieb und Wissenschaftsverwaltung.
Während die Zahl befristeter Verträge im deutschen Wissenschaftsbereich weiter wachse – „von 2005 bis 2012 wurden durchschnittlich zehn befristete für jede unbefristete wissenschaftliche Stelle geschaffen“ –, um, so die von Brembs und Brennicke pointierte politische Rechtfertigung, „den Fortschritt […] im Dreijahresrhythmus“ gegen das akademische „Totholz“ unspektakulärer Wissenschaftlichkeit zu mobilisieren, seien mittlerweile „sagenhafte“ drei Viertel aller Verwaltungsstellen unbefristet.
Hochschulverwaltungen werden hiergegen einwenden, dass gute Wissenschaften eben verlässlich administriert gehören und nicht jede forschungsfremde Hochschulstelle ein Verwaltungsposten sei. Doch Brembs und Brennicke gehen noch zwei Zahlenschritte weiter: „Von 2005 bis 2012 wurden für jede unbefristete Stelle in Forschung und Lehre durchschnittlich drei unbefristete Verwaltungsstellen geschaffen.“ „In Deutschland kann offenbar eine international konkurrenzfähige Wissenschaft mit all ihrem Spezialwissen von lediglich 60.438 Menschen auf Dauer gesichert werden. Und für diese Wissenschaftler muss anscheinend mehr als die doppelte Zahl (nämlich 135.897) von Verwaltern auf Dauer gestellt werden.“ Auch „die Zahlen von 2012“ sprächen eine deutliche Sprache: „Jeder vollzeitbeschäftigte Wissenschaftler einer deutschen Universität wird im Schnitt von 1,28 Personen verwaltet.“
Man muss die Interpretation und Fairness solcher Zahlen sorgsam und kritisch bewerten. Schließlich spielen Brembs und Brennicke wider Willen nicht nur befristete gegen unbefristete und vollzeit- gegen teilzeitbeschäftigte HochschulmitarbeiterInnen aus, in jedem Fall aber wissenschaftliches gegen nicht-wissenschaftliches Personal. Auch vermengen sie in ihrer weiteren Argumentation die Zahlen geradezu beliebig mit anderen Krisensymptomen wie der vielgestaltigen Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebes. Allen Ernstes führen Brembs und Brennicke sogar jüngere Amokläufe und Selbstmorde US-amerikanischer und britischer ForscherInnen ins Feld: Die hätten dem unrealistischen Spitzenpublikationsdruck und den immer unverhohleneren Kündigungsdrohungen aufgrund exorbitanter Drittmittelforderungen nicht mehr standgehalten. Ja selbst die neuerdings öffentlich gemachten Plagiatspraktiken seien dem Gespenst des akademischen Kapitalismus zuzurechnen: Bei „fortgesetzter Entwicklung müsste im Jahr 2045 für jeden publizierten Artikel einer zurückgezogen werden.“
Solch grelle Prognosen überdecken zu sehr drei im Artikel und durch dessen Zahlenmaterial angedeutete Trends, denen die eigentliche Aufmerksamkeit gebühren sollte:
Erstens, dass die vermeintliche Umwandlung der Universitäten in kapitalistische Unternehmen weniger wirtschaftlicher Art ist als bürokratischer. Die vermeintliche „Flexibilisierung“ zum Tode ist in Wahrheit eine Institutionalisierung zum Überleben der Wissenschaftsanstalten. Es ist die Institution der Hochschule selbst, die expandiert. Der Drittmittel- und implizit fälschungs- und plagiatstolerante Zeit- und Publikationsdruck lastet dabei tatsächlich auf der Forschungsseite der Einrichtungen. Sie nämlich ist es, die angehalten wird, erweiterte Mittel zur Finanzierung des Universitätsbetriebs zu beschaffen. Mit diesen Mitteln, ihren Anwerbungs- und Verbrauchskosten können dann Verwaltungsstellenbedarfe begründet werden, die, sind sie erst einmal als Planstellen in die Hochschulhaushaltsplanung überführt, wiederum juristische Verbindlichkeiten der Öffentlichen Hand nach sich ziehen und damit kompensieren, was an politischer Verbindlichkeit in der Hochschulfinanzierung mittlerweile fehlt.
Kurzum: Die Forschungsseite verschafft der Verwaltungsseite des Betriebs ökonomische Mittel, die in juristische Zwangsinstrumente gegen die Politik und intern in arbeitsrechtliche Nötigungsroutinen gegen die Wissenschaft zu verwandeln sind. Sanfte Erpressung des Forschungspersonals, in immer kürzerer Zeit immer gewaltigere Summen mit immer spektakuläreren (oder kleinteiliger publizierten) „Ergebnissen“ einzutreiben, dient daher durchaus der weiterhin von externen Mittelzuflüssen abhängigen Institution Hochschule. Schließlich ist es die juristische Grobmechanik des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die bedingt, dass die Hochschulen nur auf zwei Arten verantwortlich haushalten können: Durch potentielle Planstellen in der durch Drittmittel leicht zu vergrößernden Wissenschaftsverwaltung und durch mehr Drittmittelverträge in der Wissenschaft selbst. Da Drittmittelstellen nicht unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz fallen, sind sie zwar frei von der Bedrohung, dem gesetzlich implizit forcierten Berufsverbot anheim zu fallen. Sie tauschen dieses zweifelhafte Privileg gegen prekäre Beschäftigungs- und Kettenverträge. Dadurch dann erst steigt die Chance der Universitätsverwaltungen, Herren im eigenen Haus zu sein.
Das statistisch laut Brembs und Brennicke so eindeutig zunehmende Missverhältnis zwischen befristeten WissenschaftlerInnen und unbefristetem Verwaltungspersonal scheint vor diesem Hintergrund weniger ein Merkmal der Ökonomisierung der Universität im kapitalistischen als im bürokratisch geschlossenen, latent betriebswirtschaftlichen Sinne zu sein: Die Institution stellt nur solche und davon möglichst alle laufenden Kosten auf Dauer, deren zukünftig externe Alimentierung ungeachtet des tatsächlichen Bedarfs gesichert zu werden verspricht. Schon die nirgends verheimlichte Komplizenschaft zwischen Drittmittelstars, Universitätspräsidien und politischem Standortwettbewerb zeigt das an. Übertrieben viele Verwaltungsstellen können dann durchaus der späte Kater früherer Drittmittelräusche sein. Dass es gewöhnlich nur die ForscherInnen sind, die dies verkennen und stattdessen ihre formierte Forschungsfreiheit lieber ominösen Kräften wie Bologna, Bildungsschwund & Globalisierung anlasten, liegt bloß daran dass sie selbst es sind, die das notorisch gegen den Luxus allzu freier Forschung eingesetzte Geld besorgen. Wer wollte schon daran schuld sein?
Dass sich aber die Forschungsseite dieser institutionellen Aufblähung überhaupt fügt, hängt mit einem zweiten Trend zusammen, den Brembs und Brennicke lediglich andeuten. Die „Belohnung“ des wissenschaftlichen Gehorsams gegenüber dem binnenmotivierten Einnahmedruck der Hochschulverwaltung erfolgt durch Anschlussverträge, Gefügigkeitsevaluationen, Ausstattungsprämien, Besoldungszulagen u.a.m., und zwar mit der Konsequenz, dass wissenschaftliche Reputation mit ökonomischen Benchmarks verschmilzt.
Die Effekte sind bekannt und werden seit Jahren kritisiert. Permanentes Wetteifern gerade der Höchstbesoldeten um prestigeträchtigere Lehrstühle, noch internationalere Rufe und allerlei Zulagen sind nur der individuell sichtbare Ausdruck dieses forschungszeitfeindlichen Systems. Der institutionelle Ausdruck dessen sind universitätsseitig bis ministerialbürokratisch professionalisierte Forschungsantragszentren, die wie am industriellen Fließband antragskonformes Wissen suchen und passförmig pressen, wodurch Ankündigungsartisten, Mainstreamthemen und Zitationskartelle kaum mehr von wissenschaftlicher Reputation unterschieden werden können. Vielmehr wird wissenschaftlicher Goldstandard, was sich in Antragsmasken fügen lässt, sei es nur zufällig oder tatsächlich strategisch. Die Funktion folgt der Form: Was sich mit dem planwirtschaftlichen Charme des „Innovativen“ als „kreativ“ in das in der Ausschreibung für „Kreatives“ vorgesehene Feld einpflegt, wird gehegt. Anderes lassen standardisierte Benchmarks selten zu.
Komplementär dazu verhindert die mittlerweile vollzogene Reduktion karriereförderlicher Publikationspraktiken auf sehr wenige, unfreiwillig deutlich so genannte „goldene“ Wege zuverlässig, dass zwischen „Gold“ und Reputation unterschieden werden kann: Einerseits verlieren Hochschulen und deren Bibliotheken, die die astronomischen Verlagssummen der international renommierten Journale nicht zahlen, den Zuspruch ihrer Spitzenkräfte (siehe etwa Caspar Hirschi und Carlos Spoerhase im jüngsten Merkur); andererseits konzentriert sich auch nur bei diesen Spitzenkräften genügend Drittmittelpotential, um die kaum minder exorbitanten Druckkosten für andere aussichtsreiche Publikationswege zu stemmen. So korrumpiert manch Finanzierungsfilz derzeit geltender Publikationsstandards mitlaufend die tradierten Kodices wissenschaftlicher Leistungen: Reputation bringt gesteigert, was besonders teuer publiziert wird; das Teure lesen können und gegebenenfalls erwidern dürfen bevorzugt Angehörige Drittmittel-starker Institutionen und forschungsgeldreicher Regionen, wodurch dann tatsächlich „wissenschaftliches“ Interesse an ansonsten zwecklos sprudelnden Fördersummen entsteht. Und in deren Windschatten wiederum winken Verwaltungsstellen. Erst wer diese finanziert, gewinnt neben der wissenschaftlichen auch institutionelle Reputation und wird für eine Hochschule berufungsfähig bis abwerbungsgefährdet. Auch insofern ist die jüngere Verwaltungsstärke vielleicht ein Echo der gesteigerten Antragsaktivitäten und entsprechend erforderlichen Vorschussnachweise für allerlei im letzten Jahrzehnt ausgepreiste Exzellenz- und Forschungsprämien.
Drittens indes bleibt unklar, worin die Kohärenz der Schlussfolgerung Brembs’ und Brennickes liegen soll, angesichts der statistisch dekadenten Verwaltungslage eine komplementäre Verbesserung der wissenschaftlichen Stellensituation zu fordern. Es ist vielleicht nichts gegen die Vollfinanzierung wissenschaftlicher Hochschultätigkeiten einzuwenden. Doch warum sollte solch eine Forderung ausgerechnet aus dem unvermeidlich eifersüchtig anmutenden Vergleich befristeter Wissenschafts- mit unbefristeten Verwaltungsstellen folgen? Da, wie die Autoren am Rande bemerken, das Verwaltungsstellenwachstum durch tatsächlichen Verwaltungsmehraufwand nicht ausreichend erklärt werden könne, würde sich auch nicht automatisch der geplante Verwaltungsbedarf durch die Einrichtung weniger bürokratieintensiver Wissenschaftsstellen verringern. Ist das Ziel also tatsächlich nur die Resymmetrierung von Wissenschaftsmacht auf der einen und Verwaltungsherrschaft auf der anderen Seite?
Brembs und Brennicke postulieren zwecks Linderung der Asymmetrie zwischen wissenschaftlicher Exzellenz und ihrer Verwaltung die Vorstellung, man könne doch überschüssige Verwaltungsstellen in Wissenschaftsstellen umwidmen. Das mag für viele (mit Ausnahme der Verwaltung) wie eine schöne Utopie wirken, wird aber nicht einmal durch die Struktur der aufgebotenen Zahlen gedeckt. Denn wachsen qualitativer Abstand (Absicherung) und quantitativer Abstand (Anzahl) zwischen wissenschaftlichem und verwaltendem Personal tatsächlich so rasant, wird man dies als binnenorganisatorische Logik der Institution Hochschule zu begreifen haben. Wohlwollend ließe sich dies als bürokratische Notwehr gegen chronische Unterfinanzierung der Hochschulen interpretieren: Man nimmt, was eben geht.
Weniger wohlwollend wäre die dafür aber zu den Zahlen passendere Schlussfolgerung: Die von Brembs und Brennicke beklagte Verwaltungsstellenschwemme ist nicht im eigentlichen Sinne lukrativer; vielmehr ist sie organisatorisch stabiler. Sie legt die eigene wissenschaftliche Exzellenz an die Prestigekette wohlmeinender Funktionäre und Headhunter, die paternalistisch besorgen, dass das Hamsterrad der Drittmittelreputation als immerhin goldener Käfig erscheint. So imprägniert sich die Institution der Hochschule zugleich gegen manch hochschulpolitische Zumutung unserer Zeit wie gegen allzu unbotmäßige Kreativität ihrer Insassen.
Es sind wohl beide Ihrer letzten Punkte zu einem gewissen Mass für die Schieflage verantwortlich, je nachdem welche Charakter man den Entscheidungsträgern zuspricht.
Vieles blieb in unserem Artikel ob der Kürze natürlich ungesagt, Ihr Beitrag spricht uns jedoch sehr aus dem Herzen und greift vieles auf, was wir aus dem Artikel lassen mussten. So einiges findet sich auch, aus etwas anderer Perspektive, beim zitierten Artikel von Chomsky:
https://www.jacobinmag.com/2014/03/the-death-of-american-universities/
Auch die Hintergründe von Stefan Grimm’s Tod sind, finde ich, sehr relevant für diese Diskussion:
http://www.dcscience.net/2014/12/01/publish-and-perish-at-imperial-college-london-the-death-of-stefan-grimm/
Als bekennender OpenScience Aktivist, teile ich jedoch Ihre Skepsis gegenüber dem goldenen Weg:
http://bjoern.brembs.net/2013/08/neither-gold-nor-green-nor-hybrid-are-sustainable-open-access-models/
Lieber Herr Huhnholz,
danke, dass Sie (und Brembs und Brennicke) das Thema aufgegriffen haben. Eine Diskussion über die Konfliktlinien im Betrieb Wissenschaft erscheint mir bitter nötig. Bisher geistern noch allzu häufig die von Ihnen genannten „ominösen Kräfte“ in allen Debatten über Veränderungen an der Institution Universität herum. Fatalerweise entsteht dadurch der Eindruck, dass sich jede Debatte über Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft erübrigt.
Der Artikel von Brembs und Brennicke benennt aus meiner Sicht einige richtige Punkte, zieht aber die falschen Schlussfolgerungen. Dazu folgende Anmerkungen:
1. Die Datenbasis: Woher kommt die Zahl, dass angeblich 60.000 Wissenschaftler für den Fortbestand der Wissenschaft in Deutschland verantwortlich seinen? In der einschlägigen Fachserie von Destatis lässt sich für das Jahr 2013 feststellen, dass unter dem hauptamtlichen wissenschaftlichen Personal 23.714 Professoren sowie 161.530 Wissenschaftliche Mitarbeiter geführt werden. Werden Dozenten und Lehrkräfte hinzugezählt, ergibt sich eine Summe von 194.445 hauptberuflich beschäftigten Personen im wissenschaftlichen Dienst. Hinzu treten 71.197 nebenberufliche Wissenschaftler, sodass insgesamt 265.643 Personen im wissenschaftlichen Dienst stehen.
Demgegenüber werden 256.638 Personen als sonstige Mitarbeiter geführt. Darunter neben Verwaltungs- auch technisches und übriges Personal.
Stellt man beide Werte gegenüber, ergibt dies einen minimalen Überhang für das Wissenschaftspersonal.
2. Nicht erwähnt – oder zumindest nicht adressiert – wird der Umstand, dass viele der im Zuge der Exzellenzinitiative geschaffenen Stellen nicht von klassischem Verwaltungspersonal (Angestellte, Beamte mit Verwaltungsausbildung) eingenommen wird, sondern als Auffangbecken für Personen mit Hochschulabschluss, aber ohne Aussicht auf Verwendung im Wissenschaftsdienst fungiert. Dies ist teilweise fachliche begründet durch Koordinationsaufgaben für Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs etc. Teilweise folgt es politischen Steuerungsabsichten, wenn Hochschulen sich „internationalisieren“ sollen und dafür Auslandsbüros, Marketingexperten und sonstige Spin-Doctoren engagieren. All diese Jobs haben zumeist eine Hochschulausbildung zur Voraussetzung, sodass die Ausweitung von Stellen auch Personen entgegenkommt, die aus unterschiedlichen Gründen gar keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen oder können.
3. Aus der sachlich richtigen Kritik an manchen Eskapaden der Verwaltung und einem bisweilen sehr langsamen Entscheidungsprozess wird im Grunde übersehen, dass es ohne Organisation auch nicht geht. Wer den Gärtner entlässt, das Putzpersonal rausschmeißt, die Laborantin feuert, den Postfahrer aussondert und letztlich die Personen, die Dienstreiseanträge bearbeiten, Geldeingänge administrieren und für eine Planung der Finanzen in den kommenden Jahren sorgt, der wird bald im Seminarraum im Dunkeln dozieren. Ohne Organisation geht es nicht. Dazu muss man nicht Weber zitieren, sondern die Einsichten der modernen Organisationssoziologie und der Theorie öffentlicher Güter. Will man also keinem kruden Aktionismus das Wort reden, sollte man sich nicht durch eine Volte gegen „das Verwaltungspersonal“ aufstacheln lassen. Das spielt nur Dritten in die Hände, die sich über solche Hahnenkämfe sehr amüsieren können. Und es läuft der Analyse Chomsky’s zuwider, der zufolge die Umstrukturierungen in der (amerikanischen) Hochschullandschaft als Ausdruck der krassen Ungleichheit in den USA und ihrer autoritären Absicherung durch Kontrollmechanismen begegnet werden soll.
4. Wenn Budgetposten gestrichen werden (z.B. Stellen für „das Verwaltungspersonal“, das es ja so nicht gibt), dann scheint es mir ein Irrglaube, davon auszugehen, dass Mittel umgelagert würden in frei werden Stellen für das Wissenschaftspersonal. Wie oben richtig dargestellt, bedeutet diese Umstrukturierung der Hochschulfinanzierung einen anderen Governance-Mechanismus in der Wissenschaft zu etablieren, bei dem Prekarität als negativer Anreiz fungieren soll. Das Denken in Karrierepfaden, das Einwerben von Mitteln, die stete Publikation, all das soll m.E. bewusst an einem bestimmten Wissenschaftsverständis (als öffentlicher Angelegenheit) rütteln, um kurzfristige Konkurrenz und Verdrängungswettbewerbe aufrecht zu erhalten.
Und es ist ja nicht so, als würde im öffentlichen Dienst kein Personal abgebaut. Deutschland leistet sich im OECD-Vergleich einen unterdurchschnittlichen Personalkörper in allen Angelegenheiten von öffentlichem Belang (Bildung, Kultur, Pflege, Kinderbetreuung, Eisenbahn, öffentliche Infrastruktur, Gesundheit usw.). Die Autoren erwecken den Eindruck, als könnte das Wissenschaftssystem unabhängig von den Privatisierungsprozessen der letzten zwanzig Jahre fortexistieren, was teilweise einem beliebten Argument mancher neoliberaler Staatskritik entspricht, wonach „die Wissenschaftsgesellschaft“ die Leitindustrie des modernen Kapitalismus werden solle und sich der Staat allein auf deren Förderung zu konzentrieren habe.
Man müsste also die Kritik deutlich präzisieren: Wogegen richtet sie sich? Gegen den Trend der Vermarktlichung von Wissen? Dann müsste man diese Mechanismen kritisieren, anstatt in einem Rundumschlag die Verständigung zwischen den abhängig Beschäftigen in allen Wirtschaftssektoren und damit auch in Wissenschaft und Verwaltung zu konterkarieren.
Zwei Ergänzungen mit herzlichem Dank für die guten Kommentare, Einwände und Hinweise:
1. Es lag und liegt mir fern, mit dem obigen Beitrag etwas zu dem Fall Stefan Grimms etwas. Ich lese gleichwohl in der aktuellen Zeitschrift „Forschung & Lehre“ (2/2015, S. 108f., Nachdruck eines FAZ-Beitrags von Angela Spielberg und Matthias Buchhardt vom 15.1.2015), wie dessen Selbstmord zum Anlass genommen wird, heftige Kritik am „Joch des Drittmittelfetischs“ zu üben, den „autoritären Führungsstil“ und „ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse“ an Universitäten. Die „Universität“, wird dort ein anonymer Kommentar zitiert, „ist zu einem Bordell verkommen“, in dem „jedem ein Zimmerchen gewährt wird, der ausreichend Drittmittel einwirkt. Wer nicht genug anschafft oder auspacken will, bekommt Druck vom Zuhälter.“ Ich verstehe diese Wut, ich bin mir nur anhaltend unklar über die Adresse und die Frage der Unterscheidung zwischen Kritik und Selbstkritik solcher Aussagen.
2. In der selben Zeitschriftenausgabe wird (S. 106f.) mit Rückgriff auf die Kritik von Brembs und Brennicke für eine Revision der „Fetische“ von „Doppelt-Blind-Begutachtung“ und „Impact-Faktor“ plädiert, samt recht konkreten Zahlen, wie viel und wessen Geld zu wessen Nutzen dabei eigentlich umverteilt wird. Ergänzt wird dort der Vorschlag offener „Post-Publication-Peer-Review-Verfahren“, die „widersprüchliche Gutachten nicht als Problem“ sehen, „sondern als Zeichen produktiver Forschung.“