theorieblog.de | Antagonistischer Agonismus – Anmerkungen zu Chantal Mouffe’s Buch „Agonistik“

8. Dezember 2014, Hagemann

Die Idee des Agonismus wurde von Chantal Mouffe in diversen Büchern und Aufsätzen formuliert, blieb jedoch eher ein vages Konzept. Das vorliegende Buch „Agonistik. Die Welt politisch denken“ (2014) enthält eine Sammlung von Aufsätzen, die das Konzept des Agonismus aus verschiedenen Perspektiven (Internationale Politik, Europa, radikale Politik, künstlerische Praktiken) beleuchten und damit die Idee des Agonismus konkretisieren sollen. Die folgende Lesenotiz soll einen kurzen Überblick über Mouffes Idee eines antagonistischen Agonismus geben und offene Punkte herausarbeiten.

Schon in der einführenden Skizze des agonistischen Ansatzes wird deutlich, dass die agonistische Idee mehr noch als in vielen früheren Publikationen mit dem hegemonietheoretischen Modell verknüpft wird. In diesem Lichte operiert der agonistische Ansatz explizit vor dem Hintergrund einer hegemonietheoretischen Ontologie, die Gesellschaft als unendliches Ringen antagonistisch-hegemonialer Formationen versteht (11). Soziale Ordnungen sind die Konsequenz antagonistisch angelegter hegemonialer Projekte, die existentielle Widersprüche in der Form von Wir-Sie-Konstruktionen artikulieren. Der „agonistische Pluralismus“ (12) umschreibt wiederum eine Form demokratischer Politik, die ebenjene antagonistische Dimension des Sozialen partiell in eine Form agonistischen, nicht-existentiellen Wettstreits überführt, ohne den antagonistischen Charakter der Gesellschaft zu negieren. Radikale Demokratie überwindet damit nicht den hegemonial-antagonistischen Charakter der Gesellschaft, sondern etabliert eine eigene hegemoniale Ordnung „demokratischerer, egalitärerer Institutionen“ (14). Diese lasse sich als radikalisierte Variante der existierenden liberalen demokratischen Institutionen verstehen. Kurzum: die im Agonismus Mouffes beschriebene Form demokratischer Politik (re-)aktiviert das in der Hegemonietheorie betonte antagonistische Wesen des Politischen. Der hegemoniale Charakter der Gesellschaft und die Möglichkeit alternativer Ordnungen müssen in politischen Konflikten deutlich greifbar werden. Genau dieses Kriterium demokratischer Politik führt dazu, dass Mouffes Interpretation des agonistischen Pluralismus besonders die antagonistische Dimension betont. Sie skizziert und fordert demnach einen antagonistischen Agonismus.

In dieser antagonistischen Interpretation des Agonismus verbirgt sich jedoch ein Spannungsverhältnis. Aus antagonistischen Feinden werden nur dann agonistische Gegner, wenn eine bestimmte basale Ordnung von allen Beteiligten akzeptiert wird. Eine spezifische hegemoniale Formation muss demnach allgemein auf Zustimmung treffen, um den agonalen Pluralismus zu ermöglichen. Nach Mouffe sind dies beispielsweise grundlegende deutungsoffene demokratische Prinzipien, die von den Beteiligten unterschiedlich interpretiert, aber gemeinsam akzeptiert werden.

Diese geteilte Akzeptanz verhindert jedoch nicht das grundsätzliche Streben nach Dominanz, Unumstrittenheit und scheinbarer Natürlichkeit bzw. Notwendigkeit durch etabliert hegemoniale Formationen – ein wesentliches Argument der Hegemonietheorie. Am Beispiel der Freiheit wird das Problem deutlich. Die allgemeine Zustimmung zum Begriff der Freiheit ermöglicht eine gemeinsame Basis für demokratische Auseinandersetzungen im Sinne des Agonismus – gleichzeitig kann jedoch nicht verhindert werden, dass eine bestimmte Interpretation von Freiheit dominant wird und als natürlich gilt. Eine derartige Dominanz einer speziellen Interpretation eines grundsätzlich deutungsoffenen Prinzips kann in bestimmten diskursiven Konstellationen bewirken, dass andere Interpretationen und damit andere Ideen sozialer Ordnung entweder als illegitim gelten oder schlichtweg undenk- und unsagbar werden.

Daher muss gerade ein Pluralismus mit starker Betonung des antagonistischen Prinzips, wie Mouffe ihn formuliert, die Frage beantworten, wie angesichts dieser Allgegenwart des diskursiven Strebens nach Dominanz das antagonistische Moment und damit die Möglichkeit einer grundsätzlich anderen sozialen Ordnung präsent gehalten werden kann. Dies wäre das Kriterium des von Chantal Mouffe stark gemachten antagonistischen Agonismus und insofern ist von Interesse, welchen Weg Mouffe in ihren Aufsätzen skizziert, um genau diese Form auch empirisch aufzuspüren.

Mouffe verweist auf liberale demokratische Institutionen, die sie zwar einerseits aufgrund der Negation des Politischen kritisiert (24f), gleichzeitig aber trotzdem als Ermöglichung des Agonismus anführt (29). Der Übergang zwischen einem befriedeten („Pluralismus ohne Antagonismus“ (48)) und einem antagonistischen Pluralismus ist demnach fließend und greift auf ähnliche Institutionen zurück. Den Unterschied kann nach Mouffe eine Praxis radikaler Politik machen, die sich mit den liberalen Institutionen auseinander setzt, um eine andere Hegemonie zu konstruieren (115). Diese „gegenhegemoniale Offensive“ würde sich nicht nur mit der Disartikulation der bestehenden Ordnung begnügen, sondern ginge den entscheidenden Schritt hin zu einer Reartikulation und damit der konkreten Formulierung einer Idee einer alternativen Ordnung (117f) einher, die durchaus auf staatliche Institutionen zielt bzw. diese zu nutzen bereit ist (175f). Diese idealtypische Bewegung entspricht aber nach Mouffes Verständnis nur bedingt den aktuell beobachtbaren Protestbewegungen (161ff), da letztere beispielsweise durch das Problem einer generellen Staatsferne und den Verzicht auf die explizite Reartikulation einer alternativen sozialen Ordnung charakterisiert seien. Daher bleibt vorerst offen, wie genau insbesondere die antagonistische Dimension des von ihr geforderten Pluralismus etabliert und gesichert werden soll.

Ein möglicher Weg wären detaillierte empirische Analysen jener diskursiven Elemente und Phänomene, die den hegemonialen Charakter einer Gesellschaft deutlich machen oder kritischen Projekten Ansatzpunkte für ihre antagonistische Praxis bieten. Einiges spricht dafür, dass Mouffes Idee eines antagonistischen Agonismus in vielen Aspekten der empirischen Gestalt von Demokratie wieder gefunden werden kann. Jedoch benötigt dies detaillierte Analysen und Rekonstruktionen des demokratischen Diskurses, wie sie beispielsweise bei Pierre Rosanvallon gefunden werden können.

Abschließend kann demnach fest gehalten werden, dass Chantal Mouffe mit dem vorliegenden Buch die antagonistische Dimension ihres Verständnisses von Agonismus expliziert, sie damit ihr theoretisches Modell konkretisiert und es deutlicher als bisher mit dem hegemonietheoretischen Ansatz verknüpft. Darüber hinaus positioniert Sie ihre Idee des agonistischen Pluralismus im aktuellen Diskurs linker Theoriebildung und aktuell beobachtbarer Protestbewegungen. All diese Punkte machen das Buch ohne Frage sehr lesenswert, wenngleich an einigen Stellen Fragen offen bleiben und daher eine systematische, detaillierte Darstellung des Konzepts eines antagonistischen Agonismus – wie sie im Buchtitel angedeutet wird – weiterhin äußerst wünschenswert wäre.


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