theorieblog.de | Buchforum zu Thomas Pikettys „Das Kapital im 21.Jahrhundert“

7. Oktober 2014, Huber

In der angloamerikanischen Welt bereits seit Monaten ein heiß diskutiert Besteller, kommt am heutigen Tag endlich die deutsche Übersetzung von Thomas Pikettys „Capital in the 21st Century“ in die Buchläden (eine Übersicht von Besprechungen der englischen Fassung es hier). Grund für den Theorieblog, einen spezifisch politiktheoretischen Blick auf das Buch zu werfen. In den nächsten Wochen werden im Rahmen eines Buchforums Lisa Herzog, Sebastian Huhnholz, Thomas Rixen, Timm Graßmann sowie Miriam Ronzoni jeweils einen bestimmten inhaltlichen Aspekt aus ihrer Perspektive aufgreifen und diskutieren. Zum Start der Serie wird uns Gabriel Wollner bereits am Donnerstag dieser Woche in das Buch einführen und die Frage stellen, was genau an (der von Piketty diagnostizierten) Ungleichheit eigentlich das Problem ist.

Das Mammutwerk des Wirtschaftswissenschaftlers von der Paris School of Economics, bereits im August 2013 (auf Französisch) erschienen und zunächst kaum beachtet, ist in aller Munde seit Paul Krugman vom “most important economics book of the year – and maybe of the decade“ sprach. Mittlerweile wird Piketty im politischen Beitrieb genauso herumgereicht wie in der akademischen Welt. So stellte er seine Thesen auf einer kürzlich absolvierten „US-Tour“ im Weißen Haus ebenso vor wie vor dem IWF und den Vereinten Nationen. Das Buch erzählt auf knapp 700 Seiten die Geschichte wachsender materieller Ungleichheit in Europa und den Vereinigten Staaten seit dem 18. Jahrhundert.  Die zentrale These ist, dass in diesem Zeitraum das Wirtschaftswachstum fast durchgängig deutlich unter der Kapitalrendite lag. Dadurch konnten die bereits Wohlhabenden ihr Vermögen überdurchschnittlich steigern und so über Generationen hinweg Ungleichheiten zementieren und ausbauen. Gerade in Krisenzeiten, in denen die Löhne stagnieren, hängen die Reichen so den Rest der Gesellschaft ab. Der Reichtum konzentriert sich immer stärker in den Händen einer kleinen Gruppe von Kapitalbesitzern. Ohne radikale Maßnahmen, die eine weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich aufhalten – Piketty  schlägt unter anderem eine globale Vermögenssteuer vor – erleben wir das weitere Fortschreiten eines patrimonialen Kapitalismus der die Grundlagen der westlichen Demokratien untergräbt.

Die These, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, trifft natürlich den Nerv der (Krisen-)Zeit und erscheint den meisten Lesern auch ohne volkwirtschaftliche Modelle plausibel. Die Stärke von Pikettys Theorie fußt jedoch im Kern auf ihrer empirischen Unterfütterung: Er und einige Mitstreiter haben (im Rahmen der World Top Income Database) über 15 Jahre eine große Masse an makroökonomischen Daten einer Vielzahl von Ländern gesammelt und ausgewertet. Der von Chris Giles in der Financial Times erhobene Vorwurf, Pikettys Daten seien fehler- und lückenhaft, ging dementsprechend an die Substanz (Pikettys Antwort ist hier nachzulesen). Das Ziel, die „Piketty-Bubble“ zum Platzen zu bringen, wurde aber letztendlich verfehlt. Denn mindestens genauso wirkmächtig wie die Empirie ist die Verve, mit der Piketty versucht, die Politische Ökonomie im klassischen Sinne wiederzubeleben als eine Disziplin, deren Grenzen zu anderen Sozialwissenschaften im besten Sinne fließend sind. Das Werk bezieht anthropologische, politische, soziologische und kulturelle ebenso wie sogar literarische Aspekte mit ein und liest sich in den besten Momenten wie ein wirtschaftshistorischer Thriller.

Wenngleich der Versuch der New York Times, „Das Kapital im 21.Jahrhundert“ schon in eine Reihe mit Klassikern wie Marx’ Kapital, Adam Smiths Wealth of Nations oder John Maynard Keynes’ General Theory zu stellen, etwas verfrüht scheint, so hat das Buch doch bereits jetzt eine globale Diskussion über Ungleichheit (wieder) angestoßen. In diese Debatten, die auch im Netz längst angekommen sind, werden sich die Beiträge unsere Buchforums einmischen. Und wie immer hoffen wir auf angeregte Diskussion auch in der Kommentarspalte!

Wer sich einmal persönlich mit dem Autor und seinen Thesen vertraut machen will (und sich in Berlin befindet), der sei schließlich noch auf die am 7. November von den Blättern für deutsche und internationale Politik organisierte „Democracy Lecture“ verwiesen. Die Veranstaltung, bei der Piketty mit der Philosophin Susan Neiman, dem Politikwissenschaftler und Blätter-Mitherausgeber Hans-Jürgen Urban sowie dem Kulturwissenschaftler Joseph Vogl diskutiert, beginnt um 19 Uhr im Haus der Kulturen der Welt. Weitere Information gibt es hier.


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