Auf dem Institutsflur, am Rande von Fachkonferenzen oder beim Zusammensein nach Feierabend: die Zukunftsperspektiven sind für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Politischen Theorie und Ideengeschichte Dauerthema. Dass diese wesentlich mit der Gesamtentwicklung des Teilbereichs verflochten sind, wird hingegen häufig nicht berücksichtigt. Hubertus Buchstein und Tobias Müller haben sich über diese Themen unterhalten und ihr Gespräch für uns dokumentiert.
Hubertus Buchstein (HB): Hallo Tobias, hättest du einen Moment, um mir folgende Frage zu beantworten? Was soll ich Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses antworten, die mich nach den Aussichten und besten Strategien fragen, eine Professur im Bereich Politische Theorie und Ideengeschichte zu erlangen? In den vergangenen Monaten ist mir diese Frage auffallend häufig gestellt worden.
Tobias Müller (TM): Lieber Hubertus, um ehrlich zu sein, möchte ich mich aktuell aus verschiedensten Gründen nur ungern mit derartigen praktischen Zukunftsfragen beschäftigen. Außerdem – was soll ich denn dazu kurz oder gar groß sagen können? Du und deine Generation der derzeitigen Amtsinhaber, Ihr müsst es doch am besten wissen!
HB: Dann stelle ich die Frage anders: Wieso kommen Jüngere auf die Idee, dass wir Älteren das Erfolgsrezept wissen müssten, wenn doch die Hochschullandschaft erneut und permanent im Umbruch ist? Was sollen noch die alten Rezepte? Und vielleicht gibt es – zumindest für den Bereich der Politischen Theorie und Ideengeschichte – gar kein Erfolgsrezept?
TM: Das wäre dann aber auch nichts wirklich Neues. Denn die Universitätslaufbahn, so hatte schon Max Weber in seinem Vortrag ‚Wissenschaft als Beruf’ behauptet, funktioniert wie ein Glücksspiel, ist mit anderen Worten reiner „Hazard“. Die „Tüchtigkeit“ mag bei einer erfolgreichen Berufung auf eine Professur zwar auch eine Rolle spielen, eine Garantie sei sie aber nicht. Für den erfolgreichen Weg zur Professur gälte, so Weber, dass dort – lass mich den genauen Wortlaut nachschlagen – zwar „nicht nur der Zufall herrscht, aber er herrscht doch in ungewöhnlich hohem Grade.“ Insofern ist das einzig Neue an deiner Ratlosigkeit, dass Webers Einschätzung der Aussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses im deutschen Wissenschaftssystem, nach langen Jahren der Qualifikation und Weiterqualifikation in subalternen Positionen schließlich eine Professur zu erlangen, auch nach knapp hundert Jahren kaum etwas von ihrer Aktualität verloren hat.
HB: Ich gebe zu, dass, wenngleich es bei Berufungsvorgängen in erster Linie um die Eignung und Qualität des Bewerbers oder der Bewerberin geht, mit dieser Anforderung nicht mehr definiert ist als das Feld, auf dem die Kontingenzen, die durch die Texte von Stellenausschreibungen, deren Interpretationsvarianten, der Zusammensetzung der Berufungskommission, dem Bewerberfeld, der Gutachterauswahl oder den Erwartungen von Fakultäts- und Universitätsleitungen erzeugt werden, erst zur vollen Entfaltung gelangen. Alle, die schon einmal intensiver an Berufungsvorgängen beteiligt waren, dürften Webers Hinweis auf die Macht des Zufalls bei der Besetzung von Professuren daher nur in wenigen Ausnahmefällen widersprechen können.
TM: Ja, und wo die Macht des Zufalls anerkannt wird, dort entsteht nicht nur bei Luhmann und Lübbe der Nährboden für Strategien der Kontingenzbewältigung, sondern auch am Roulettetisch. In letzterem Fall wird vornehmlich versucht, der für viele Menschen schwer zu ertragenden Ungewissheit über die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten beizukommen. Also frage ich Dich: Wie groß ist die Chance, wie groß ist denn zunächst überhaupt die Wahrscheinlichkeit für einen Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses, in den kommenden Jahren eine Professur im Bereich der Politischen Theorie zu erlangen?
HB: Die Jugend und ihre Zahlenfixierung! Nun gut: Um die von dir geforderte Berechnung durchführen zu können, bedarf es einiger Zahlenwerte. Auf der Nachfrageseite müssen wir die Anzahl der auf absehbare Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach frei werdenden Professuren kennen, also solcher Professuren, deren Inhaberinnen oder Inhaber altersbedingt in den Ruhestand gehen und die daraufhin nach aller Wahrscheinlichkeit neu ausgeschrieben werden. Auf der Angebotsseite benötigen wir die Anzahl der formal ebenfalls qualifizierten Mitbewerber und Mitbewerberinnen für eine solche Stelle – also all diejenigen, die habilitiert sind oder habilitationsadäquate Leistungen vorweisen können. Lass mich dir jedoch zunächst einen kurzen, ebenfalls auf Zahlenwerte gestützten Überblick hinsichtlich der bisherigen Entwicklung der Professuren im Bereich der Politikwissenschaft geben:
Meines Wissens gibt es keine andere sozialwissenschaftliche Disziplin, die nach 1945 auf eine derartige Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. Das Teilgebiet der Politischen Theorie und Ideengeschichte, das nach dem DFG-Gutachten von Rainer Maria Lepsius seit Mitte der 1960er Jahre flächendeckend etabliert wurde, profitierte von Anfang an von dieser Expansion. Heute ist die Politische Theorie an den meisten der insgesamt 69 universitären Standorte des Faches Politikwissenschaft in Deutschland als eigenständiges Teilgebiet im Studienprogramm und personell fest verankert.
TM: Das hört sich zunächst so schlecht nicht an. Wenn ich zu den Professuren im Teilgebiet die Mitarbeiter aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs wie mich, die (wenigen) Akademischen Räte, die Wissenschaftlichen Mitarbeiter in den diversen Drittmittelprojekten, die derzeit aus Mitteln des Hochschulpaktes finanzierten Lehrenden, die über Exzellenzförderungsmaßnahmen Finanzierten sowie auch solche Kolleginnen und Kollegen aus den Nachbardisziplinen Philosophie, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Rechtswissenschaft hinzuzähle, die ebenfalls starke Bezüge zur Politischen Theorie haben, dann gelange ich im Überschlag für die Politische Theorie auf eine Gesamtzahl von etwa 300 gegenwärtig an bundesdeutschen Universitäten Forschenden und Lehrenden. Der proportionale Stellenanteil der Politischen Theorie hat sich somit allen Kassandrarufen zum Trotz – denen von dir eingeschlossenen – im vergangenen Jahrzehnt nur geringfügig vermindert.
HB: Ja, das gebe ich unumwunden und gern zu. In dieser Stabilisierung schlagen sich nicht zuletzt der Ausbau der universitären Lehramtsausbildung, Sondermittel im Zuge des Hochschulpaktes sowie Stellenbesetzungen im Rahmen des Frankfurter Exzellenzclusters ‚Die Herausbildung normativer Ordnungen‘ nieder. Dennoch ist es keine ausgemachte Sache, dass das Teilgebiet Politische Theorie auch auf längere Sicht die Umstellung der Studiengänge auf die Bologna-Normen unbeschadet übersteht. Hierfür dürfte insbesondere die – keineswegs erzwungene – Fokussierung auf die Praxistauglichkeit der B.A.- und M.A.-Studiengänge verantwortlich sein, im Zuge derer die Vertreter und Vertreterinnen des Teilbereichs es oftmals nicht vermochten, die Politische Theorie und Ideengeschichte auch in anwendungsbezogenen Programmen zu verankern.
TM: Das mag sein – akademische Disziplinen und Teilgebiete genießen nun einmal keinen Artenschutz, trotzdem: Die in deiner Tabelle zum Ausdruck kommende momentane Stabilität dürfte auf mittlere Sicht doch eine gewisse Sicherheit im Hinblick auf die zukünftige universitäre Präsenz des Teilgebietes bieten, oder nicht? Unterstützt wird diese Diagnose meines Erachtens darüber hinaus durch die derzeitige professorale Altersstruktur: Fast die Hälfte der insgesamt 53 Professuren des Teilgebiets (41 sind von Männern, 12 von Frauen besetzt) sind erst in der vergangenen Dekade neu besetzt worden. Ein Großteil der Neuberufenen ist momentan jünger als 50 Jahre.
Was jedoch für den Fortbestand des Teilbereiches ein positiver Befund ist, transformiert sich mit Blick auf deine eingangs gestellte Frage nach den Perspektiven des Nachwuchses in das genaue Gegenteil. In den kommenden sechs Jahren gehen lediglich neun Kolleginnen und Kollegen in Pension und mit Blick auf die Stellenpläne an den entsprechenden Instituten kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Positionen neu ausgeschrieben werden. Auch wenn die Existenz des eigenständigen Teilbereichs Politische Theorie also mittelfristig als gesichert angesehen werden kann, so sind die Perspektiven für den momentan bereits habilitierten oder eine Habilitation anstrebenden wissenschaftlichen Nachwuchs in unserem Fachbereich zugleich keineswegs rosig: Im Durchschnitt werden in der kommenden Dekade pro Jahr voraussichtlich lediglich 1-2 Professuren zur Neubesetzung ausgeschrieben werden. Und damit wird die Aussicht des derzeitigen wissenschaftlichen Nachwuchses, in eine beruflich abgesicherte Position in unserem Teilbereich zu gelangen, zu einem noch größeren Vabanquespiel, als sie es bereits in der Vergangenheit gewesen ist. Vielleicht rührt daher auch die Steigerung der Nachfragen nach einem Patentrezept für die akademische Karriere, die du in den vergangenen Monaten festgestellt hast.
HB: Das ist möglich, wobei auch dieser Befund nicht neu ist. Hier scheint lediglich auf universitärer Ebene der ‚Schweinezyklus‘ in eine neue Runde zu gehen. Denn nach dieser Tabelle kann fast die Hälfte aller derzeitigen Professorinnen und Professoren im Bereich Politische Theorie auf eine abgesicherte berufliche Perspektive von über 20 Jahren bis zu ihrer Pensionierung blicken. Eine ähnliche altersmäßige Ballung gab es nach meiner Erinnerung in der Politischen Theorie schon einmal vor 30 Jahren als Folge der Berufungswelle in den 1970er Jahren. Sie hatte den Effekt, dass in den 1980er Jahren die Zahl der habilitierten Bewerber auf eine Theorieprofessur die Zahl der ausgeschriebenen Stellen regelmäßig um ein Vielfaches übertraf; erst der Neuaufbau der Politikwissenschaft in den neuen Bundesländern zu Beginn der 1990er eröffnete für einige Kollegen eine dauerhafte berufliche Position – nachdem sie sich teilweise bis zu zwölf Jahren als Privatdozenten über Wasser gehalten hatten.
TM: Wie gesagt: wenig rosige Aussichten, da es mir für den Augenblick an der Phantasie mangelt, um mir vorzustellen, welches politische Wunder eintreten könnte, damit es zu einem neuerlichen Stellenboom kommen könnte.
HB: Auch ich würde hier keine allzu großen Hoffnungen schüren wollen. Es gibt, ohne allzu schwarz zu malen, sogar noch einen anderen Aspekt der bemerkenswerten Kohortenbildung im Bereich der Politischen Theorie, den ich bedenklich finde. Er betrifft die inhaltliche Entwicklung unseres Teilgebietes in den kommenden Jahren. Es ist damit zu rechnen, dass die meisten der momentan dominierenden theoretischen Selbstverständnisse auch in der näheren Zukunft das Teilgebiet prägen werden – denn Veränderungen und Innovationen erfolgen erfahrungsgemäß auch in der Wissenschaft am ehesten im Zuge personeller Veränderungen. Die Politische Theorie an den Universitäten könnte im Zuge dessen zu einer ziemlich langweiligen Angelegenheit werden.
TM: Dem würde ich nicht nur zustimmen, ich würde sogar noch weitergehen: Nicht nur sind Innovationen ‚von oben’ vor diesem Hintergrund nicht unbedingt zu erwarten; auch der Kreativität des Nachwuchses scheinen mindestens unterbewusst Grenzen gesetzt. Beim Gespräch mit gleichaltrigen Kollegen und Kolleginnen habe ich nicht selten den Eindruck, dass die inhaltliche Arbeit, das Streunen durchs Dickicht der Politischen Theorie (um von den hügeligen, kaum überschaubaren Landschaften der Nachbardisziplinen zu schweigen), das sich-Ausprobieren, kurz: das für die Wissenschaft unabdingbare trial and error hinter den bedachten Bauarbeiten an den eigenen vier Wänden des Lebenslaufs (zeig’ mir deinen CV und ich sage dir, wer du bist) zurückbleibt.
Um jedem falschen Eindruck vorzubeugen: Ich möchte diese Bestandsaufnahme niemandem zum Vorwurf machen. Strukturen haben einen wesentlichen Einfluss auf das menschliche Verhalten. Wo die Felder mit Blick auf die obigen Zahlenspiele inhaltlich und personell abgesteckt sind, wäre es beinahe naiv, sich während der gefühlt unendlichen Reise zur Lebensstelle nicht so aufzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit, am Ende einen (Lehr-)Stuhl zu ergattern, hiermit maximiert würde. Für die inhaltliche Fortentwicklung des Faches muss dieses rationale Verhalten auf der Mikroebene jedoch, wie so häufig, nicht unbedingt zu rationalen Ergebnissen auf der Makroebene führen. Wenn Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen um die gleiche knappe Währung konkurrieren (peer review-Artikel bzw. Publikationen im Allgemeinen, DAAD-geförderte Auslandsaufenthalte, DFG-Drittmittel etc.), die am Ende die Voraussetzung dafür ist, überhaupt um ebenso knappe Stellen vorsprechen zu dürfen, dann sind Experimente das Letzte, was man erwarten darf. Dass dies mit Blick auf mögliche Innovationen nicht unbedingt förderlich ist, liegt für mich auf der Hand.
Beinahe als Nebenprodukt bleibt im Zuge dieses Prozesses das Wohlbefinden der jeweils Betroffenen auf der Strecke. Keine Frage, die wissenschaftliche Arbeit ist auf den ersten Blick ein Lottogewinn; inhaltliche und zeitliche Flexibilität treffen abwechslungsreiche Tätigkeit und das bestenfalls in einer vom studentischen Flair durchzogenen Klein- oder aber der kulturell und intellektuell aufregenden Großstadt. Unter der Oberfläche kann die Flexibilität jedoch so weit gehen, dass man sich am Ende als Privatdozent mit Anfang 40 auf dem Arbeitsamt wiederfindet. Wo Derartiges ausbleibt – und das psychische Kostüm die heranschleichende Depression (im Leistungssprech burnout) ebenfalls abzufangen weiß –, bringt die fehlende perspektivische Sicherheit andere Probleme mit sich, denke nur an Familienplanung, den Aufbau eines privaten Umfeldes und Ähnliches.
HB: Das ging vielen meiner Generation nicht anders. Festzuhalten bleibt davon unabhängig, dass die Bedeutung und Rolle der Politischen Theorie in ihrer bisherigen 65-jährigen bundesdeutschen Fachhistorie selten unbestritten war, sondern dass sie ihren Platz im Fach stets neu behaupten musste und mit den anderen Teildisziplinen auch heute in einem wechselhaften Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation steht. Zwar geriet die Politische Theorie im Zuge des Beginns des Bologna-Prozesses massiv unter Druck, sie konnte sich daraus aber durch eine offensive Herausstellung ihrer Bedeutung für das gesamte Fach sowie durch den Hinweis auf die curricularen Erfordernisse der Lehramtsausbildung befreien.
Periodisch aufflackernde Krisendebatten sollten also niemanden, der ein besonderes Interesse an der Politischen Theorie hat, in die Resignation treiben; es gibt nun einmal, wie Du ja selbst gesagt hast, keinen Artenschutz für akademische Teildisziplinen, sondern wissenschaftliche Felder müssen sich fortlaufend um Anerkennung bemühen und immer wieder neue Antworten auf neue Entwicklungen geben. Diesen Anerkennungsdruck spüren andere Teildisziplinen des Faches zum Teil noch heftiger. Die gegenwärtigen Globalisierungsprozesse überschreiten den traditionell nationalstaatlich organisierten Geltungsraum politischer Institutionen und fordern somit die Teilgebiete ‚Politisches System der Bundesrepublik‘, ‚Vergleichende Politikwissenschaft‘ und ‚Internationale Politik‘ in ihren traditionellen inhaltlichen Feldern und Abgrenzungen auf noch grundlegendere Weise heraus.
TM: Mit Blick auf den Fortbestand des Teilbereichs stimme ich dir da gerne zu. Je komplexer Politik wird und je mehr sich Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler in allen Teilbereichen in ihrer Arbeit darum bemühen, dieser steigenden Komplexität auf theoretischer Ebene gerecht zu werden, desto wichtiger wird die Funktion einer Politischen Theorie, die diese Ambitionen reflexiv begleitet. Um diese Reflexionsfunktionen ausüben zu können, bietet die Politische Theorie den Interessierten heute eine breite Palette von der Politischen Philosophie über die Politische Ideen-, Begriffs- und Semantikgeschichte bis hin zur Wissenschaftstheorie. Ich will aber auch noch einmal deutlich machen, dass dies eben keine unmittelbare Verbesserung der Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses mit sich bringt.
Produktiv lassen sich Fragen unter Umständen vereinigen, indem man aus der Not eine Tugend macht und sich darum bemüht, innovativ an sich abzeichnende Komplexitätszuwächse und Transformationen in der Politik anzuschließen. Glücksspiel, um das Weber’sche Bild vom Hazard wieder aufzunehmen, hat für auf Kontrolle bedachte Personen paradoxerweise einen wesentlichen Vorteil. Der Kontrollmöglichkeit sind von vornherein Grenzen gesetzt. Wenn man sich an den Roulette-Tisch setzt, dann kann man sich zwar überlegen, wie hoch die Wahrscheinlichkeiten für ein „Plein“, „Douzaine“ oder „Cheval“ jeweils ist, also Kontingenzbewältigung in Form von Wahrscheinlichkeitsrechnung betreiben; man kann sich jedoch nicht dazu entschließen, mit fünf Kugeln zu spielen. Ebenso wenig wird es möglich sein, den eigenen Weg zum Lehrstuhl am Reißbrett zu planen. Weichen müssen gestellt und gute Arbeit muss verrichtet werden, das ganz sicher; Selbstaufgabe im Angesicht des Zufalls ist jedoch etwas anderes.
Andererseits ist dieser affirmative turn selbstredend unbefriedigend, gerade aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses. Am Ende kann der selbstbewirkte inhaltliche Fortschritt, bei aller Leidenschaft für die eigene Arbeit und den Teilbereich Politische Theorie, nicht über die massive Unsicherheit bezüglich der eigenen beruflichen Zukunft hinweghelfen. Da mir, unter Umständen nicht zuletzt aufgrund geringerer Erfahrungswerte, die Phantasie fehlt, um mir ein eigenständiges und rosigeres Zukunftsszenario auszumalen, fällt mir abschließend nur der, vergleichsweise langweilige, Blick ins Ausland ein: Wenngleich im angelsächsischen Raum sicherlich nicht alles Gold ist, was glänzt: Tenure-Track- und Lecturer-Stellen scheinen mir nichtsdestotrotz eine andere Perspektive zu öffnen, als die Sekt-oder-Selters-Situation hierzulande.
Hubertus Buchstein, geb. 1959, seit 1998 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald. Tobias Müller, geb. 1986, seit 2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald.
Vielen Dank fuer dieses sehr interessante Gespraech.
Ich frage mich jedoch, auch aus fehlender Kenntnis, ob der Zufall, der aleatorische Moment gewissermassen, wirklich so zentral fuer die weitere wissenschaftliche Karriere (v. a. fuer NachwuchswissenschaftlerInnen) ist oder ob nicht doch die angesprochenen Anpassungs- und ‚Mainstream‘-strategien wichtiger sind?!
Zudem frage ich mich, ob die ‚wissenschaftliche Emigration‘ in den angelsaechsischen Raum nicht eine zu einfache Option ist. Es aendert schliesslich nichts an den kritisierten gegenwaertigen Verhaeltnissen. Die Frage waere doch eigentlich, wie die „Sekt-oder-Selters-Situation‘ fuer den Nachwuchs geaendert werden kann? Woran liegt es, dass die Situation bekannt ist, aber sich nichts aendert?
Viele Gruesse!