theorieblog.de | Danke, Manuela Schwesig?
14. Mai 2014, Huhnholz
Es ist beinahe schade, wie schnell die Massenmedien (etwa hier, hier, hier auch, hier, oder auch hier) die gerade angelaufene Kindertransporthilfe des Bundes als Performance des Zentrums für politische Schönheit enttarnten. Ziel der angeblich von höchster Stelle gewollten und bewilligten „Kindertransporthilfe“ ist es, bedrohten Kindern nach britischem Vorbild des Jahres 1938 einen Fluchtraum zu öffnen: 55.000 syrische Kinder sollen in deutschen Pflegefamilien Sicherheit und Geborgenheit finden. Interessierte Aufnahmefamilien können sich bewerben.
Dass die Sache vorerst ein Fake ist, muss nichts zur Sache tun. Es ist Ziel der preisgekrönten Performance-Künstler_innen, Fiktion Realität werden zu lassen. Die dafür großartig und enorm aufwändig inszenierte Website der Aktion wirkt vielleicht nicht durchweg „echt“. Allein aber die Vielfalt der als offizielle Ansprechpartner_innen ausgewiesenen Pseudoministerialen und die Konkretheit, mit der sich Hilfswillige informieren und registrieren können, verblüfft und lässt etwaige Zweifel schnell verschwinden. Nicht zuletzt ein wunderbar professioneller Werbefilm ist es, der die Glaubwürdigkeit erhöht, kopiert er doch die antioffiziöse Betroffenheitsbildsprache der PR-Republik Deutschland geradezu perfekt, statt sie bloß billig zu persiflieren.
So schlägt, und das ist ja das Ziel des Ganzen, das auf bloßen Schein abstellende Selbstbild führender Politiker_innen des Landes ins Makabre um: Mit ihren eigenen Werbewaffen inszeniert, soll in diesem Fall nun die Bundesfamilienministerin gedrängt werden, den Catwalk der Berliner Bühne zu verlassen und Farbe gegen den hierzulande immer stärker ignorierten syrischen Massenmord zu bekennen. Wenn schon fünfundfünfzigtausend bürgerkriegsverfolgte syrische Kinder einer routinelieb lächelnden (und wohl just ihres auf derlei Sympathie hin fabrizierten Images wegen gewählten) „Gutes Tun“-Darstellerin „Danke, Manuela!“ zurufen, so das Kalkül der Performance, wird die sich nicht ohne Prestigeverlust und Peinlichkeit aus der Affäre ziehen können. Irgendetwas, das über Dementi hinausreicht, wird nach den Regeln des Berliner Betriebs passieren müssen.
Ob es dafür des Verweises auf von den Nazis verfolgte jüdische Kinder wirklich bedurfte, sei dahingestellt. Beachtlich aber ist der Mut, mit dem das Zentrum für politische Schönheit die Grenzen der Meinungsfreiheit, der Identitäts(er)findung und der politischen Kunst testet. Immerhin dürften der denkbaren Herbeifälschung einer offiziellen politischen Kampagne die übliche Reihe rechtlicher Sanktionen folgen (von denen freilich mit Spannung abzuwarten und zu beobachten bleibt, wer sich wie im offiziellen Berlin traut, die damit unweigerlich einhergehende Rufschädigung der Bundesfamilienministerin weiter zu forcieren, hatte doch selbst die Deutsche Bank schon gezögert, auf eine vergleichbare Aktion offen zu reagieren). Doch wer es als „aggressiver Humanist“ schon wagt, Kopfgelder auf deutsche Waffenproduzenten auszuschreiben und sie als Verbrecher zu denunzieren, wird sich von Rechtsgrenzen nicht groß stören lassen.
Insofern ist der Kindertransporthilfe des Bundes trotz recht schneller massenmedialer Enttarnung und ungeachtet wie auch immer sich einstellender „Erfolge“ schon jetzt Erfolg zu bescheinigen: als nachahmungstaugliche Provokation. Denn wenngleich dezenter, ästhetischer und dezidiert nicht satirisch, gleichwohl dem Prinzip der Yes Men nachempfunden (die durch einen konsequent auf die Spitze getriebenen Neoliberalismus den Zynismus des gegenwärtigen Macherimages und Leistungsträgertums offensichtlich machen), will das Zentrum für politische Schönheit und ihr „Chefunterhändler“ Philipp Ruch einen „inspirierenderen und performativeren Umgang mit Politik“ provozieren. Chapeau!
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