theorieblog.de | Animal Politics: interessant, irritierend und herausfordernd – Bericht von der Frühjahrstagung der DVPW-Theoriesektion

2. April 2014, Förster

Vom 12. bis 14. März kam die Theoriesektion auf Einladung von Peter Niesen und Bernd Ladwig zum Thema „Animal Politics“ in Hamburg zusammen und diskutierte Sein und Sollen von Tierrechten. Welcher Status und welche Rechte kommen Tieren zu – und wie sollen wir mit diesen umgehen?

Neben Politikwissenschaftlern nahmen auch Juristen, Philosophen und Literaturwissenschaftler an der Tagung teil. „Fasziniert, interessiert und irritiert“ zeigte sich etwa Julika Griem, was auch den Eindruck vieler Teilnehmer treffen könnte: Faszinierend und Interesse weckend waren dabei wohl die verschiedenen Perspektiven auf die Frage nach der Mensch-Tier-Verhältnis sowie die daraus möglicherweise folgenden Implikationen für menschliche Lebensweisen, irritierend beispielhaft die fließbandartige Tötung von Tieren (an Arbeitstagen im Schlachthaus ein Rind alle 12 Sekunden – wie ein Vortrag erklärt, der auf einer teilnehmen Beobachtung basierte). Dem hinzugefügt sei herausfordernd, denn die oftmals eher philosophisch diskutierte Frage nach der Tierpolitik fordert nicht nur die Politikwissenschaft heraus, sondern auch jeden Einzelnen – und dies nicht nur bei der Frage, ob in der Kaffeepause zu Sojamilch oder zu veganen Keksen gegriffen werden sollte. Neben Tierrechten im engeren Sinne ging es auch um die Interessen von Tieren, das durch die industrielle Haltung und Schlachtung verursachte Leid sowie den Status von Tieren – vom Eigentum über den Status als tierische Rechtsperson bis hin zum Tier als Mitbürger. Immer wieder zur Disposition gestellt wurde auch die Perspektive, aus der wir über Tierpolitik nachdenken – die zwangsweise eine menschliche ist.

Alasdair Cochrane forderte „Animal Rights without Liberation“. Rechte seien schützenswerte Interessen. Aber haben Tiere solche Interessen? Und wenn ja, folgen daraus Rechte und damit einhergehend Pflichten, diese zu wahren? Als Antwort in Bezug auf das Leben und das Recht nicht zu leiden gab Cochrane ein doppeltes „Ja“. Ein Recht auf Freiheit sei aber nur instrumentell in Rückbezug auf das Leid gegeben; Freiheitsrechte für Tiere bestehen demnach nur dort, wo Unfreiheit Leid bedeutet. Dies hat Implikationen für viele Policy-Bereiche: Landwirtschaft, Schlachtung, Unterhaltung durch Tiere, kulturelle Praktiken etc. und würde mit einer Verknappung und Verteuerung vieler Lebensmittel einhergehen. Was diese Veränderungen wiederum für die menschliche Gesellschaft bedeuten würden, ließ Cochrane weitgehend unbeantwortet.

Artgerecht ist nur die Freiheit“ lautet der Titel von Hilal Sezgins auch in den Medien vieldiskutiertem Buch, aus dem sie Ideen vorstellte. In Rückgriff auf Nussbaum spricht Sezgin vom Recht auf den „Vollzug eines Lebens“: Tiere sind erlebensfähige, tätige Wesen und haben als solche ein Recht auf das, was zu einem erfüllten Leben gehört. Dies müsse nicht unbedingt Freiheit bedeuten im Sinne der Freiheit vom Menschen, sondern die Freiheit, nicht eingeschränkt zu werden. Die Umgebung der Tiere müsse ausreichend authentisch sein, um ihre natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Auch dürften Tiere nicht besessen werden: „Ein empfindungsfähiges Wesen kann niemand anderem gehören.“ Daraus folgt für Sezgin, dass wir entweder hoffen können, dass sich etwas ändert und wir uns das auch finanziell leisten können in angesicht der Verknappung und Verteuerung tierischer Produkte), oder vegan leben. Kontrovers blieben die Frage nach der Vereinbarkeit von der Freiheit und Nutzung von Tieren, sowie die Besitzbarkeit. Bietet nicht Besitz auch Schutz – wenn man an herrenlose Hunde denkt – und kann Eigentum nicht auch verpflichten? Wichtig sei es, das Tier als eigenständiges Individuum wahrzunehmen.

Mit dem Zitat aus Ovids Metamorphosen „Auch wir sind ein Teil der Welt“ und wer ein Tier töte, töte einen Verwandten stieg Jan Philipp Reemtsma in seinen Vortrag zu Gewalt gegen Tiere ein; wer sich an Tiermord gewöhne, gewöhne sich an Mord. Wir sind nicht nur für unsere Handlungen verantwortlich, sondern auch für unsere Maßstäbe, so Reemtsma. Was ist uns wichtig? Wer wollen wir sein? Will ich jemand sein, der Tiere aus Neugier tötet? Will ich jemand sein, der Tiere isst? Der Streit gehe weniger darum, ob es Tierschutzrechte geben solle, sondern um das Maß. Unbestreitbar sei auch, dass Tieren Gewalt angetan werde. Der Gewaltbegriff an sich gebe aber noch keine Auskunft darüber, unter welchen Umständen welche Formen von Gewalt legitim oder eben auch moralisch verwerflich seien. Wie aber nun das richtige Maß bestimmen?

Tiere können ihre Interessen nicht durchsetzen oder Mitglied eines Rechtsgefüges im Sinne der Teilhabe an der Vergemeinschaftung durch Recht sein. Ähnlich wie Kleinstkinder und behinderte Menschen können sie aber durch andere vertreten werden. Hierfür ist Empathie für den Vertretenen erforderlich. Die Frage nach dem Maß an Freiheit ist dabei anthropozentrisch gedacht; dies müssen wir Mitdenken. Damit griff Reemtsma eine Frage auf, die die gesamte Tagung durchzog: Sind Grenzziehungen (welche Tiere welche Rechte in welchem Maße zugesprochen bekommen) nicht immer anthropozentrisch? Und sind solche Grenzziehungen nicht trotz ihrer Willkürlichkeit stets notwendig? Wieviel Mensch steckt notwendigerweise in den „animal politics“?

Dieses Spannungsfeld wurden auch in Bezug auf Will Kymlickas Beitrag interessant, in dem er Bürger- und Souveränitätsrechte für Tiere forderte. Über die traditionelle Tierrechtsdebatte will Will Kymlicka in seinem gemeinsam mit Sue Donaldson verfassten, seit 2011 breit diskutierten Buch Zoopolis hinausgehen. Tiere haben einen intrinsischen moralischen Wert weil sie empfindungsfähige Wesen sind, so sein Ausgangspunkt in seinem Vortrag „Aminals and the Frontiers of Citizenship“.

Kymlicka und Donaldson unterscheiden drei Gruppen von Tieren: wilde Tiere, urban wild lebende Tiere und domestizierte Tiere; auf letztere legte Kymlicka in seinem Vortrag den Fokus. Domestizierte Tiere leben in einer engen, kooperativen Beziehung mit Menschen, sind Mitglieder unserer Gesellschaft, da um uns zu dienen, und von Menschen abhängig. Ist eine gerechte, kooperative Beziehung zu ihnen möglich? Kymlicka fordert Bürgerrechte für domestizierte Tiere, die den Schutz vor Leid, Gesundheitsfürsorge, Arbeitsrechte sowie ein Recht auf Repräsentation einschließe. Die Funktion des Bürgerstatus sei es, die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft anzuerkennen. Man müsse nicht die Frage stellen, welchen Zweck unsere Beziehung zu Tieren habe und wie wir diese mit möglichst wenig Leid für die Tiere umsetzen können, sondern, welche Art von Beziehungen Tiere mit Menschen haben wollten. „Domesticated animals continually try to communicate with us but we don’t listen.” Wir müssen den Tieren die Möglichkeit geben zu wählen und diese Wahl interpretieren.

Die Frage nach der Umsetzbarkeit von Kymlickas „Zoopolis“ diskutierte null. Parallelen zwischen Mensch und Tier, die in der Tierrechtsdebatte herangezogen werden – nicht nur in Bezug auf Kleinstkinder und behinderte Menschen sondern auch in Bezug auf Sklaverei und Genozid – seien überladen. Zwischen Mensch und Tier bestehe eine soziale Gemeinschaft, aber keine politische. Wie würden Konflikte zwischen Menschen- und Tierrechten aufgelöst? Sind Tiere gleichberechtigte Träger fundamentaler Rechte? Wie können Tierrechte in einer Demokratie praktisch umgesetzt werden? Wie könnte Zoopolis finanziert werden? Zoopolis erscheint als politisch, ökonomisch und kulturell überfordernd in einer Welt, in der schon die Solidarität gegenüber Mitmenschen oft gering ausfällt.

Thomas Saretzki fragte, was es heißen könnte, Tiere ernst zu nehmen. Erwächst aus den Pflichten, die Menschen gegenüber Tieren haben, der Bürgerstatus für Tiere? Wie wäre das theoretisch und praktisch möglich? Die Zuschreibung von Begriffen wie „Bürger“ und „Souveränität“ auf Tiere sei anthropozentrisch: Dies seien Begriffe, die wir erfunden haben, um menschliche Gemeinschaften und Politiken zu konzeptualisieren. Die politische Dimension liege aber nicht im Mensch-Tier-Verhältnis selbst, sondern im Austausch über verschiedene Vorstellungen über das Mensch-Tier-Verhältnis zwischen Menschen.

Saskia Stucki trat dafür ein, Tieren den Status als Rechtsperson zuzusprechen. Zurzeit sind Tiere rechtlich gesehen weder natürliche Rechtspersonen noch Sachen, die aber, wenn nicht anders bestimmt, wie Sachen behandelt werden und besessen werden können. Dabei würden Tiere im Recht bereits als Träger von Interessen mit Würde und Eigenwert anerkannt, was sich jedoch nicht auf ihren rechtlichen Status auswirkt. Sie sind „Quasisubjekte“ oder „Nichtobjekte“. Können Tiere aber überhaupt Rechtspersonen sein? Rechtssubjekte müssen Interessen haben, die schützenswert sind, und diese werden Tieren durch Recht bereits zugesprochen. Für Tiere sollte daher eine dritte Kategorie, die der tierischen Rechtsperson, neben der natürlichen und der juristischen Rechtsperson eingeführt werden.

Wie aber kann man Tiere politisch vertreten?, fragte Svenja Ahlhaus in ihrem Vortrag. Tiere können nicht wählen; eine Autorisierung kann daher nur durch eine Selbstautorisierung wie etwa durch Tierrechtsorganisationen oder durch eine indirekte Autorisierung mittels der Ernennung von Vertretern, wie im Falle von Kinderrechten, erfolge. Die Interessen von Tieren müssen interpretativ repräsentiert werden. Grundlegende Interessen festzustellen, sei unproblematisch. Dabei muss sich der Mensch fähig zeigen, das Tier vertreten zu können und nicht das Tier, seine Interessen mitzuteilen. Eine Beurteilung der Repräsentation im Sinne einer Rechenschaftspflicht ist durch Dritte möglich. Zu klären bleibe, welche Tiere welchen politischen Status zugesprochen bekämen. Fraglich blieb auch, wie die Vertretung aussehen könnte.

Zusammenfassend schien es so etwas wie einen „vernünftiger Pluralismus“ an Begründungen zu geben, Tiere nicht zu quälen und zu töten: Sie sind Zwecke in sich selbst, haben ein Recht auf den Vollzug ihres Lebens, sind empfindsame Wesen, ein Teil unserer Welt, der Mensch soll nicht verrohen, usw.. Was daraus politisch folgt, blieb aber kontrovers. Ziehen wir die Grenze beim Quälen und Töten? Wieviel Freiheit sollten wir Tieren zugestehen? Sollten Hunde die gleichen Rechte haben wie Zecken? Hiermit verbunden ist die Frage, als was wir Tiere sehen. Bleiben sie Objekte einer Debatte zwischen Menschen oder sollten sie als ebenbürtige Mitglieder unserer Gesellschaften gesehen werden? Greift ein Bürgerstatus für Tiere nicht viel zu weit, wo wir doch auch nicht allen Menschen in unserer Gemeinschaft diesen Status zuerkennen? So seien, wie Bernd Ladwig in seinem abschließenden Vortrag kritisierte, Menschenrechte, Souveränität und der Bürgerstatus Konzepte, die den Ausgang des Menschen aus dem Naturzustand kennzeichnen, in dem sich Tiere befinden die, anders als Menschen und Staaten, eben nicht verantwortungsvoll handeln können. Wie, wenn überhaupt, können wir Tierinteressen mit menschlichen Konzepten beschreiben? Letztendlich ist es doch der Mensch, der die „animal politics“ betreibt. Was darüber hinaus bleibt, ist die Frage nach den Konsequenzen: Was würde der Status des Tieres als Person oder gar Mitbürger für unsere Gesellschaft, für unsere Kultur, deren Teil das Töten und Quälen von Tieren ist, bedeuten? Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn Tiere repräsentiert werden würden? In diesen Fragen liegt die Herausforderung der „animal politics“ für die Politikwissenschaft.

Annette Förster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen. Ihr Habilitationsprojekt beschäftigt sich mit der Konstruktion einer staatlichen Notwehr und deren Einfluss auf einen Wandel im Selbstverständnis demokratischer Rechtsstaaten.


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