MOOCs (massive open online courses) sind in der politischen Theorie wie auch in den anderen Disziplinen noch Neuland. Das viel zitierte Beispiel von Michael Sandels unvorstellbar populärer Gerechtigkeitsvorlesung, die nun auch als interaktives Seminar kostenlos im Netz abrufbar ist, bildet die große – aber auch umstrittene – Ausnahme. Eine ZEIT-Bildungskonferenz im vergangenen Juni sowie der demnächst von Fabio Cerutti beginnende Online-Einführungskurs in die politische Philosophie geben Anlass, dieser Lehrform nachzugehen. Welchen Möglichkeiten bieten MOOCs, insbesondere auch für die politische Theorie?
Laut der New York Times war 2012 das Jahr der MOOCs, weil eine Vielzahl von Firmen und Universitäten mit großem Eifer neue Kurse anboten. Das ‚Massive‘ der Onlinekurse geht in der Idee über die bisher bekannten Formen des e-learning in Moodle, Blackboard & Co. hinaus. Während dort Inhalte zunehmend über die Bereitstellung der Materialien hinweg mit online-Leistungsabfragen, Quiz, und kollektiven Lernformen verknüpft werden, zeichnen sich die kostenlosen und von allen zugänglichen MOOCs durch zwei wesentliche Unterschiede aus:
Erstens werden sie meistens von Universitätsverbünde entwickelt. In den neuen, auch kommerziell ausgerichteten Netzwerken, etwa coursera (390 Kurse), edX (64 Kurse) oder udacity (25 Kurse) bieten neben MIT und Harvard eine Vielzahl an US-amerikanischen und internationalen Universitäten Kurse an. Noch aber sind die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Minderheit, die meisten Inhalte werden von technikaffinen Fächern wie Informatik und Mathematik gestellt. Aber diese Fächer holen auf, was sich mit dem Kurs von Cerutti und anderen anbahnt. Ein Beispiel für eine internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit einzelner Dozenten in der Sozialwissenschaft ist die Einführung in die Europäische Union.
Zweitens werden für diese Kurse – zumindest hierzulande – keine Credits vergeben. Mit ihnen ist also (noch) kein Zugang zu den etablierten Bildungsinstitutionen verbunden. Ein Abschluss der Kurse wird nicht als Studienleistung anerkannt, es sei denn es handelt sich um Angebote von Fernstudiengängen. Zwar bieten einige Kurse Zertifikate an, deren Stellenwert bleibt für die Benotung und damit die universitätsinterne Anerkennung aber vorerst vernachlässigbar. Das tut ihrer Popularität allerdings keinen Abbruch. Denn in absoluten Zahlen bieten sie mehr Menschen weltweit Zugang zu Bildung als je zuvor. Die einzige Voraussetzung sind ein Internetanschluss und Zeit.
Für die Lehre im tertiären Sektor ist dies allerdings nur ein Aspekt unter vielen. Die Debatte um MOOCs wird hitzig, wo es um den relativen, d.h. den qualitativen Mehrwert der Internetkurse gegenüber den klassischen Formen der Lehre in Hörsälen geht. Bis jetzt steht der Beweis aus, dass Onlinekurse dem Betreutungsverhältnis im Vorlesungssaal bzw. Seminarraum wirklich ernsthaft Konkurrenz machen können. “I haven’t seen a single study showing that online learning is as good as other learning”, gibt auch der Vorreiter Sebastian Thrun von der Stanford University zu bedenken, um zu hohen Erwartungen vorzubeugen. So warnten auf der ZEIT-Bildungskonferenz im Juni 2013 auch Malte Persike und Jörn Loviscach vor dem ausgerufenen Hype. MOOCs sind aufwändig. Sie verlangen eine mediengerechte Aufteilung des Inhaltes, anschaulich dargestellte Beispiele, Studio-Equipment, ausgeklügelte Tests und Interaktionsformen mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Studierenden. Für die Lehrenden bedeutet dies vor allem, dass die Entwicklung tragfähiger Onlinekurse viel Zeit in Anspruch nimmt.
Denn die digitalen Lehrangebote sollen mehr sein als gefilmte Vorlesungen, die nachträglich von den Studierenden für Prüfungsvorbereitungen aufgearbeitet werden können. Das Versprechen der MOOCs als individuell frei zugängliche und zugleich interaktive digitale Inhaltsaufbereitung liegt genau in der Vermittlung und unmittelbaren Aneignung von Wissen, das mehr und mehr im Internet zu finden ist. Wenn Onlinekurse die klassische Kommunikationsrichtung in Hörsälen überwinden sollen, muss gefragt werden, wie Studierende zur Interaktion mit den Lehrinhalten bewegt werden können. Die neuen Techniken können diesen Prozess unterstützen. Sie werden die Begegnung von Lehrenden und Studierenden (und diesen untereinander) aber nicht ersetzen. Deshalb ist weder eine Verteufelung noch eine Überhöhung der MOOCs notwendig. Vielmehr werden neue Interaktionsformen entwickelt, wenn sich bis zu 50.000 TeilnehmerInnen einschreiben und durch den Kurs geführt werden sollen. Peer-to-peer-review in kleinen, automatisch zusammengestellten und von TurorInnen betreuten Teams werden als eine Methode entwickelt, kollektive Lernfortschritte zu protokollieren. Die Erfahrungen können schließlich auch auf die Lehre vor vollen Hörsälen angewandt werden.
Ein zentrales Problem wird jedoch noch zu lösen sein: Während Wissen über die freien Kurse im Internet zwar international zugänglich wird, bleibt zu erforschen, wie Studierende über die gesamte Länge eines Kurses hinweg zur Teilnahme motiviert werden können. Selbst in seinen obligatorischen Statistikveranstaltungen fiel Persik auf, dass sich zwar viele für die Kurse einschrieben, nur die wenigsten sie allerdings mit allen Tests abschlossen. Bisher seien trotz aller Evaluationsfortschritte diese AbbrecherInnen für Nachfragen nur sehr selten erreichbar. Mit dem jederzeit verfügbaren Wissen scheint sich die Illusion zu nähren, dass alles auch kurz vor der Prüfungen noch zu lernen wäre. Zwar macht das in absoluten Zahlen neuer NutzerInnen nichts oder nur wenig aus. Wenn MOOCs allerdings als Zusatzangebot für verpflichtende Veranstaltungen genutzt werden sollen, dann müssen DidaktikerInnen auch die Einflussfaktoren auf die Motivationen ihrer Studierenden einkalkulieren, um sie zum größtmöglichsten Studienerfolg zu führen.
Auch die Lehre Politischer Theorie kann diesen neuen Möglichkeiten profitieren. Zum einen stellen Blackboards & Co. bereits den Alltag in Seminar dar. Viele Hochschulen haben in den letzten Jahren Didaktikangebote entwickelt und Lehrpreise ausgelobt. Interessant wäre es deshalb zu wissen, wie diese inneruniversitären Möglichkeiten heute schon als Ergänzungen in der politischen Theorie über ihre einfache Funktion als Textspeicher hinaus genutzt werden. Während es für die Darstellungen mathematischer oder biologischer Modelle vielleicht mehr Anschauungsmaterial und eingänglichere Quiz gibt, wird vor allem der Einstieg in komplexe Texte und die Darstellung der vielfältigen Interpretationen pragmatischer, ethischer oder moralischer Probleme eine der Herausforderungen sein.
Peer-reviews außerhalb der Präsenzzeit im Hörsaal, online begleitete Mini-Konferenzen unter Studierenden (etwa gegenseitige Kommentare von Exposés) und ein diverses Angebot an verschiedenen Medien (Stichwort Vorlesung auf Youtube statt Textabschnitt) bieten sich als Integrations- und Vermittlungsmethoden an. Gleichzeitig geht der Umgang mit den Möglichkeiten des Internets und dessen Programmen über die Vermittlung von Inhalten hinaus. Seminarrelevante Theoriewikis (der theorieblog berichtete) oder aber Programme zur Darstellung komplexer Argumente können leichter eingebunden werden und erlauben zugleich, eine kritische und fachspezifische Haltung gegenüber schnelllebigen sozialen Medien und neuen Techniken zu entwickeln. Der persönliche Kontakt zu den Lehrenden wird auch in Zukunft immer noch der ausschlaggebende sein und bildet zumindest innerhalb der Universität den Qualitätsvorteil gegenüber MOOCs, die sich an einige zehntausende NutzerInnen richten.
Prof. Furio Ceruttis Einführung in die politische Philosophie und der thematisch naheliegende Kurs von Anja Mihr zu Menschenrechten und Öffentlichkeit bieten die Gelegenheit, MOOCs für die Politische Theorie zu beobachten und in Zukunft vielleicht in verschiedenen Seminaren komplementär zum Einsatz zu bringen.
Neueste Kommentare