theorieblog.de | Vegetarismus als Hochschulpolitikum

3. Dezember 2012, Schmetkamp

An der Universität Basel wird gekämpft: Für eine fleisch- und fischfreie Mensa. Der Vorstoß einiger Studierenden, der vom Studierendenrat angenommen wurde, sorgt uniintern und -extern für jede Menge Aufsehen und teils immense Empörung. Vegetarismus und Veganismus werden zum (Hochschul-)Politikum. Die Gegner fühlen sich in ihrem Lebensstil beeinträchtigt; die InitiantInnen haben immerhin einen 13-seitigen Antrag verfasst mit ethischen, sozioökonomischen, und ökologischen Gründen. Jens Hermes und Adriano Mannino gehören zu den InitiantInnen. In einem Interview mit Theorieblog erklären sie ihre Gründe.

Theorieblog: Ihr habt gefordert, dass die Mensa fleisch- und fischfrei wird und dass täglich ein veganes Menü angeboten wird. Wie haben die Mensa und die Uni bisher darauf reagiert?

Jens: Beide Seiten waren bereits im Begriff, das Gesamtkonzept in Richtung Nachhaltigkeit zu optimieren. Ein (moderater) Ausbau des vegetarischen Angebotes war auch geplant. Zugleich aber hieß es, man würde grundsätzlich das anbieten, was die Mehrheit der Studierenden wolle.

Theorieblog: Wie begründet Ihr Euren Vorstoß?

Jens: Zwei ökologische und sozioökonomische Fragen, die von globaler Relevanz sind, lauten: Wie können wir den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren? Und: Wie bekämpfen wir die Nahrungs- und Wasserknappheit, die nach wie vor hunderte Millionen Menschen betreffen? Es wird noch viel zu selten erwähnt, dass der Konsum von Fleisch und anderen Tierprodukten einer der Hauptverursacher dieser Probleme ist. Schon 2010 haben die Vereinten Nationen daher festgestellt, dass die vegane Ernährung einen großen Beitrag zur Lösung leisten könnte.

Adriano: Aber am direktesten und massivsten von unserem Tierkonsum betroffen sind natürlich die nicht-menschlichen Tiere. Alleine in der Schweiz werden jährlich über 50 Millionen Tiere völlig unnötig und oft qualvoll eingesperrt, transportiert und getötet. Weltweit sind es pro Jahr über 50 Milliarden Landtiere. Die Wassertiere zählt man längst nur noch in Tonnen. Das Ausmaß des Leides, das die Haltung und Tötung sogenannter „Nutztiere“ verursacht, ist unvorstellbar. Im Zusammenhang mit dem Antrag haben wir dazu Infopage „Tiere essen“ erstellt.

Theorieblog: Ein Argument der Gegenseite lautet, die eigene Wahlfreiheit werde beschnitten und eine bestimmte Lebensweise aufgezwungen. Die Reaktionen sind teilweise sehr heftig und unsachlich, ihr werdet als Salon-VeganerInnen oder Schickimicki-VegetarierInnen betitelt.

Jens: Ich reagiere gelassen auf solche Aussagen. Einerseits vermute ich, dass ich früher ähnlich reagiert hätte, bevor ich mich ernsthaft und offen mit den Fakten beschäftigt habe. Andererseits, erreicht mich auch sehr viel motivierendes Feedback.

Adriano: Wir haben nie bestritten, dass es im Allgemeinen ein Problem ist, die (kulinarische) Wahlfreiheit anderer Menschen einzuschränken. Nur ist es auch ein Problem, dies nicht zu tun und damit Ungerechtigkeiten zuzulassen. Es scheint ziemlich lächerlich, sich sozusagen altruistisch um die kulinarische Wahlfreiheit einiger Menschen zu sorgen, aber die genannten massiven Schadensfolgen des Tierkonsums zu ignorieren. Nicht zuletzt gilt es in diesem Zusammenhang auch auf das Nicht-Schadensprinzip des britischen Philosophen John Stuart Mill zu verweisen, das in liberalen Gesellschaften gilt und politisch unumstritten sein sollte: Die Freiheit des einen endet dort, wo die Schädigung (bzw. die Freiheit) des anderen beginnt! Es gibt kein Recht, andere völlig unnötig zu schädigen.

Theorieblog: Wie könnte man die Gegenseite umstimmen? Seht Ihr da eine Perspektive oder ist das Thema so heikel, dass die GegnerInnen ohnehin gleich die Ohren verschließen und stur bleiben?

Jens: Neben der Informationskampagne über tierethische, ökologische, sozioökonomische und auch gesundheitliche Aspekte ist es in der Praxis notwendig, konkret aufzuzeigen, dass die vegetarisch-vegane Ernährung abwechslungsreich und lecker ist.

Adriano: Und viele Argumente sind in ihrer Stärke noch kaum bekannt. Wie viele MilchkonsumentInnen sind sich etwa bewusst, dass Kühe nur dann Milch geben, wenn sie permanent geschwängert werden, wobei ihnen die Kälber meist gleich nach der Geburt entrissen werden, weil ja wir an die Milch wollen? Wie viele EierkonsumentInnen wissen, dass alleine in der Schweiz pro Jahr über zwei Millionen männliche Küken als „nutzarmer Überschuss“ gleich nach dem Schlüpfen qualvoll vergast oder zerhäckselt werden? Und dass „Bio“ bei alledem selten einen Unterschied macht? Aber gewisse Verhärtungen lassen sich kaum vermeiden, wenn man progressive Forderungen stellt, die dem Status quo zuwiderlaufen.

Theorieblog: In Berlin an der FU gibt es seit 2011 eine fleisch- und fischfreie Mensa, wenngleich auch nur eine Zweigestelle. Habt Ihr Euch daran orientiert bzw. Euch ausgetauscht?

Jens: Wir haben uns im Vorfeld über die Idee, die Umsetzung und die Ergebnisse der Vegi-Mensa in Berlin informiert. Durch die steigenden Kundenzahlen und das positive Feedback in der breiten Bevölkerung, das die Mensa in Berlin erhalten hat, fühlten wir uns in unserer Motivation bestärkt.

Theorieblog: Adriano, du studierst Philosophie. Wie zentral ist die Tierethik deiner Ansicht nach im Philosophiestudium?

Adriano: In Zürich, Bern und Basel habe ich zunehmendes Interesse an der Thematik festgestellt, das sich auch in Forschung und Lehre niederschlägt. In Basel hat der Grundkurs Praktische Philosophie zum Beispiel den angewandten Schwerpunkt der Natur- und Tierethik. Außerdem gibt es bei den Basler Juristen ein Graduiertenprogramm zu „Law and Animals“. Philosophisch stellt sich einfach die folgenschwere Frage des Speziesismus: Ist es legitim, Menschen überhaupt in irgendeiner Weise gegenüber bewussten nicht-menschlichen Tieren zu privilegieren? Mit welcher Rechtfertigung? Dass das Schwein z.B. die „falsche“ Anzahl Beine habe, kann ja – angesichts unserer dezidierten Ablehnung anderer Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Sexismus – nicht unser Ernst sein. Was aber verhindert dann die Aufnahme des Schweines in die Gemeinschaft der moralisch Gleichwertigen? Wir können nicht länger ignorieren, dass es auch nicht-menschliche Individuen gibt, ja dass sie auf diesem Planeten die Mehrheit stellen. – In einer Antwort an Bernard Williams hält Peter Singer fest, dass diese Argumente in vier Dekaden tierethischer Debatte nicht entkräftet werden konnten.

Theorieblog: Wie geht es in der Mensa-Angelegenheit weiter?

Jens: In der letzten Sitzung des Studierendenrats haben sich die Ratsmitglieder auf einen Gegenvorschlag geeinigt, der einen vegetarischen Tag pro Woche, ein tägliches veganes Menü sowie die Verbilligung des Salatbuffets vorsieht. Gegen diesen Entscheid wurde erneut ein Referendum ergriffen, das zu einer Urabstimmung unter allen Studierenden führt. Wir gehen davon aus, dass die Mehrzahl der Studierenden für diesen äußerst moderaten Vorschlag stimmen wird und dass in absehbarer Zukunft ein wöchentlicher Vegi-Tag eingerichtet wird. Ausserdem sind öffentliche Vorträge zum Thema geplant und Unterstützung erfahren wir auch durch das Philosophische Seminar, das relativ spontan eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat, die die Thematik unvoreingenommen und wissenschaftlich beleuchtet. Ausserdem stellen wir unser Erfahrungswissen nun auch Studierenden anderer Unis zur Verfügung, um den Impact der Aktion zu vervielfachen. Studierende der Universität Bern haben bereits durch die Presse kommuniziert, dass sie unserem Vorbild folgen werden.


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