theorieblog.de | CfP: Konstruktivistische Theorien der Politik

20. November 2012, Hausteiner

Der DVPW-Arbeitskreis „Politik und Kultur“ und die Themengruppe „Konstruktivistische Theorien der Politik“ suchen für ihre Frühjahrstagung „Die andere Seite der Politik. Theorien kultureller Konstruktion des Politischen“ vom 7. bis 9. März in München geeignete Beiträge. Deadline ist der 7. Januar – alle weiteren Informationen gibt es nach dem Klick.

Ziel der gemeinsamen Tagung des Arbeitskreises „Politik und Kultur“ und der Themengruppe „Konstruktivistische Theorien der Politik“ ist die Reformulierung des Begriffs „politische Kultur“ aus konstruktivistischer Perspektive und die Diskussion damit
einhergehender Forschungsperspektiven.
In der deutschsprachigen Politikwissenschaft wurden Problemstellungen zu „Politik und Kultur“ traditionell unter das Forschungsfeld „politische Kulturforschung“ rubriziert und überwiegend als Frage nach individuellen Einstellungen hinsichtlich politisch relevanter Objekte behandelt. Gegenüber diesem engen Mainstream-Verständnis von Kultur wurde Mitte der 80er Jahre die Forderung nach einer „kulturalistischen Wende“ formuliert, der auf eine Öffnung der politischen Kulturforschung gegenüber anderen Gegenständen (z.B. Körpern, Architektur, Alltagspraktiken, Medien
etc.) und auf eine Verlagerung des analytischen Fokus von der Mikro- auf die Meso- und Makroebene (Betonung von Vorstellungen, Weltsichten, Symbolen, Regierungstechniken etc.) abzielte. Dabei lassen sich zwei Richtungen der kulturalistischen Kritik unterscheiden: in einer moderaten Variante geht es um eine ideen- und symbolorientierte Ergänzung des einstellungszentrierten Ansatzes, deren (zu diskriminierender)
Referenzpunkt das Mainstream-Paradigma bleibt. Das Erkenntnisinteresse gilt weiterhin der Erkundung des Beitrags kultureller Orientierungen im Hinblick
auf die Frage der Stabilität politischer Ordnungen. In einer radikaleren Variante führt die kulturalistische Kritik indes zu Erneuerungsversuchen „jenseits“ des hegemonialen Paradigmas der herkömmlichen politischen Kulturforschung, die im politikwissenschaftlichen
Analyserahmen von Legitimitäts- und Steuerungsfragen angesiedelt ist.
Die unterschiedlichen konstruktivistisch akzentuierten Neulektüren von „Politik und Kultur“ weisen einige Gemeinsamkeiten auf: a) Im Fokus steht nicht mehr die Frage nach Werten, von denen eine (des-)integrative Wirkung für ein politisches Gemeinwesen ausgehen könnte; vielmehr wird ersichtlich, dass der kulturelle Blick zu jedem Wert einen Gegenwert eröffnet. b) Politische Kultur wird nicht mehr über Gegenstandsbereiche
definiert, sondern als ein auszudeutender „Horizont“ beschrieben, der eine gesellschaftliche Selbstbeschreibung in Abgrenzung von anderen Optionen bereitzustellen vermag. c) Der Kulturbegriff wird historisiert und als spezifische Erfindung der Moderne verstanden: er offeriert ein Beobachtungsschema, das die Steigerung von Interpretationsspielräumen bewirkt. d) In Kulturkämpfen geht es zentral um die Formulierung von Identitätsproblemen, die per se als politisch betrachtet werden oder aber dann politische Qualität gewinnen, wenn sie Anschlussfähigkeit an die politische
Kommunikation aufweisen.
Die immer wieder thematisierte Problematik, wie denn der Kulturbegriff zu definieren sei, wenn er doch so Heterogenes umfasse, wird nun auf eine andere Ebene verlagert: Es geht nicht mehr um das „Was“ von Kultur (Container-Begriff), sondern vielmehr um die Frage, „wie“ durch eine bestimmte Weise der Beobachtung „Kultur“ erst hervorgebracht wird.
Dabei lassen sich unterschiedliche Akzentuierungen differenzorientierter Neuperspektivierungen des (politischen) Kulturbegriffs ausmachen. Die wichtigsten Ansätze sollen hier kurz skizziert werden. Wesentlich inspiriert wurde die beschriebene Entgrenzung des Kulturverständnisses durch die Rezeption der britischen „Cultural Studies“-Arbeiten in den deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Kultur wird dort als eine spezifische Lebensform beschrieben. Ziel der Cultural Studies ist es aufzuzeigen, dass kulturell vermittelte Identitäten (z.B. Klasse, Rasse, Geschlecht)
als machtbasiert und kontingent zu betrachten sind. Die Welt der Kultur ist hier per se politisch, da aus der Perspektive der Cultural Studies Macht in pulverisierter Form den gesamten sozialen Raum durchdringt. Im Feld der Kultur wird ein Kampf um Bedeutungen ausgetragen, der soziale Ungleichheiten ans Tageslicht befördert.
Die Cultural Studies sind ihrem Selbstverständnis nach Teil eines politischen Projektes, indem sie durch ihre Wissenspraxis vermittelt in die gesellschaftliche Realität intervenieren.
Die Cultural Studies haben in den letzten Jahren eine immense Ausdifferenzierung erfahren: Zum einen erfolgt eine zunehmende Verschränkung mit poststrukturalistischen Theoremen: so wird in Anlehnung an Michel Foucault (neben dem kommunikativen) der körperlich-materielle Aspekt fokussiert bzw. auf Kultur als Technik des Regierens abgestellt; oder ins Zentrum gerückt wird – im Zuge der Rezeption neuerer hegemonietheoretischer Ansätze, wie sie von Mouffe/Laclau entwickelt wurden – die Dekonstruktion herrschender Codes. Zum anderen wird in den letzten Jahren die Bedeutung von Medien und hier insbesondere auch der Bilder („visual studies“) zur Konstruktion politischer Kultur hervorgehoben.
Daneben eröffnen auch systemtheoretische Beschreibungen von Kultur als eine Form der Beobachtung zweiter Ordnung alternative Lesartenzu „Politik und Kultur“. Ein systemtheoretisch reformulierter Kulturbegriff fragt nach der Funktion von Kultur: diese stellt eine vergleichende Beobachtungsperspektive bereit, die Kommunikation nach der Unterscheidung passend/unpassend sortiert. In der Sozialdimension wird
dadurch gleichzeitig aus- und eingeschlossen. Im Kern ist Kultur demnach „ein Doppel“ (Luhmann), denn sie dupliziert alles, was ist. Da die Semantik der Kultur sämtliche Kommunikation mit Kontingenz grundiert, bietet sie der modernen Gesellschaft Möglichkeiten der (Selbst-)Reflexion: wer vergleicht was wann in welchem Interesse?
Kultur ist in systemtheoretischer Perspektive nicht ein eigenes gesellschaftliches Subsystem, sondern eine Beobachtungsperspektive, die in jedem gesellschaftlichen Funktionssystem zur Verfügung steht. So kann auch in der Politik Kultur als Vergleichstechnik und damit als irritierendes „Gedächtnis“ des politischen Systems fungieren.

Im Rahmen der Tagung soll diese „andere Seite des Politischen“, die in den hegemonialen Deutungen zur Politik invisibilisiert wird, durch den kulturalistischen Blick beobachtet und beschrieben werden: von Interesse sind sowohl Analysen der verschiedenen „Theorien“ kultureller Konstruktion des Politischen als auch Versuche der „empirischen“ Fruchtbarmachung konstruktivistischer Zugänge zu „Politik und Kultur“.
Mögliche Leitfragen sind dabei folgende:
·  Wie modellieren verschiedene Ansätze das Verhältnis von Politik und Kultur und
welche Leistung wird der (politischen) Kultur jeweils zugeschrieben?
·  Im Hinblick auf welche theoretischen Vorentscheidungen differieren die unterschiedlichen
Vorstellungen kultureller Konstruktion von Politik und wie wirkt sich
das aus? Stehen die Positionen im Verhältnis der Komplementarität zueinander
oder sind sie inkommensurabel?
·  Worin besteht der „Mehrwert“ von konstruktivistischen Zugängen zu „Politik und
Kultur“ gegenüber der (traditionellen) Kulturforschung und wo liegen die Grenzen?
Welche Folgen hat die Neubeschreibung für die Chancen und Risiken politischer
Entscheidung?
·  Wenn Kultur Formel und Praxis einer gesellschaftlichen Selbstverständigung darstellt,
wie kann Gesellschaft und Kultur noch unterschieden werden?
·  In welcher Weise lässt sich das „Politische“ der „Politischen Kultur“ in den verschiedenen
konstruktivistischen Ansätzen verstehen?
·  Kulturwisssenschaftlich basierte Zugänge setzen programmatisch auf Inter- und
Transdisziplinarität – welche Rolle kommt dann einer Fachdisziplin wie der Politikwissenschaft
noch zu?
·  Welche methodologischen Konsequenzen zeitigt die konstruktivistische Rahmung
politisch-kultureller Phänomene?
·  In welcher Weise (Sozial-, Zeit-, Raum-Dimension) und zu welchem Zweck werden
in exemplarischen Kulturkämpfen kulturelle Differenzen thematisiert?
·  Welche politischen Ereignisse und Bereiche dienen der kulturell vermittelten Konstruktion
insbesondere als Leitmotiv? Welche Rolle spielt der spezifische Kontext,
in dem ein Phänomen als kulturell und politisch beobachtet wird?
·  Im selbstreflexiven Bezug der kulturalistischen Wende stellt sich schließlich auch
an uns die Frage: wie und mit welcher politischen Relevanz lässt sich (Politik-)
Wissenschaft als eine Form der gelebten Kultur beschreiben?
Erwünscht sind Abstracts, die auf die oben skizzierten Fragestellungen Bezug nehmen,
aber auch weiter führende Papers, die sich am Tagungsthema orientieren, sind
willkommen.

 
Die Ergebnisse der Tagung sollen in eine Publikation einfließen, weshalb um Originalbeiträge
gebeten wird.
Abstracts (1-2 Seiten) senden Sie bitte bis zum 07.01.2013 an die folgenden „beiden“
(Cc) E-Mail-Adressen:
wilhelm.hofmann@tum.de
renate.martinsen@uni-due.de


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