theorieblog.de | Can women have it all? Frauen und Elternsein in der Wissenschaft

23. Juli 2012, Görnitz

Eine Karriere in der Wissenschaft erscheint aus vielen Gründen attraktiv. Im günstigsten Fall arbeitet man ohne Selbstüberwindung kreativ an interessanten und (hoffentlich) auch gesellschaftlich relevanten Themen. Man verfügt souverän über seine Arbeitszeit und Überdruss stellt sich angesichts wechselnder und erfüllender Aufgaben wie Lehre, Lesen, Schreiben, Verwaltung und Gedankenaustausch selten ein. Und trotzdem: Soll man es wagen? Als Frau, wenn der Weg zu Professur noch steiniger erscheint als ohnehin schon? Laut der internen Zählung des theorieblogs sind von 72 Professuren in der Politischen Theorie im deutschsprachigen Raum gerade 19 von Frauen besetzt. Und vor allem, wenn man noch dazu Kinder hat oder gern hätte?

Anne-Marie Slaughter befasst sich in der aktuellen Ausgabe des „Atlantic Magazine“ mit diesen Fragen. Sie hinterfragt in ihrem Artikel den Slogan „women can have it all“, also die Losung, dass Frauen sowohl Kinder haben und ihnen Zuwendung und Orientierung geben als auch erfüllende berufliche Wege gehen können, wenn sie nur engagiert genug sind, einen unterstützenden Partner wählen und den Zeitpunkt der Familiengründung strategisch sinnvoll auswählen. Interessanterweise findet Slaughter dies noch einigermaßen unproblematisch, wenn man eine akademische Laufbahn anstrebt. Erst in ihrer Zeit als Regierungsberaterin in Washington wurde ihr bewusst, dass dieser Beruf und ihre Familie sich nicht vereinbaren lassen. Zwar scheinen starre Arbeitszeiten und Bürozentrierung tatsächlich nicht die großen Probleme einer Wissenschaftlerin zu sein, doch der Weg zur Professur ist dennoch biographisch anspruchsvoll. Für Mütter vielleicht zu anspruchsvoll?

Strebt man nach der Promotion eine akademische Karriere an, hat man schätzungsweise zehn Jahre, um die nötigen Qualifikationen für eine Professur zu erwerben – und, als weibliche Absolventin, ungefähr zehn Jahre, bis eine Schwangerschaft biologisch schwierig wird. In diesen zehn Jahren zieht man noch mindestens einmal um und geht für ein oder zwei Semester ins Ausland. Wird man tatsächlich berufen, wird es meist eine Stadt sein, mit der man bisher wenig verbunden war, in der keine Familie und keine Freunde wohnen. Die berufliche Position eines möglichen Partners ist da noch gar nicht bedacht. Wie wirken sich diese Aussichten auf die Möglichkeit, Kinder zu haben, aus?

Vier Wege scheint es zu geben: Erstens, Kind und PartnerIn ziehen mit von Stadt zu Stadt. Zweitens, ein Partner pendelt. Drittens, das Kinderkriegen wird auf die Zeit nach der Berufung verlegt oder, viertens, man entscheidet sich gegen Kinder. Möchte man gern ein Kind bekommen, fallen die beiden letzten Möglichkeiten (mehr oder weniger) weg. Dann bleiben die ersten beiden Möglichkeiten. Entweder Kind und Partner ziehen mit von Stadt zu Stadt, was möglich ist. Das bedeutet aber, dass der Wohnort von den Karriereaussichten eines Partners, in diesem Fall des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin, dominiert wird. Wahrscheinlich ist das in einer heterosexuellen Beziehung – auch heute noch – selten die Frau. Außerdem ist fraglich, ob ein Kind die vielen Wechsel problemlos mitmacht. Wie organisiert man Kinderbetreuung ohne Familie und Freunde in der Stadt? Ruht man in dem ganzen Trubel genug in sich, um einem Kind Geborgenheit zu vermitteln? Die zweite der verbliebenen Möglichkeiten ist, seine Kinder im Pendelrhythmus zu sehen. Das ist bestimmt auch für viele Männer nicht erstrebenswert, für die meisten Frauen ist es wohl nur schlecht vorstellbar.

Wenn also die einzigen beiden Möglichkeiten, Elternsein mit einer Karriere in der Wissenschaft zu verbinden, für Frauen beinahe ausgeschlossen sind, dann überrascht es eher, dass sich überhaupt einige junge Frauen auf diesen Weg machen.

Können wir die Bedingungen für wissenschaftliche Karrieren, gerade für Frauen, verbessern? Slaughter macht interessante Vorschläge. Neben der Abkehr von der Bürozentrierung schlägt sie vor, Karrieren zu ‚verschieben’. Konkret würde das heißen, dass man auch mit 45 oder 50 noch ProfessorIn werden kann, schließlich hat man noch mehr Berufsjahre vor sich als in früheren Zeiten mit geringerer Lebenserwartung. In diesem Alter sind die Kinder oft aus dem Haus und man hat wieder viel Zeit für die Wissenschaft. Familienaufgaben sollten zudem als gute Gründe für die Einteilung der Arbeitszeit gelten und überhaupt wäre eine Hinwendung zu mehrdimensionalen Lebensphilosophien am Ende gut für die Kreativität und somit ökonomisch vorteilhaft für die Arbeitgeber.

Noch spezifischer gedacht würde es helfen, eine wissenschaftliche Karriere von der Fixierung auf eine Professur zu lösen. Sinnvolle, ernst genommene und unbefristete Stellen jenseits der Professur würden den Druck aus den Jahren bis zur Berufung nehmen. Das hieße zwar immer noch Verzicht auf die Vorzüge einer Professur, doch wenigstens wäre es für Wissenschaftlerinnen dann weniger schwierig, auch Mütter zu sein. Berufungsentscheidungen müssten zudem entweder unabhängiger vom Alter oder abhängiger vom Familienstatus getroffen werden – ein Vorschlag: In Berufungskommissionen wird verpflichtend pro Kind zwei Jahre zurückgerechnet, wie viele Fachartikel in einem bestimmten Alter zu erwarten sind. Ob ein früheres Berufungsalter (etwa durch den Wegfall der Habilitation) den Frauen angesichts bereits mit 30 Jahren abnehmender Fruchtbarkeit nutzen würde, ist fraglich. Zudem würde das ein etwas lebensfernes Festlegen des Kinderwunsches auf die Zeit nach der Berufung als den Normalfall für Akademikerinnen suggerieren.

Was heißt das für Frauen, die von der Wissenschaft und ihrer Familie gleichermaßen begeistert sind? Dauerstellen jenseits der Professur und die konsequente Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten mögen die Aussichten für ein Verbleiben von Müttern in der Wissenschaft erhöhen. Doch lösen sie nicht das Problem der auch örtlich unsteten Zeit nach der Promotion. Sind Männer bereit, ihren erfolgreichen Frauen gewissermaßen hinterherzuziehen? Ziehen wir mitsamt Kindern ans andere Ende des Landes, weil dort eine Professur frei wird? Wie haben gegenwärtige Professoren und Professorinnen mit Kindern ihren Lebensweg wahrgenommen? Sie könnten durch ihr Beispiel inspirieren und dazu beitragen, besonders schwerwiegende Barrieren zu identifizieren.

 

Anja Görnitz ist Promotionsstudentin an der Berlin Graduate School for Transnational Studies und Gastwissenschaftlerin am WZB. Sie hat kürzlich ihre Dissertation über methodologische Fragen idealer Gerechtigkeitskonzeptionen und deren Auswirkungen auf konkrete Gerechtigigkeitsprobleme fertig gestellt.


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