theorieblog.de | Ich touche, also bin ich – Das iPad im Wissenschaftsbetrieb

26. Juni 2012, Thiel

Man sieht es immer öfter. Auf Konferenzen und Workshops, in Vorlesungen und Institutssitzungen: Das iPad. Ist es nur ein neues Statussymbol für notorisch nach Sozialkapital lechzende Wissenschaftler oder hat es einen wirklichen Nutzen im Lehr- und Forschungsalltag eines Akademikers? In den folgenden Zeilen werde ich mich entlang der sich täglich stellenden Herausforderungen an einer Einschätzung des Applegeräts für ernsteres Arbeiten versuchen; und dabei zugleich ein paar Apps vorstellen, die das Gerät für den (sozial-) wissenschaftlichen Gebrauch aufwerten (für rein technische Einschätzungen geht besser zu klassischen Technikseiten: z.B. hier oder hier).

Lesen

Paper und Bücher auf dem IPad zu lesen, ist zunächst einmal ohne Frage angenehm: Man ist flexibel, hat ungemein viele Texte ständig bei sich und das sehr gute Display erlaubt auch die stundenlange konzentrierte Lektüre, ohne das die Augen groß ermüden. Die Kindle-App und iBooks sind die bekanntesten Anlaufstellen, doch eignen sie sich hauptsächlich zum Lesen von Literatur – die zudem nach Willen der Unternehmen am besten vorher im angeschlossenen Store gekauft wird und an die Software der jeweiligen Firmen gebunden bleibt.

Will man hingegen wissenschaftliche Texte und insbesondere Aufsätze lesen, greift man besser zu spezialisierten Programmen, die im Besonderen die Markierung und Annotation von PDFs erlauben. Sehr bewährt hat sich für mich die App GoodReader (von mir nicht ausprobiert, aber als gute Alternative geltend: iAnnotate). Völlig intuitiv lassen sich hier Texte markieren und kommentieren – und das Angemerkte kann auch gleich per Mail an Kollegen weiterversendet werden.

Im Umgang mit Texten stößt man aber auch gleich auf eine zentrale Schwäche des iPad: Anders als man es von einem Computer kennt, gibt es kein einfach zugängliches Dateisystem. Alles ist der Logik der Apps unterworfen und in den iTunes-Store eingepfercht. Für große Mengen von Dateien, z.B. eine Sammlung von PDFs in der Größenordnung des Literaturverzeichnisses einer Master- oder gar Doktorarbeit, bedeutet das, dass man den einen oder anderen Umweg einschlagen muss. Ganz konkret ist ein solcher Workaround, das Speichern von Dateien in Cloud-Diensten (z.B. Dropbox). Legt man hier eine PDF-Bibliothek an, so hat man von überall her Zugriff, kann auch eine Ordnerstruktur reproduzieren und zwischen mehreren Geräten synchron halten. Was für das iPad meines Wissens nach aber noch weitgehend fehlt, sind Bibliographietools wie Endnote oder Citavi, die ein einfaches Ordnen und Durchsuchen einer Textsammlung erlauben würden (eine Ausnahme scheint Bookends on Tap zu sein, was aber so richtig nützlich nur ist, wenn auch Laptop oder Desktop von Apple stammen).

Geht es nicht um das Lesen von wissenschaftlichen PDFs, sondern um Webseiten oder Blogs, so seien außerdem noch Instapaper, das längere Webseiten offline und in angenehmer Lesefassung verfügbar macht, und Flipboard, welches Blogs und soziale Medien in ein sehr ansehnliches Magazinformat umsetzt, ans Herz gelegt.

iPad Theorieblog

Bleibt schließlich noch die Frage, wie sich das iPad im direkten Vergleich mit E-Readern schlägt? Daniel hat auf dem Theorieblog ja bereits einmal über die Einsatzmöglichkeiten des Kindles DX im Wissenschaftleralltag geschrieben und sich angetan geäußert. Der direkte Vergleich fällt aber schwer. Beide Gerätetypen erfüllen sehr unterschiedliche Anforderungen und haben unterschiedliche Stärken: Die reinen Lesegeräte warten mit Vorteilen wie extrem langer Batteriedauer, wenig Gewicht und einem Preis in der Region zwischen 100 und 150 Euro auf. Das Tablet hingegen bietet mehr Anzeigenplatz, leichteres Markieren und Kommentieren von Text und einen viel besseren Umgang mit PDFs, der weit über einfaches Lesen hinausgeht. Die Entscheidung ist daher kein Entweder-Oder, sondern hängt vom angedachten Einsatzfeld ab; sie fällt zugunsten eines Tablets aus, wenn mehr geplant ist, als der Umstieg von gedruckter zu digitaler Lektüre.

Schreiben

Auch auf die Frage nach dem Einsatz des iPads zum Schreiben von Text lässt sich nur eine differenzierte Antwort geben: Klar dürfte dabei sein, dass das Verfassen längerer Texte nichts für den kleinen Bildschirm und die Displaytastatur sind. Es gibt zwar Apps wie Documents to Go, die das Anzeigen von Office-Dokumenten in halbwegs brauchbarer Formatierung erlauben, aber so etwas ist höchstens eine Lösung für kleine Ergänzungen oder das rasche Korrekturlesen eines Textes. Schon für die Länge dieses Blogartikels würde ich nicht mehr mein iPad zur Hand nehmen, sondern eine normale Tastatur aufsuchen. Das Einbinden einer externen Tastatur via Bluetooth oder gar eingebaut in die Schutzhülle (hier eine Vergleichsübersicht) verbessert die Situation zwar etwas, der für echtes Schreiben notwendige Komfort lässt sich mit dem iPad aber nicht erreichen.

Völlig ausreichend sind hingegen die Möglichkeiten für die vielen kleinen Schreibaufgaben des Tages, bei denen Mobilität und Geschwindigkeit den Ausschlag geben. Das Mitschreiben von Vorträgen beispielsweise oder das Vorformulieren kluger Fragen gehen schnell und einfach von der Hand – zumal auch dann, wenn man mal keinen Tisch hat oder die eigene Handschrift ohnehin nicht zu lesen ist (ein dem Autor dieser Zeilen nur allzu vertrautes Problem). Neben der Standardapp für Notizen bietet sich dabei insbesondere Evernote an, mit dem Notizen und Schnipsel gleich geordnet und für alle Geräte synchron gehalten werden. Auch das Schreiben von Mails klappt flott und simpel und die aus der Displaytastatur resultierende Kürze und orthographische Schwächen lassen sich gleich wieder statusbewusst mit der (voreingestellten) Signatur „sent from my iPad“ entschuldigen.

Präsentation

Wer denkt, dass er das iPad auch als Basisgerät für Präsentationen einsetzen kann, sei gewarnt: Die Apps für das Anzeigen von Präsentationen – wiederum DocumentsToGo oder das Apple eigene Keynote – erfüllen zwar die Grundanforderungen, aber der Erhalt von Formatierungen sollte geprüft werden, bevor man im Scheinwerferlicht plötzlich die eigenen Folien nicht wieder erkennt. Apples Verzicht auf gängige Anschlussbuchsen erzwingt zudem den Kauf von Zusatzhardware (VGA- oder HDMI-Adapter) und nicht jede App arbeitet mit einem zweiten Monitor zusammen. Auch in der Lehre sind die Einsatzmöglichkeiten dementsprechend begrenzt bis nicht existent – hier mögen Tablets wie Microsofts Surface oder die alsbald erwarteten Nexus-Geräte von Google Abhilfe schaffen und auch andere Apple-Alleingänge wie den Verzicht auf das Dateisystem beenden helfen.

Organisation

Ein wirklicher Gewinn ist das iPad mit Blick auf Organisations- und Koordinationsaufgaben. Hier zeigen sich die absoluten Stärken des Geräts: Es ist immer dabei, sehr leicht, schnell, absolut intuitiv zu bedienen und stets vernetzt (zumindest wenn man sich für die teurere 3G-Variante entscheidet.). Die Zahl der Apps in diesem Feld ist schier unendlich, sie beginnt mit den Standards wie Mailprogramm und Kalender (beides leider fest in Applehand und daher für Nutzer jenseits des Applekosmos zumindest nicht ganz so perfekt integriert) und reicht dann über To-Do-Listen (z.B. das sehr gute Remember the Milk) bis hin Wörterbüchern und zur Wikipedia.  Alles ist clever gemacht und hilft, den täglichen Arbeitsfluss gut und von überall aus in den Griff zu bekommen (eine Anwendungsbeschreibung mit Tipps für den politikwissenschaftlichen Einsatz gibt es auch von Archon Fung).

Denken

In Bezug auf diese immer noch unersetzliche Tätigkeit hilft das iPad leider nicht. Wenn jemand eine App kennt, die da vielleicht doch was machen kann, wäre ich für Hinweise in den Kommentaren dankbar. Bisher am ehesten hilfreich: Der kleine Knopf oben rechts auf dem Gehäuse, der den Bildschirm schwarz werden lässt.

Drumrum

Das Leben besteht bekanntlich nicht aus Arbeiten allein und daher sei zumindest auch erwähnt, dass man auch einfach so mit dem Gerät Spaß haben kann. Lange Zugfahrten, wo die Konzentration nicht zum Lesen reicht, lassen sich mit Videos oder Musik vertreiben; für die Fahrt zur Uni mit den Öffentlichen lassen sich Zeitungen und Magazine in sehr ansprechendem Format herunterladen und wenn ein Vortrag nicht ganz die Erwartungen erfüllt, so ist es fortan möglich statt auf einem Block herumzukritzeln, Draw Something zu spielen – und so das Gekritzel gleich von Freunden bewerten zu lassen (im Fall penetranter Selbstblockaden in den Labyrinthen akademischer Selbstverwaltung soll auch eine Partie Worms zur Deeskalation beitragen). Auch sehr gut gelöst: Videotelefonie sowie das Bebildern des Nachweises, dass man auch in diesen Semesterferien wieder nichts als gearbeitet hat.

Die Kehrseite aller Entertainer-Qualitäten ist natürlich das Ablenkungspotential – doch gibt es auch dafür wieder Apps: z.B. 30:30, das Anreize für die Strukturierung von Arbeitszeit bietet, oder der mit der kommenden IOS Version eingeführte „Do not Disturb“-Schalter, welcher die Einfallstore der Ablenkung – Stichwort: Procrastination – wieder zu schließen helfen soll.

Conclusio

Das iPad ist sicher in allererster Linie für Medienkonsum und private Nutzung ausgelegt. Insgesamt ist es wesentlich weniger vielseitig als ein normales Notebook und die fehlende Ordnerstruktur sowie die Einschränkungen beim Tippen lassen es nicht in die Klasse von Netbooks als Arbeitsgerät aufsteigen. Nichtsdestotrotz lässt sich mit Hilfe einiger Apps rechtfertigen, dass man es als eine – nicht eben günstige – Ergänzung in den Technikpark eines Sozialwissenschaftlers aufnimmt. Dabei ersetzt das iPad keines der anderen Geräte, sondern es ist ein Nischengerät für ein bestimmtes Spektrum von Anwendungen. Insbesondere das Lesen und Markieren von Texten, das Mitschreiben in Veranstaltungen und die tägliche Arbeitsorganisation lassen sich mit ihm perfekt meistern.

Besitzt man erst einmal ein Tablet, so passt sich das Nutzungsverhalten dem Medium sehr schnell an. Von der ersten Phase der Faszination für das Gerät erreicht man nahtlos das Stadium des Nicht-mehr-Wegdenken-Könnens. Der einfache und schnelle Netzzugang, das komfortable Umgehen mit Terminen und Mails, das äußerst angenehme Format und Gewicht, die lange Akkulaufzeit und das brilliante Display sind absolute Stärken, die den Zukauf fürs tägliche Leben rechtfertigen. Mittels der vielen kleinen (übrigens meist ein paar Euro teuren) Helferlein wird aus der guten Technik, dann auch das Äquivalent eines Schweizer Taschenmessers für den Wissenschaftleralltag.

Soviel zumindest als erste Gedanken von meiner Seite. Weitere Berichte und Kommentare, Einwände und Anwendungstipps von eurer Seite sind herzlichst willkommen.

 

Full Disclosure: Ich hab weder irgendwas mit der Firma Apple zu tun noch wurde mir von dieser –oder irgendwem sonst – irgendeines der erwähnten Produkte oder Apps zur Verfügung gestellt (leider). Getestet habe ich das Gerät für drei Wochen. Wenn ihr Besseres kennt oder mit Einschätzungen nicht übereinstimmt, immer hinein damit in die Kommentare.

Das Gerät mit dem ich die Sachen ausprobiert habe, ist ein neues iPad (von Nicht-Initiierten iPad 3 genannt) mit 32 GB Speicherplatz und ohne 3G. 3 G wäre eine wichtige Option für Vielreisende, um wirklich überall arbeiten zu können (ohne Netz ist das Gerät höchstens die Hälfte wert), der recht heftige finanzielle Aufschlag für mobiles Internet hat mich aber dazu bewogen, eine Lösung via Smartphone + Tethering zu wählen, die gangbar, aber nicht ganz so komfortabel ist.


Vollständiger Link zum Artikel: https://www.theorieblog.de/index.php/2012/06/ipad-im-wissenschaftsbetrieb/