theorieblog.de | Die Kunst und die Freiheit: Über Honneths Gebrauch von Literatur und Film

7. März 2012, Schmetkamp

Bedienten sich PhilosophInnen bisher literarischer Beispiele oder schrieben vielleicht sogar selbst Romane (wie etwa Pascal Mercier aka Peter Bieri) wurden sie in der eigenen Zunft oder zumindest im analytischen Mainstream oftmals belächelt. Philosophie habe klar, analytisch und nicht verschnörkelt zu sein – der Meinung sind viele, wenn sie sich nicht gerade mit phänomenologischer oder französischer Philosophie befassen (die kein Problem mit den literarischen Berührungspunkten hat). Karge und zuweilen haarsträubende Gedankenexperimente wurden konkreten narrativen Fiktionen vorgezogen. Das scheint sich derzeit zu ändern: Auch analytische Philosophen schöpfen nicht nur vermehrt aus Literatur und anderen narrativen Kunstwerken wie Film – so wie es Axel Honneth in seinem viel diskutierten Buch „Das Recht der Freiheit“ vorführt – sie denken auch wieder verstärkt über die Beziehung zwischen Philosophie und ästhetischen Formen sowie über den Mehrwert von narrativer Kunst, von Fiktionen und dem Imaginären für das theoretische Denken, für das moralische Urteilen und für politische Ordnungen nach.

Die Ästhetik insgesamt gewinnt wieder an Popularität in der Philosophie, ästhetische Bindestrich-Philosophien – Literatur-Philosophie, Film-Philosophie, Musik-Philosophie, Architektur-Philosophie etc. – haben Konjunktur. Aber wird die Kunst, allgemein gesprochen, dabei zur „Magd der Wissenschaft“ erniedrigt und in ihrer Eigenständigkeit und ihrer möglichen Ungreifbarkeit missachtet und instrumentalisiert? Kann oder sollte Kunst zum Beispiel „Medium gesellschaftlicher Erkenntnis“ sein, wie Thomas Assheuer in einem Artikel in der ZEIT fragt? Oder geht dabei etwas Grundlegendes, worum es in der Kunst geht, abhanden – man denke etwa an die Doktrin l`art pour l`art?

Dabei ist wohl zunächst zu klären, wie dieses neue Verhältnis überhaupt zu verstehen ist, nehmen wir dazu das Beispiel Filmphilosophie (die mit der Literaturphilosophie viele Gemeinsamkeiten hat); man kann mindestens drei Möglichkeiten der Allianz unterscheiden: 1. Philosophie des Films: Philosophie kann über Film, Literatur etc. nachdenken, etwa darüber, was Film überhaupt ist – dann sind Film (Spielfilm, Dokumentarfilm, Fernsehserie), Fiktion versus Realität Gegenstand des philosophischen, in dem Fall ontologischen Denkens. 2. Philosophie im Film: Philosophie kann natürlich auch selbst Inhalt von Film und Literatur sein, etwa wenn in einem Roman oder in einem Film über das Verhältnis von Autonomie und Heteronomie oder über das gute Leben reflektiert wird – wie etwa in dem bei Philosophen höchst beliebten Film THE MATRIX oder bei Woody Allen (z.B. LOVE AND DEATH). 3. Film als Philosophie: Schließlich könnte man darüber nachdenken, ob Narrationen selbst Philosophie sein können, ob die ästhetische Form etwas vermittelt, das ein philosophischer, oder zumindest ein analytischer Text, in dieser Weise nicht schafft – so etwa die Überlegung von Martha Nussbaum in „Love`s Knowledge“. So wird Film selbst zum „Denken“, wie man es etwa auch bei Deleuze („Kino 1“) findet. Film oder andere Formen der Kunst werden dabei der Theorie zur Seite gestellt, die offenbar an ihre Grenzen kommt, wenn sie allgemeine und objektive Aussagen sucht, die der Reichhaltigkeit des Lebens aber vielleicht nicht gerecht werden.

In allen drei Punkten spielt die Frage nach der ästhetischen Erfahrung eine besondere Rolle; diese wird keineswegs (selbst nicht bei den strengsten KognitivistInnen, wie man diejenigen nennt, welche in Kunst einen Erkenntniswert sehen) rein auf ihren Gehalt von Wahrheit und Erkenntnis reduziert. Das ist es ja, was Kunst und die ästhetische Erfahrung ausmachen: Das ästhetische Objekt lässt sich nicht auf den Begriff bringen, es ist, wie Kant sagt, „ohne Begriff“. Das muss aber nicht heißen, dass das „interesselose Wohlgefallen“ nur dann von Wert sein kann, wenn es nicht zu einer Erkenntnis führt – es kann sehr wohl, wie es auch in den Paragraphen 41 und 42 der Kritik der Urteilskraft heißt, mit einem empirischen und intellektuellen Interesse verbunden sein. Ferner sieht Kant in dem ästhetischen Gefühl des Erhabenen eine Möglichkeit, das moralische Gefühl der Achtung zu kultivieren. Interesselos meint vor allem, dass ich etwas von der Erfahrung verfehlen würde, wenn ich zum Beispiel ein Gemälde nur im Hinblick darauf betrachten würde, welchen Preis es wohl bei einer Auktion erzielen wird. „Ohne Begriff“ meint, dass ein Kunstwerk (oder die Natur) eben darum besonders sind, weil wir es/sie nie ganz fassen können. Gottfried Gabriel spricht deshalb von einem non-propositionalen Wissen, das hier erfahrbar wird, und von einer Richtungsumkehr der Bedeutung. Aber hat Kunst auch mehr Einflussnahme auf gesellschaftliche Veränderungen als philosophische oder politische Theorie?

Damit kommen wir wieder zur Kritik von Thomas Assheuer an der Methode Axel Honneths, der übrigens auch schon in anderen Werken aus literarischen Beispielen schöpfte (etwa „Verdinglichung“): Honneth sehe seine eigene Theorie von gesellschaftlichem Fortschritt und sozialer Freiheit in manchen narrativen Werken vorweggenommen oder bestätigt. Die Kunst gebe Auskunft über die Pathologien und die Sehnsüchte des Zeitalters. Romane und Filme würden so tatsächlich zu kritischen, ja politischen Zeugnissen, die die Krankheitssymptome einer Gesellschaft offen legen, wobei hier der Übergang zwischen Philosophie, kritischer Theorie und Soziologie fließend ist.

Dem Honneth`schen Optimismus und Fortschrittsglauben, der auch in unserem Lesekreis immer wieder diskutiert wurde (ebenso wie die Bedeutung der Literatur für die Thesen Honneths), setzt Assheuer entgegen, dass es in Literatur und Film genügend Gegenbeispiele gebe, „die weder an die Freiheit glauben noch an die Demokratie oder das mündige Subjekt“. Als Beispiele nennt er unter anderem Michel Houellebecq („Karte und Gebiet“) und Michael Haneke („Wolfszeit“ und „Das weiße Band“). Man könnte gleichsam auch Franzens „Freiheit“ in den Blick nehmen, das Honneth für seine Theorie heranzieht, und auf ganz andere, nämlich wesentlich pessimistischere Weise als Honneth deuten.

Aber all dies sind keine Gegenargumente gegen die Grundüberlegung, ob und wie Literatur und andere narrative Kunstformen selbst Thesen entwickeln, Utopien entwerfen, Kritik vorbringen und für die Philosophie fruchtbar sein können; im Gegenteil: Gerade Houellebecq und Haneke sind beste Beispiele dafür, dass hier die bestehenden Verhältnisse analysiert und hinterfragt werden, sie sind höchst moralisch (manchen zu moralisch) und politisch; zugleich gehen sie natürlich darin nicht vollkommen auf. Dass es freilich Kunst gibt, die diesem Anspruch nicht genügt, sondern zu einer „Tautologie des Realen“ verkommt, wie Assheuer Houellebecq zitiert, oder den bloßen Konsens bedient, wie es Rancière („Und das Kino geht weiter“) bemängelt, wird damit ja nicht bestritten; freilich gibt es auch die Kunst als Gelddruckmaschine und als „Millionenblase“.

Und freilich lassen sich gegen Honneths optimistische literarische Deutungen ebenso viele Gegenbeispiele finden, so wie es in der Philosophie Gegentheorien gibt. Philosophie und Narration sind sich nicht, wie Assheuer schreibt, fremd geworden, sondern sie bereichern einander, indem sie sich wechselseitig beeinflussen und bestenfalls kritisieren. Die Philosophie tut gut daran, sich den Narrationen, den Fiktionen, dem Imaginären, der Kunst zuzuwenden. Tatsächlich endet Assheuers ansonsten so skeptischer Artikel genauso: Dass er eben doch bestätigt, dass Philosophie und Kunst etwas Gemeinsames antreibt. Sie treffen sich in der Frage nach der Erkenntnis, in der Kritik an dem Gegebenen und in der Sorge um das (richtige und gute) Leben. Daraus Allianzen zu bilden, um der Philosophie gegebenenfalls zu neuen Theorien und der Gesellschaft zu neuen Entwicklungen zu verhelfen, scheint daher eine nur sinnvolle Methode zu sein.


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