theorieblog.de | Inszenierung als Beruf – „Guttenbergen“ und „Wulffen“ als neuer Politikstil?

17. Januar 2012, Hausteiner

In der Debatte um Fehlverhalten, Krisenmanagement und Wahrheitsbegriff unseres Bundespräsidenten erheben sich bekanntermaßen längst nicht alle Beiträge über das Niveau schaulustiger Empörung: Die Leistung von „Bild“ ist nicht die heroische Verteidigung der Pressefreiheit, sondern die Boulevardisierung auch gehobener deutscher Printmedien nach ihrem eigenen Vorbild. Nach den Gesetzen des Boulevardjournalismus, den in den letzten Wochen auch FAZ, SZ etc. gefolgt sind, musste die investigative Erregung freilich sukzessive abflauen. Was am Ende trotz der oft oberflächlichen Medienempörung bleibt, ist nicht nur Wulff im Amt, sondern im besten Falle auch ein paar grundlegendere Überlegungen und Erkenntnisse zum Verhältnis von Person, Staatsamt und Medienöffentlichkeit, und zur Selbst- und Fremdinszenierung in der Politik. Ganz ähnlich verlief die Guttenberg-Skandaldramaturgie vor nicht einmal einem Jahr.
Glücklicherweise setzte im Jahr 2011 schon zeitig, während der Entfaltung des Skandals und dann der Verschiffung des Freiherrn nach Amerika, die wissenschaftliche Aufarbeitung ein, so etwa durch einen Workshop am Wissenschaftskolleg Berlin, der bereits im Spätsommer in einen kleinen Suhrkamp-Sammelband mündete. Auf dem Cover ist das berühmte Bild des Verteidigungsministers mit Hubschrauber zu sehen; der Buchtitel „Inszenierung als Beruf“  deutet bereits die Antwort auf jene Frage an, die im Laufe der öffentlichen Debatte gelegentlich gestellt wurde: Was ist eigentlich Guttenbergs Profession, und was seine Funktion in der deutschen Politik und Öffentlichkeit?

„Inszenierung als Beruf“ versteht sich aus einem einfachen Grund nicht als dritte systemspezifische Berufsanalyse neben Max Webers Klassikern über Politik und Wissenschaft: Guttenberg ist beziehungsweise war ja Politiker, übte nie einen anderen Beruf als den des Politikers aus; und (Selbst-)Inszenierung ist nun einmal, abseits von Film und Theater, kein klassisches Berufsfeld. Der von Oliver Lepsius herausgegebene Band fragt also eigentlich nach der Verdrängung von Max Webers klassisch formulierten Anforderungen an den Politiker – Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß – durch die  Schlüsselkompetenz der medialen Selbstdarstellung. Dass Guttenberg sich auch noch temporär als Wissenschaftler versuchte, aber eben nur dem Anschein nach, macht die Formel von der „Inszenierung als Beruf“ vollends zur Dekadenzthese, die eine Korrosion ehemaliger Wertegerüste diagnostiziert: Wo aus Webers Sicht Politik und Wissenschaft noch nach eigenen Logiken funktionieren und vom Einsteiger gewisse Anpassungsleistungen verlangen, sei die universelle, systemübergreifende Anforderung an Karrieristen jedes Berufsfeldes nun das Blendertum.

Durch drei Themenbereiche verfolgen die vierzehn Beiträge das Phänomen Guttenberg: Überlegungen zu Öffentlichkeit, Wissenschaft und Stilistik sollen Einsicht in das Geschehene bieten, und in der Tat sind viele der Texte konzise und detailgenaue Durchdringungen der rhetorischen und ikonographischen Strategien, des Spiels mit den Medien, und des defizitären Politik- und Moralbegriffs von KTG – wobei noch mehr Einordnung und Vergleich mit anderen Fällen sicher interessant gewesen wäre. Bemerkenswert und genau auf die (im Titel am deutlichsten formulierte) Leitthese des Bandes abzielend ist die Skizze des Frankfurter Soziologen Tilmann Allert. Der „kairos“, den Guttenberg in seinem berühmt gewordenen Vorwort anruft, sei tatsächlich dessen Leitmotiv: Wohlinszenierte „situative Präsenz“ anstatt kontinuierlicher, auch politikinhaltlicher Beständigkeit habe Guttenberg immer verkörpert. Die Inhaltsleere des politischen Handelns zugunsten symbolischer Evokation von Wert- und Worthülsen bestürzt auch andere Autoren des Bandes; besonders gelassen ist dagegen der Archäologe Luca Giuliani, der nüchtern nachweist, dass schon römische Feldherrn aus adligen Senatorenfamilien problemlos mit der bloßen Anrufung republikanischer Sitten durchkamen, ohne irgendwelche weiteren Leistungen zu vollbringen (und das Imperium Romanum daran ja dennoch nicht augenblicklich gescheitert sei).

Diese Pointe weist indes auf die generellere Frage hin, ob es sich bei der Präsenz von Blendern und, neutraler ausgedrückt, vor allem rhetorisch und selbstdarstellerisch Begabten in der Politik tatsächlich um ein Novum handle. Skandale und ihre mediale Darstellung leben stets von der Behauptung, einen neuen Höhepunkt (oder Tiefpunkt) der Korruption, Unredlichkeit etc. zu erweisen; zudem ist es verführerisch, dergleichen schnell auf neue massenmediale Veränderungen oder etwa eine zunehmende Personalisierung („Amerikanisierung“) der Politik zurückzuführen. Doch die Nachfrage nach gut inszenierten politischen Gestalten ist – obgleich in massenmedial geprägten Demokratien sicherlich besonders ausgeprägt – kein sensationell neues Motiv der politischen Arena; verwunderlich wäre es eher, gäbe es plötzlich keine PolitikerInnen mehr, die nicht versuchten, ihr politisches Kapital durch PR-Tricks und Täuschung zu steigern. Nicht umsonst verorten Bildwissenschaftler Guttenbergs Bildsprache (Kampfanzug, Times Square etc.) in der Tradition der großen, also auch unter vormodernen Bedingungen erfolgreichen Herrscherportraits.

Sind die medialen Enthüller, die Wahrheits- und Authentizitätsforderer, die Verfechter eines inhaltlich nicht völlig vakanten Politikstils also Spielverderber? Ist das Profil des Politikers, realistisch gesprochen, weniger das „langsame Bohren von harten Brettern“ (Weber) als gelungene Repräsentation im doppelten Wortsinne? Sollte der Band im Titel besser ein affirmatives Ausrufezeichen tragen – im Sinne: ja, Inszenierung ist ein essentieller Bestandteil der Politik? Diese These vertrat die Professorin für Neuere Geschichte Barbara Stollberg-Rilinger jüngst in der FAZ und postulierte, das transhistorische Bedürfnis nach Inszenierung (nach „Außeralltäglichkeit und Autorität“) würde durch das eher neue, nicht immer einlösbare Verlangen nach permanenter Transparenz gestört; der Karlsruher Philosoph Byung-Chul Han kanzelte unlängst – darin ebenfalls sicher zu weit gehend – Transparenz als überbewertete Mode ab.

Stollberg-Rilinger und Han schreiben freilich nicht über den Neubrüsseler Guttenberg, sondern über Christian Wulff und die Amtsautorität des Präsidenten; und sicherlich sind die Hochglanzporträts des ehemaligen Verteidigungsministers als politische Inszenierung von ganz anderer Art als das Dekor und Dekorum des Insassen von Schloss Bellevue: Die individuelle PR-Strategie als Wähler- und Parteigenossenverführung ist etwas anderes als die verfassungsmäßige Rolle des Integrators und Rückgrats der Bundesrepublik. Doch trotz dieses Unterschieds und trotz der sehr unterschiedlichen Selbstinszenierungen beider Politiker lassen sich zwei verschiedene Konstellationen des Scheiterns politischer Inszenierung, ihres peinlichen Wegbröckelns in Echtzeit beobachten. Die neue Tendenz in der Politik ist vielleicht nicht die Allgegenwart der Inszenierung, sondern deren immer häufigere Dekonstruktion in der Öffentlichkeit – also nicht die Tatsache des  Politikerskandals, sondern dessen Häufigkeit und Absehbarkeit, denn wenige Inszenierungen bleiben unangetastet. Die paradoxe Entwicklung unter den Bedingungen massenmedialer Steuerung bei gleichzeitiger Internetschwarmintelligenz ist die Forderung nach perfekter Inszenierung – nach stets moralischen Präsidenten und angeblichen Lichtgestalten mit blonden, als solche dargestellten „trophy wives“ – , trotz  ihrer immer deutlicher werdenden Unmöglichkeit. Ein Verlust ist die Entlarvung der extremsten Blender sicher nicht, ganz im Gegenteil! Doch die aus den Skandalen und Enthüllungen erwachsenden Reibungsverluste sind beträchtlich: Nicht nur Ämter werden beschädigt und Vertrauensstrukturen zerstört, sondern die Medien lenken, im Sinne der eingangs genannten Boulevardsierung, die öffentliche Aufmerksamkeit von anderen, auch nicht eben unwichtigen Themen ab.

Der erwähnte Sammelband ist: Oliver Lepsius & Reinhart Meyer-Kalkus: Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg, Suhrkamp 2011.


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