Lesenotiz: Neues von alten Imperien

Kolonialen Strukturen und ihren Verwerfungen nähert sich die Politische Theorie und Ideengeschichte seit rund einem Jahrzehnt nicht nur von den Postcolonial Studies aus, sondern auch von Seiten der Imperientheorie.  Die Fragestellungen jener, von Historikern wie Politikwissenschaftlern unternommenen, Versuche der Theoriebildung sind dabei grundlegend andere als die der postkolonialen Ansätze: Makrostrukturen und -dynamiken imperialer Ordnungen, Herrschaftslogiken , Formen der Machtdurchsetzung und Gründe für den rise, decline and fall großer Reiche stehen im Vordergrund, verallgemeinernd gesprochen, genuin politikwissenschaftliche und nicht so sehr soziologische oder kulturgeschichtliche Fragestellungen.  Für Politiktheoretiker, die sich für die Verknüpfung von Geschichtsanalyse und Theoriebildung im Hinblick auf Imperien interessieren, gibt es nun mit „Empires in World History“ aus der Feder zweier US-Historiker eine neue Einführung in die Materie, die versucht, den Nutzen und die Plausibilität des Imperienkonzepts direkt anhand des geschichtlichen Gegenstands zu demonstrieren, und dabei trotz ihres Einführungscharakters (keine Fußnoten!) durchaus theoretisch auf der Höhe der Zeit ist.

„Empires in World History. Power and the Politics of Difference“ von Jane Burbank und Frederick Cooper, erschienen im vergangenen Jahr, liefert eine tour de force durch die Weltgeschichte. Ein solches Unterfangen mag zunächst Misstrauen wecken, doch die beiden Historiker von der New York University – Burbank ist Russlandexpertin, Cooper ein renommierter Afrikahistoriker – verlieren sich nicht in Rundumschlägen. Mit der Ordnungsform des  Imperiums verfolgen sie zielsicher eine spezifisch definierte Staatsform, die sie von national- oder territorialstaatlichen polities abgrenzen. Dass die vergleichende Abfolge von Fallstudien im Resultat aussieht wie eine einbändige Universalgeschichte erklärt sich dadurch, dass die Ordnungsform des Imperiums plausibel in allen historischen Phasen bis in die amerikanisch dominierte Gegenwart hinein identifizierbar ist – eine Studie der wichtigsten Imperien ist insofern immer auch Universalhistorie.
Neben den in der theoretischen Debatte schon seit längerem kursierenden Imperiumskriterien (Großräumigkeit; hegemoniale internationale Stellung; hierarchisches Zentrum-Peripherie-Herrschaftsgefälle; abgestufte Grenzverläufe; Heterogenität der Bevölkerungen; oft nicht-konsensuale Herrschaftsverhältnisse; formale und informale Herrschaft) führen Burbank und Cooper vor allem ein sehr einleuchtendes spezifisches Merkmal ein, das die genannten in sich einschließt und ergänzt: das der „layered sovereignty“. Hiermit meinen sie die Tatsache der abgestuften, überlappenden Souveränitätsregime von z. B. politischer, ökonomischer, ideologischer Art, die Imperien und deren unklare, vieldeutige Reichweite idealtypisch gesprochen von Nationalstaaten und ihren klaren Begrenzungen unterscheidet.
Der Inhalt der 528 Seiten, die Betrachtung der imperialen Strukturen in Rom, im Mongolenreich, von islamischen Reichen, des russischen Imperiums etc., soll hier nicht wiedergegeben werden. Aus theoretischer Perspektive möchte ich aber drei Aspekte anführen, auf die das Buch hinweist und die meiner Auffassung nach besonders interessante Bereiche der Imperientheorie berühren:

1)      Das Bild vom monolithischen Imperium ist antiquiert und falsch. Anders als im Star-Wars-Universum hat es historisch stets koexistierende (teilweise dann kooperierende oder kollidierende) Imperien gegeben. Entscheidend für großräumige politische Entwicklungen ist dementsprechend nicht die solitäre Agenda eines alleinigen Weltreiches, sondern die Interaktion von mehreren großräumlichen, ausfransenden Ordnungen.

2)      Die auffällige morphologische Ähnlichkeit vieler Imperien (strukturell wie auch in der Rhetorik ihrer Eliten) ist kein Zufall, denn Imperien versuchen – so abstrakt dies klingt –, voneinander zu lernen. Das imperialen Eliten gemeinsame exzeptionalistische Selbstverständnis, aber auch die den Reichen gemeinsamen strukturellen Konstellationen, provoziert Referentialisierungen vor allem auf jeweils andere einflussreiche Imperien der Weltgeschichte. Lektionen vergangener Reiche gehen in transepochal tradierte repertoires of power ein – in ein Repertoire des Herrschaftswissens also, beispielsweise die Integration oder Unterwerfung kolonialer Völker betreffend, das imperiale Eliten voneinander übernehmen.

3)      Wie Burbank und Cooper demonstrieren, ist es durchaus möglich, über strukturelle Merkmale von Imperien zu sprechen, ohne ihre moralischen Abgründe zu verharmlosen. Nicht jede Imperientheorie ist automatisch Imperienapologetik à la Niall Fergusons Empire oder Colossus. Cooper hat eminente Beiträge zur postkolonialen Theorie geleistet, und obgleich das vorliegende Buch keine Gerechtigkeitsfragen in den Mittelpunkt stellt, zeigt es, dass postcolonialism und empire theory nicht verfeindet sein müssen, sondern sich wertvoll ergänzen können.

„Empires in World History“ ist sicherlich mit einem zu umfassenden, nicht einzulösenden Anspruch auf Fall-Vollständigkeit angelegt; die Lektüre lohnt sich aber allemal – für Imperien- oder postkolonial Interessierte und solche, die es werden wollen. Als Einstieg hat Princeton University Press das erste Kapitel, in dem die grundlegenden theoretischen Konzepte vorgestellt werden, online zur Verfügung gestellt.

 

 Jane Burbank & Frederick Cooper: Empires in World History. Power and the Politics of Difference, Princeton Unversity Press 2010.

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