theorieblog.de | Leipziger Institut für Politikwissenschaft von Schließung bedroht?

3. August 2011, Buck

Pünktlich zur Semesterpause bangen Studierende und Lehrende der Politikwissenschaft an der Uni Leipzig um die Zukunft des Instituts. Verschiedene Faktoren gefährden dessen Fortbestehen: drei seit längerem unbesetzte Professuren, drastische Kürzungsvorgaben des Wissenschaftsministeriums und ein Wechsel an der Uni-Spitze. Im Folgenden sollen die Hintergründe beleuchtet werden.

Zur aktuellen Situation: Das Moratorium
Von fünf Professuren am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig sind aktuell nur zwei besetzt: „Internationale Beziehungen“ (Prof. Dr. Heidrun Zinecker) sowie „Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland – Politik in Europa“ (Prof. Dr. Astrid Lorenz). Aus verschiedenen Gründen unbesetzt sind – teilweise seit mehreren Jahren – die Professuren „Politische Theorie und Ideengeschichte“ (vertreten durch Prof. Dr. Burkhard Liebsch), „Ethik, Politik, Rhetorik“ (vertreten durch PD Dr. Michael Henkel) sowie „Internationale Politik“ (vertreten durch Dr. Roscher).

Hoffnungen auf eine baldige Besetzung der drei offenen Professuren erhielten Anfang Juli einen empfindlichen Dämpfer. Die Berufungsverfahren standen kurz vor dem Abschluss, das Rektorat jedoch sprach sich gegen eine Besetzung der Stellen zum jetzigen Zeitpunkt aus und verhängte ein Moratorium über alle drei Berufungsverfahren. Kritiker_innen interpretieren dies als negatives Signal für die Zukunft des Instituts, als Vorbereitung seiner Schließung oder als Hinhaltetaktik, die erneute Berufungsverfahren notwendig machen könnte. Dem Rektorat zufolge ist dies nicht der Fall.

Zum Kontext: Hochschulentwicklungsplanung in Sachsen – Kürzung und Konzentration
Die sächsischen Hochschulen sind durch das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) zu umfangreichen Stellenstreichungen sowie zu stärkerer Profilbildung aufgefordert. Nach dem Willen der schwarz-gelben Regierung sollen an den Hochschulen im Freistaat bis 2015 300 Stellen abgebaut werden (davon 72 an der Universität Leipzig). Bis 2020 steigt diese Zahl auf 1000 Stellen. Da bereits in den vergangenen Jahren in Mittelbau und Verwaltung gekürzt würde, ist ein Personalabbau in dieser Höhe nur durch die Streichung von Professuren zu erreichen – ein Papier von Bündnis 90/DIE GRÜNEN geht von 200 Professuren im Freistaat aus (s.u.).

Das neue Rektorat der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. med. Beate Schücking will den Kürzungsauftrag mit dem Ziel der Profilstärkung kombinieren. Da Berufungen in dieser Situation einer Richtungsentscheidung gleich kämen, sollten diese laut LVZ erst erfolgen, wenn die Profilbildung der Universität abgeschlossen sei. Hierzu sollen bis Ende des Jahres hochschulinterne Planungen an das Ministerium weitergegeben werden. Anstatt nach dem Rasenmäherprinzip zu verfahren, sollen „starke Bereiche“ von „Stellenanpassungen“ verschont bleiben, „schwächere Bereiche“ böten sich hingegen für Stellenstreichungen an (so die Rektorin im Sommerinterview des Lokalsenders „Leipzig Fernsehen“). Einen solch starken Bereich sieht die Rektorin im Bereich der Biodiversität.

Das Profil der Universität Leipzig als einzige „Volluniversität“ in Sachsen mit einem starken geisteswissenschaftlichen Anteil scheint demnach zur Disposition zu stehen. Dies passt zur Hochschulentwicklungsplanung der Staatsregierung, derzufolge den Natur- und Ingenieurwissenschaften ein besonderer Stellenwert gebührt. Zwar soll das Fächerspektrum der „Volluniversität“ Leipzig erhalten bleiben, „starke Geisteswissenschaften“ sind jedoch vor allem dazu da, „damit Sachsen insgesamt ein attraktiver Hochschulstandort bleibt und ein intensiver Austausch zwischen den Disziplinen stattfinden kann“ (Entwurf Hochschulentwicklungsplan, S. 7).

Die Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer (selbst UNESCO-Professorin für Internationale Beziehungen an der Juristischen Fakultät der TU Dresden), wirbt für mehr hochschulübergreifende Kooperation in vier regionalen „Wissenschaftsräumen“. Auf deren Agenda steht auch die „Entwicklung einer in der Region abgestimmten, strategisch gesteuerten Umsetzung des bereits beschlossenen Stellenabbaus mit dem Ziel, Lehr- und Forschungskapazitäten in der Region zu erhalten“ (Entwurf Hochschulentwicklungsplan, S. 41). Dem entspricht die Äußerung der Rektorin, die sich gegenüber der Leipziger Volkszeitung für eine starke Politikwissenschaft in der Region aussprach – allerdings in Absprache mit den Universitäten Halle, Jena und Dresden. Ein Plädoyer für den Erhalt des Leipziger Instituts hört sich anders an.

Aber auch landesweit soll konzentriert werden. Seit längerem wird über die räumliche Umstrukturierung des Lehramtsstudiums verhandelt – hier sollen Doppelstrukturen zwischen Leipzig und Dresden abgebaut werden. Auch dieser Punkt betrifft die Zukunft der Leipziger Politikwissenschaft, da Studierende für das Lehramt Gemeinschaftskunde hier einen großen Teil der Studierenden ausmachen. Auch wurde eine der neu zu besetzenden und nun dem Moratorium unterliegenden Professuren, jene für „Ethik, Politik, Rhetorik“, in Kooperation mit dem Institut für Philosophie eigens für die Lehramtsausbildung geschaffen. Bereits Anfang des Jahres gab es deswegen Gerüchte und Mutmaßungen über eine mögliche Schließung des Instituts für Politikwissenschaft. Eine Stellungnahme aus dem Rektorat dazu blieb jedoch aus – bis zum Moratorium. Nun wird laut über die Zukunft der Politikwissenschaft in Leipzig nachgedacht.

Worum geht es? Politikwissenschaft und Politische Theorie in Leipzig
Dabei ist die aktuelle Institutsstruktur bereits „schlanker“ und profilierter als je zuvor. Die früheren Professuren „Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ost-West-Beziehungen“ und „Analyse und Vergleich politischer Systeme“ wurden nach dem Ende ihrer Laufzeiten nicht neu besetzt. Am 13. Juli 2011 haben die Institutsangehörigen ein Profilkonzept beschlossen, das die Alleinstellungsmerkmale der Leipziger Politikwissenschaft herausstellt und zugleich den Forschungsschwerpunkten aller derzeitigen Professor_innen und Mitarbeiter_innen ein gemeinsames Dach bietet: die Auseinandersetzung mit „Konstitution und Zerfall politischer Ordnungen in grenzüberschreitender Perspektive“. Das Profil ist in Auszügen auf der Institutshomepage dokumentiert und macht zweierlei deutlich: Es liegen keine Dopplungen mit anderen politikwissenschaftlichen Instituten in der Region vor und das Profil des Instituts passt zum Profil der Universität. Die Universität Leipzig verfügt über sechs profilbildende Forschungsbereiche. Einer davon – der profilbildende Forschungsbereich „Contested Order“ – hat eine geistes- und sozialwissenschaftliche Ausrichtung und wird maßgeblich von Akteuren aus der Politikwissenschaft und insbesondere der Politischen Theorie mitgestaltet. Leipzig ist dabei auch Heimat für das politiktheoretisch interessante Journal „Behemoth – A Journal on Civilization“. Die Politische Theorie ist somit zentral für das Institutsprofil und fakultäts- und hochschulübergreifend sowie international gut vernetzt. Allerdings ist sie durch das Moratorium in besonderem Maße betroffen.

Was tun?
Trotz der Sommerzeit gibt es Proteste – insbesondere von Studierenden der Politikwissenschaft. Neben einer Vollversammlung und wöchentlichen Protest-Plena wurde eine Facebook-Seite eingerichtet: „PoWi Leipzig – Moratorium sofort beenden“. Eine andere Protestform ist eine Postkartenaktion, bei der Studierende unter dem Motto „Wir sind dann mal weg“ Urlaubspostkarten an Entscheidungsträger_innen in Ministerium und Rektorat schicken. Die studentischen Forderungen an das Rektorat lauten dabei: eine sofortige Aufhebung des Moratoriums, die Weiterführung der Berufungsverfahren und eine transparente Entscheidungspolitik.

Wenn es stimmt, dass mit dem Moratorium keine Richtungsentscheidung vorweggenommen werden, sondern im Gegenteil eine offene Diskussion ermöglicht werden soll, ist nun die Zeit, sich für den Erhalt der Politikwissenschaft in Leipzig einzusetzen!

Zum Weiterlesen:


Elena Buck ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit Politics of Belonging in der BRD und dem Vereinigten Königreich


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