Avishai Margalit schreibt in seiner „Politik der Würde“, dass selbst der schlimmste Verbrecher noch moralische Rechte und das Recht auf Achtung seiner Würde besitzt. Begründen tut er dies u.a. mit der These der „radikalen Freiheit“, sein Leben doch noch zum Guten zu wenden. Osama Bin Laden hat diese Möglichkeit nun nicht mehr, es ist allerdings auch fraglich, ob er diese „Freiheit“ genutzt hätte… aber das ist hier nicht die Frage, sondern: Ist die Tötung Bin Ladens eigentlich ethisch gerechtfertigt oder hätte man ihn vor ein Strafgericht stellen müssen, um – nach Margalit – anständig oder gerecht zu sein? Unsere Philosophie-Kollegin Anna Goppel vom Ethikzentrum Zürich, die sich mit Terrorismus befasst, wurde zur ethischen Rechtfertigbarkeit der Tötung auf NZZ Online befragt.
36 Kommentare zu “Bin Ladens Tötung gerechtfertigt?”
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Die beiden einzig wichtigen Satz in diesem Gewäsch:
„Man kennt die Fakten bisher zuwenig. Die Frage ist, ob die Aktion eine versuchte Festnahme oder von vornherein als Liquidierungsaktion angelegt war.“
Ich habe ein paar völkerrechtliche Aspekte der Ermordung Bin Ladens unter die Lupe genommen und zwar hier:
http://www.brainlogs.de/blogs/blog/mind-at-work/2011-05-02/what-is-wrong-with-pre-emptive-strikes
Ich finde die Frage falsch gestellt: „Ist Bin Ladins Tötung gerechtfertigt?“ Es wird suggeriert, es könne darauf eine einfache Antwort geben: entweder ja, gerechtfertigt, oder nein, nicht gerechtfertigt, tertium non datur. Ich finde die Art von Philosophie problematisch, die auf höchst schwierige moralische Fragen eindeutige Antworten geben zu können meint. „Güter“ werden gegeneinander abgewogen und in Beziehung zu den Umständen gesetzt, Vergleiche zu ähnlich gelagerten Fällen werden gezogen – und schließlich wird eine „wohlgeordnete“ Prioritätenliste erstellt, die dann zur Beurteilung einer Handlung als „gerechtfertigt“ oder „ungerechtfertigt“ herangezogen wird. Nicht, dass eine solche sorgfältige Betrachtung eines Falles nicht sinnvoll wäre, um zu einer moralischen Haltung zu finden. Aber die „Rechtfertigungsphilosophie“ trägt der Kompliziertheit der moralischen Realität m.E. nicht gebührend Rechnung. Diese komplizierte Realität lässt es nämlich in meinen Augen gar nicht zu, dass Handlungen mit schwerwiegenden Konsequenzen stets eindeutig entweder als „gerechtfertigt“ oder „ungerechtfertigt“ klassifiziert werden können. Möglicherweise ist es verständlich, dass viele Menschen denken, Bin Ladin habe den Tod verdient, und vielleicht gibt es überzeugende Gründe dafür, dass die amerikanische Spezialeinheit so gehandelt hat, wie sie gehandelt hat. Aber selbst wenn all dies und ggf. weitere Bedingungen zutreffen sollten, bleibt die Frage: kann die Tötung eines Menschen jemals voll „gerechtfertigt“ sein? Worauf es mir ankommt: Die „Rechtfertigungsphilosophie“ krankt an einem Hang zur Vereindeutigung. Die sinnvolle philosophische Selbstvergewisserung droht allzu oft in moralischer Selbstberuhigung zu resultieren oder gar in ein Gefühl der moralischen Überlegenheit übersteigert zu werden: „Wir wissen, dass es (un)gerechtfertigt ist! (…und können somit in Bezug auf unsere Handlung ein reines Gewissen haben bzw. die Andershandelnden zu Recht verurteilen)“. Was hier nicht vorkommt, was ich aber wichtig finde, ist der Sinn für das Tragische an jeder schwierigen moralischen Entscheidung: Wir haben im Fall X vielleicht überzeugende Gründe dafür, Y zu tun, und deswegen tun wir es auch – aber es bleibt ein Zähneknirschen, ein Restzweifel, der uns im Nacken sitzt – ein Bewusstsein dafür, dass es im Reich des Moralischen Aporien und Dilemmata gibt, die nicht eindeutig aufgelöst werden können.
Aber dann ist doch nicht die Frage falsch gestellt. Sie kann ja durchaus mit Jein beantwortet werden bzw. wird sie auch. Moralphilosphen zielen doch nicht (nur oder dauernd) auf das Eindeutige, im Gegenteil: wie oft wird eben keine Lösung gefunden.Aber es werden Bedingungen gesucht, anhand derer man zu einer Antwort der Frage kommen kann. Und darüber hinaus ist die Güterabwägungsfrage auch nicht unproblematisch. Vielleicht gibt es ein höchstes Gut – wie das Recht auf Leben – welches absolut gilt und nicht verletzt (abgewogen) werden darf. Dann wäre eine Tötung in der Tat nicht gerechtfertigt. Vielleicht gibt es Minimalbedingungen, die das aber doch ermöglichen, wie im Falle der Notwehr. Jedenfalls krankt die Philosophie meines Erachtens nicht an dem Zwang, unbedingt Rechterftigungen für alles zu finden, die dann festgemauert in der Erde stehe…
Übrigens aktueller Stand, Spiegel: Bin Laden war nicht bewaffnet.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,760483,00.html
Ob der Mann nun bewaffnet war oder nicht, ändert nichts an der Oberflächlichkeit dieses Interviews. Sämtliche angeführten Argumente für und (hauptsächlich) wider solche Tötungen im Rahmen des Antiterrorkampfes sind schon tausendfach vorher angeführt worden, nur selten in dermaßen kurzer und darum zwangsläufig oberflächlicher Abhandlung. Hier wird schlicht ein Aufhänger missbraucht, um die eigne politische Meinung an den Mann zu bringen, die mir schon lange zuvor gebildet worden scheint.
Dass dieser Aufhänger dann noch mehr als zweifelhaft ist, setzt dem noch das Sahnehäubchen auf. Es ist einfach nicht sicher, ob eine Tötungsabsicht bestand; dagegen spricht schließlich auch einiges, bspw. der Einsatz von Soldaten am Boden statt der bei solchen Aufträgen üblichen ferngelenkten Präzisionsmunition, oder dass die offizielle Version der US-Regierung die Tötungsabsicht verneint. Immerhin sind deren prinzipielle Zweifel an der Legitimität solcher Attacken wesentlich geringer ausgeprägt als unsere, um es vorsichtig zu sagen…
Es braucht wohl kaum eines Aufhängers, um Diskussionen über die Tötungen im Antiterrorkampf zu beginnen. Umso mehr kann ich auf vorgefertigte Meinungen in plakativen Kurzformeln à la „Eine aussergerichtliche, ausserhalb des Rechtsstaats stehende Racheaktion ist ethisch nicht zu rechtfertigen“ verzichten, die so weder zu belegen ist, noch den Wunsch nach einer tiefergehenden Auseinandersetzung erkennen lässt.
Das ist NICHT die Art Blogeintrag, weswegen der Theorieblog in meiner Favoritenliste steht. Bei Gesprächsbedarf, Cord, Daniel, ich bin Donnerstag wieder im Hause.
Kai
PS: Es sind schon zu viele unser Verbündeter gefallen wegen scheinbar „Unbewaffneter“. Die Gewohnheit der verdeckt geführten Waffen ist ja ziemlich genau das, was Partisanen/Terroristen/wie auch immer von Kombattanten abgrenzt. Den Soldaten darf daher allein wegen der im Nachhinein bekannten Information der fehlenden Bewaffnung kein Vorwurf gemacht. Wenn andere Umstände bekannt werden, mag sich das ändern.
Für den Moment sollten sie aber, wie implizit sie auch immer sein mögen, vermieden werden.
Der Blog PoliSciZürich hat übrigens eine Liste mit Hintergrundartikeln aus dem New Yorker zusammengestellt:
http://poliscizurich.wordpress.com/2011/05/04/all-about-osama/
auch Daniele Archibugi zum Thema: zwischen “No human being should rejoice for the extra-judiciary killing of an accused” und der Einsicht, dass ein Prozess auch keine positiven Folgen hätte erwarten lassen:
http://www.opendemocracy.net/daniele-archibugi/should-bin-laden-have-been-tried
Nachtrag: Archibugi nur, weil es ja eine jenseits der Rechtfertigbarkeit ziemlich wichtige Frage ist: was bringt das Vorgehen politisch, sowohl im Sinne einer progressiven Agenda als auch machtpolitisch? Denn solche Fragen sind doch genau jene Orte, an denen die Auseinandersetzung um moralische Rechtfertigbarkeit sich im Gemenge politischer Urteilskraft bewähren? beschränken? – jedenfalls: einordnen muss.
Ist doch immer wieder schön zu sehen, wie sich manche ihr Weltbild zurechtlegen und einfach von dem Umstand ausgehen, der ihnen gerade passt (Tötungsabsicht), um ihr politisches Gewäsch loszuwerden, und alles andere ignorieren.
Dann werden fleißig ein paar links ausgetauscht, natürlich nur solche, die konform genug sind, und ohne Kommentar. Wow – sind wir intellektuell!
Schrott wie dieser Blogeintrag und seine Kommentare lassen das Niveau schneller als eine Ju-87 stürzen.
Hat der ach so kritische Kai auch inhaltlich irgendetwas zu sagen? Dann könnte man sich dazu äußern. Ansonsten hat Anna Goppel erst einmal ein glasklares Argument vorgelegt. Ansonsten gilt, wie so oft: Es gibt kein richtiges Lesen im Falschen!
Da ich nicht den Eindruck habe, dass es um freien Gedankenaustausch zu gegenseitigem Erkenntnisgewinn geht, sondern Selbstbestätigung aller, die diese Meinung teilen, hält sich mein Bedürfnis zu längerer inhaltlicher Auseinandersetzung in eng gefassten Grenzen, Arnd.
Umso mehr bei dieser Grundlage. Glasklar ist dabei Ansichtssache, ich nenne es plakativ. Keine Ansichtssache hingegen ist, dass im Interview und v.a. in den folgenden Beiträgen hier von einer nicht belegten Annahme ausgegangen wird, dass die Argumente uralt sind, und dass sie in extreme Kürze und daraus resultierender (?) Oberflächlichkeit vorgetragen sind.
Wenn der Hinweis, ein qualitatives Minimum einzuhalten, indem wenigstens die Ausgangsannahmen belegbar bleiben und Argumente vielleicht ein klein wenig ausgeführt, statt autoritativ in den Raum geworfen werden, nicht als „irgendetwas“ Inhaltliches zu zählen hat, kann ich damit leben.
Zu Kai: eine „oberflächliche Abhandlung“ in einem Interview liegt sehr oft nicht in der Hand des Interviewten, sondern gehört leider häufig zur Art des Interviews selbst, sprich: da wird sehr oft vieles so runtergekürzt, dass es nur noch oberflächlich wirken kann. Dies aber der Interviewten zulasten zu legen, ist wiederum selbst ein verkürzter Blick. Da sollte man auch auf die Verantwortung des Journalisten schauen. Zweitens ist der Eintrag auf „theorieblog“ selbst ein Aufhänger und kein eigener Meinungsbeitrag gewesen, sondern vielmehr eine Anregung, um eine Diskussion überhaupt anzuregen, die aus verschiedenen Meinungen besteht, u.a. ja auch über solche generelle Fragen, ob man etwas ethisch rechtfertigen kann oder ob das vielmehr am Kern der Dinge vorbeigeht, wozu ja auch Ulrike und Friedrich interssante Kommentare und Gegenargumente geliefert haben.
Susanne, ich stimme dir in beiden Punkten zu! Daraus folgt für mich jedoch, dass dieses Interview, und von mir aus auch alle anderen Interviews, für den theorieblog ungeeignet erscheinen, v.a. im Vergleich mit tiefergehenden Auseinandersetzungen, die m.E. auch wesentlich bessere Ansatzpunkte zu Diskussion bieten würden. Außerdem braucht es dann auch keines reißerischen Aufhängers, zumal eines nicht belegbaren.
Ich weiß zugegeben nicht, wie es in der politischen Philosophie steht, doch die Geisteswissenschaften leben üblicherweise von der Nachprüfbarkeit ihrer Argumente und derer Belege.
Mit einem ausgewogeneren, ausführlicheren Artikel hätte sich bei mir vielleicht nicht der (oben geschilderte) Eindruck eingestellt, den ich z.Z. leider habe und nicht loswerde.
Das ist schade, denn die grundsätzliche Frage, ob Tötungen zu rechtfertigen sind, finde ich mehr als spannend. Meine große Enttäuschung mag auch zur Entgleisung letzte Nacht geführt haben, für deren Übertriebenheit ich mich entschuldigen möchte.
hallo kai, das sind doch schon mildere töne 😉 grundsätzlich stimme ich dir ja zu, dass man mit artikeln und aufsätzen weiter kommt. dazu fehlt aber oft einfach die zeit – und es war ja nun einmal eine akute angelegenheit, die viele beschäftigt. dennoch würde ich an dieser stelle dafür plädieren, nicht nur auf einer Metaebene zu diskutieren, ob und wie man darüber in einem Blog diskutieren soll, sondern doch inhaltliche Argumente auszutauschen: pro oder gegen die im Interview. das hier alle geteilter Meinung sind, sehe ich aus den bisherigen Kommentaren noch nicht.
Und dass nicht dennoch allgemein über Tötungsverbote und/oder -ausnahmen gesprochen werden kann, sehe ich auch nicht. Gerade weil zum Bsp. Anna Goppel sich auch sonst mit dieser Frage befasst – es ist klar, wie gesagt, dass das in einem solchen Interview zu kurz kommt.
Ich verstehe noch nicht die angabe: „reißerischen Aufhängers, zumal eines nicht belegbaren.“ der aufhänger ist der tod bin ladens, zumindest der aufhänger des interviews. der ist weder reißerisch noch nicht belegbar. Der Auhänger des Blog ist die Frage, ob die Tötung gerechtfertigt ist. Auch dies ist nicht reißerisch. Und als Frage auch weder belegbar noch unbelegbar. Das Argument muss begründet werden, das tun freilich auch die Politischen Philosophen. Dass das in dem Interview nicht geleistet wird, ist schade, aber wohl der Kürze geschuldet. Das heißt aber nicht, dass es keine Begründungen gibt.
Treffer. Versenkt.
Susanne, wenn der Aufhänger der TOD Bin Ladens wäre, sähe ich darin auch etwas faktisch korrektes und nicht viel reißerisches. Der Blogeintrag titelt aber nicht so. Auf Gefahr, redundant zu wirken, da steht: „Bin Ladens TÖTUNG gerechtfertigt?“. Das impliziert eindeutig, dass du von einer gezielten Tötung im Sinne eine Auftrages durch die US-Regierung ausgehst. Denn der Tod Bin Ladens im Rahmen der Nothilfe oder Notwehr während eines Festnahmeversuches wäre in jedem Fall legitim.
Wie bereits angeführt, existiert für diese Tötungsabsicht weder ein Beleg, noch sprechen die Indizien dafür, wenigstens nicht eindeutig, wie ich ebenfalls versuchte, auszuführen.
Wenn nach einer faktisch z.Z. nicht belegbaren Behaupttung, der sich offenbar die Mehrheit hier angeschlossen hat (obwohl ich das aus Kommentaren wie „Hat der ach so kritische Kai auch inhaltlich irgendetwas zu sagen?“ oder „Treffer. Versenkt.“ sicher nicht ableiten will… ), ein eher seichter Text als ‚Anregung‘ eingestellt wird, werde ich skeptisch. Das werde ich umso mehr, wenn der Artikel m.E. eben nicht zum Gedankentausch anregt.
Was sollte ich auch großartig inhaltlich beisteuern, wenn ich bloß Sätze zu lesen kriege, wie: „Eine aussergerichtliche, ausserhalb des Rechtsstaats stehende Racheaktion ist ethisch nicht zu rechtfertigen“? Das halte ich von vorn bis hinten für unterreflektiert .
Ob es das wirklich ist, weiß ich nicht. Denn woher soll ich wissen, ob sich die Autorin wirklich schon einmal mit der Rolle von Rache in der Rechtsphilosophie auseinandergesetzt hat, die Rache unter Umständen sehr wohl rechtfertigen kann (freilich selten bis gar nicht im modernen DRIS, doch gilt das auch für Räume begrenzter Staatlichkeit 😉 ?) Viel schlimmer noch, die Dame weiß doch gar nicht, ob ein Racheakt vorlag. Ist es wirklich nötig, ich an dieser Stelle ERNEUT an die Belegpflicht zu erinnern?
Überhaupt, was hat diese Diskussion mit Bin Ladens Tod zu tun. NICHTS, außer das manche in hellseherischer Fähigkeit, a priori von einem Tötungsauftrag ausgehen. Allenfalls bliebe eine hypothetische Fragestellung und das ginge ohne dieses Interview und ohne Überschrift wie die verwendete.
Arbeitsökonomie in allen Ehren, aber ich weiß doch, dass ihr tausendmal bessere Blogeinträge machen könnt.
@Kai: Nur eine kurze Bemerkung zur „Tötung“: Anders als der Begriff „Mord“ impliziert „Tötung“ keinen Vorsatz; dass es sich bei bin Ladens Ableben nicht um einen natürlichen Tod handelt, darauf können wir uns wahrscheinlich einigen. Die Begriffsverwendung „Tötung“ erfordert insofern keinen Beleg, als sie die von Dir angedeutete Implikation, es habe sich um einen Auftrag mit dem alleinigen Ziel der Erschießung bin Ladens gehandelt, nicht beinhaltet. Dass „in hellseherischer Fähigkeit a priori von einem Tötungsauftrag“ ausgegangen werde, ist hier nicht impliziert.
Susanne würde ich auch insofern zustimmen, als es auf Blogs aus gutem Grund Beiträge verschiedener Länge und Zielsetzung gibt – gerade der Theorieblog ist ja so ein „Mischmedium“. Das Schöne daran ist, dass sogar bei kurzen Notizen und Verweisen auf andere Quellen auch substantielle Diskussionen entstehen können (aber nicht immer müssen!).
Um einmal die bei den Politikwissenschaftlern so beliebten Anglizismen zu verwenden: Semantic escape!
Ob eine Tötung im Rahmen der Nothilfe oder Notwehr während eines Festnahmeversuches legitim ist oder nicht, bedarf wohl kaum einer Diskussion – hoffe ich. Nicht einmal Anna Goppel stellt das in Frage.
Folglich kann das einzige, was zur Diskussion steht der Tötungsauftrag sein. Schließlich scheint es mir auch ziemlich genau das zu sein, was die Gemüter erregt.
ich danke eva für den kommentar zu tötung, dem ich mich nur anschließen kann. eine solche fragestellung impliziert erst einmal noch überhaupt keine wertung. „ist bin ladens tod gerechtfertigt“ hätte im übrigen ebenso missverständlich und ambivalent sein können. dass die usa beabsichtigten, bin laden zu töten, steht für mich außer frage – unter welchen bedingungen, ist die zusatzfrage, die man stellen muss. ob es ein racheakt ist oder eine legitime tötung im sinne der notwehr ist die andere. letztere lag nach ersten berichten vor, die aber inzwischen von den usa revidiert wurden. ferner gibt es mittlerweile gerüchte, man habe den aufenthaltsort durch folter herausgefunden (noch zu zeiten bushs). all dies sind aber hier zunächst empirische argumente. bei anna goppel ging es im interview aber grundsätzlich um die frage, ob racheakte aus philosophischer, normativer sicht überhaupt legitimierbar sind – unabhängig davon, ob der nun vorlag oder nicht. aus ethischer perspektive sagt sie; nein, nicht legitimierbar. das ist kein gewäsch einer „dame“ (was ich übrigens eine abgeschmackte bezeichnung finde, die in einem anständigen blog keinen platz haben sollte!), sondern ein diskussionswerter kommentar. du liest mehr in die aussagen und fragen hinein, als erst einmal darin steckt, scheint mir. das führt zu solchen vorschnellen urteilen, die gar nicht angebracht sind.
Jeder Begriff erhält erst durch seinen Kontext eine bestimmte Denotation und Konnotation, soviel Basiswissen kann man von Menschen mit derartig hohem Bildungsstand wie euch erwarten. Nicht nur darum ging Evas Kommentar voll ins Leere, du selbst, Susanne, bestätigst doch meine Schlussfolgerung: du gehst von einer Tötungsabsicht aus und willst ebendiese diskutieren. Warum müssen wir also darüber streiten, dass die Überschrift eine Tötungsabsicht impliziert?
Meine Wertung als reißerisch desselben nehme ich auf der Stelle zurück, sobald ein Beleg vorlegt wird. Diese Pflicht liegt bei dir. Daran kommst du nicht vorbei und die bloße Ansage deinerseits, der Beleg existiere, reicht mir nicht. Die sehr autoritativ geführte Argumentation hier habe ich schon einmal bemängeln müssen.
Vielleicht müssen wir uns auch noch einmal darüber unterhalten, was ein Beleg ist – ein SPON-link, der die fehlende Bewaffnung thematisiert gilt nicht als solcher. Ich komme dir da auch sehr weit entgegen, denn eigentlich müssten Texte als in ihrem Entstehungszeitraum verankert betrachtet und entsprechend gewertet werden. Über die Quellenlage zum Zeitpunkt des Blogeintrags brauche ich kaum ein Wort zu verlieren.
Ginge es wirklich nur und ausschließlich um die Frage der grundsätzlichen Rechtfertigung von Tötungsauftragen, brauchte es Bin Ladens Tod nicht. Der dient nur als Aufhänger, als für mich eben unbelegter und reißerischer Aufhänger.
Auch ein möglicher Racheakt bräuchte nicht zwangsläufig angesprochen werden, dass er es trotzdem wurde in einem Artikel dieser Kürze lässt in mir den Verdacht aufkommen, die Autorin sieht das sehr wohl so. Belegen kann ich das freilich nicht, jedenfalls nicht textimmanent.
Die bloße Wiederholung der Aussage der nicht-legitimierbaren Rache wird durch reine Wiederholung doch nicht besser. Hier gibt es nicht einmal ein Argument, ich soll das einfach so hinnehmen, weil du es sagst. Löse diesen Vorgang doch einmal vom konkreten Beispiel der Rache und was bleibt, ist dass jemand sagt, etwas sei so und nicht anders.
Ich möchte auch deutlich darauf hinweisen, dass Fragen der Belegpflicht und des Argumentationszwanges grundlegend für die Diskussionskultur sind. Wäre eine Argumentation nämlich versucht worden, hätte man klassich daran ansetzen können.
In diesem Zusammenhang akzeptiere ich voll und ganz, dass meine Wortwahl „Dame“ als ungebührlich wahrgenommen wird und werde sie im folgenden nie wieder verwenden.
Immerhin ist im Rahmen der Kommunikation nicht nur die eigne Wahrnehmung wichtig, sondern wie das von anderen, insbesondere den Adressaten angenommen wird.
Ich kann auch nachvollziehen, dass du Susanne, dir mehr Sorgen um deine Kollegin Frau Goppel machst (in-group/out-group), als um den „ach so kritischen Kai“, der allerdings ohnehin „getroffen“ und „versenkt“ wurde. Dass dies, im Gegensatz zur „Dame“, Bezeichnungen sind, „die in einem anständigen blog (k)einen platz haben sollte(n)“, ist hingegen wohl ihrem narrativen Wert in der Struktur des Blogkommentationsstrangs geschuldet.
Puh, was soll man denn darauf noch sagen? Ich finde das ein ziemliches Durcheinander und kann oder mag kaum darauf eingehen. Aber trotzdem ein Versuch:
Mir fehlen die i n h a l t l i c h e n Argumente auch auf deiner Seite, aber schon auf einer Vor-Ebene hapert es an vielen Stellen: Schon die Tatsache, dass von Artikel gesprochen wird und von Autorin (an der Stelle meintest du wohl A. Goppel) ist so irreführend. Es ist ein Interview, das ist etwas anderes als ein Artikel von einer Autorin. Genauso wie eine Frage etwas anderes ist als eine Aussage. Die Frage steht doch noch kontextlos im Raum! Welche Meinung ich oder andere zur Frage habe, liegt dann auf einer zweiten Ebene, diese Meinung habe ich dann hier im Kommentar (aber noch nicht in der Frage!) geäußert ebenso wie andere zur Frage Stellung bezogen haben (inhaltlich nicht strukturell, das ist eigentlich nur in deinen Kommentaren so, obwohl du INhalt einklagst).
Nun zum Interview, welches doch der eigentlich Stein des Anstosses ist und nicht der Blogeintrag, würde ich sagen. Die Interviewte hat auf eine Frage geantwortet; diese Frage bezog sich darauf, ob Gerechtigkeit und Sühne bei dem Tod Bin Ladens eine Rolle spielten, und ob dies dann zu einer ethisch gerechtfertigten Tötung (in Evas Sinne) führt. Daraufhin sagt Anna, dass es im Fall von „Rache“ nicht gerechtfertigt ist. Die zweite Frage stellt dann die Bedingungen einer Rechtfertigung jenseits von Rache in den Mittelpunkt. Und da gibt A.G. doch Bedingungen und Argumente an: „Man kennt die Fakten bisher zuwenig. Die Frage ist, ob die Aktion eine versuchte Festnahme oder von vornherein als Liquidierungsaktion angelegt war. Es ist völlig gerechtfertigt und absolut geboten, dass die USA nichts unversucht lassen, bin Ladin für seine schweren Verbrechen festzunehmen und zur Rechenschaft zu ziehen. Eine moralische Rechtfertigung für die stattgefundene Tötung gäbe es allerdings nur für den Fall, dass Einsatzkräfte dabei in schwere Gefahr gekommen und eine Tötung das einzige Mittel gewesen wäre, um diese Gefahr abzuwenden. Dann wäre die Tötung ethisch gerechtfertigt.“
Was persönliche Beleidigungen betrifft: Finde ich generell nicht angebracht.
Ja, es ist kein Artikel sondern ein Interview. Das ändert nicht das geringste an der Autorenschaft des Gesagten oder seinen Inhalt. (Flucht in Formalitäten, gibt es dafür auch einen Anglizismus?)
Was bei mir durcheinander sein soll, kann ich nicht nachvollziehen.
1.
Ich verlange einen Beleg für eine Tötungsabsicht Bin Ladens durch die US-Regierung bevor über die Legitimation derselben diskutiert werden kann (über die Legitimität einer Tötung während eines Festnahmeversuches besteht schließlich Einigkeit). Was ist daran durcheinander?
Wenn über die Frage der Tötungsaufträge i.A. und nicht im speziellen Fall Bin Ladens diskutiert werden soll, hat die Überschrift hier nichts verloren und ist nur ein reißerischer, z.Z. unbelegter Aufhänger. Das tangiert deine Antwort der Frage nicht.
2.
Es findet in dem Interview eine nur minimale Argumentation statt. Darum eignet er sich nicht, eine tiefergehende Diskussion zu beginnen. Was ist daran durcheinander?
Die von dir zitierte Ausführung enthält in der Tat ein Fitzelchen von Argument. Das Recht der USA darauf, Bin Laden zur Rechenschaft zu ziehen, was die Verhaftung legitimiert, und das Notwehr- und Nothilferecht von Einsatzkräften, dass eine Tötung im Rahmen Festnahmeversuches legitimiert, wurden angesprochen. Zudem werden auch ein paar weitere Umstände genannt, die zur Rechtfertigung herhalten könnten, die am Ende allerdings ebenso auf das Notwehr- und Nothilferecht bzw. das Verteidigungsrecht eines Staates zurückzuführen sind.
Das steht aber NICHT zur Diskussion hier. Zur Diskussion steht die Legitimität von Tötungsaufträgen und DIE wird ohne viel Argumentation negiert, was besonders prekär ist, da Vertreter der Legitimität solcher Aufträge ebenfalls mit dem staatlichen Verteidigungsrecht argumentieren. Vielleicht soll der Verweis auf das Nichtvorhanden eines Kriegszustandes als Argument herhalten, aber auch das soll ich einfach so schlucken. Immerhin gibt es auch in dieser Frage andere Meinungen, auf die nicht im mindesten eingegangen wird. … außer, einfach zu sagen, sie seien falsch, gilt als „eingehend“.
Daraus folgt für mich:
Hier soll darüber diskutiert werden, ob der Tötungsauftrag Bin Ladens, der nicht belegbar ist, gerechtfertigt werden kann. Und die Grundlage für diese Diskussion soll ein Interview sein, das dies ohne nennenswerte Argumentation negiert.
Damit werden gleich zwei Grundlagen von Geisteswissenschaften mit Füßen getreten.
Zum Schluss noch ein wenig Polemik: zum einen kannst du auf Lippenbekenntnisse à la „Finde ich generell nicht angebracht“ verzichten, deine Reaktion auf entsprechende Beiträge im Kontrast zur Reaktion auf die Dame spricht laut genug. Zum anderen könntest du die UN informieren! Die verlangen nämlich Aufklärung von der US-Regierung über die Todesumstände, die du offenbar schon kennst: „dass die usa beabsichtigten, bin laden zu töten, steht für mich außer frage“
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,761134,00.html
Kai,
es ist dein gutes Recht, hier deine Meinung kund zu tun. Keinesfalls jedoch ist es dein Recht, uns vorzuschreiben, wie wir diesen Blog zu betreiben haben, welche Artikel wir schreiben, welche Links wir setzen und welche Überschriften wir wählen. Und noch weniger ist es dein Recht, andere Leute zu beleidigen.
Jede Diskussion lebt vom Respekt gerade auch gegenüber jenen Diskussionsteilnehmern, deren Meinung man nicht teilt. Diesen Respekt hast du jetzt schon wiederholt vermissen lassen. Ein Klima zu schaffen, in dem Leute argumentieren können, ohne sich beschimpfen lassen zu müssen, ist uns als Team des Theorieblogs sehr wichtig. Wenn dir dies als zu restriktiv erscheint, empfehle ich dir, dich nach einem anderen Rahmen für deine Stellungnahmen umzusehen. Und wenn dich diese Anmerkungen von mir nun wiederum verärgern, lass es uns am Montag im Büro ausdiskutieren.
Bin wie üblich nachmittags im Haus; ich kann dich aber insofern beruhigen, als dass ich mir weder das Recht zur Vorschrift anmaße, noch das zur Beleidigung – lediglich das Recht, meinen Eindruck eines völlig fehlgeleiteten Steuerungsversuches kundzutun, der den bisherigen Ansprüchen nicht gerecht wird. Alles weitere besser face-to-face.
so, auf ein letztes: wie wäre es denn nun einfach mal mit eigenen argumenten pro und contra ethischer rechtfertigbarkeit, damit man mal von der formalen ebene auf die inhatliche kommt? ansonsten habe ich nichts hinzuzufügen, was ich nicht schon gesagt hätte (und neben mir noch andere); ein gutes gespräch mit daniel wünsche ich, vielleicht lässt sich da noch manches ausräumen.
Vielen dank, mal sehen, was herauskommt.
Ansonsten bin ich gern bereit, über die Rechtfertigbarkeit von Tötungsaufträgen zu sprechen, wahrscheinlich sind unsere Positionen nicht einmal weit voneinander entfernt. Nur verbietet mein wissenschaftlicher Ethnos, dies Prämisse zu tun, dass Bin Laden liquidiert werden sollte und nicht auf Grundlage dieses Inteviews.
Daher vielleicht ein anderes mal…
Schönes Wochende!
Ethos war natürlich gemeint…
Ich würde gerne ein paar unfertige Gedanken zur Diskussion stellen. Dazu motiviert mich, dass mein Empfinden und mein Verstand in dieser Frage nicht ohne weiteres zusammenfinden. Ich gehöre zu denen, die bei der Nachricht von Bin Ladins Tod „eine klammheimliche Freude“ (Mescalero, wers noch kennt…) nicht verhehlen konnten. Trotzdem stimme ich Anna im wesentlichen zu. Ist das ein Widerspruch? Womöglich nicht. Doch der Reihe nach.
Vor allem dreierlei steht jetzt in der Kritik: Die USA haben Bin Ladin getötet, und vielleicht war das von vornherein ihre Absicht. Sie haben dazu ohne Erlaubnis der pakistanischen Regierung auf deren Staatsgebiet operiert. Und viele (s.o.) reagierten auf die Todesnachricht mit spontaner Genugtuung oder gar Freude, so auch die Kanzlerin.
Zunächst zur Freude. Darf man sich wirklich nie freuen, wenn man erfährt, dass ein Mensch nicht mehr ist? Wie viele haben sich wohl spontan gefreut, als sie vom Tod Hitlers erfuhren? Waren sie allesamt Unmenschen? Da ich kein Christ bin, habe ich kein grundsätzliches Problem mit dem Gedanken, dass es manchmal besser ist, wenn ein bestimmter Mensch tot ist als wenn er weiterleben darf. Eine Welt ohne Hitler ist ein besserer Ort als eine Welt mit ihm.
Bin Ladin war kein Hitler, aber zum massenmordenden Unhold reichte es allemal. Und wie bei Hitler, so besteht jetzt auch bei Bin Ladin die Hoffnung, sein Tod werde zu einem schließlichen Enden des Mordens beitragen. Mit Prognosen dieser Art ist es so eine Sache, aber gänzlich unbegründet scheint sie mir im Fall Bin Ladins, eines Charismatikers des transnationalen Terrors, nicht zu sein.
Doch Tötungswünsche müssen nicht allein konsequentialistisch motiviert sein. Ich halte den Wunsch, wer anderen absichtlich schweren Schaden zugefügt hat, sollte selbst schweren Schaden leiden, für ausgesprochen menschlich und jedenfalls auf der Gefühlsebene für kaum ausschaltbar. Wahrscheinlich ist er von unserem Sinn für Ausgewogenheit, also für Gerechtigkeit, motivational nicht zu trennen. Und warum sollte man dann nicht auch authentisch sagen dürfen, wie man bei einer solchen Nachricht empfindet?
Durfte demnach auch die Kanzlerin sich spontan freuen? Ja. Die Gefühle eines Menschen sind sowieso seine Privatsache. Durfte sie das öffentlich sagen? Nein, denn damit hörten ihre Gefühle auf, ihre Privatsache zu sein. Sie wird schließlich mit ihren öffentlichen Stellungnahmen unweigerlich als Repräsentantin ihres Staates wahrgenommen. Und als solche hat sie sich nicht in Gefühlsausschüttungen zu ergehen. Sie hat die politische und auch die völkerrechtliche Dimension der Tat zu bedenken – und die Signalwirkung ihrer eigenen Äußerungen. Ob sie außerdem als Christin Kritik verdient, ist eine andere Frage, zu der ich mich als Nicht-Christ nicht äußern will.
Wie ist die Tötung Bin Ladins rechtlich zu beurteilen? Dazu ein Literaturhinweis, der mir erlaubt, mich kurz zu fassen: Kai Ambos hat in der FAZ vom 5. Mai auf Seite 6 einen glasklaren juristischen Kommentar publiziert, dem ich schon mangels juristischer Expertise wenig hinzuzufügen oder gar entgegenzusetzen habe – und der nebenbei auch die Äußerungen von Anna untermauert – Pflichtlektüre für Kai!
Ich stimme Ambos zu, dass die USA versuchen mussten, Bin Ladin lebend zu fangen, um ihn einem ordentlichen Gerichsverfahren zuzuführen. Sofern (!) sie das nicht ernsthaft versucht haben, handelte es sich um eine extralegale Tötung, die auch kein Kriegsrecht in Recht verwandeln könnte. Erstens sollten wir Leuten wie Bin Ladin nicht den Gefallen tun, ihnen den Status von Kombattanten oder De-facto-Kombattanten in einem Krieg zuzusprechen. Die Rede von einem „Krieg gegen den Terror“ war und ist irreführend. Zweitens würde auch das Kriegsrecht, angewandt auf einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, eine Tötung nur im Zuge einer Art von kollektiver Notwehr- oder Nothilfehandlung rechtfertigen. Die Tötung Unbewaffneter, die nicht sehr direkt an Kampfhandlungen oder ihrer Organisation beteiligt sind, rechtfertigt sie nicht.
In der taz von heute fragt der amerikanische Botschafter Murphy rhetorisch: „Hätte seine [Bin Ladins] Gefangennahme den Tod eines einzigen Soldaten gerechtfertigt?“ Die Frage ist irreführend. Sicherheitskräfte, die im rechtsstaatlichen Rahmen agieren, müssen ggf. auch bereit sein, zusätzliche Risiken einzugehen. Schließlich geht auch die Gesellschaft
zusätzliche Risiken ein, wenn sie verdächtige Personen nicht sogleich exekutiert, sondern ihnen einen fairen Prozess bietet. Kostenlos ist der Rechtsstaat, also das, was uns von Gewaltherrschaft und auch von Terrorismus trennt, nicht zu haben. Und ein Rechtstaat, der eine Schönwetterveranstaltung bleibt, ist wenig wert.
Nun noch zur letzten Frage: Durften die USA auf pakistanischem Territorium Gewalt anwenden, ohne dazu die Erlaubnis der pakistanischen Regierung eingeholt zu haben? Ambos hält dies für eine völkerrechtswidrige Souveränitätsverletzung. Damit macht er es sich m.E. zu einfach. Mir scheint, auch juristisch, jedenfalls aber politisch-moralisch sollte man bedenken, mit welcher Art von politischem Gebilde man es tatsächlich zu tun hat.
Pakistan scheint mir ein ausgesprochen gespaltener Staat zu sein, der gerade in Fragen des gebotenen Vorgehens gegen islamistischen Terrorismus zu einem einheitlichen Handeln außerstande ist. Seine Souveränität steht jedenfalls in dieser Hinsicht nur auf dem Papier. Hätten also die USA auf einen möglichen Zugriff verzichten sollen, nur weil Teile des pakistanischen Staatsapparates und seines sinistren Geheimdienstes Bin Ladin deckten? Das wäre in der Tat eine ungeheure und unbillige Zumutung für die USA gewesen.
Unter dem empirischen Vorbehalt, dass Pakistan wirkich jener gespaltene und in Sicherheitsfragen systematisch versagende Staat ist, als der er sich mir darstellt, scheint mir deshalb der Souveränitätseinwand gegen das Vorgehen der USA verfehlt zu sein. Ein Staat, der Wert auf Anerkennung seiner souveränen Gleichheit legt, muss auch imstande sein, im Angesicht von transnationalem Terrorismus seine Grundaufgaben zu erledigen. Kann oder will er das nicht tun, so kann Staaten, die Opfer jenes Terorismus wurden, nicht zugemutet werden, selbst untätig zu bleiben. Entweder, Pakistans Regierung hatte es selbst in der Hand, Bin Ladin festzunehmern, dann hat sie in einer völkerrechtlich erheblichen Hinsicht total versagt. Oder sie war dazu außerstande,dann verdient sie in dieser völkerrechtlich erheblichen Hinsicht nicht,als Regierung zu gelten.
Zunächst danke ich für den Literaturhinweis. Neben meinem üblichen Einwand, dass m.E. auch für Sie die Pflicht gilt, eine Tötungsabsicht nachzuweisen (oder war Ambos‘ Artikel dafür gedacht?), will ich auf die Frage Murphys eingehen. (“Hätte seine [Bin Ladins] Gefangennahme den Tod eines einzigen Soldaten gerechtfertigt?”)
Die mag unglücklich formuliert sein, weist aber auf ein grundlegendes Problem, nämlich die Gefährdung von Einsatzkräften. Es ist unstrittig, dass sie höhere Risiken eingehen müssen und sollen. Dazu braucht es auch keiner großen politischen Theorie, ihr freiwillig geleisteter Eid bindet und verpflichtet sie eindeutig.
Davon zu trennen ist die Frage der Risikoabwägung vor Ort in der Ausführung des Auftrags, die nicht uns, sondern eben den ausführenden Einsatzkräften vor Ort treffen müssen. Die momentane Darstellung ist recht eindeutig: während eines Zugriffsversuchs kam es zu einem Feuergefecht im bebauten Gelände und im Haus selbst, in dessen Verlauf Bin Laden erschossen wurde. Offenbar war also mindestens der Schütze der Ansicht, sein Leben und das seiner Kameraden zu schützen, indem er schoss. Die Einschätzung kann u.U. falsch sein, aber da in einer solchen Situation nur Millisekunden über Leben und Tod entscheiden und diese Soldaten, anders als wir, darin geübt sind, sie zu treffen, spreche ich im Zweifelsfall für sie und nicht für den Terroristen.
Darauf zielte Murphy ab und auch alles andere als irreführend. Ich nehme ebenso lieber den Tod Bin Ladens infolge einer falschen Risikoabwägung in Kauf, als den eines Soldaten, der für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpft. Vorausgesetzt, die Risikoabwägung war überhaupt falsch.
Die Tatsache, dass überhaupt Menschenleben auf derartige Weise gefährdet wurden, spricht klar für den Festnahmeversuch, immerhin hätten die US-Streitkräfte das für Liquidierungsaufträge typische Instrument der ferngelenkten Waffen oder Scharfschützen einsetzen können.
Im Übrigen glaube ich kaum, dass sich Merkel nur über den Tod als solchen freut, vielmehr über die erhöhte Sicherheit, die sie vielleicht dadurch wahrnimmt. Das aber Spekulation, ebenso wie die Tötungsabsicht.
PS: ich erkenne gerade, dass Sie nicht im vorhinein von einer Tötungsabsicht ausgehen – Entschuldung, mea culpa!
PPS: @ all, das „Sie“ ist keiner Unterordnung unter Autorität geschuldet, sondern unserer üblichen Kommunikation im SFB. Nicht, dass ihr euch wundert.
Als Philosoph mag die Tötung Bin Ladens ein Problem darstellen. Juristisch ist die Tat zu rechtfertigen: die USA befinden sich mit den Taliban im Krieg, so dass Kriegsrecht anzuwenden ist. Im Krieg ist die „normale“ Tötung eines Menschen aber ohne Weiteres gerechtfertigt. Dies ist unabhängig davon, ob man Bin Laden zunächst festnehmen wollte oder nicht.
Zwar mag man sich über die Anwendung von Kriegsrecht streiten, allerdings ist hier zu beachten, dass auch in einem asymetrischen Krieg Kriegsrecht Anwendung finden muss. Andernfalls könnten Taliban weltweit Anschläge verüben, die jeweiligen (Rechts-)Staaten wären aber an die strengen national-gesetzlichen Anforderung gebunden und demnach praktisch unfähig das Unrecht zu bekämpfen.
Wenn es für einen Krieg und die Anwendung von Kriegsrecht bereits ausreichend ist, dass eine Partei glaubt, es handele sich um Krieg: Wie viele Grundstücksnachbarn befinden sich dann ebenfalls im Krieg? (Vielleicht kann Christoph hier noch einmal nachlegen.)
Doch kurz nur zu Bernd und seinen klärenden Überlegungen (und auch hier nur zu dem einen Punkt „klammheimliche Freude“): Zwei Fragen müssen doch noch etwas schärfer auseinander gehalten werden, damit die „gefühlten“ Ambivalenzen verständlich werden. Erstens: Ist es nachvollziehbar, dass viele mit Genugtuung oder gar Freude auf den Tod des Terroristenführers reagieren? Antwort: Ja. Und zweitens: Ist alles, was man mit Genugtuung oder Freude zur Kenntnis nimmt, deshalb auch schon moralisch oder rechtlich erlaubt? Antwort: Natürlich nicht! Sollte z.B. der Berliner U-Bahn-Schläger nächste Woche nunmehr selbst verdroschen werden, wer wird da nicht denken: Hat er es nicht irgendwie verdient? Aber sollten wir den zweiten Schläger deshalb laufen lassen?
Diese ambivalente Erfahrung ist doch geradezu alltäglich: Das Recht und die Moral verlangen uns mitunter Dinge ab, die uns gegen den Strich gehen. Spricht das gegen die Moral und das Recht? Im Gegenteil: Dies gehört vielmehr zu ihrem Wesen als Friedensstifter. Und auch deshalb stehen Prügelstrafen, gezielte Tötungen, Folter oder die Todesstrafe einem demokratischen Strafrechtsstaat, der Rache in gerechtes Recht transformieren will, nicht gut zu Gesicht. Zwar kann mich das intellektuelle Vollstreckungsgehabe all der Broders oder Wolffsohns, die höchstens mal zu Karneval erbarmungslose Cowboys gewesen sind, amüsieren. Doch eine Kanzlerin muss, bei öffentlichen Verlautbarungen jedenfalls, auf dem Standpunkt des Rechts stehen. (Umso mehr gilt das für „Gratulationen“ seitens der UN oder des Sicherheitsrates.) Denn wer, bitte schön, soll das sonst tun?
ich stimme bernds und arnds ausführungen in den meisten teilen zu. vor allem die ambivalenz im bereich subjektiver gefühle und objektiver moral finde ich wichtig, hervorzuheben.
(unter anderem möchte ich aber auch nochmal hervorheben, dass ich die gleichsetzung von tötung und tötungsabsicht problematisch und für die diskussion wenig hilfreich finde. es geht um die frage, ob die tötung gerechtfertigt ist. ob die absicht gerechtfertigt ist, ist eine weitere frage, dies nur nochmal nebenbei, da kai wieder darauf einging).
rache, genugtuung, schadenfreude, all das sind nachvollziehbare, verständliche gefühle. natürlich gönnt man oder versteht zumindest rachegefühle und freude angesichts der tatsache, dass ein massenmörder nicht mehr lebt. diese gefühle sind aber gerade unabhängig von dem, was wir unter moral verstehen (sollten): etwas universell verbindliches, das den moralischen status der anderen menschen – sei dieser nun mit würde, mit rechten oder mit basalen interessen begründet – achtet, unabhängig von ihrem moralischen verhalten, charakter und leistungen. der soziologe wolfgang sofsky hat dazu leider einen unmöglichen kommentar im zürcher tages-anzeiger geschrieben, der auf die quintessenz hinausläuft: „auge um auge, leben um leben“. demnach ist es seiner ansicht nach legitim, die taten eines verbrechers ebensfall via tötung durch rache – die er als etwas moralisches versteht! – zu vergelten. das ganze ist aber eher ein plädoyer für selbstjustiz und bellum omnium contra omnes…
Zu Arnd und Susanne:
Mir ist auch nicht wohl bei dem Gedanken, der Rache das Wort zu reden. Trotzdem habe ich den Eindruck, es ist zu einfach, sie als archaisches Reaktionsmuster ganz außerhalb des Raums der Moral anzusiedeln. Ich habe vielmehr den Eindruck, sie ist eine Art dunkler Seite unseres Sinns für Gerechtigkeit.
Wir wollen, dass zwischen den Ansprüchen der Menschen eine Ausgewogenheit herrscht, und wer diese durch eine Straftat vorwerfbar verletzt, verdient um der Ausgewogenheit willen eine negative Sanktion, eine Strafe. Deshalb tut es uns weh zu sehen, wie jemand, der anderen absichtlich schwer geschadet hat, selbst schadenfrei davonkommt. (Man stelle sich einen Hollywood-Film oder einen „Tatort“ vor, der so endete.)
Die Errungenschaft des rechtsstaatlichen Strafrechts scheint mir nun nicht darin zu bestehen, dass dieses die Rache durch etwas gänzlich anderes ersetzt hätte. Vielmehr hat es sie wenigstens auch sublimiert und institutionell eingehegt. Das macht es möglich, im Zuge eines fragilen Zivilisierungsprozesses, der uns zunehmend sensibel macht für das Leiden anderer, auch unser Rachebedürfnis immer weniger direkt ins Strafrecht hineinzuprojizieren. Wir können dann abkommen vom Wunsch zu foltern, hinzurichten und dergleichen. Und ganz gewiss müssen wir uns dies unbedingt bewahren, auch im Angesicht eines wahrhaft zivilisationsfeindlichen Terrorismus.
Gleichwohl gibt es Verbrechen, deren Dimension unsere Zivilisiertheit auf eine extreme Probe stellt. Ich würde darum etwa der Freude über den Tod der Hitler, Himmler, Goebbels, Göhring und co. den moralischen Gehalt nicht absprechen. (Die Moral selbst disponiert uns zu aggressiven Reaktionen in Gestalt von Schuldvorwürfen und ähnlichem, sie ist also mitnichten harmlos.). Hier mag aber auch eine Rolle spielen, dass ich an so etwas wie eine angeborene gleiche Würde jedes Menschen nicht glauben kann.
Vielmehr glaube ich, dass wir den Scheusalen unter uns nicht den Gefallen tun sollten, auf ihr Niveau hinabzusinken, indem wir gleiches mit gleichem vergelten. Und institutionelle Regelungen wie die Abschaffung der Todesstrafe sind zu wertvoll, als dass wir sie um noch so gut begründeter moralischer Gefühle willen aufs Spiel setzen dürften. (Wie aus einer anderen Diskussion hier im Blog ersichtlich, ersetze ich direkte Begründungen der Menschenwürde durch moralpragmatische Erwägungen konsequentialistischer Natur.)
Aber retrospektiv: Ich kann keine Trauer darüber empfinden, dass die Israelis Eichmann hingerichtet haben. Und auch um bin Ladin scheint es mir nicht schade zu sein. Ist das amoralisch oder gar widermoralisch?
Das ist doch keine Frage der „Politik der Würde“, sondern eine Frage der Rechtsstaatlichkeit und des Unschuldsprinzip oder kurz: In dubio pro reo (Aristoteles und römisches Recht). Deshalb muss generell jedem ein ziviles Gerichtsverfahren ermöglicht werden. Die Frage ist natürlich: befinden wir uns überhaupt noch im zivilen Strafrecht oder liegt nicht schon längst der Kriegsfall vor?
In meinen Augen ist der Zivilisationsprozess im Krieg ausgehebelt. Die Regeln im Krieg sind nur da um den Konflikt zu kanalisieren, aber nicht um ihn moralisch zu verurteilen. Regeln sind quasi nur Schutzmechanismen der Schwächeren oder Garantievorschläge zur Stabilisierung. Auf der anderen Seite sind sie temporäre Mittel um einen Zustand zu erhalten. Krieg ist die Aufgabe des Rechts. die vermittelnde Ebene ist die Politik. Aber das ist hier nicht der springende Punkt.
Es geht um die Frage nach dem Krieg? Dies würde ich eindeutig bejahen. Beide Seiten haben sich in einem subjektiven (ideologisch, mental) und in einem objektiven (Attentate, Kriegshandlungen etc.) Krieg befunden. Wer das leugnet, vergisst wohl die Toten der letzten 10 Jahre.
Wer jetzt behauptet im Krieg darf nicht getötet werden, verkennt seine Wesenheit.