theorieblog.de | Plagiarimus und der Fall Guttenberg – Weit mehr als ein Kavaliersdelikt

21. Februar 2011, Gholiagha

Karl Theodor zu Guttenberg soll Teile seiner 2007 veröffentlichten Doktorarbeit plagiiert haben. Die Debatte darüber läuft auf Hochtouren, Guttenberg Fans und Gegner liegen sich in den Haaren. Mittlerweile hat er erklärt, dass die Arbeit kein Plagiat sei, er aber bis zur Klärung vorübergehend auf den Doktortitel verzichten werde und es sich, wenn Fehler nachgewiesen würden, lediglich um wissenschaftliches Fehlverhalten handeln würde. Während sich die Debatte allerdings mehr auf die Person Guttenbergs und die politischen Konsequenzen konzentriert, soll in diesem Artikel nochmal auf das wissenschaftliche Fehlverhalten und dessen Bewertung eingegangen werden.

Die Diskussionen in den Internetforen der führenden Print- und Onlinemedien, die sich auf diese wissenschaftliche Dimension beziehen, zeigen ein geteiltes Bild. Zum einen wird harsche Kritik am Plagiat geübt und Sanktionierung gefordert – bis hin zur Aberkennung des Doktortitels. Zum anderen finden sich aber auch Stimmen, die das Ganze eher harmlos sehen. Bei letzteren können drei zusammenhängende Argumentationsmuster identifiziert werden. Erstens: Plagiate seien gängige wissenschaftliche Praxis. Zweitens: Auch anderswo, in der Schule beispielsweise, sei Abschreiben an der Tagesordnung. Drittens: Der bisher entdeckte Umfang sei vernachlässigbar, insbesondere mit Blick auf die zahlreichen Fußnoten und die umfangreiche Literaturliste. Es gilt auf der wissenschaftlichen Ebene nun einige Fragen zu klären: Warum werden Plagiate geahndet und welche Bedeutung haben Quellen in der Wissenschaft? Warum scheitern Plagiatskontrollen? Und welche Möglichkeiten der verbesserten (Selbst-) Kontrolle sind denkbar? Mit diesen Fragen möchte ich mich im Folgenden genauer beschäftigen.

Warum also werden Plagiate in der Wissenschaft geahndet und welche Bedeutung haben Quellen?

Es gibt hier eine rechtliche Dimension. Oft wird das Fehlen von Zitationszeichen, Fußnoten oder Literaturangaben als handwerklicher Fehler verstanden. Zwar kann und wird formell zwischen falsch oder gar nicht gesetzten Referenzen und dem Kopieren ganzer Textpassagen oder Arbeiten unterschieden. Jedoch ist dies für die Bewertung nachrangig. Denn es handelt sich stets um eine bewusste Handlung, vergleichbar mit Unterschriftenfälschung. Anders gesagt: Plagiate passieren nicht aus Versehen. Hier spielt natürlich auch das Urheberrecht eine Rolle, welches das Aneignen geistigen Eigentums, sofern kenntlich gemacht, für die Wissenschaft als Ausnahme zulässt. Abgesehen von dieser rechtlichen Dimension steht aber, so meine ich, vielmehr die Frage im Raum, warum es aus wissenschaftlicher Sicht notwendig ist, zu zitieren und alle verwendeten Hilfsmittel offenzulegen.

Die Antwort darauf ist so einfach wie richtig: Es kann andernfalls nicht nachvollzogen werden, wie bestimmte Ansichten und Ergebnisse zustande gekommen sind. Zudem ist eine Möglichkeit zur wissenschaftlichen Anschlusskommunikation nur dann gegeben, wenn die Bezugspunkte in eigenen Arbeiten offen gelegt werden. Denn unter Bezugnahme auf eine anderswo formulierte These kann eine Antithese entwickelt werden, kann Neues entstehen. In diesem Kontext wird häufig argumentiert, im Schreibprozess lasse sich nicht mehr rekonstruieren, woher eine Idee ursprünglich stamme. Dies ist bisweilen richtig, befreit aber nicht von der Verantwortung, alle Quellen und Hilfsmittel anzugeben. Es bleibt also festzuhalten, dass Plagiate aus rechtlicher, moralischer und wissenschaftlicher Sicht weder legal noch legitim sind.

Wann aber ist ein Plagiat ein Plagiat (siehe u.a. im Fall Guttenberg die Diskussion im PlagiatsWiki )? Es geht hier um zwei Dimensionen, um Quantität und Intentionalität. Im speziellen Fall Guttenberg stellt sich diese Frage mittlerweile scheinbar nicht mehr, denn die entdeckten Plagiatsstellen nehmen zu und sind bereits jetzt substantiell. Es kommt aber nur im begrenzten Umfang auf die Quantität an. Denn das Zitieren von Quellen ist ein bewusster Prozess, so dass das Weglassen von Referenzen als bewusster Akt verstanden werden sollte. Ergo ist auch das Fehlen einiger weniger Referenzen ein Plagiat. Es geht also primär um die Intentionalität des Plagiats. Hierbei kann jedoch die Quantität ein Indikator sein. Einige wenige falsch gesetzte Fußnoten mögen als handwerklicher Fehler oder Lapsus gewertet werden können. In dem Augenblick aber, wo ganze Passagen kopiert worden sind, ist die Intentionalität des Plagiats nicht zu bestreiten.

An dieser Stelle sei kurz auf das Argument eingegangen, dass in der Schule und Wissenschaft Plagiate an der Tagesordnung seien. Diese Beobachtung mag empirisch richtig sein, wobei verlässliche Zahlen hier nicht vorliegen.In der Schule wird in der Regel sanktioniert, wenn das Plagiat ans Tageslicht kommt – zum Beispiel durch die Note sechs. Der Hinweis auf die Schule ist allerdings fehl am Platz, weil die Unterscheidung von Recht und Unrecht Teil der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist. Im Universitätskontext muss davon ausgegangen werden können, dass Studierende und Forschende über dieses (Un-)Rechts-
bewusstsein verfügen, diese zudem eidesstaatliche Versicherungen der Eigenständigkeit der jeweiligen Arbeiten unterschreiben. Die Übernahme von alleiniger Verantwortung ist an dieser Stelle aber nicht primär ein entwicklungspsychologisches Moment, sondern eine rechtliche Zuschreibung. Darüber hinaus gilt, dass durch gängige Praxis einer illegalen und illegitimen Handlung diese nicht legalisiert oder legitimiert wird.

Wenn aber Quellen so wichtig und Plagiate illegal und illegitim sind, wieso tauchen sie immer wieder und auf allen Ebenen des wissenschaftlichen Arbeitens auf? Ein laxer Umgang mit den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis wie sie etwa die DFG veröffentlicht hat, zeigt sich schon bei Studierenden. Selbst in Abschlussarbeiten finden sich immer wieder Plagiate; häufig fehlt Studierenden das Unrechtsbewusstsein. Aber auch Professorinnen und Professoren haben schon ganze Arbeiten von Studierenden unter eigenem Namen veröffentlicht oder plagiieren in Forschungsanträgen. Hier kommt also zunächst die Frage auf, warum die Plagiatskontrolle häufig versagt. Zum einen sind die vorhandenen Mittel wie spezielle Software nicht immer verlässlich, zum anderen ist die Menge an zu überprüfendem Material ein Beweggrund, nicht alles automatisch, sondern nur bei einem begründetem Anfangsverdacht zu prüfen. Die eigentlichen Ursachen für dieses Versagen liegen meiner Ansicht nach anderswo – und nur von dort aus kann man dann auch entsprechend reagieren. Die Ursachen liegen zum einen in dem Fehlen einer „Kultur des Zitierens“ und zum anderen in einer damit einhergehenden mangelnden Vermittlung.

Was also ist zu tun?

Es geht nach meiner Einschätzung darum, eine „Kultur des Zitierens“zu etablieren. Wie aber ist eine solche Kultur zu etablieren, wie können die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (wieder)belebt werden? Der Verweis auf die Vermittlung von handwerklichen Fähigkeiten ist hier nur bedingt hilfreich, denn dann bleibt das Plagiat in der Welt der Wissenschaft eben auch nur ein handwerklicher Fehler, der ohne größere Konsequenzen berichtigt werden kann. Ich will daher ähnlich wie Prof. Dr. Weber-Wulff eben jene Frage des wissenschaftlichen Ethos in den Vordergrund rücken.

Zunächst einmal kann auf struktureller Ebene durch obligatorische Plagiatskontrolle aller Arbeiten und schärfere Sanktionsmittel (wie beispielsweise Geldbußen oder Exmatrikulation im Nordrhein-Westfälischen Hochschulgesetz) sicherlich etwas getan werden. Aber hier aufzuhören erscheint mir mit Blick auf die aktuelle Debatte über zu Guttenberg nicht ausreichend. Eine Stärkung der guten wissenschaftlichen Praxis kann auch durch eine strengere Selbstkontrolle stattfinden. Die scientific community ist hier gefragt, bei Arbeiten unter eigener Verantwortung, aber auch bei Kolleginnen und Kollegen, genauer hinzusehen. Der qualitative Nutzen von guter Quellenarbeit und die systematischer Aufarbeitung der vorhandenen Literatur zu einem bestimmten Thema müssen wieder in den Vordergrund gerückt werden. Die Debatte um zu Guttenbergs Arbeit bietet hier einen sinnvollen Ausgangspunkt. Die Frage, was gute wissenschaftliche Praxis ist und was sie eben nicht ist, benötigt einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs unter Einbeziehung der Politik und des Rechtssystems. Nur wenn Wertvorstellungen in der Gesellschaft verankert und Teil des Grundkonsenses sind, können sie als Schablone für Regelungen und als Handlungsanleitungen in so komplexen Systemen wie dem der Wissenschaft dienen. Nur dann besteht die Chance zu vermitteln, dass Plagiate weder ein Kavaliersdelikt sind, noch einen handwerklichen Fehler darstellen.

Sassan Gholiagha promoviert in Politikwissenschaft an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Seine Dissertation befasst sich mit dem Prinzip der Verantwortung in der internationalen Sphäre am Beispiel des IStGH und der „Responsibility to Protect“. Er möchte seinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl sowie Veronika Streuer, Julian Eckl und Marisell Eichhoff für konstruktive Kommentare und Diskussionen danken.


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