theorieblog.de | Die öffentliche Reaktion der USA auf die Ereignisse in Ägypten – feiger Opportunismus oder gebotene Zurückhaltung?

9. Februar 2011, Voelsen

Parallel zur Berichterstattung über die aktuellen Ereignisse in Ägypten gibt es eine wachsende Diskussion über die angemessene Reaktion westlicher Demokratien, insbesondere der USA. Zugespitzt findet sich etwa bei Jakob Augstein die These vom „Ende der westlichen Glaubwürdigkeit„: Wer immer von der Demokratie schwärme, zugleich aber autoritären Regimen selbst im Falle des Aufstands die Unterstützung nicht versagen will, so Augstein, offenbare eine besonders zynische Form der Doppelmoral. Doch was folgt aus diesem Befund? Und wie verwerflich ist die öffentliche Zurückhaltung der US-amerikanischen Regierung? Sollten sich demokratische Regierungen offen für demokratische Reformen in anderen Ländern aussprechen, sind sie vielleicht gar moralisch dazu verpflichtet? Dazu einige Überlegungen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte.

Zunächst einmal ist zu betonen, dass es mir hier zunächst nur um die öffentliche Reaktion der US-amerikanischen Regierung geht. Bekanntermaßen haben die USA seit dem Kalten Krieg das autoritäre Regime Ägyptens unterstützt, was ihnen einen besonderen Einfluss, vor allem wohl mit Blick auf das ägyptische Militär, gibt. Zwar erscheint es als falsche Vereinfachung anzunehmen, mit einem wie auch immer gearteten Entzug dieser Unterstützung könnten die USA Mubarak von heute auf morgen entmachten und demokratische Reformen in Ägypten durchsetzen. Politik ist komplizierter. Eine zentrale Säule des Regimes Mubarak mag die Unterstützung durch die USA sein; hinzu kommt aber ein komplexes Geflecht von inner-ägyptischen Machtverhältnissen (ausführlich dazu Kassem). Und doch ist der Einfluss der USA hinter den Kulissen wohl erheblich. Statt jedoch über die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, zu spekulieren, will ich mich auf die Frage beschränken, ob die US-amerikanische Regierung sich öffentlich für einen demokratischen Wandel in Ägypten aussprechen sollte.

Dagegen spricht das Gebot der Nicht-Intervention bzw. positiv gewandt das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Nicht zuletzt wird ja auch die Unterstützung autoritärer Regime durch die USA als unzulässige Einmischung in die internen politischen Prozesse eines Landes gedeutet. Ohne diese Einmischung, so die hoffnungsvolle Vermutung, könnten sich die autoritären Regime nicht länger halten und die Demokratie sich durchsetzen. Wenn man aber nun einerseits die Einmischung der USA kritisiert, erscheint es zumindest auf den ersten Blick widersprüchlich, andererseits nun eine noch weitergehende Einmischung zu fordern.

Gegen diesen Einwand lassen sich nun meiner Meinung nach zwei Argumente anführen: Zum einen kann man eine Einmischung der US-amerikanischen Regierung als eine Art historischer Wiedergutmachung verstehen. Nachdem die USA über Jahrzehnte ein autoritäres Regime unterstützen haben, so das Argument, schulden sie es nun der ägyptischen Bevölkerung, sie in ihrem Kampf für Demokratie zu unterstützen. Zum anderen könnte man noch allgemeiner argumentieren, dass demokratische Regierungen generell verpflichtet sind, Demokratiebewegungen andernorts zu unterstützen.

Ich finde beide Argumente überzeugend und glaube dennoch, dass die öffentliche Zurückhaltung der USA richtig ist. Denn selbst wenn man akzeptiert, dass die USA (als Demokratie) historisch eine besondere Verantwortung gegenüber der ägyptischen Bevölkerung haben, so folgt daraus noch nicht automatisch, dass ein offensiveres öffentliches Auftreten die geeignete Form ist, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Empirisch scheint unüberschaubar, welche Wirkung eine öffentliche Parteinahme Obamas auf die inner-ägyptischen Machtverhältnisse hätte. Möglicherweise würde es die demokratischen Kräfte stärken; eine reale Gefahr ist aber auch, dass eine solche öffentliche Stellungnahme jenen Munition liefern würde, die schon jetzt darum bemüht sind, die demokratischen Proteste als Aktionen ausländischer Geheimdienste zu diffamieren. Dies sind nun wieder Spekulationen, das grundsätzliche Argument jedoch lautet, dass demokratische Regierungen wie die der USA sich an dieser Stelle daran orientieren sollten, ob ihre öffentlichen Äußerungen den demokratischen Kräften vor Ort helfen, oder ob sie diesen gar schaden. Von einer Verpflichtung demokratischer Regierungen, sich immer und überall öffentlich für demokratische Bewegungen auszusprechen, kann also keine Rede sein; öffentliche Zurückhaltung muss nicht per se das Ende der moralischen Glaubwürdigkeit signalisieren. Verstärken lässt sich diese Argumentation noch durch einen vorsichtigen Rückgriff auf J.S. Mills Diktum, wonach nur eine selbst erkämpfte Demokratie auf Dauer stabil sein kann. Ich glaube, in dieser Radikalität lässt sich die Behauptung nicht aufrecht erhalten. Und doch formuliert Mill hier eine wichtige Einsicht, die sich auch auf die Situation in Ägypten übertragen lässt. Wenn die Chance besteht, dass ein Volk sich aus eigenen Stücken von einem autoritären Herrscher befreit, sollte man ihm diese Chance nicht nehmen. Vielleicht werden die USA ihrer besonderen Verpflichtung gegenüber Ägypten in diesem Sinne ja gerade dadurch gerecht, dass sie sich dieses Mal nicht einmischen.

Dazu noch zwei wichtige Ergänzungen: Erstens könnte man mir entgegenhalten, die amerikanische Haltung fälschlich und naiverweise als das Ergebnis ausgewogener moralischer Reflexion zu stilisieren, während doch eigentlich auch jetzt noch amerikanische Interessen im Mittelpunkt stünden. Das ist natürlich ein großes Fass, aber nur um den Status meiner Überlegungen zu erklären: Mir geht es zunächst nicht um die Motive der US-amerikanischen Regierung. Vielleicht geht die Zurückhaltung tatsächlich darauf zurück, dass man es sich nicht mit Mubarak verscherzen möchte, falls er sich doch halten kann. Das wäre in höchstem Maße zynisch, ist aber für meine Überlegungen erst einmal nachrangig: Mir geht es ja nur darum zu zeigen, dass es gute Gründe für die Zurückhaltung der US-Regierung gibt und dass man die schnelle Forderung nach einer offensiveren Haltung vielleicht noch einmal überdenken sollte.

Zweitens möchte ich zum Abschluss auf den vor einigen Jahren erschienenen Text „On Promoting Democracy“ hinweisen. Michael Walzer macht hier das nicht revolutionäre, aber doch überzeugende Argument, dass externe Einmischung durch den Staat wesentlich problematischer (da potentiell mit Zwang verbunden) ist als externe Einmischung von einzelnen Individuen. Was in aller Kürze bedeutet, dass man Zurückhaltung auf Seiten der US-Regierung für vernünftig halten, und dennoch als überzeugter Demokrat den Rücktritt Mubaraks fordern kann!


Vollständiger Link zum Artikel: https://www.theorieblog.de/index.php/2011/02/die-offentliche-reaktion-der-usa-auf-die-ereignisse-in-agypten-feiger-opportunismus-oder-gebotene-zuruckhaltung/