Er war einer der praktischen Philosophen, die heute die Landschaft des kritischen politischen Denkens besonders in Frankreich prägen: Claude Lefort. Er starb am 3. Oktober im Alter von 86 Jahren.
Lefort beharrte stets darauf, dass das Politische jenseits des Staates zu denken sei und auf der Unmöglichkeit, die Einsicht in eine konfliktreiche Welt des Sozialen in eine Theorie der einzig richtigen Gesellschaftsordnung zu überführen. Vehement und mit aller rhetorischen Schärfe verteidigte er die Disharmonie im Stimmengewirr der Moderne, überzeugt von der Gefahr des Totalitarismus, die einer mit sich identischen, sich in ein organisches Ganzes auflösenden Gesellschaft verbunden war. So war die Demokratie für Lefort keine Regierungsform zur Erzeugung und Stabilisierung gesellschaftlicher Ordnung, sondern ein beständiger Ausdruck der lebensweltlichen Heterogenität, die sich keinem Entwurf sozialer Ordnung widerspruchsfrei zu fügen gewillt ist.
Als Schüler des Phänomenologen Merleau-Ponty (dessen Werke er nach seinem Tod herausbrachte) war Lefort ein Anhänger des Marxismus, den er gegen den Stalinismus und dessen Terror zu verteidigen und zu rechtfertigen suchte. Mit 18 Jahren trat er der IV. Internationalen bei, da er sich im Trotzkismus die Verwirklichung der marxistischen Ideale erhoffte. Doch wurde sich Lefort bald über die Illusion dieser Hoffung bewusst. Gemeinsam mit Cornelius Castoriadis, der ihn über das totalitäre Wesen bürokratischer Herrschaft aufklärte, bildete er zunächst innerhalb der IV. Internationale eine „Tendenz“, die das Verhältnis der Idee einer revolutionären Partei zur Gefahr des bürokratischen Terrors kritisch in Frage stellte. Zu der Überzeugung gelangt, dass die Sowjetunion kein Arbeiterstaat im Übergang war, wie die Hauptströmung des Trotzkismus behauptete, sondern das totalitäre Regime einer bürokratischen Klasse, die mit den Ideen des Marxismus unvereinbar seien, war die Trennung von der IV. Internationalen daher konsequent. Zusammen mit Castoriadis, dessen Kritik bürokratischer Regime Lefort übernahm und weiter dachte, gründete er 1949 die Gruppe „Socialisme ou Barbarie“. Hier, so die Hoffnung, ließen sich „die Denkverbote des Marxismus-Leninismus durchbrechen, um das Denken von Marx zu entdecken.“ (Vorwort zu Eléments d´une ctitique de la bureaucratie, in Rödel (Hrsg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, 1990). Neben der Theoretisierung einer Emanzipation der Gesellschaft, deren Träger Lefort und Castoriadis nach wie vor in der proletarischen Klasse verortete, standen die Analysen des fordistischen Arbeitsalltages im Frankreich der Nachkriegszeit im Interesse der Gruppe. Sie und ihre gleichnamige Zeitschrift mit dem Untertitel „Organe critique d’orientation révolutionnaire“ sollten bis weit nach ihrer Auflösung 1967 Einfluss auf die französische Linke haben. Doch Lefort hatte zu diesem Zeitpunkt „Socialisme ou Barbarie“ längst den Rücken gekehrt. Ausgehend von der These, dass die Differenziertheit der modernen Gesellschaft nicht mit dem marxistischen Theorem der „Entfremdung“ verständlich zu machen war, sondern eine eigenständige und zu würdigende Leistung der Moderne darstellt, deren Ursprünge in den demokratischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts liegen, begann Lefort eine eigene politische Philosophie zu entwickeln – nun in stärkerer Abgrenzung zu früheren marxistischen Überzeugungen wie auch zu den revolutionären Ideen Castoriadis‘. So stellte Lefort 1971 fest: „Ich bewege mich nicht mehr im Umkreis des Marxismus, das Warten auf die wahre Revolution scheint mir vergeblich, der Glaube an eine gute Gesellschaft entweder naiv oder heuchlerisch, in jedem Fall aber furchterregend.“ (Vorwort zu Eléments d´une ctitique de la bureaucratie, in Rödel, a. a. O.)
Das Furchterregende an einer kommunistischen Gesellschaftsordnung war für Lefort deren künstliche soziale Einheit, ihre erzwungene Homogenität und die damit verbundene totalitäre Tendenz der Vernichtung des Anderen. Der innere Zusammenhang zwischen Demokratie und dem Offensichtlichwerden der gesellschaftlichen Differenziertheit wurde daher zum eigentlichen Gegenstand der philosophischen Forschung Leforts. Dabei ging er von einer ursprünglichen Trennung der Gesellschaft aus, die im ancien régime von der Zentralität der königlichen Macht und der scheinbaren Natürlichkeit einer hierarchischen Ordnung verdeckt wurde. Mit den demokratischen Revolutionen wurde der traditionalistische Schleier von dieser gesellschaftlichen Trennung gerissen. Lefort verstand daher die Demokratie nicht als eine Regierungsform mit bestimmten politischen Institutionen, sondern die Bedingung für das Politische in der Moderne, der revolutionäre Eintritt in das Feld der Politik als streitbare Zivilgesellschaft, als latente Verfügbarkeit aller Institutionen, als Offenhalten des Ortes der Macht. Diese Leerstelle der Macht, die nicht mehr repräsentiert oder substantialisiert wird, die auch keine dauerhaft-reale, nicht-virtuelle Gestalt mehr annehmen kann, wird das Vermächtnis Leforts bleiben, welches ihn als einen großen libertären Demokraten auszeichnet. Jeder Versuch, diesen Ort dauerhaft zu besetzen, ob mit dem Verweis auf Gott, der geschichtlichen Repräsentationskraft einer Partei oder einem, den vermeintlich natürlichen Bedingungen eines globalen Kapitalismus geschuldeten Sachzwang, müsse, so Lefort, in einer totalitaristischen Unterdrückung der Zivilgesellschaft münden. Doch, das hat Lefort zu zeigen versucht, lässt sich das Stimmengewirr der Moderne nicht in Harmonie bringen, denn die moderne Zivilgesellschaft wird nicht aufhören, sich kämpferisch gegen ihre Verstetigung und ihr vermeintliches Ende zur Wehr zu setzen und sie wird immer wieder die „unbestimmte Fahrt ins Neue“ wagen.
Ins Deutsche übersetzte Texte von Claude Lefort sind der (vergriffene) Essay „Die Fortdauer des Theologisch-Politischen?“, Wien, 1999 bzw. sind abgedruckt in Ulrich Rödel (Hrsg.): „Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie“, Frankfurt a. M., 1990 und in dem Essayband: „Die Bresche. Essays zum Mai 68“. Wien, 2008. Im Januar 2011 erscheint in der edition suhrkamp von Claude Lefort: „Die leere Mitte, Essays 1945- 2005“.
Im Netz gibt es den Text „Die proletarische Erfahrung“ von 1952 aus der Zeit von Socialisme ou Barbarie auf dem Blog „Raum gegen Zement“. Philippe Raynaud hat in der Zeitung „Le Monde“ einen Nachruf veröffentlicht; die Philosophin Myriam Revault D´Allones erinnert in „Libération“ an Claude Lefort.
Jan Obracaj ist Doktorand am Konstanzer Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und promoviert zum Verhältnis von Kontingenzbewusstsein und Demokratie.
Bevor es soweit ist, daß mit der freien Rede auch der freie Gedanke wieder verfolgt werden wird, will ich mir noch rasch einen Reim auf die Zeichen der Zeit machen. Schon gehen die Wächter und Scharfrichter um, ihre behandschuhten Hände bleiben sauber, denn wir sind es selbst, die vorauseilend deren Werke tun. Ja Ihr habt sie bereits verinnerlicht, die Zensur, Wie! was gesagt werden darf, wenn man schon dem nicht beikommt, Was! gemeint ist. Es ist die Sprache ihr erstes Opfer, weil sie fürchten was sie spricht. Sie wollen dem Pegasus die Flügel binden, und ins Joche ihrer Zwecke spannen.
Die Scharfrichter wetzen schon ihre Beile
Durchstreifen die Syntax in jeder Zeile
Nicht nur was dort gesagt wird, sondern auch wie
Sie zwingen den Geist vor vor dem Nutzen aufs Knie
Jedoch ihre Richtschnur mißt immer vergeblich
Denn wahre Kunst dem Kalküle entzieht sich
Und das was zwischen den Zeilen gedacht wird
Ihr niemals ins einträgliche Joche einschirrt
So wird gegen freie Vokale flottiert
der Dehnlaut vom Lehnwort amputiert
Und spannen ihn hart auf die Streckbank
Damit er gesteht wie überflüssig er ist
Im Kerker die Sprache wird elendig krank
Solange ihr Wächter der Scharfrichter ist
Mein Gedanke bleibt frei, denn Ihr habt nichts bedacht
Und versteht partout nicht, wie er das macht
Ich frag nicht ob er paßt dort in die Ecke
Verfolgt stets nur die ureigensten Zwecke
Ich sag Euch kommt mit hinaus in das Freie
Und fragt nicht ob’s sei opportun
Ob Sklav oder Bürger entscheidet Ihr nun
Laß nicht zu daß die Hatz Deinen Alltag kasteie
Hallo Herr Nachbar, sei gegrüßt lieber Freund
Sag ab, was Leib und Seele frevelnd umzäunt
Reich mir die Hand, verbirg nicht Dein Gesicht
Vor Deiner Treu und Liebe fürcht ich mich nicht
Dein sichtbares Lächeln macht was Leidend gesund
Der Mensch stirbt am Gottvertrauenschwund
Ihr schwächt das Leben durch Euer Angst und Bang
Euch raubt den Atem der Panik harte Zang
Drum Heil sei Euch und reich Gottes Segen
Gesund durch die Zeit kommt, daran ist’s gelegen
Geschichte geschieht nicht, s’ist das was Ihr draus macht
Überlaßt sie nur nicht der finsteren Macht